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Gegen den Wind: Gastbeitrag von Claudia Kemfert

Nachricht vom 6. August 2014

Ein Gastbeitrag von Claudia Kemfert, erstmals veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung am 5. August 2014.

Warum deutsche Unternehmen so oft die Energiewende schlechtmachen und warum man nicht auf sie hören sollte.

Mal wieder ist die Energiewende schuld. Die Bürger hören von der Energiewende, die zumindest eine Zeit lang als das wichtigste wirtschaftspolitische Projekt seit dem Wiederaufbau galt, nur noch, wenn irgendjemand jammert oder – schlimmer noch – eine schlechte Nachricht zu überbringen hat. Dann heißt es: Der Ökostrom ist schuld. Oder: Die Energiewende überfordert. Oder: Das EEG ist ineffizient, zu teuer. Da ist es schon fast egal, ob das, was es zu beklagen oder zu rechtfertigen gilt, überhaupt in irgendeinem Zusammenhang mit dem Beklagten steht. So ist das eben, wenn man einen Sündenbock sucht.

Dieser Tage war beispielsweise im Spiegel zu lesen, die Unternehmen würden wegen der hohen Energiepreise in die USA abwandern – allen voran die BASF. Eon-Chef Johannes Teyssen warnt parallel dazu in einem Wirtschaftsblatt vor den hohen Preisen durch die Energiewende und die damit einhergehenden Belastungen für die deutschen Unternehmen. Wenn es doch so einfach wäre. Schade nur, dass die Welt komplexer ist. Wobei sich die Lage dem kritischen Zeitungsleser durchaus einfach erklären lässt.

Zum Beispiel so: Wenn ein Konzern behauptet, er müsse „wegen der hohen Strompreise" abwandern, dann zeigt die Konzernführung damit allerhöchstens strategische Ignoranz den wahren Problemen gegenüber – oder fährt ein raffiniertes Ablenkungsmanöver. Fakt ist: Stromkosten machen im Schnitt etwa drei Prozent des Unternehmensumsatzes aus. Andere Kosten sind deutlich höher. Einzelne – energieintensive – Unternehmen haben in der Tat hohe Energiekosten; genau die sind aber umfassend von nahezu allen politisch motivierten Zahlungen ausgenommen: der Ökosteuer, dem Emissionsrechtehandel und nicht zuletzt von den Zahlungen des EEG. Gerade diese Unternehmen profitieren zudem von den aktuellen, historisch niedrigen Strompreisen an der Börse. Wenn Unternehmen tatsächlich Abwanderungspläne hegen, dann ganz sicher nicht wegen der (niedrigen oder nur geringfügig höheren) Strompreise, sondern wohl eher wegen Lohn- oder Produktionskosten, weil im Ausland Steuererleichterungen locken oder weil die zentralen Absatzmärkte inzwischen nicht mehr in Deutschland oder Europa liegen.

Die einzigen Energiekosten, die manches Unternehmen tatsächlich belasten dürften, sind die Kosten für Gas und Öl. Gerade Letztere sind in der Tat massiv gestiegen. Darüber liest man allerdings kaum Klagen. Kein Wunder, für die steigenden Ölpreise ist die „unsichtbare Hand" des Marktes verantwortlich, und die Preissteigerung ist wenig überraschend. Im Gegenteil: Wir wissen seit einem halben Jahrhundert, dass das fossile Zeitalter seinem Ende zugeht. Eben darum suchen wir ja nach neuen Energiequellen. Das Beste an den erneuerbaren Energien ist, dass ihre Preiskurve nicht wie beim Öl und Gas zwangsläufig nach oben geht, sondern seit vielen Jahren rapide sinkt. Energie aus Wasser, Wind, Sonne oder Biogas wird immer billiger, je mehr wir davon produzieren.

Die alten Kraftwerke rechnen sich nur noch, weil politisch nachgeholfen wird.

Dass ausgerechnet die BASF keine Gelegenheit auslässt, die Energiewende für überhöhte Gaspreise verantwortlich zu machen (obwohl die Gaspreise nun wirklich nichts mit der Energiewende zu tun haben), ist besonders absurd. Nicht nur weil der Chemiekonzern als Zulieferer der Öko-Energiebranche in hohem Maß von der Energiewende profitiert, sondern auch weil die BASF selbst für hohe Gaspreise in Deutschland mitverantwortlich ist: Der Konzern aus Ludwigshafen ist nämlich am North-Stream-Konsortium beteiligt, jener Ostsee-Pipeline, durch die Gas von Russland nach Deutschland transportiert wird. Um den kostspieligen Bau der Pipeline für Investoren lukrativ zu machen, haben die wirtschaftlich Beteiligten mit den Abnehmern auf einen sehr langen Zeitraum Verträge geschlossen. Darin festgelegt: die Gaspreise! Diese heute als „zu teuer" zu brandmarken, ist zwar richtig; nur die Ursache liegt eben nicht in der Energiewende.

Man könnte über derlei Vertuschungsversuche für vielfältiges Manager-Versagen lachen, wenn die Lage nicht so ernst und die Versuche so wirkungsvoll wären. Möglicherweise sind die lautstarken Kritiker der Energiewende nämlich ausgesprochen raffiniert. Denn hinter dem Gejammer stecken versteckte Wirtschaftsinteressen, der Versuch, weitere Subventionen von der Politik zu erpressen.

Im Strommarkt geht es um sehr viel Geld. Das macht weniger den Abnehmern Sorgen als den Anbietern. Die großen Energiekonzerne haben das Projekt „Energiewende" in den letzten Jahren nicht ernst genug genommen. Doch inzwischen sind die erneuerbaren Energien eine relevante Marktkraft geworden. Alte, ineffiziente Kraftwerke, die auf fossile Energien setzen, rechnen sich nicht mehr, weil der Strompreis an der Börse niedrig ist. Weil man den erneuerbaren Energien in der Vergangenheit nicht zugetraut hatte, die sogenannte Grundsicherung zu leisten, hat man gesetzlich verankert, dass ein Teil der Kraftwerke nicht abgeregelt werden, sondern das ganze Jahr über, Tag und Nacht ohne Drosselung durchlaufen. Das führt im Zusammenspiel mit den überaus leistungsstarken Öko-Energien zu einem massiven Strom-Angebotsüberschuss – gerade dann, wenn viel Sonne und Wind da ist. Eine Reduzierung der Kohlekraft wäre deswegen im Sinne der politisch gewollten Energiewende sinnvoll und aufgrund der Überschüsse im Strommarkt leicht möglich. Doch die alten CO2-Schleudern arbeiten weiter – angeblich aus technischen, aber vor allem aus Kostengründen –, je niedriger die Preise, desto mehr Ware muss eben auf den Markt kommen. Kohlestrom verkäme zum Ramschprodukt, würden nicht politische Rahmenbedingungen den Niedergang hinauszögern.

Nun sollen sogenannte Kapazitätsmärkte den ohnehin stark regulierten Energiemarkt ein weiteres Mal zugunsten der fossilen Energien beeinflussen. Wie jüngst eine Studie
für das Bundeswirtschaftsministerium zum wiederholten Male eindrücklich erläutert hat, wirken derartige Kapazitätsmärkte wie Subventionen für alte Kraftwerke: Statt an der Börse endlich die notwendigen Preissignale für eine zukunftsgewandte Energieversorgung zu ermöglichen, würden die erneuerbaren Energien erneut behindert – und das alles nur, weil Opa Kohle am Steuergeld-Tropf hängt und gegen den frischen Wind der Energie-Enkel stänkert. Schade nur, dass die jungen dynamischen Energie-Unternehmer noch nicht erforscht haben, wie sich aus Gegenwind Energie gewinnen lässt. Aktuell sieht das aus wie eine nie versiegende Quelle.
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