DIW Wochenbericht 49 / 2018, S. 1053-1059
Aleksandar Zaklan, Dawud Ansari, Claudia Kemfert
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„Es gibt verschiedene Mechanismen, die den Preiseffekt der US-Sanktionen gegen iranische Rohölexporte begrenzen können.“ Aleksandar Zaklan, Studienautor
In diesem Wochenbericht wird zunächst eine Bestandsaufnahme aktueller Entwicklungen auf dem globalen Rohölmarkt vorgenommen. Marktdaten weisen darauf hin, dass der Ölmarkt trotz der US-Sanktionen gegen iranische Ölexporte derzeit gut versorgt ist. Insbesondere die weiter expandierende US-Schieferölförderung sorgt für Zuwächse auf der Angebotsseite. Mithilfe von Simulationsrechnungen wird zudem ein Ausblick auf mögliche kurzfristige Ölpreiseffekte in Folge der Iran-Sanktionen gegeben. Demnach wäre bei voller Wirksamkeit der Sanktionen im Jahr 2019 ein Preisanstieg von weniger als 20 US-Dollar pro Fass Rohöl zu erwarten. Der Preiseffekt ist geringer, falls z.B. die USA ihre Schieferölförderung kurzfristig ausweiten oder die Sanktionen nur unvollständig durchgesetzt werden können. Weitere angebots- und nachfrageseitige Unsicherheiten, die im Modell nicht abgebildet werden, könnten jedoch zu stärkeren Preiseffekten führen. Unabhängig von kurzfristigen Preisentwicklungen stellt sich längerfristig die Herausforderung, den globalen Ölverbrauch mit den Klimaschutzzielen in Einklang zu bringen.
In diesem Wochenbericht wird zunächst die aktuelle Situation auf dem internationalen Rohölmarkt dargestellt, mit einem Fokus auf die im November 2018 eingeführten Sanktionen gegen den Iran.Der vorliegende Bericht stellt eine Aktualisierung und Fortführung früherer Analysen dar, vgl. Aleksandar Zaklan und Claudia Kemfert (2016): Rohölmarkt: US-amerikanisches Schieferöl schwächt Marktmacht der OPEC. DIW Wochenbericht Nr. 19, 429-433 (online verfügbar, abgerufen am 6. November 2018. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt (online verfügbar); sowie Aleksandar Zaklan, Dawud Ansari und Claudia Kemfert (2017). Rohöl: Marktdaten und Simulationen deuten auf stabiles Gleichgewicht hin. DIW Wochenbericht Nr. 48, 1098-1104 (online verfügbar). Anschließend wird mit Hilfe eines modellgestützten Ansatzes untersucht, welche Auswirkungen Exportbeschränkungen des Irans auf die kurzfristige Entwicklung der globalen Ölpreise haben könnten. Von Interesse sind dabei die möglichen Effekte eines teilweisen bzw. vollständigen Ausfalls iranischer Ölexporte auf den internationalen Ölpreis. Dabei wird berücksichtigt, dass die Ausfälle iranischer Exporte durch die Ölproduktion anderer Länder zumindest teilweise ausgeglichen werden können.
Seit Mitte 2017 sind die Rohölpreise im Vergleich zum Niveau der Jahre 2015 und 2016 deutlich gestiegen, zuletzt aber wieder etwas gesunken (Abbildung 1). Im Herbst 2017 wurde zum ersten Mal seit Beginn 2015 die Grenze von 60 US-Dollar pro Fass BrentölDie Erdölsorte Brent wird in der Nordsee gefördert und börslich in London gehandelt. Der Brentpreis ist anerkannt als globaler Referenzpreis und wird u.a. in den Konjunkturprognosen der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose verwendet. Vgl. Homepage der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (online verfügbar). überschritten, getrieben von einer robusten Entwicklung der globalen Konjunktur und der damit einhergehenden steigenden Nachfrage nach Rohöl.Vgl. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2017): Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2017. DIW Wochenbericht Nr. 40, 809-883 (online verfügbar). Gleichzeitig hielten die wichtigsten Rohölexporteure – die OPECDie Organisation erdölexportierender Länder (Organization of the Petroleum Exporting Countries, OPEC) umfasst derzeit die Länder Algerien, Angola, Äquatorialguinea, Ecuador, Gabun, Iran, Irak, Katar, Republik Kongo, Kuwait, Libyen, Nigeria, Saudi-Arabien, Venezuela und die Vereinigten Arabischen Emirate. sowie Russland – weiterhin an einer Übereinkunft zur Angebotszurückhaltung fest.OPEC (2016): Declaration of Cooperation, 10 December 2016 (online verfügbar). Von Anfang 2017 bis Mitte 2018 übertraf der globale Ölverbrauch im Durchschnitt die globale Ölförderung, was zum Abbau von Lagerbeständen führte (Abbildung 2). So fielen im Sommer 2017 die Bestände der zuvor überdurchschnittlich gefüllten Rohöllager in den USA wieder in den Bereich des fünfjährigen Mittelwertes, und sie waren zu Beginn des Jahres 2018 unterdurchschnittlich gefüllt.Vgl. U.S. Energy Information Administration (2018): Weekly Petroleum Status Report November 21, 2018 (online verfügbar). Zuletzt stiegen die Lagerbestände wieder etwas.
Im Mai 2018 beendete die Regierung der USA unilateral das seit 2015 bestehende Nuklearabkommen mit dem Iran und kündigte in diesem Zusammenhang u.a. die Wiederaufnahme von Sanktionen gegen iranische Rohölexporte an. Schon kurz nach dieser Ankündigung drosselte der Iran seine Rohölförderung von 3,8 Millionen Fass pro Tag im April 2018 auf 3,2 Millionen Fass pro Tag im Oktober 2018. Dies entspricht einer Senkung von knapp 16 Prozent (Abbildung 3). Gründe für die verminderte iranische Produktion waren u.a. eine sinkende Nachfrage der EU, der Türkei und Chinas. Zugleich zögerten internationale Schifffahrtsunternehmen aus Sorge vor Strafmaßnahmen der USA, iranisches Öl zu transportieren.Vgl. Wall Street Journal (2018): Iran’s Oil Exports Dropping Faster Than Expected Before U.S. Sanctions, 28. August 2018 (online verfügbar). Die Sanktionen sollten ursprünglich ab dem 5. November 2018 vollumfänglich in Kraft treten.Vgl. BBC (2018): The Impact of Iran Sanctions, 10. Mai 2018 (online verfügbar). Allerdings räumten die USA kurz zuvor acht Ländern – China, Griechenland, Indien, Italien, Japan, Südkorea, Taiwan, und der Türkei – für zunächst 180 Tage das Recht ein, weiterhin iranisches Öl zu beziehen.Vgl. Oil and Gas Journal (2018): Sanctions revisited, 12. November 2018 (online verfügbar). Diese acht Länder machen derzeit etwa 80 Prozent der iranischen Ölexporte aus.Vgl. Bloomberg (2018): Buyers of Iranian Oil to Get Waivers: Sanctions Wrap (online verfügbar). Es besteht die Möglichkeit, dass diese Ausnahmen verlängert werden. Daher ist das längerfristige Ausmaß der wegen der Sanktionen ausfallenden iranischen Ölexporte unsicher.
In Erwartung der angekündigten Verknappung des iranischen Ölangebots beschloss die OPEC, ihre Übereinkunft zur Angebotszurückhaltung vorübergehend außer Kraft zu setzen und ihre Produktion stattdessen kompensatorisch zu erhöhen,Vgl. OPEC (2018): OPEC 174th Meeting concludes, 22. Juni 2018 (online verfügbar). sodass die Gesamtförderung der OPEC trotz des Rückgangs der iranischen Produktion stabil blieb. Insbesondere bedeutende Produzentenländer – etwa Saudi-Arabien und der Irak – erhöhten ihre Förderung. Die Gesamtproduktion der OPEC stieg zwischen Mai 2018 und Oktober 2018 leicht, von 32,28 auf 32,66 Millionen Fass pro Tag.Ende Juni 2018 wurde die Republik Kongo als Mitglied der OPEC aufgenommen. Wird die Produktion Kongos in Höhe von etwa 350000 Fass pro Tag bei der Berechnung der OPEC-Förderung nicht berücksichtigt, ergibt sich in Mai und Oktober 2018 ein beinahe identischer Gesamtoutput der OPEC. Auch Russland, neben den USA der wichtigste Rohölproduzent, der nicht der OPEC angehört, erhöhte seine Produktion von 11,19 Millionen Fass pro Tag im Mai 2018 auf 11,56 Millionen Fass pro Tag im Oktober 2018.
Der Ausbau der US-Schieferölproduktion schreitet weiterhin dynamisch voran. Im Oktober 2018 produzierten die USA 11,45 Millionen Fass Rohöl pro Tag (Abbildung 3); dies ist ein Anstieg um knapp 18 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat und um gut 48 Prozent im Vergleich zu Oktober 2013. Anfang 2018 lösten die USA Saudi-Arabien als weltweit zweitgrößten Rohölproduzenten ab, und sie haben mittlerweile zu Russland aufgeschlossen, dem zuvor größten Produzenten. Der Ausbau von US-Förderkapazitäten schritt trotz des in den letzten Jahren eher niedrigen Ölpreisniveaus voran. Zudem nahm die Produktivität im Sektor zu, sodass nun pro Quelle mehr Öl gefördert werden kann.Vgl EIA (2018): Drilling Productivity Report November 2018 (online verfügbar). Zuletzt wurden in den USA weitere Investitionen in die Ausweitung der Förderkapazitäten vorgenommen. Dies zeigt die steigende Zahl aktiver horizontaler Bohranlagen, die im November 2018 im Vergleich zum Vorjahresmonat um knapp 20 Prozent höher lag (Abbildung 4). Somit ist kurz- und mittelfristig ein weiterer Zuwachs der Rohölproduktion in den USA zu erwarten.
Aktuell erscheint der Ölmarkt aufgrund der stabilen Gesamtproduktion der OPEC, der steigenden Produktion Russlands sowie der rasch ansteigenden Produktion der USA ausreichend versorgt. Die OPEC argumentiert, dass der Ölmarkt im Jahr 2019 sogar überversorgt sein könnte und erwägt eine neuerliche Übereinkunft zur Angebotszurückhaltung.Vgl. OPEC (2018): JMMC meeting in Abu Dhabi focuses on supply and demand outlook for 2019. Press release No 23/2018, 11. November 2018 (online verfügbar).
Gleichzeitig nehmen die geopolitischen Spannungen – zusätzlich zum amerikanischen Embargo der iranischen Ölexporte – im Nahen Osten weiter zu. So befinden sich Saudi-Arabien und der Iran seit mehreren Jahren auf entgegengesetzten Seiten in einer Reihe regionaler Konflikte, etwa in Katar, Syrien, dem Jemen und dem Libanon. Darüber hinaus werden die Beziehungen zwischen der Türkei und Saudi-Arabien durch die Tötung des regimekritischen Journalisten Jamal Khashoggi belastet. Diese Spannungen erhöhen die Unsicherheit im Markt, was beispielsweise aufgrund von Vorzieheffekten zu steigenden Preisen führen kann. Allerdings kann auch die Koordinationsfähigkeit der OPEC sinken, sodass Angebotszurückhaltungen erschwert werden und die Preise sinken können.
Mit Hilfe des DIW-Modells OILMOD-E (Kasten 1) wird untersucht, welche Auswirkungen die in Kraft getretenen US-Sanktionen gegen den Iran im Jahr 2019 auf den Ölpreis haben könnten. Bislang ist unklar, in welchem Umfang die Sanktionen künftig tatsächlich durchgesetzt werden und ob mögliche Förderausfälle durch andere Länder ausgeglichen werden können. Daher werden folgende Szenarien untersucht (Tabelle 1):
Szenario | Verbleibende Exportkapazität des Iran | Reaktionen anderer Anbieter |
---|---|---|
Referenz | 100 Prozent | – |
A | 20 Prozent | Nur Produktionsanpassung |
B | 0 Prozent | Nur Produktionsanpassung |
C | 0 Prozent | Ausbau der Förderkapazitäten in den USA um 15 Prozent und Produktionsanpassung |
Die Auswirkungen der verschiedenen Szenarien der Sanktionseffekte wurden mit dem OILMOD-E-Modell des DIW Berlin berechnet. OILMOD-E ist ein numerisches partielles Gleichgewichtsmodell, das strategische Interaktionen zwischen gewinnmaximierenden, oligopolistischen Ölproduzenten abbilden kann.Eine etwas ausführlichere Beschreibung des Modells findet sich in Zaklan, Ansari und Kemfert (2017), a.a.O.
Das Modell nutzt Inputdaten verschiedener Quellen, dazu gehören die internationale Energieagentur (IEA), die Fachzeitschrift Oil & Gas Journal sowie mehrere begutachtete wissenschaftliche Publikationen. Die Datenbasis beinhaltet historische Angebots- und Nachfragedaten bis einschließlich des dritten Quartals 2018.
Die im Modell berücksichtigten Akteure machen mehr als 95 Prozent des globalen Erdölmarktes aus. Aufgrund der globalisierten Struktur des Erdölsektors betrachtet das Modell einen aggregierten Markt, bildet allerdings durch die detaillierte Ausgestaltung von Kostenkurven sowie von Qualitätsparametern verschiedener Erdölarten technische und geophysikalische Besonderheiten der Erdölförderung detailliert ab.
Das Modell wurde bereits in der Vergangenheit für Analysen des Erdölmarktes in DIW WochenberichtenZaklan, Ansari und Kemfert (2017), a.a.O. sowie Ferdinand Fichtner et al. (2017): Deutschland in der Hochkonjunktur, aber nicht auf dem Weg in die Überhitzung. DIW Wochenbericht Nr. 84, 1149-1151 (online verfügbar). sowie wissenschaftlichen PublikationenDawud Ansari (2017): OPEC, Saudi Arabia, and the shale revolution: Insights from equilibrium modelling and oil politics. Energy Policy 111, 166-178. genutzt.
Es werden eine Reihe vereinfachender Annahmen getroffen, z.B. dass die globale Rohölnachfrage sowie die Produktionskapazitäten der Nicht-OPEC-Produzenten im Jahr 2019 im Mittelwert der Jahre 2016-2018 wachsen. Modellparameter wie der Grad der OPEC-Marktmacht oder Referenzwerte der Nachfragefunktion wurden anhand des aktuellen Ölpreisniveaus sowie an Daten der GemeinschaftsdiagnoseProjektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2018): Aufschwung verliert an Fahrt – Weltwirtschaftliches Klima wird rauer. Herbst 2018 (online verfügbar). kalibriert. Darüber hinaus enthalten die simulierten Preise keine Erwartungsbildungskomponente, welche auf Finanzmärkten erheblichen Einfluss haben kann. Somit sind die simulierten Preispfade als qualitative Richtwerte zu verstehen.
Sollten sich die Sanktionen entsprechend des Referenzszenarios dauerhaft nicht am Markt durchsetzen lassen, entspricht der simulierte Preis im Wesentlichen dem in der jüngsten Vergangenheit beobachteten Niveau. In den anderen Szenarien bewegen sich die simulierten Preisanstiege der Iran-Sanktionen in einem Preiskorridor von sechs bis 17 US-Dollar pro Fass Rohöl (Abbildung 5). Grundsätzlich sind die Preiseffekte aufgrund der hohen inländischen Ölnachfrage des Irans begrenzt, welche etwa die Hälfte der Produktion umfasst. Somit ist der Iran relativ zu seiner Ölförderung weit weniger ein Exportland als viele andere Produzenten in der Region.
Im Szenario A, in dem 20 Prozent der iranischen Exporte dauerhaft erhalten bleiben, kommt es der Simulation zufolge zu einem Preisanstieg von 14 Prozent. Die Verminderung der iranischen Exporte wird hier zwar durch eine erhöhte Produktion anderer Anbieter teilweise kompensiert; allerdings sind diese aufgrund begrenzter Förderkapazitäten nicht in der Lage bzw. aufgrund der veränderten Wettbewerbssituation nicht willens, den Wegfall vollständig auszugleichen. Zusätzlich müssen in diesem Szenario kurzfristig auch geologisch komplexere (und damit teurere) Ölfelder genutzt werden, was sich auf die Preise durchschlägt. Eine ähnliche Bilanz lässt sich aus dem Szenario C ziehen, welches statt der teilweisen Fortführung iranischer Exporte einen schnellen Ausbau der Förderkapazitäten der USA annimmt. Dadurch ergibt sich ein Preisanstieg von neun Prozent des Referenzniveaus. Bei einem größtmöglichen Wirken der Sanktionen (Szenario B) würden die Ölpreise dagegen stärker steigen (um 23 Prozent) und sich auf das hohe Preisniveau vor dem Jahre 2014 zubewegen.
Ein vollständiges Wegbrechen der iranischen Exporte hätte demnach eine merkliche Preiserhöhung zur Folge. Der Ausbau von Produktionskapazitäten anderer Rohölförderer oder nur teilweise durchgesetzte Sanktionen auf iranische Ölexporte könnten diesen Preiseeffekt jedoch deutlich abmildern.
Ein im Modell nicht abgebildeter unsicherer Faktor ist die grundsätzliche Entwicklung der globalen Ölnachfrage. In den Simulationen wird davon ausgegangen, dass die Referenznachfrage nach Erdöl sich entsprechend des Trends der letzten Jahre fortbewegt. Sollte sich die globale Nachfrage nach Erdöl gegenüber diesem Trend erhöhen, so sind selbst bei moderater Durchsetzung der Sanktionen gegen den Iran angebotsseitige Engpässe nicht auszuschließen, was zu einer Erhöhung der Preise führen würde. Eine gegensätzliche Wirkung hätte eine Verlangsamung des globalen Wirtschaftswachstums, z.B. im Zuge einer Ausweitung aktueller handelspolitischer Konflikte. Bereits im Verlauf des Jahres 2018 hat sich der konjunkturelle Ausblick eingetrübt, sodass die Möglichkeit einer konjunkturbedingt weniger stark steigenden Ölnachfrage besteht.Vgl. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2018), a.a.O. Dies könnte einen Abwärtsdruck auf die Ölpreise mit sich bringen. Darüber hinaus muss die Entwicklung des globalen Rohölmarkts zunehmend im Kontext der Klimaschutzbemühungen betrachtet werden (Kasten 2).
Sollte sich das Wachstum der Ölnachfrage der vergangenen Jahre fortsetzen – selbst in abgeschwächter Form im Zuge einer konjunkturbedingten Stagnation – würden die Treibhausgasemissionen aus dem globalen Ölverbrauch weiter ansteigen. Jedoch zeigt der aktuelle 1,5-Grad-Bericht des Weltklimarats IPCC, dass das im Pariser Klimaabkommen genannte Ziel, den durchschnittlichen weltweiten Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, erhebliche und schnelle Emissionsreduktionen in praktisch allen Verbrauchssektoren notwendig macht.
Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müssen die globalen Netto-CO2-Emissionen bis zum Jahr 2030 um etwa 45 Prozent gegenüber dem Niveau des Jahres 2010 vermindert werden und bis zum Jahr 2050 auf null sinken.Netto-Emissionen setzen sich zusammen aus tatsächlichen Emissionen und der Entfernung von Treibhausgasemissionen aus der Atmosphäre. Selbst das etwas weniger ambitionierte Ziel, den Temperaturanstieg auf zwei Grad Celsius zu begrenzen, erfordert eine CO2-Emissionssenkung von etwa 25 Prozent bis 2030 im Vergleich zum Emissionsniveau des Jahres 2010 sowie das Erreichen von Netto-Nullemissionen bis zum Jahr 2070.Vgl. IPCC (2018): Global Warming of 1.5 °C: An IPCC Special Report on the impacts of global warming of 1.5 °C above pre-industrial levels and related global greenhouse gas emission pathways, in the context of strengthening the global response to the threat of climate change, sustainable development, and efforts to eradicate poverty – Summary for Policymakers (online verfügbar).
Zur Erreichung dieser Klimaziele ist eine weitgehende Dekarbonisierung nicht nur der Stromerzeugung, sondern auch der Industrie, des Wärmeverbrauchs und des Transportsektors notwendig. Dies erfordert auch eine erhebliche Senkung von Emissionen aus dem globalen Erdölverbrauch. In einem exemplarischen IPCC-Szenario ohne CO2-Abscheidung und -Speicherung („P1“) müsste der globale Primärenergieverbrauch von Öl besonders schnell sinken, nämlich um 37 Prozent bis 2030 und um 87 Prozent bis 2050 gegenüber dem Jahr 2010.Vgl. IPCC (2018), a.a.O.
Die aktuelle sowie kurz- bis mittelfristig zu erwartende Entwicklung der globalen Rohölnachfrage steht nicht im Einklang mit diesen Emissionsminderungszielen. Daher sind wirtschaftspolitische Interventionen erforderlich, etwa eine angemessene Bepreisung der Emissionen aus dem Rohölverbrauch. Perspektivisch könnte auch der teilweise Ersatz von Erdölprodukten durch mit erneuerbarer Elektrizität hergestellte synthetische Kraft- und Brennstoffe, auch als Power-to-X bezeichnet, einen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten.Zu den Perspektiven verschiedener Power-to-X-Pfade vgl. Florian Ausfelder et al. (2018): 1. Roadmap des Kopernikus-Projektes „Power-to-X“: Flexible Nutzung erneuerbarer Ressourcen (P2X). Optionen für ein nachhaltiges Energiesystem mit Power-to-X Technologien (online verfügbar).
Die aktuellen Fundamentaldaten im Rohölmarkt legen nahe, dass der Markt kurzfristig gut versorgt ist. Das Angebot erscheint angesichts der weniger dynamischen globalen Nachfrage ausreichend, auch da die angekündigten Sanktionen gegen den Iran zunächst nicht vollständig durchgesetzt wurden. Somit ist auf Basis der Fundamentaldaten zunächst von einer nahezu unveränderten Preisentwicklung auszugehen. Jedoch gibt es auch nachfrageseitige Auf- und Abwärtsrisiken.
Modellgestützte Simulationen weisen darauf hin, dass auch bei einem Ausfall der iranischen Exporte im Zusammenhang mit den angekündigten US-Sanktionen nur relativ moderate Preiseffekte zu erwarten sind. Falls andere Förderländer ihre Produktion im Rahmen ihrer bestehenden Förderkapazitäten anpassen, diese aber kurzfristig nicht ausweiten können, ergibt sich den Simulationen zufolge ein Preisanstieg von rund 17 US-Dollar pro Fass (bzw. 23 Prozent), sodass sich die simulierten Erdölpreise dem zu Beginn dieses Jahrzehnts vorherrschenden Niveau annähern. Können z.B. die USA dagegen kurzfristig ihre Schieferöl-Förderkapazitäten so erhöhen, dass sie die wegfallenden iranischen Exporte kompensieren, ist der Preiseffekt der Sanktionen geringer. Eine ähnlich abgeschwächte Preisreaktion ergibt sich, falls einzelne Importeure die Sanktionen umgehen und die iranischen Exporte somit nicht ganz ausfallen. Somit gibt es verschiedene Mechanismen, die den Preiseffekt der Sanktionen begrenzen können.
Jedoch herrscht insbesondere auf der Angebotsseite kurz- bis mittelfristig geopolitisch bedingt eine beträchtliche Unsicherheit, die in den Simulationen nicht abgebildet werden kann. Dadurch könnten im Zuge der Sanktionierung des Irans, aber auch aufgrund der anderen bestehenden geopolitischen Unsicherheiten, Preisdynamiken ausgelöst werden, die die Rohölpreise außerhalb des hier simulierten Korridors treiben. Dazu gehören nicht nur spekulative Nachfrageeffekte, sondern auch eine veränderte Koordinationsfähigkeit der OPEC.
Unabhängig von den hier dargestellten angebots- und nachfrageseitigen Entwicklungen und den möglichen kurzfristigen Preisentwicklungen muss der globale Ölverbrauch mittel- bis langfristig mit den Klimaschutzzielen in Einklang gebracht werden. Dies impliziert eine baldige und deutliche Minderung des Verbrauchs.
Themen: Ressourcenmärkte, Märkte, Finanzmärkte, Energiewirtschaft
JEL-Classification: C63;Q31;Q35;Q41;Q43
Keywords: Crude oil markets, equilibrium modeling, shale oil, Iran, OPEC
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2018-49-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/190777