DIW Wochenbericht 9 / 2025, S. 128
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Die Bundestagswahl 2025 wird als eine Wegmarke in die Geschichte der Demokratie Deutschlands eingehen. Haben die demokratischen Parteien der Mitte, die sich auf Bundesebene gegenseitig als koalitionsfähig ansehen – also Union, SPD, Grüne und FDP –, im Jahr 2021 zusammen noch 76 Prozent der Stimmen erhalten, ist im Jahr 2025 deren Zustimmung auf 61 Prozent zusammengeschrumpft. SPD und FDP haben erdrutschartige Niederlagen erlebt und ihr jeweils schlechtestes Wahlergebnis im Nachkriegsdeutschland erzielt. Auch die CDU/CSU hat trotz Wahlsieg keinen Grund zum Feiern. Denn ihr gelingt es nicht, die Verluste aus der letzten Wahl wieder gutzumachen – sie verharrt trotz anderer Zielsetzung unter der Marke von 30 Prozent. Unheilvoll ist die Situation in manch ostdeutschem Bundesland. In Sachsen haben etwa die vier Parteien zusammen knapp 38 Prozent erhalten, soviel wie die AfD fast allein erzielt. Das sollte Mahnung genug sein.
Nach der letzten Bundestagswahl 2021 waren sich alle einig: Eine Koalition aus CDU/CSU und SPD sollte es aus gutem Grund nicht nochmals geben. Denn diese ehemals „Große Koalition“ hatte in der Regierungszeit zwischen 2013 und 2021 vor allem für eines gestanden: Stillstand.
Dabei türmen sich seit bald zwei Jahrzehnten die Probleme. Mindestens seit 2013 werden Investitionen in die analoge wie digitale Infrastruktur gefordert und auf ein sich schleichend verschlechterndes Bildungssystem hingewiesen. Ebenso ist das Problem des demografischen Wandels bekannt, durch den mehr Menschen in Deutschland in Rente gehen, als junge Menschen in den Arbeitsmarkt eintreten. Seit langem steht die Forderung nach mehr Fachkräftezuwanderung im Raum. Geschehen ist auf allen Gebieten unter der Großen Koalition und auch unter der Ampel-Koalition seit 2021 wenig. Im Gegenteil: Die staatlichen Investitionen stagnieren seit bald zwei Jahrzenten, obwohl die staatlichen Einnahmen in dieser Zeit substanziell zugenommen haben. Diese Einnahmenzuwächse sind ausschließlich in den staatlichen Konsum gegangen, Renten zum Beispiel.
Seit den letzten Wahlen sind neue Standortprobleme dazugekommen. An erster Stelle nennen Unternehmen Bürokratielasten. Bürokratie ist zu einem Mühlstein im unternehmerischen Alltag geworden: langwierige Antragsverfahren, unverständliche Vorschriften und unnötige Berichtspflichten. Die Belastungen durch die überbordende Bürokratie sind für einige Unternehmen inzwischen so groß, dass sie deren Renditen aufessen.
Dementsprechend erodiert Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit, vor allem weil die Rahmenbedingungen für Investitionen nicht mehr stimmen. Das schlägt sich seit geraumer Zeit in einer stagnierenden Wirtschaft nieder. Ein größeres Warnzeichen sind die in jüngster Zeit erheblich gestiegenen Unternehmensschließungen, ebenso wie die Produktionsverlagerungen. Viele Unternehmen tätigen Neuinvestitionen eben nicht mehr in Deutschland, weil sich die Produktion aufgrund dieser schlechten Rahmenbedingungen hier nicht mehr lohnt.
Nun soll es also wieder eine schwarz-rote Koalition richten. Ihr muss bewusst sein, dass es Zeit für einen Aufbruch ist. Viele Kraftakte stehen ihr bevor: der Aufbau einer qualitativ hochwertigen Verwaltung, um den Bürokratieabbau zu bewältigen, massive Investitionen für die marode bauliche Infrastruktur – Brücken, Schulen, Straßen, Schienen – und eine Umkehr in Sachen Bildung. Gleiches gilt für die digitale Infrastruktur, die vielerorts noch unzureichend ist oder gar nicht existiert. Gleichzeitig muss Deutschland attraktiver werden für die Zuwanderung von Fachkräften und dabei die innere Sicherheit erhöhen. Und das ist bei weitem noch nicht alles.
Die letzte substanzielle Reform, die so genannte Hartz-Reform, liegt 20 Jahre zurück. Die nächste Bundesregierung ist nun gefordert, zur Verbesserung der Standortbedingungen für die Wirtschaft einen viel breiteren Reformprozess anzustoßen. Andernfalls droht eine weitere Legislaturperiode im Stillstand die Zustimmung für die Parteien der demokratischen Mitte unter 50 Prozent zu drücken.
Themen: Wettbewerb und Regulierung, Konjunktur