DIW Wochenbericht 3 / 2019, S. 52
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Wie sich die Bilder wiederholen: Ende 2014 besuchte Kanzlerin Angela Merkel ihren griechischen Kollegen Antonis Samaras, beglückwünschte ihn zur Beendigung der griechischen Krise und würdigte die Anstrengungen des griechischen Volkes. Anfang 2019: Merkel besucht Alexis Tsipras, beglückwünscht ihn zur Beendigung der Krise und würdigt die Anstrengungen… Dazwischen liegen vier verlorene Jahre. Nach einem halben Jahr voller Krawall gegen Brüssel und Berlin, Kapitalverkehrskontrollen und anderer Schrecknisse musste Griechenland im Jahr 2015 wieder ein Programm in Höhe von 86 Milliarden Euro aufnehmen. Im Gegenzug mussten erneut Renten sowie Ausgaben im Gesundheitswesen und in der Bildung drastisch gekürzt werden, während die Regierung die Steuer- und Abgabenschraube völlig überdreht hat.
Ein Beispiel: Selbständige, die jährlich 40000 Euro einnehmen, sehen sich einer Grenzbelastung für Steuern und Abgaben von 85 Prozent ausgesetzt, die sie neben der zuvor schon abgeführten Umsatzsteuer von 24 Prozent leisten müssen. Noch schlimmer kommt es für Gründer mit erstmaligen Einnahmen in dieser Höhe, auf die sie für das folgende Jahr in gleicher Höhe Steuern vorauszahlen müssen. Für gut laufende Start-ups bleiben im ersten Jahr keine Einnahmen übrig. Dabei sind gerade innovative Start-ups diejenigen, die eine Zukunftsperspektive ins Land brächten. So unterlassen sie eine Gründung, führen diese schwarz durch oder verlassen gleich das Land.
Auch wenn die Sanierung des Staatshaushalts unter großer Pein gelungen ist, die Lasten wurden einfach in die private Wirtschaft verschoben. Die Produktion der Unternehmen ist eingebrochen. Das hat hohe Arbeitslosigkeit zur Folge, vor allem unter jungen Menschen, Armut bei den weniger gut ausgebildeten, Auswanderung der gut ausgebildeten Menschen. Darüber hinaus ist die private Verschuldung in Griechenland massiv angewachsen. Über 40 Prozent aller Bankkredite werden unregelmäßig bedient. Gleichermaßen gibt es Steuerausstände, rund 100 Milliarden Euro – kein Wunder bei den Steuersätzen. Auch der Staat schuldet privaten Haushalten überzahlte Steuern und aus offenen Rechnungen – sechs Milliarden Euro stehen aus.
In der Folge gibt es kaum Investitionen. Das Misstrauen gegenüber der Regierung ist groß, die alt bekannten strukturellen Probleme bleiben: Überregulierung, Überbürokratisierung und eine lahme Justiz tun das Ihrige, um den Blick der Investoren auf andere Länder richten zu lassen.
Der Reformprozess in Griechenland ist auch nach drei Rettungspaketen nicht gelungen. Um das zu kaschieren, haben die Gläubiger den Übergang aus dem letzten Rettungspaket mit einem Liquiditätspuffer von 15 Milliarden Euro abgefedert, damit in den nächsten zwei Jahren keine Staatsanleihen begeben werden müssen. Wie sich zeigt, ist das ein vergiftetes Geschenk. Solche Puffer dienen nur für den Notfall – ihre Nutzung ist ein negatives Signal für die Märkte. Voraussichtlich sieht sich die gegenwärtige Regierung angesichts von Zinsen um 4,3 Prozent für griechische Bonds aber gezwungen, auf diesen Puffer zurückzugreifen.
Die nächste Regierung – vermutlich unter dem konservativen Kyriakos Mitsotakis – hat dann die Wahl zwischen Skylla und Charybdis. Entweder leiht sie sich Geld zu hohen Zinsen am Markt, was angesichts der hohen Staatsverschuldung und der niedrigen Wachstumsraten nicht nachhaltig sein wird, oder sie beantragt eine Kreditlinie unter dem Schirm des ESM. Das sähe man in Griechenland als viertes Rettungsprogramm an und als erneute „Unterjochung“ – es würde ein politisches Beben auslösen.
Griechenlands ökonomische Situation erinnert an ein wackeliges Kartenhaus. Doch all das kümmert die Politik nicht. Tsipras beschwört eine wachsende Wirtschaft herauf, magere zwei Prozent waren es 2018, und mehr ist auch 2019 in dieser Gemengelage nicht drin. Und Merkel hat sich während ihres aktuellen Athen-Besuchs bei aller zur Schau gestellten Freundschaft mit Tsipras mehr für den Namensstreit mit Mazedonien als für die malade griechische Wirtschaft interessiert. Das könnte sich noch rächen.
Dieser Beitrag ist am 13. Januar 2019 im Tagesspiegel erschienen.
Themen: Konjunktur, Europa
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2019-3-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/191261