Statement vom 12. September 2024
Zu den Ergebnissen der heutigen Sitzung des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB) äußert sich DIW-Präsident Marcel Fratzscher wie folgt:
Die Zinssenkung der EZB ist richtig, kommt jedoch zu spät und ist zu zögerlich. Mit ihren starken Zinserhöhungen hat die EZB in den vergangenen beiden Jahren einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, dass die Inflation schnell gesunken ist und mittlerweile wieder das Niveau der Preisstabilität erreicht hat.
Der Kurswechsel in der Geldpolitik, der mit der ersten Zinssenkung im Juni begonnen hat, kommt jedoch zu spät und ist zu zögerlich. Die Wirtschaft in der Eurozone ist schwach und produziert deutlich unter ihrem Potenzial. Dies gilt insbesondere für Deutschland, wo die Wirtschaft zur Zeit stagniert und rund zwei Prozent unter ihrem Potenzial produziert. Der Kurswechsel in der Geldpolitik hätte nicht erst im Juni, sondern schon Anfang des Jahres beginnen sollen, denn Geldpolitik braucht eineinhalb bis zwei Jahre, um ihre volle Wirkung zu entfalten.
Daher sind die Zinssenkungen der EZB zwar richtig, sie werden jedoch ihre volle Wirkung erst im zweiten Halbjahr 2025 entfalten. Auch daher wäre es klug, wenn die EZB bei jedem ihrer nächsten Zinsentscheide die Zinsen senken würde. Dabei kommen auch größere Zinssenkungen von 50 Basispunkten in Frage, denn das Zinsniveau liegt noch immer um etwa 150 Basispunkte über dem neutralen Niveau, bei dem die Zinsen die Wirtschaft weder bremsen noch stimulieren.
Die EZB-Entscheidung, auf frühere und stärkere Zinssenkungen zu verzichten, ist verständlich, denn die EZB war um ihre Glaubwürdigkeit besorgt und wollte sichergehen, dass sie ihr Ziel der Preisstabilität möglichst bald wieder erfüllt. Sie muss auch in den nächsten zwei Jahren mit größeren Schwankungen der Inflation rechnen und darf aber ihr Mandat dabei nicht aus den Augen verlieren.
Die Finanzpolitik der Eurozone ist für die Geldpolitik nicht hilfreich. Eine deutlich expansivere Finanzpolitik, vor allem in Deutschland, würde es der EZB ermöglichen, die Zinsen langsamer zu senken. Dies wird jedoch auf absehbare Zeit nicht passieren, so dass die wirtschaftliche Erholung vor allem in Deutschland zögerlich verlaufen wird.
Themen: Geldpolitik