DIW Wochenbericht 43 / 2025, S. 679-687
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„Die Beschäftigungsentwicklung ist durch verschiedene, sich teils überlagernde, teils ausgleichende Trends betroffen. Für die Arbeitsmarktpolitik bedeutet das, dass die Dynamik des Arbeitsmarkts umfassend und über verschiedene Dimensionen hinweg betrachtet werden muss.“ Thilo Kroeger
Der deutsche Arbeitsmarkt hat sich über die letzten Jahrzehnte tiefgreifend verändert. Lange war die Debatte über den Strukturwandel auf die Verschiebungen vom Verarbeitenden Gewerbe zu Dienstleistungen fokussiert. Der Wochenbericht hebt hervor, dass die Veränderungen am Arbeitsmarkt auf drei unterschiedliche Entwicklungen zurückgehen: Neben dem eigentlichen sektoralen Strukturwandel sind auch die Verlagerung auf Berufsebene hin zu dienstleistungsnahen Tätigkeiten (die sogenannte Tertiärisierung) und die zunehmende Nachfrage nach höherqualifizierten Arbeitskräften (der sogenannte qualifikationsbedingte Wandel) zentrale Treiber. Auf Basis administrativer Daten für die Jahre 1975 bis 2017 kann gezeigt werden, dass sich nur etwa zwei Drittel des Beschäftigungsrückgangs in der Industrie auf den klassischen Strukturwandel zurückführen lassen. Ein erheblicher Teil entfällt auf Tertiärisierung und qualifikationsbedingte Veränderungen. Die sektorale Betrachtung allein reicht somit nicht mehr aus, um Veränderungen am Arbeitsmarkt zu erfassen. Entscheidend sind konkrete Aufgabenprofile und Kompetenzen, insbesondere analytische und interaktive Fähigkeiten. Arbeitsmarkt- und Weiterbildungspolitik sollten sich daher stärker an Aufgabenprofilen und regionalen Gegebenheiten ausrichten, um Transformation sozial verträglich zu begleiten.
Der deutsche Arbeitsmarkt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten tiefgreifend verändert. Verschiedene Trends überlagern sich und erschweren eine klare Analyse der arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Herausforderungen. So verlagert sich Beschäftigung nicht nur zwischen Sektoren, auch die Nachfrage nach Berufen wandelt sich: Dienstleistungen gewinnen innerhalb der Wirtschaftszweige an Bedeutung, und der Bedarf an höherqualifizierten Arbeitskräften steigt. Diese Entwicklungen wirken nicht isoliert, sondern greifen ineinander – mit Folgen für Arbeitsmarktpolitik, Qualifizierungsstrategien und regionale Entwicklung.
Deshalb ist es notwendig, sie nicht nur einzeln, sondern in ihrem Zusammenspiel zu betrachten. Die zugrunde liegende Studie zerlegt auf Basis langjähriger Beschäftigtendaten, wie Strukturwandel, Tertiärisierung und qualifikationsbedingter Wandel die Beschäftigungsentwicklung von 1975 bis 2017 geprägt haben.Dieser Wochenbericht basiert auf Dominik Boddin und Thilo Kroeger (2025): Disentangling structural change, servitization, and skill-biased change. Labour Economics, 97 (online verfügbar, abgerufen am 30. September 2025. Dies gilt auch für alle anderen Onlinequellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Sie macht damit zentrale Aspekte der Veränderungen sichtbar. Da strukturelle Entwicklungen betrachtet werden, bleiben die Ergebnisse über diesen Zeitraum hinaus relevant und geben wertvolle Hinweise für aktuelle Entwicklungen.Der betrachtete Zeitraum ist durch die bei Studienerstellung verfügbaren Daten begrenzt. Die entsprechenden englischen Begriffe, die oft auch im Deutschen verwendet werden, sind structural change, servitization (synomym zu tertiarization) und skill-biased change. Der vorliegende Wochenbericht stellt diese Ergebnisse vor und dient als Grundlage für eine differenzierte Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik, die den Wandel vorausschauend gestaltet, statt ihm hinterherzulaufen oder ihn zu überschätzen.Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2025): Frühjahrsgutachten 2025. Wiesbaden; Thilo Kroeger, Claudia Schaffranka und Monika Schnitzer (2025a): Strukturwandel in den Regionen: Was sich ändert und wie die Politik reagieren sollte. Wirtschaftsdienst, 105(8); Thilo Kroeger, Claudia Schaffranka und Monika Schnitzer (2025b): Structural change in Germany: Challenges for growth and productivity. Intereconomics, 60(5).
Eine Analyse der deutschen Arbeitsmarktentwicklung identifiziert drei zentrale, sich überlagernde Trends: den sektoralen Strukturwandel, die berufsstrukturelle Tertiärisierung und die Verschiebung nach Qualifikationsniveau (Kasten 1). Diese Entwicklungen treten parallel auf, unterscheiden sich jedoch in Intensität und Dynamik (Abbildung 1).
Mittels einer Dekompositionsanalyse werden zunächst drei zentrale Trends – Strukturwandel (Verschiebung zwischen Wirtschaftssektoren), Tertiärisierung (Verschiebung zwischen beruflichen Tätigkeiten) und qualifikationsbedingter Wandel (Verschiebung nach Qualifikationsniveau) – voneinander abgegrenzt. Die Analyse basiert auf administrativen Individual- und Betriebsdaten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) für den Zeitraum 1975 bis 2017 für Westdeutschland, kann aber ebenso auf Gesamtdeutschland angewendet werden. Der betrachtete Zeitraum ist durch die bei Studienerstellung verfügbaren Daten begrenzt. Da es sich bei den betrachteten Entwicklungen jedoch um strukturelle Dynamiken handelt, lassen sich alle Aussagen qualitativ bis zum aktuellen Rand interpolieren. Dennoch dürfte sich die Geschwindigkeit (also die Steigung der Trends wie in den Abbildungen dargestellt) aufgrund der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage verändern.Zwei Datensätze kommen zum Einsatz: Das Betriebs-Historik-Panel (BHP) – ein Betriebsdatensatz mit Informationen zu Beschäftigtenzahlen nach Beruf, Qualifikation und Branche auf Ebene von Betriebsstätten (50-Prozent-Stichprobe) – sowie die Stichprobe integrierter Arbeitsmarktbiographien (Sample of Integrated Labour Market Biographies, SIAB) – ein Personenpanel mit Längsschnittinformationen zu Erwerbsverläufen, Berufen und Bildungsabschlüssen (Zwei-Prozent-Stichprobe der Gesamtbeschäftigung mit Meldungen zur Sozialversicherung). Siehe Manfred Antoni et al. (2019): Sample of integrated labour market biographies (SIAB) 1975–2017. FDZ-Datenreport 02. und Andreas Ganzer et al. (2018): Betriebs-Historik-Panel (BHP) – Version 7517 v1. DOI: 0.5164/IAB.SIAB7517.de.en.v1 und 10.5164/IAB.BHP7517.de.en.v1
Die Daten ermöglichen eine Zuordnung der Beschäftigten zu Sektoren (Verarbeitendes Gewerbe und Dienstleistungen; der primäre Sektor wird hier nicht betrachtet), Berufstypen (dienstleistungsnah und produktionsnah) sowie Qualifikation (niedrig, mittel, hoch).
Die Identifikation der Wirkungsbeiträge von Strukturwandel, Tertiärisierung und qualifikationsbedingten Veränderungen geschieht mittels einer log-linearisierten Regressionszerlegung. Die abhängige Variable ist die Anzahl der Beschäftigten Nijst in einer bestimmten Kombination aus Beruf i, Qualifikation s, Sektor j und Jahr t. Die Regressionsform lautet:
Die Komponenten sind wie folgt:
Um die Trends relativ zur gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungsentwicklung identifizieren zu können, sind weitere Restriktionen auf die fixen Effekte nötig. Sie sind im Basisjahr auf null normiert und die Summe über alle Gruppen innerhalb eines zeitvarianten fixen Effekts sind je Jahr ebenfalls auf null normiert (∑iβit = 0∀t, ∑sζst = 0∀t, ∑jγjt = 0∀t). Damit lassen sich hypothetische Beschäftigungsstände berechnen, in denen einzelne Trends (zum Beispiel nur Strukturwandel) ausgeschaltet oder isoliert betrachtet werden. Diese Methodik erlaubt eine eindeutige Zuschreibung der beobachteten Beschäftigungsentwicklungen zu den drei zentralen Trends.
Der klassische Strukturwandel, verstanden als Verlagerung der Beschäftigung vom Verarbeitenden Gewerbe hin zu Dienstleistungen, zeigt sich im Beobachtungszeitraum deutlich: Das Verarbeitende Gewerbe verlor kontinuierlich Arbeitsplätze, während der Dienstleistungssektor zulegte (Abbildung 1). Zwar blieb dieser Trend über die gesamte Zeit bestehen, doch flachte er Anfang der 2000er-Jahre ab. Dies deutet darauf hin, dass der sektorale Wandel zwischenzeitlich eine fortgeschrittene Phase erreicht hatte, in der die Dynamik nachließ.
Unabhängig vom sektoralen Wandel zeigt sich ein weiterer Trend auf Berufsebene (Abbildung 1): Dienstleistungsberufe gewannen über alle Sektoren hinweg kontinuierlich an Bedeutung, während klassische handwerkliche und industrielle Berufe an Relevanz verloren. Dieser Prozess der Tertiärisierung beschreibt die zunehmende Nachfrage nach Tätigkeiten mit hohem Dienstleistungsanteil, etwa in Kundenbetreuung, Vertrieb oder IT, die auch in industriellen Unternehmen zunimmt.Dominik Boddin und Thilo Kroeger (2022): Servitization, Inequality, and Wages. Labour Economics, 77 (online verfügbar). Anders als der Strukturwandel schwächte sich dieser Trend nicht ab, sondern verlief über den gesamten Zeitraum hinweg nahezu linear.
Besonders deutlich ist der Anstieg des Anteils hochqualifizierter Arbeitskräfte (Abbildung 1). Dieser qualifikationsbedingte Wandel begann bereits in den 1980er-Jahren, beschleunigte sich aber ab der Jahrtausendwende. Gleichzeitig sank der Anteil geringqualifizierter Beschäftigter, während der Anteil mittlerer Qualifikationen lange stabil blieb, seit Mitte der 1990er-Jahre jedoch ebenfalls zurückging. Die Aufwärtstendenz bei den Hochqualifizierten beschleunigte sich etwa ab 2013. Diese Entwicklung stützt die These eines technologiegetriebenen Strukturwandels, der insbesondere einfache und standardisierte Tätigkeiten durch komplexere, wissensintensive Aufgaben ersetzt oder auslagert.
Der allgemeine Zeittrend zeigt ein stetiges Wachstum der Gesamtbeschäftigung, das vor allem durch steigende Erwerbsquoten – etwa durch höhere Frauenerwerbstätigkeit – und die wirtschaftliche Entwicklung getragen wurde (Abbildung 1). Kurzfristige Einbrüche, etwa durch die Finanzkrise 2008, sind ebenfalls sichtbar.
Die drei identifizierten Trends verliefen gleichzeitig, doch sie unterschieden sich hinsichtlich Dynamik und sozialen Auswirkungen. Sie konnten sich für einzelne Beschäftigtengruppen gegenseitig verstärken oder auch gegenläufig wirken und damit das Beschäftigungswachstum – je nach Konstellation – fördern oder bremsen.
Um die jeweilige Bedeutung dieser Entwicklungen besser zu verstehen, lassen sich durch die vorherige Zerlegung des Beschäftigungswachstums die relativen Beiträge der drei Trends quantifizieren. So werden die jeweiligen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt sichtbar gemacht. Im Folgenden wird dargestellt, wie stark Strukturwandel, Tertiärisierung und qualifikationsbedingter Wandel in den zurückliegenden Jahrzehnten jeweils die Beschäftigungsdynamik einzelner Gruppen beeinflusst haben.
Im Verarbeitenden Gewerbe ging die Beschäftigung von 1975 bis 2017 um rund 26 Prozent zurück. Hauptursache war der klassische Strukturwandel, der 30 Prozentpunkte des Rückgangs erklärt (Abbildung 2). Doch fast ein Drittel der Verluste lässt sich auf Tertiärisierung und qualifikationsbedingten Wandel zurückführen, zusammen etwa 17 Prozentpunkte. Der positive allgemeine Zeittrend, der die wachsende Volkswirtschaft widerspiegelt, konnte diesen Rückgang mit einem Beitrag von rund 21 Prozentpunkten nur teilweise kompensieren. Ein erheblicher Teil des industriellen Beschäftigungsabbaus resultierte folglich aus veränderten Berufs- und Qualifikationsanforderungen innerhalb der Branche und nicht ausschließlich aus sektoralen Verschiebungen.
Im Dienstleistungssektor stieg die Beschäftigung im gleichen Zeitraum um knapp 70 Prozent. Maßgeblicher Treiber war mit 44 Prozentpunkten der Strukturwandel, gefolgt vom allgemeinem Beschäftigungstrend (+24 Prozent). Tertiärisierung steuerte 8 Prozentpunkte bei, während der qualifikationsbedingte Wandel leicht dämpfend wirkte (–6 Prozentpunkte). Letzteres lässt sich mit dem hohen Anteil niedrig- bis mittelqualifizierter Tätigkeiten in einfachen Dienstleistungsbereichen erklären.
Die Tertiärisierung zeigt sich besonders deutlich auf Berufsebene. Die Beschäftigung in produktionsnahen Berufen nahm um elf Prozent ab, wobei Tertiärisierung und Strukturwandel etwa gleich große negative Beiträge haben (Abbildung 2). Gegenläufig war wiederum nur der allgemeine Zeittrend. Die Anzahl an Dienstleistungsberufen hingegen wuchs um über 56 Prozent, wobei Strukturwandel und Tertiärisierung gemeinsam für etwa 40 Prozentpunkte des Wachstums verantwortlich waren.
Der qualifikationsbedingte Wandel wirkte sich besonders stark auf Hochqualifizierte aus: Ihre Zahl stieg um 128 Prozent, mehr als die Hälfte davon durch den Wandel der Qualifikationsanforderungen (+57 Prozentpunkte). Geringqualifizierte verloren hingegen fünf Prozent, was vollständig auf den qualifikationsbedingten Wandel zurückzuführen war (Abbildung 2). Strukturwandel und Zeittrend wirkten gegenläufig, konnten den Rückgang aber nicht vollständig ausgleichen.
Bei mittelqualifizierten Beschäftigten ergibt sich ein gemischtes Bild: Zwar verzeichnete diese Gruppe ein Plus von 29 Prozent, aber auch hier wirkte der qualifikationsbedingte Wandel mit einem negativen Beitrag von zehn Prozentpunkten. Strukturwandel und Zeittrend glichen diesen Effekt jedoch mehr als aus.
Die beobachteten Veränderungen am Arbeitsmarkt sind das Ergebnis eines Zusammenspiels aus Strukturwandel, Tertiärisierung und qualifikationsbedingtem Wandel. Kein Trend wirkte isoliert, und keine Beschäftigtengruppe war nur von einem einzigen Faktor betroffen. Die Dynamik zeigt, dass ein einseitiger Fokus auf einzelne Trends der Komplexität des Arbeitsmarkts nicht gerecht wird.
Die Unterscheidung zwischen Verarbeitendem Gewerbe und Dienstleistungssektor ermöglicht den Strukturwandel allgemein zu verstehen, kann allerdings die Heterogenität innerhalb der Sektoren nicht abbilden. Eine detailliertere Analyse nach Wissens- und Technologieintensität offenbart ein differenzierteres Bild.Die Klassifikation der Wirtschaftszweige orientiert sich an Andreas Beerli et al. (2021): The abolition of immigration restrictions and the performance of firms and workers: Evidence from Switzerland. American Economic Review, 111(3), 976–1012.
Im Verarbeitenden Gewerbe hielten hochtechnologische Branchen ihre Beschäftigung verhältnismäßig stabil, während niedrigtechnologische Bereiche deutliche Verluste verzeichneten (Abbildung 3). Diese negative Entwicklung begann bereits in den 1980er-Jahren und verstärkt sich ab den 2000er-Jahren.
Im Dienstleistungssektor wuchsen wissensintensive Bereiche wie IT oder Unternehmensberatung deutlich stärker als nicht-wissensintensive Dienstleistungen wie der Einzelhandel, die nahezu konstant blieben. Diese Divergenz nahm ab Mitte der 1990er-Jahre zu und hielt bis etwa zur Finanzkrise 2008 an.
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das stärkere Wachstum technologie- und wissensintensiver Branchen einen Wandel hin zu höheren Qualifikations- und Aufgabenanforderungen vorantreibt. Trotz der erweiterten Analyse bleiben die zuvor diskutierten Trends zusätzlich wirksam und zeigen sich entsprechend auch innerhalb dieser Sektorgruppen.Vgl. Abbildung 3 in Boddin und Kroeger (2025), a.a.O.
Der Beschäftigungsrückgang betraf vor allem Bereiche mit geringem Technologie- oder Wissensanteil, die oft durch standardisierte Prozesse und hohe internationale Konkurrenz geprägt sind. Dagegen wuchsen komplexe, wissensbasierte Dienstleistungen besonders dynamisch. Qualifikationsverschiebung und sektoraler Wandel verliefen parallel und verstärkten sich gegenseitig, wie der folgende Abschnitt näher zeigt.
Eine genauere Analyse der Tätigkeiten innerhalb von Berufsgruppen zeigt ein tiefer liegendes Muster der Arbeitsmarktentwicklung: Es änderte sich nicht nur die Nachfrage nach Berufen, sondern auch die nach den Aufgaben innerhalb dieser Berufsgruppen. Erweitert man die Dimensionalität der Analyse um die Tätigkeitsprofile der Berufe zeigen sich ergänzende Muster (Kasten 2).
Für diesen Teil der Analyse wird auf eine detaillierte Verknüpfung vom SIAB-Datensatz mit Tätigkeitsdaten aus der deutschen BERUFENET-Datenbank zurückgegriffen. Dabei werden Informationen auf Ebene von 3-Steller-Berufsklassifikationen für die Jahre 2011 bis 2013 genutzt.Die Bestimmung der Tätigkeiten je Beruf wurde erarbeitet von: Katharina Dengler, Britta Matthes und Wiebke Paulus (2014): Occupational tasks in the German labour market. FDZ-Methodenreport, 12, 1–36. Diese greifen auf Einschätzungen von Fachleuten zu den typischerweise in verschiedenen Berufen geforderten Kompetenzen und Fähigkeiten zurück. Dadurch ist eine systematische Zuordnung von Berufen zu fünf standardisierten Tätigkeitsprofilen möglich, wie sie in der ökonomischen Literatur häufig verwendet werden.Zum Beispiel David H. Autor, Frank Levy und Richard J. Murnane (2003): The skill content of recent technological change: An empirical exploration. Quarterly Journal of Economics, 118(4), 1279–1333.; Alexandra Spitz-Oener (2006): Technical change, job tasks, and rising educational demands: Looking outside the wage structure. Journal of Labor Economics, 24(2), 235–270. Kognitive, routinemäßige Tätigkeiten umfassen regelbasierte geistige Tätigkeiten wie Dateneingabe, die sich leicht digitalisieren lassen. Manuelle, routinemäßige Tätigkeiten beziehen sich auf standardisierte, körperliche Arbeiten, etwa am Fließband, die häufig automatisierbar sind. Demgegenüber stehen kognitive, nicht-routinemäßige Aufgaben, die komplexe Denkleistungen und Urteilsvermögen erfordern, etwa in der Forschung oder im Design. Manuelle, nicht-routinemäßige Tätigkeiten erfordern körperliche Geschicklichkeit und situative Anpassung, wie sie etwa in der Pflege oder im Handwerk notwendig sind. Schließlich gibt es interaktive Aufgaben, bei denen soziale Fähigkeiten, Kommunikation und Empathie im Vordergrund stehen, etwa in der Beratung, Lehre oder Führung.
Auf Basis dieser Klassifikation erfolgt die Zuordnung von Tätigkeitsanteilen innerhalb der Berufe auf individueller Ebene, die dann aggregiert werden. So lässt sich ermitteln, wie viele Vollzeitäquivalente effektiv in welchem Tätigkeitsprofil arbeiten, während weiterhin nach Dienstleistungs- und Produktionsberufen differenziert wird.
Nicht-routinemäßige Aufgaben mit analytischem oder interaktivem Charakter gewannen deutlich an Bedeutung (Abbildung 4). Sie nahmen sowohl in absoluter Beschäftigungsanzahl als auch im Anteil innerhalb einzelner Berufe zu. Besonders stark nahmen analytische Tätigkeiten zu, was den wachsenden Bedarf an Problemlösefähigkeiten, Selbstständigkeit und digitaler Kompetenz widerspiegelt.
Demgegenüber verloren routinemäßige Aufgaben – ob kognitiv oder manuell – relativ betrachtet an Bedeutung. Diese Tätigkeiten waren besonders stark von Automatisierung und Standardisierung betroffen, beispielsweise durch Digitalisierung, Softwareeinsatz oder robotergestützte Fertigung. Auch der technologische Fortschritt im Dienstleistungsbereich hat zu einem Rückgang solcher Aufgaben geführt.
Nicht-routinemäßige manuelle Tätigkeiten, wie in der Pflege oder im Handwerk, blieben dagegen stabil oder entwickelten sich leicht positiv, da sie schwer zu automatisieren sind. Damit wird deutlich, dass nicht nur der Berufstitel, sondern die Aufgabenstruktur zunehmend entscheidend für die Entwicklungschancen der Beschäftigten, ihre Betroffenheit durch Transformation und die arbeitsmarktpolitische Bewertung ist.
Die Arbeitsmarktdynamiken verliefen nicht gleichmäßig über das gesamte Bundesgebiet. Strukturwandel, Tertiärisierung und qualifikationsbedingter Wandel prägten die Regionen unterschiedlich stark. Eine Analyse westdeutscher Landkreise für den Zeitraum der Jahre 1975 bis 2017 zeigt, welche Regionen von welchen Trends besonders stark betroffen waren, und bietet Ansatzpunkte für eine differenzierte, ortsspezifische Politikgestaltung.Der Beobachtungszeitraum von 1975 bis 2017 begründet die Beschränkung auf die westdeutschen Landkreise. Siehe dazu Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2025), a.a.O.; Kroeger, Schaffranka und Schnitzer (2025a), a.a.O.; Robert Grundke und Enes Sunel (2025): In Zeiten des Strukturwandels Regionen in Deutschland besser fördern. Wirtschaftsdienst, 105(6), 399–433; Jens Südekum und Daniel Posch (2024): Regionale Disparitäten in der Transformation: Braucht es ein Update der deutschen Regionalpolitik? Wirtschaftsdienst, 104(7), 457–461.
Der Strukturwandel traf klassische Industrieregionen wie das Ruhrgebiet, Teile des Saarlands und Nordhessens besonders hart (Abbildung 5). Hier schrumpfte die industrielle Beschäftigung stark, während der Dienstleistungssektor wuchs. In einigen Regionen, etwa um Stuttgart oder in Oberbayern, war dieser Wandel dagegen weniger ausgeprägt oder wurde durch Wachstumsimpulse in der Hochtechnologie überlagert.
Der Trend zur Tertiärisierung war flächendeckend erkennbar, variierte aber in der Intensität. Besonders stark fiel er in Teilen Norddeutschlands sowie in weiten Teilen Bayerns aus. Hier nahm die Zahl dienstleistungsnaher Tätigkeiten auch jenseits traditioneller Dienstleistungszentren zu. Der Arbeitsmarkt wandelte sich in diesen Regionen also nicht nur sektoral, sondern auch in den Berufsprofilen.
Der qualifikationsbedingte Wandel war zwar weit verbreitet, aber regional unterschiedlich ausgeprägt. Regionen mit starker akademischer Infrastruktur wie München, Erlangen oder Heidelberg sowie Zentren wissensintensiver Industrie oder Dienstleistungen wie Frankfurt oder Stuttgart verzeichneten besonders starke Zuwächse hochqualifizierter Beschäftigung. Aber auch einige ländliche Räume mit wachsender High-Tech-Industrie, etwa Ostwürttemberg oder Südostbayern, zeigten überdurchschnittliche Entwicklungen.
Gleichzeitig gab es Regionen, vor allem mit traditionell hohem Anteil geringer Qualifikation oder hohem Anteil einfacher Dienstleistungen, in denen der qualifikationsbedingte Wandel nur schwach ausgeprägt war.
Die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt lassen sich nicht eindimensional erklären. Weder sektorale Verschiebungen noch berufliche oder qualifikationsbedingte Entwicklungen erklären allein die Dynamik der Beschäftigungsstruktur. Vielmehr wirkt ein komplexes Zusammenspiel von Strukturwandel, Tertiärisierung und qualifikationsbedingtem Wandel.
Keine Beschäftigtengruppe ist dabei ausschließlich von einem einzelnen Trend betroffen. Vielmehr ergeben sich spezifische Muster aus der Überlagerung aller drei Kräfte. So können die Beschäftigungssicherheit beispielsweise von Facharbeiter*innen in industriellen Berufen zugleich durch den Rückgang des Verarbeitenden Gewerbes, den Bedeutungsverlust manueller Routinetätigkeiten und gestiegenen Qualifikationsanforderungen abnehmen.
Für die Arbeitsmarktpolitik sollte daraus folgen, dass sie die Beschäftigungsdynamik umfassend betrachten muss. Neben der Zugehörigkeit zu Sektoren und Wirtschaftszweigen sind Aufgabeninhalte, Qualifikationsniveaus und regionale Gegebenheiten zu berücksichtigen.Siehe auch Kroeger, Schaffranka und Schnitzer (2025a), a.a.O. und Thilo Kroeger, Benedikt Runschke und Lenard Simon (2025): Arbeitsmarkt im Wandel: Polarisierung, Fachkräfteengpässe und Labour Hoarding. Wirtschaftsdienst, 105(10) (online verfügbar).
Insbesondere die Ergebnisse zur Veränderung beruflicher Tätigkeiten machen deutlich, dass Transformation zunehmend innerhalb von Berufsgruppen stattfindet. Eine Berufsbezeichnung kann heute völlig andere Anforderungen stellen als noch vor 20 Jahren. Weiterbildungspolitik sollte daher auf Aufgabenprofile statt auf Berufsklassifikationen zielen. Beratungssysteme und digitale Arbeitsmarktplattformen sollten Tätigkeitsmerkmale stärker gewichten als Branchenzugehörigkeit. Besonders gefragt sind nicht-routinemäßige, analytische und interaktive Kompetenzen, etwa digitale Problemlösung, Kommunikationsfähigkeit oder selbstständiges Arbeiten.Vgl. Auch Maria Guadalupe et al. (2022): Building on Human Capital to Restore Productivity Growth. Les notes du conseil d’analyse économique, 75(6), 1–12. Eine weitergehende, begleitende Analyse der aktuellen Entwicklungen wie dem gegenwärtigen wieder zunehmenden Beschäftigungsabbau im Verarbeitenden Gewerbe und der verstärkten Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI) ist dabei unabdingbar. So sind hochkomplexe Tätigkeiten und Dienstleistungsberufe am stärksten durch KI substituierbar. Ob sich allerdings dadurch ein negativer Effekt auf die zukünftige Arbeitsnachfrage einstellen wird, ist momentan noch unsicher. Es könnte vielmehr auch die Nachfrage nach solchen Tätigkeiten und Berufen durch Produktivitätseffekte zunehmen.Vgl. Kroeger, Runschke und Simon (2025), a.a.O.
Auch sektorale Pauschalaussagen – etwa zur Industriekrise oder zum Dienstleistungsboom – erweisen sich als unzureichend. Eine differenzierte industrie- und strukturpolitische Strategie ist gefragt, die den unterschiedlichen Dynamiken innerhalb der Sektoren gerecht wird.
Darüber hinaus zeigt die regionale Analyse: Strukturwandel verläuft nicht einheitlich. Er vollzieht sich lokal höchst unterschiedlich. Regionen mit ähnlicher Beschäftigungsentwicklung können strukturell in unterschiedlichem Ausmaß betroffen sein. Regionale Arbeitsmarktpolitik muss auf lokale Muster reagieren können, sei es durch Qualifizierungsinitiativen, Transformationsbegleitung oder den gezielten Ausbau von Bildungsinfrastruktur.
Die zunehmende Polarisierung des Arbeitsmarkts erfordert auch sozialpolitische Flankierung. Beschäftigte mit mittleren Qualifikationen laufen Gefahr, zwischen Digitalisierung, Automatisierung und Qualifikationsverschiebung unter Druck zu geraten. Umso wichtiger sind Anreize für Weiterbildung, Mobilität und Bildungsaufstieg, beispielsweise über individuelle Weiterbildungskonten, Qualifizierungsprämien für Betriebe oder Mobilitätsförderung in strukturschwachen Regionen.
Themen: Arbeit und Beschäftigung
JEL-Classification: J01;J11;J21;J23;E24
Keywords: Employment growth, employment structure, structural change, skill-biased change, servitization, labor demand, Germany
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2025-43-1