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Wir Deutschen sind zynisch. Juncker hat völlig recht

Blog Marcel Fratzscher vom 14. September 2017

Das deutsche Gemeckere an den Vorschlägen des EU-Kommissionspräsidenten ist unangebracht. Es ist sinnvoll, dass alle EU-Länder dem Euro beitreten. Junckers Ideen sind zukunftsweisend. Ein Gastkommentar.

Der Euro für alle, ein europäischer Finanzminister mit einem Budget, mehr Freihandelsabkommen: Die jüngsten Vorschläge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker haben Kritik und Unverständnis in Deutschland ausgelöst. Denn viele geben Europa und dem Euro die Schuld an der europäischen Krise.

Dabei ist die „State-of-the-Union“-Rede von Juncker zukunftsweisend. Der Präsident der EU-Kommission zeigt nicht nur eine Vision auf, er legt auch den Finger in die Wunde der fehlenden Reformen und des erstarkenden Nationalismus in Europa.

Juncker fordert zu Recht die Einführung des Euro in allen Ländern der EU ein. Alle 28 Länder der Union, außer Dänemark und dem Vereinigten Königreich, haben sich rechtlich dazu verpflichtet. Daher ist es zynisch, wenn deutsche Kritiker dieses Prinzip nicht akzeptieren wollen, aber gleichzeitig mit Empörung reagieren, wenn Länder andere gemeinsame Regeln brechen.

Wirtschaftspolitisch ist es ist sicherlich nicht sinnvoll, den Euro sofort in allen EU-Ländern einzuführen, denn dafür müssen Beitrittsländer strikte Kriterien erfüllen. Es ist wirtschaftlich jedoch richtig und sinnvoll für alle EU-Länder, dem Euro über die nächsten zehn bis 15 Jahre beizutreten.

Anstelle den Euro als Sündenbock für eigene nationale Fehler zu missbrauchen, sollte die Politik sich ehrlich machen und die wirtschaftlichen Vorteile des Euro eingestehen.

Der Euro war und ist eine starke und stabile Währung, die vielen Ländern während der Finanzkrise Sicherheit geboten hat. Die baltischen Länder sind genau zu dieser Zeit dem Euro beigetreten, um unter dem Schirm der gemeinsamen Währung Schutz gegen die Risiken globaler Finanz- und Währungsmärkte zu finden.

Deutschland hat immer profitiert

Auch wenn es mancher in Deutschland nicht einsehen will: Deutschland ist – nicht mehr, aber auch nicht weniger als alle anderen Mitgliedsländer – ein Gewinner des Euro. Der Euro hat den Handel und die Investitionen in Europa befeuert. Davon hat vor allem die offene deutsche Volkswirtschaft profitiert, durch mehr Jobs, bessere Einkommen, höhere Produktivität und mehr Wettbewerbsfähigkeit. Tatsache ist: Ohne den Euro stünde Deutschland heute wirtschaftlich bei weitem nicht so gut da.

Juncker erteilt zu Recht auch deutschen Politikern und Parteien eine klare Absage, die mit populistischen Aussagen einen Austritt einzelner Länder aus der gemeinsamen Währung fordern. Die Behauptung, einzelne Länder könnten temporär aus dem Euro austreten oder eine parallele Währung einführen, ist wirtschaftspolitisch falsch und meist populistischer Unsinn. Ein solcher Mechanismus kann nie funktionieren und würde lediglich großen Schaden für alle, auch für die Währung selbst, verursachen.

EU-Kommissionspräsident Juncker spricht sich zudem für einen europäischen Finanzminister mit einem gemeinsamen Budget aus, um Länder in schwierigen Zeiten zu unterstützen und das wirtschaftliche Zusammenwachsen Europas zu fördern. Die neue Bundesregierung sollte sich diesen Vorschlägen öffnen und auch den Bürgerinnen und Bürgern ehrlich sagen, dass mehr Solidarität und stärkere europäischen Institutionen gerade auch im eigenen Interesse sind.

Mehr Freihandelsabkommen

Juncker überrascht auch mit der ungewöhnlich starken Forderung nach mehr Freihandelsabkommen der Europäischen Union. Nach dem gescheiterten Handelsabkommen TTIP mit den USA, klingt dies für manchen wie blanker Hohn. Aber es ist genau der richtige Schritt in einer Welt, in der der Protektionismus eines Donald Trump, einer Theresa May und der chinesischen Regierung immer stärker und bedrohlicher werden.

Der Erfolg der Europäischen Union war und ist die Öffnung der gemeinsamen Grenzen innerhalb Europas für Güter, Dienstleistungen, Kapital und Menschen. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass der EU-Kommissionspräsident sich bewusst gegen den Protektionismus in der Welt stellt und für offene Märkte und auch eine Ausweitung des Schengen-Abkommens kämpft.

Zudem hat Juncker zu Recht mehr Zukunftsinvestitionen - in Digitalisierung, erneuerbare Energien, Klimaschutz, Bildung und funktionierende Arbeitsmärkte - angemahnt. Dies gilt für die gesamte Europäische Union, aber vor allem auch für Deutschland. Wenn ein europäisches Land diese Zukunftsinvestitionen gegenwärtig gut bewältigen kann, dann ist es Deutschland mit seiner hervorragenden wirtschaftlichen Lage. Die deutschen Parteien überbieten sich derzeit stattdessen mit Wahlversprechen zu Lasten künftiger Generationen.

Die Rede von EU-Kommissionspräsident Juncker ist ein wichtiger Weckruf an die nationale Politik und vor allem auch an die Bundesregierung, die sich nach den Wahlen am 24. September dringend den Reformen Europas verschreiben muss. Deutschland hat durch seine Größe und Stabilität eine besondere Verantwortung für Europa. Und ein starkes, florierendes Europa ist vor allem auch zum Vorteil Deutschlands. Schade, dass diese Botschaft am stärksten vom EU-Kommissionspräsidenten transportiert wird, und nicht auch von den deutschen politischen Parteien.

Themen: Europa

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