DIW Wochenbericht 10 / 2019, S. 127-136
Aline Zucco
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„Es gibt Berufe, da spielt es für den Stundenlohn eine erhebliche Rolle, ob Sie viele oder wenige Arbeitsstunden leisten. Das betrifft zum Beispiel Berufe in der Unternehmensorganisation oder im Vertrieb: In diesen Berufen wird man für Teilzeit, die ja in der Mehrheit Frauen betrifft, in gewisser Weise bestraft. Dadurch entstehen dort vergleichsweise große Gender Pay Gaps.“ Aline Zucco
Der Gender Pay Gap beträgt in Deutschland 21 Prozent und ist in Teilen darauf zurückzuführen, dass Männer und Frauen in unterschiedlichen Berufen arbeiten. Allerdings sind auch innerhalb der Berufe beachtliche Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen zu beobachten, deren Höhe sich aber zwischen den Berufen stark unterscheidet. Der Gender Pay Gap ist in den Berufen besonders stark ausgeprägt, in denen der Stundenlohn überproportional mit den Arbeitsstunden ansteigt. Außerdem weisen Berufe mit einem großen Anteil an Führungspositionen einen höheren Gender Pay Gap auf. Berufe, die größtenteils in öffentlichen Unternehmen ausgeführt werden, haben tendenziell kleinere Verdienstlücken. Veränderungen in der Arbeitsorganisation, die flexiblere Arbeitszeiten und Top-Sharing, also dem Aufteilen einer Führungsposition auf zwei Teilzeitstellen, ermöglichen, könnten dazu beitragen, dass der Gender Pay Gap sinkt. Zudem könnten Tarifverträge, wie sie im meist bei öffentlichen Arbeitgebern gelten, zu einer Reduzierung des Gender Pay Gaps führen.
Der 8. März, der internationale Frauentag, ist ein guter Anlass, die Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt in den Blick zu nehmen. Der Frauentag wird in Deutschland seit 1911 gefeiert und ist seit diesem Jahr auch ein offizieller Feiertag in Berlin.
Die Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt hat sich über die letzten hundert Jahre stark verbessert, insbesondere seit 1958 Frauen in Westdeutschland ohne Erlaubnis ihres Ehemannes einer Erwerbstätigkeit nachgehen dürfen.Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung (2008): 50 Jahre Geschlechtergerechtigkeit und Arbeitsmarkt. (online verfügbar, abgerufen am 19. Januar 2019. Dies gilt insofern nichts anders vermerkt auch für alle anderen Onlinequellen in diesem Bericht). Nicht zuletzt deswegen ist die Erwerbstätigenquote von Frauen zwischen 1959 und 2017 um 25 Prozentpunkte auf 72 Prozent angestiegen. Dies hat zur Folge, dass heute knapp drei Viertel der Frauen von ihrer Erwerbsarbeit leben können.Statistisches Bundesamt (2019): Erwerbsbeteiligung. (online verfügbar); Statistisches Bundesamt: „Frauen leben immer häufiger von eigener Erwerbstätigkeit“. Pressemitteilung vom 07. März 2018 (online verfügbar).
Dennoch sind die Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt noch lange nicht gleichgestellt. Denn obwohl der Frauentag seit mehr als hundert Jahren gefeiert wirdSiehe Hintergrundinformationen zum Weltfrauentag auf der Webseite der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. und mittlerweile auch für die Forderung „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ steht, gibt es noch erhebliche Geschlechterunterschiede in der Erwerbs- und Sorgearbeit.Claire Samtleben (2019): Auch an erwerbsfreien Tagen erledigen Frauen einen Großteil der Hausarbeit und Kinderbetreuung. DIW Wochenbericht Nr. 10, 139–144. Während die unbezahlte Sorgearbeit nach wie vor hauptsächlich von Frauen getragen wird, stagniert der unbereinigte Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen bei 21 Prozent.Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 15. März 2018: Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern in Deutschland 2017 bei 21 Prozent (online verfügbar). Auch die angepasste oder bereinigte Lohnlücke,Vgl. hierzu auch die Diskussion der Begriffe „unbereinigt“, „bereinigt“ und „angepasst“ in der Definition von Gender Pay Gap im DIW Glossar (online verfügbar). die strukturelle Unterschiede zwischen beiden Gruppen wie beispielsweise Arbeitsumfang, Tätigkeiten oder Berufs- und Bildungsabschlüsse berücksichtigt, lag im Jahr 2014 bei sechs Prozent.Der angepasste Gender Pay Gap bezieht sich auf 2014, da in diesem Jahr die Verdienststrukturerhebung zuletzt erhoben wurde, die die Berechnung des angepassten Gender Pay Gaps ermöglicht. Vgl. Martin Beck (2018): Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen nach Bundesländern. Wirtschaft und Statistik 4, 26–36.
Der Gender Pay Gap ist aber bei weitem nicht in allen Berufen gleich groß, wie eine frühere Studie am DIW Berlin gezeigt hat.Katharina Wrohlich und Aline Zucco (2017): Gender Pay Gap innerhalb von Berufen variiert erheblich. DIW Wochenbericht Nr. 43 (online verfügbar). Diese Untersuchung aus dem Jahr 2017 basiert auf Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die zwar tagesgenaue Lohnangaben, aber keine Informationen über die Arbeitsstunden bieten. Der vorliegende Wochenbericht knüpft an diese Arbeit an und untersucht auf der Basis der Verdienststrukturerhebung des Statistischen Bundesamtes die berufsspezifischen Gender Pay Gaps. Diese andere Datenquelle berücksichtigt nämlich die geleisteten Arbeitsstunden. So können auch Teilzeitbeschäftigte, die auf dem Arbeitsmarkt und vor allem bei Frauen eine wichtige Gruppe darstellen,Im Jahr 2017 waren in Deutschland unter den abhängig Beschäftigten 48 Prozent der Frauen (und nur elf Prozent der Männer) in Teilzeit beschäftigt. (vgl. Statistisches Bundesamt (2019): Abhängig Erwerbstätige: Deutschland, Jahre, Beschäftigungsumfang, Geschlecht (online verfügbar)). mit in die Analyse einbezogen werden.
Die Daten der Verdienststrukturerhebung (VSE) (Kasten 1) erlauben es, den Gender Pay Gap auf Basis des Stundenlohns zu berechnen, da sie neben Informationen zum Bruttomonatslohn auch Arbeitsstunden enthalten. Somit können auch Teilzeitkräfte in die Auswertung miteinbezogen werden.
Die Analyse basiert auf den Daten der Verdienststrukturerhebung (VSE) für das Jahr 2014. Bei der VSE handelt es sich um verknüpfte Befragungsdaten von Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen, die alle vier Jahre vom Statistischen Bundesamt erhoben werden. Der Datensatz enthält neben Angaben über ArbeitnehmerInnen (z. B. Bruttolohn, Arbeitsstunden, Geschlecht und Bildung) und Arbeitgeber (z. B. Unternehmensgröße und privates oder öffentliches Unternehmen), auch Informationen über die berufliche Tätigkeit (z. B. Leistungsgruppe, Schichtarbeit oder Überstunden). Der Datensatz umfasst abhängig Beschäftigte in Haupt- und Nebenbeschäftigungen aber keine Selbstständigen. Insgesamt umfasst die letzte Welle 2014 Daten zu mehr als eine Millionen ArbeitnehmerInnen in mehr als 60.000 Betrieben.
Einschränkend muss erwähnt werden, dass es sich bei der VSE um eine Querschnittsbefragung ohne retrospektiven Angaben handelt. Der Datensatz enthält also außer der Betriebszugehörigkeit keine weiteren Informationen über die Erwerbsbiographie. Da Frauen tendenziell mehr Erwerbsunterbrechungen und Teilzeiterfahrungen haben, was in den Daten nicht beobachtet wird, kann der angepasste Gender Pay Gap überschätzt werden.
Die Definition des Berufes basiert auf der Dreisteller-Ebene der Klassifikation der Berufe aus dem Jahr 2010 (KldB 2010). Die Einteilung in die verschiedenen Berufe erfolgt dabei auf Basis von benötigtem Wissen und Fertigkeiten. Von den 144 Berufen werden vier Berufe, die verschiedene Dienstgradgruppen der Bundeswehr beschreiben, ausgeschlossen Die neue Berufsklassifikation vereint die Definitionen verschiedener Institute und ersetzt die früheren Versionen von 1988 (Klassifikation der Bundesanstalt für Arbeit) und von 1992 (Statistisches Bundesamt). Mit der Einführung der neuen Klassifikation werden aktuelle Berufsstrukturen besser dargestellt, denn die Vorgängerversionen definierten Männerberufe sehr detailliert und Frauenberufe sehr grob. Das hatte zur Folge, dass die Segregation am Arbeitsmarkt nicht korrekt wiedergegeben werden konnte.Für weitere Informationen über die KldB 2010 siehe u.a. Wiebke Paulus und Britta Matthes (2013): Klassifikation der Berufe-Struktur, Codierung und Umsteigeschlüssel. FDZ-Methodenreport 08/2013.
Nach dieser Definition des Berufes kann zwischen der Humanmedizin und der Veterinärmedizin unterschieden werden. Allerdings kann nicht beobachtet werden, ob eine Selektion in Berufsuntergruppen stattfindet, also ob der oder die HumanmedizinerIn als Facharzt oder Fachärztin in der Kinder- und Jugendmedizin tätig ist oder in der Chirurgie. Das bedeutet, dass der bereinigte Gender Pay Gap innerhalb eines Berufes nicht notwendigerweise Diskriminierung darstellt, sondern auch das Ergebnis von Selektion in unterschiedlich entlohnter Berufsuntergruppen sein kann.
Die Einteilung in Frauen-, Misch- und Männerberufe basiert auf dem Frauenanteil aller Beschäftigten in einem Beruf. Als Frauenberufe, werden die Berufe definiert, in denen der Frauenanteil über 70 Prozent liegt und als Männerberufe, diejenigen mit weniger als 30 Prozent Frauen. Demzufolge haben Mischberufe einen Frauenanteil zwischen 30 und 70 Prozent.
Der Vergleich der durchschnittlichen Löhne von Männern und Frauen auf Basis aller Beschäftigten für das Jahr 2014 bestätigt die Ergebnisse, die in der früheren Untersuchung für Vollzeitbeschäftigte ermittelt worden waren:Wrohlich und Zucco (2017), a.a.O. Der Gender Pay Gap variiert stark zwischen den Berufen (Abbildung 1). Obwohl sich kein linearer Zusammenhang zwischen der Größe der Verdienstlücke und dem Frauenanteil innerhalb des Berufes beobachten lässt, ist der Gender Pay Gap in Frauenberufen tendenziell geringer als in Misch- und Männerberufen (zur Definition der Berufskategorien siehe Kasten 1). Die größten Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen treten in Mischberufen, also in Berufen mit einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis, auf. In Mischberufen wie der Unternehmensorganisation und -strategie oder dem Rechnungswesen, Controlling und der Revision liegt der Gender Pay Gap beispielsweise bei 34 bzw. 35 Prozent.Der Gender Pay Gap in diesen Berufen kann unter anderem auch daher rühren, dass Frauen in der Finanzbranche eine im Vergleich zu Männern viel geringere Wahrscheinlichkeit haben, eine Führungsposition zu besetzen, vgl. Elke Holst und Martin Friedrich (2016): Hohe Führungspositionen: In der Finanzbranche haben Frauen im Vergleich zu Männern besonders geringe Chancen. DIW Wochenbericht Nr. 37 (online verfügbar). In Frauenberufen wie der Arzt- und Praxishilfe sowie in Pflegeberufen liegt die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen bei unter fünf Prozent. In der Fahrzeug-, Luft-, Raumfahrt- und Schiffbautechnik, ein Männerberuf mit einem Frauenanteil von nur drei Prozent, gibt es sogar einen negativen Gender Pay Gap. Das bedeutet, dass Frauen in diesem Beruf sieben Prozent mehr verdienen als ihre männlichen Kollegen.
Diese Verdienstunterschiede bedeuten aber nicht zwangsläufig, dass Frauen diskriminiert werden, sondern können beispielsweise auch auf Unterschiede in der Berufserfahrung oder Ausbildung zurückzuführen sein. Vergleicht man aber die angepassten Verdienstlücken,Die angepassten Gender Pay Gaps wurden in einem Modell mit fixen Effekte berechnet. Vgl. hierfür Aline Zucco (2019): Occupational characteristics and the Gender Pay Gap. DIW Discussion Paper Nr. 1794. findet man weiterhin erhebliche Unterschiede in den Gender Pay Gaps zwischen den Berufen (Abbildung 2). Auch wenn die Verdienstunterschiede in Frauenberufen auch hier im Schnitt geringer sind als in Männer- und Mischberufen, verdienen Männer bei gleicher Qualifikation in den meisten Berufen mehr als Frauen. Selbst in der Arzt- oder Praxishilfe oder in der Altenpflege, typische Frauenberufe mit einem Frauenanteil von 98 bzw. 85 Prozent, verdienen Männer zehn beziehungsweise drei Prozent mehr als gleichqualifizierte Frauen im selben Beruf. Die drei größten Gender Pay Gaps treten im Verkauf von Bekleidung, Elektronik, Kraftfahrzeugen und Hartwaren (Mischberuf), Verkauf von Lebensmitteln (Frauenberuf) und bei der Metallbearbeitung (Männerberuf) auf. In diesen Berufen liegen die Lohnlücken bei 27 Prozent, 24 Prozent und 23 Prozent. Hingegen verdienen Frauen nach Kontrolle, für Unterschiede in der Berufserfahrung und Qualifikation in der Erziehung, Sozialarbeit und Heilerziehungspflege sowie im Polizeivollzugs- und Kriminaldienst und Gerichts- und Justizvollzug zwei beziehungsweise neun Prozent mehr als ihre männlichen Kollegen.
Vergleicht man diese Ergebnisse mit den bereits in der früheren Studie ermittelten Gender Pay Gaps für Vollzeitbeschäftigte,Wrohlich und Zucco (2017), a.a.O. findet man teilweise eklatante Unterschiede. Zum Beispiel liegt die Verdienstlücke bei Arzt- und PraxishelferInnen unter Vollzeitbeschäftigten bei (unbereinigt) 43 Prozent und in der vorliegenden Untersuchung inklusive der Teilzeitbeschäftigten bei einem Prozent (unbereinigt) beziehungsweise bei neun Prozent (angepasst). Dieses Ergebnis weist darauf hin, dass sich der Gender Pay Gap für Teilzeit- und Vollzeitkräfte teilweise erheblich unterscheidet und somit die Arbeitsstunden für den Gender Pay Gap eine wichtige Rolle spielen.
Um den Zusammenhang zwischen den Arbeitsstunden und dem Gender Pay Gap verstehen zu können, empfiehlt es sich, die Höhe des Stundenlohns in Abhängigkeit der Wochenstunden zu betrachten. Bei Beschäftigten in der Gesundheits- und Krankenpflege, in Rettungsdiensten und bei der Geburtshilfe ist der Stundenlohn relativ konstant (Abbildung 3). So verdienen Personen mit 15 Wochenstunden im Schnitt 18 Euro die Stunde, diejenigen, die 20 Stunden arbeiten, kommen auf 19 Euro. Beschäftigte, die 35 Stunden in der Woche arbeiten, verdienen ebenfalls durchschnittlich 19 Euro und jene mit 45 Wochenstunden 18 Euro. Dieses Ergebnis verdeutlicht, dass in diesem Beruf die Höhe des Bruttolohns unabhängig von den Arbeitsstunden ist und somit von einer proportionalen Entlohnung gesprochen werden kann.
In der Unternehmensorganisation und -strategie hingegen variiert der Bruttostundenlohn weitaus mehr: Er liegt zwischen elf Euro bei geringem Umfang an vereinbarten Arbeitsstunden (bis elf Stunden die Woche) und 28 Euro bei hohen Arbeitsstunden (ab 37 Wochenstunden) (Abbildung 3). Dabei lässt sich eine klare Tendenz erkennen: Der mittlere Stundenlohn in diesem Beruf steigt mit der Anzahl der Wochenstunden. Personen, die in diesen Bereichen arbeiten, werden nicht linear nach den geleisteten Arbeitsstunden entlohnt, sondern die Entlohnung steigt im Vergleich zu den Arbeitsstunden überproportional (konvex) an.
Unterscheidet man also zwischen Berufen mit proportionaler und überproportionaler Entlohnung, so ist der bereinigte Gender Pay Gap bei Ersteren relativ klein (drei Prozent bei Gesundheits- und Krankenpflege), im Beispiel mit überproportionaler Entlohnung dagegen viel größer (19 Prozent bei der Unternehmensorganisation). Ein ähnlicher Zusammenhang wurde auch auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt festgestellt.Claudia Goldin (2014): A Grand Gender Convergence: Its Last Chapter. American Economic Review 104 (4), 1091–1119.
Da Teilzeitarbeit in Deutschland ein größtenteils weibliches Phänomen ist, sind vor allem Frauen von geringen Stundenlöhnen in Berufen mit überproportionaler Entlohnung betroffen. Dieser Zusammenhang verdeutlicht, weswegen Berufe mit überproportionaler Entlohnung höhere Gender Pay Gaps aufweisen als Berufe mit proportionaler Entlohnung.
Um die Beziehung zwischen der Proportionalität der Entlohnung in einem Beruf und dem Gender Pay Gap allgemeiner darstellen zu können, wird auf den am DIW Berlin entwickelten Konvexitätsindex für einzelne Berufe zurückgegriffen. Dieser gibt die relative Differenz zwischen dem Lohn der Beschäftigten im jeweiligen Beruf mit über 40 Stunden vereinbarter Arbeitszeit und dem Lohn der Personen in diesem Beruf, die weniger als 25 Wochenstunden arbeiten, wieder (Kasten 2).
Die Analyse bezieht sich auf den Bruttostundenlohn, der sich als Quotient aus dem Bruttomonatslohn und den 4,3-fach Wochenstunden ergibt. Für den bereinigten Gender Pay Gap wird ein Regressionsmodell mit fixen Effekten für den Beruf und das Geschlecht geschätzt. Dabei wird für das Alter, die Betriebszugehörigkeitsdauer, die Bildung, die Betriebs- und Unternehmensgröße und dafür, ob sich der Betrieb in Ost- oder in Westdeutschland befindet, kontrolliert. Zusätzlich wird überprüft, ob der oder die Beschäftigte unbefristet beschäftigt ist oder eine Führungsposition innehat.Für weitere Informationen vgl. Zucco (2019), a.a.O.
In der multivariaten Regression wird geschätzt, ob dieser angepasste berufsspezifische Gender Pay Gap mit ausgewählten Berufscharakteristika korreliert. Hierfür werden die Informationen aller Beschäftigten (z. B. Geschlecht, Leistungsgruppe, Schichtzulagen) auf beruflicher Ebene zusammengefasst. Für den Konvexitätsindex wird der mittlere Lohn aller Beschäftigten mit mehr als 45 Stunden von dem mittleren Lohn aller Beschäftigten mit weniger als 25 Stunden subtrahiert und mit dem Durchschnittslohn der Beschäftigten über 45 Stunden ins Verhältnis gesetzt.
Reiht man die 30 häufigsten Berufe absteigend nach der Höhe des Konvexitätsindexes an, finden sich in den oberen Rängen insbesondere kaufmännische und unternehmensbezogene Dienstleistungs- und ProduktionsberufeDie Einteilung in die Berufssektoren und -segmente folgt der Definition der Bundesagentur für Arbeit, für weitere Informationen siehe Britta Matthes, Holger Meinken und Petra Neuhauser (2015): Berufssektoren und Berufssegmente auf Grundlage der KldB 2010. Methodenbericht der Statistik der BA.Nürnberg. (Abbildung 4). Zu kaufmännischen und unternehmensbezogenen Dienstleistungsberufen zählen unter anderem Beschäftigte in der Unternehmensorganisation und -strategie, im Einkauf und Vertrieb oder im Verkauf. Das hohe Maß an Konvexität bedeutet, dass der relative Lohnunterschied zwischen Personen mit einer hohen und Personen mit einer geringen Arbeitsstundenzahl in diesen Berufen bei über 30 Prozent liegt. Tätigkeiten in der Elektrotechnik beziehungsweise in der Maschinenbau- und Betriebstechnik sowie in der Metallbearbeitung werden den Produktionsberufen zugeordnet. Der Konvexitätsindex in diesen Berufen liegt zwischen 31 und 29 Prozent; das deutet auf eine überproportionale Entlohnung von langen Arbeitsstunden hin.
In anderen Produktionsberufen wie in der Energietechnik (vier Prozent) erfolgt die Entlohnung deutlich proportionaler. Zu den Berufen mit proportionaler Entlohnung zählen auch Berufe in der Pflege oder in der Arzt- und Praxishilfe sowie Tätigkeiten im öffentlichen Dienst. Letzteres umfasst unter anderem Berufe im Polizeivollzugs- und Kriminaldienst, Gerichts- und Justizvollzug sowie Lehrtätigkeit an allgemeinbildenden Schulen. Im öffentlichen Dienst unterliegen fast alle Beschäftigte Tarifverträgen, und diese gewährleisten allen den gleichen Stundenlohn, unabhängig von der Stundenzahl. In Pflegeberufen könnte die proportionale Entlohnung, folgt man der Argumentation aus den USA,Goldin (2014), a.a.O. auf die Standardisierung in den Behandlungsprozessen zurückzuführen sein. Diese ermöglichen es, dass einzelne Beschäftigte einfacher durch ihre KollegInnen ersetzt werden können. Somit gehen kürzere Arbeitszeiten nicht mit Produktivitätsverlusten einher und führen dementsprechend nicht dazu, dass diese mit geringeren Löhnen „bestraft“ werden.Eine aktuelle Studie konnte beelegen, dass sich geringere Löhne in Teilzeit auch dadurch erklären lassen, dass sich besonders qualifizierte Frauen in Vollzeit selektieren (vgl. Patricia Gallego Granados (2019): The Part-Time Wage Gap across the Wage Distribution. DIW Discusson Paper Nr.1791 (online verfügbar).
Bei Berufen mit überproportionaler Entlohnung ist der Gender Pay Gap tendenziell größer als bei Berufen mit proportionaler Entlohnung. So sind die Berufe mit dem höchsten Maß an überproportionaler Entlohnung (Unternehmensorganisation und -strategie und Objekt-, Personen-, Brandschutz, Arbeitssicherheit) auch Berufe, die mit 19 beziehungsweise 17 Prozent sehr große angepasste Verdienstlücken zwischen Männer und Frauen aufweisen. Umgekehrt finden sich in einigen Berufen mit einer proportionalen Entlohnung wie Tätigkeiten in der Gesundheits- und Krankenpflege, im Rettungsdienst und der Geburtshilfe oder im Polizeivollzugs- und Kriminaldienst, Gerichts- und Justizvollzug, sehr geringe beziehungsweise negative bereinigte Gender Pay Gaps von respektive minus drei und minus neun Prozent.
Die Proportionalität der Entlohnung korreliert zwar mit dem Gender Pay Gap, sie scheint aber nicht der einzige Grund dafür zu sein, dass sich die Verdienstlücken zwischen den Berufen so stark unterscheiden.Einen guten Überblick über weitere Studien zu den Gründen für den Gender Pay Gap bietet Francine D. Blau und Lawrence M. Kahn (2017): The Gender Wage Gap: Extent, Trends, and Explanations. Journal of Economic Literature 2017, 55 (3), 789–865. Daher wird in einer linearen Regression die Größe des Gender Pay Gaps innerhalb eines Berufes mit weiteren beruflichen Charakteristika in Zusammenhang gebracht (Tabelle).Vgl. Zucco (2019), a.a.O. Für eine intuitivere Interpretation der Ergebnisse wird aber der Gender Pay Gap hier, anders als in der zitierten Studie, als Differenz zwischen dem Männer- und dem Frauenlohn angegeben. Diese Charakteristika beschreiben die aggregierten Arbeitsbedingungen innerhalb eines Berufes wie zum Beispiel die durchschnittliche Anzahl an Überstunden oder der Frauenanteil. Dabei bestätigt sich der positive Zusammenhang zwischen der Überproportionalität der Entlohnung und der Größe der Verdienstlücke. Hingegen können weder die Anzahl der Überstunden noch die Höhe der Schichtzulagen die Unterschiede zwischen den Gender Pay Gaps in den Berufen erklären. Zusätzlich wurden die sogenannten Leistungsgruppen, die die Komplexität der ausgeübten Tätigkeiten wiedergeben, mit in das Modell aufgenommen. Dabei zeigt sich, dass der Gender Pay Gap in den jeweiligen Berufen mit dem Anteil an Beschäftigten in leitender Stellung steigt. Dieses Ergebnis bestätigt frühere Studien, die am oberen Ende der Lohnverteilung und bei Führungskräften einen höheren Gender Pay Gap beobachten, als auf dem restlichen Arbeitsmarkt.Elke Host und Anne Marquardt (2018): Die Berufserfahrung in Vollzeit erklärt den Gender Pay Gap bei Führungskräften maßgeblich. DIW Wochenbericht Nr. 30+31, 669–678 (online verfügbar); Patricia Gallego Granados und Katharina Wrohlich (2018): Gender Pay Gap besonders groß bei niedrigen und hohen Löhnen. DIW Wochenbericht Nr. 10, 173–179 (online verfügbar). Dieser Befund ist auch der sogenannten „gläsernen Decke“ zuzuschreiben,Siehe dazu zum Beispiel James Albrecht, Anders Björklund und Susann Vroman (2003): Is there a glass ceiling in Sweden? Journal of Labor Economics, 21 (1), 145–177; Wiji Arulampalam, Alison L. Booth und Mark L. Bryan (2007): Is there a glass ceiling over Europe? Exploring the gender pay gap across the wage distribution. Industrial and Labor Relations Review, 60 (2), 163–186. also der Tatsache, dass Frauen unterdurchschnittlich häufig Führungspositionen besetzen. Im Jahr 2018 waren nur neun Prozent aller Vorstandsmitglieder der größten 200 Unternehmen in Deutschland weiblich.Elke Holst und Katharina Wrohlich (2019): Frauenanteile in Aufsichtsräten großer Unternehmen in Deutschland auf gutem Weg – Vorstände bleiben Männerdomänen. DIW Wochenbericht Nr. 3, 19–34 (online verfügbar).
Regressionskoeffizienten | |
---|---|
Konvexitätsindex | 0,132 *** |
Durchschnittliche Anzahl an Überstunden | −0,004 |
Durchschnittliche Höhe der Schichtzulagen | 0,000 |
Leistungsgruppen (Referenz: Anteil der Beschäftigten mit schwierigen Fachtätigkeiten) | |
Anteil der Beschäftigten in leitender Stellung | 0,135 ** |
Anteil der Beschäftigten mit sehr schwierigen bis komplexen Tätigkeiten | 0,001 |
Angelernte ArbeitnehmerInnnen | 0,038 |
Ungelernte ArbeitnehmerInnen | 0,126 |
Frauenanteil | 0,069 |
Frauenanteil2 | −0,104 |
Anteil öffentlicher Unternehmen | −0,147 *** |
Konstante | 0,118 ** |
Anzahl der Berufe | 140 |
R2 | 0,201 |
Anmerkung: Die Berechnung basiert auf abhängig Beschäftigten zwischen 25 und 55 Jahren. Die Einteilung in Berufe basiert auf der KldB 2010.
Signifikanzniveaus: ***p<0.001 **p<0.05 *p<0.1. Der Gender Pay Gap entspricht der Differenz im Stundenlohn zwischen Männern und Frauen im jeweiligen Beruf unter Berücksichtigung des Alters, der Betriebszugehörigkeit, der Bildung, der Betriebs- und Unternehmensgröße, Betriebsstandort (Ost/West), Führungsposition und unbefristeter Arbeitsvertrag.
Lesehilfe: Ein positiver Koeffizient bedeutet, dass der Anstieg der Gender Pay Gap innerhalb eines Berufes mit der entsprechenden Eigenschaft innerhalb eines Berufes größer wird. Somit kann bei statistischer Signifikanz von einem positiven Effekt dieser Eigenschaft auf den Gender Pay Gap gesprochen werden.
Quelle: Eigene Berechnung auf Basis der Verdienststrukturerhbung 2014.
Zwischen dem Frauenanteil im Beruf und der Höhe des Gender Pay Gaps konnte, wie vermutet, kein statistisch signifikanter Zusammenhang beobachtet werden.Frühere Analysen am DIW Berlin und des Statistischen Bundesamtes konnten ebenfalls keine Korrelation zwischen dem Frauenanteil und dem Gender Pay Gap feststellen. Vgl. hierzu Claudia Finke (2011): Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen. Eine Ursachenanalyse auf Grundlage der Verdienststrukturerhebung 2006. Wirtschaft und Statistik 1, 36–48; Wrohlich und Zucco (2017), a.a.O. Hingegen ist der Gender Pay Gap in Berufen, die in hohem Maße in öffentlichen Unternehmen ausgeführt werden, signifikant kleiner als in Berufen, die größtenteils in Privatunternehmen ausgeübt werden.Diesen signifikanten Unterschied zwischen Unternehmen in privater und öffentlicher Hand bestätigt auch das Statistische Bundesamt, siehe Finke (2011), a.a.O.; Claudia Finke, Florian Dumpert und Martin Beck (2017): Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen. Eine Ursachenanalyse auf Grundlage der Verdienststrukturerhebung 2014. Wirtschaft und Statistik 2, 43–62. In einer aktuellen Studie des HWWI beobachten die AutorInnen, einen Gender Pay Gap von sechs Prozent im öffentlichen Dienst und den vierfachen Wert in der Privatwirtschaft vgl. hierzu: Christina Boll und Andreas Lagemann (2018): Verdienstlücke zwischen Männern und Frauen im öffentlichen Bereich und in der Privatwirtschaft– Höhe, Entwicklung 2010–2014 und Haupteinflussfaktoren. HWWI Policy Paper 107 (online verfügbar). Das kann daran liegen, dass in öffentlichen Unternehmen häufiger nach Tarifverträgen entlohnt wird als in Privatunternehmen.Die Tarifbindung lag in Deutschland im Jahr 2014 insgesamt bei 45 Prozent, in der öffentlichen Verwaltung, Verteidigung und Sozialversicherung bei 100 Prozent. Vgl. Statistisches Bundesamt (2019): Tarifbindung nach Betrieben und Wirtschaftszweigen 2014 (online verfügbar). Da Frauen im Vergleich zu Männern erwiesenermaßen weitaus schlechter verhandeln,Vgl. Linda Babcock und Sara Laschever (2003): Women Don’t Ask: Negotiation and the Gender Divide. Princeton and Oxford: Princeton University Press; Blau und Kahn (2017), a.a.O. Einen allgemeinen Überblick über Studien, die sich mit Verhaltensunterschieden zwischen Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt auseinandersetzen, bietet Rachel Croson und Uri Gneezy (2009): Gender Differences in Preferences. Journal of Economic Literature 47 (2), 448–474. sind Tarifverträge ein sinnvolles Mittel, um Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen zu verringern.
Neben der Proportionalität in der Entlohnung hängt also auch der Anteil der Unternehmen, die in öffentlicher Hand liegen, negativ mit dem Gender Pay Gap zusammen. Außerdem ist die Verdienstlücke in Berufen, in denen die Beschäftigten zu großen Teilen in leitenden Positionen tätig sind, signifikant höher.
Der deutsche Arbeitsmarkt ist stark segregiert und das Lohnniveau in Frauenberufen ist häufig niedriger als in Männerberufen.Wrohlich und Zucco (2017), a.a.O. Der Gender Pay Gap hängt teilweise damit zusammen, dass Frauen und Männer in unterschiedlichen Berufen arbeiten. Allerdings variiert die Größe der Verdienstlücke zwischen den Berufen erheblich und selbst in den meisten Frauenberufen verdienen Frauen weniger als ihre männlichen Kollegen.
Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass das Maß an Proportionalität zwischen Arbeitszeit und Entlohnung zu großen Teilen erklären kann, warum manche Berufe sehr große und andere sehr kleine Gender Pay Gaps aufweisen. In manchen Berufen ist der Stundenlohn stark abhängig davon, wie viele Wochenstunden die Beschäftigten arbeiten und somit werden Personen in diesen Berufen überproportional zu ihrer Arbeitszeit entlohnt: So zahlen sich lange Arbeitszeiten in Berufen in der Unternehmensorganisation und -strategie oder im Einkauf und Vertrieb überproportional aus. Das bedeutet auch, dass Teilzeitarbeit, die in Deutschland hauptsächlich von Frauen ausgeführt wird, in diesen Berufen besonders „teuer“ ist. Ein Grund für die überproportionale Entlohnung in diesen Berufen ist beispielsweise, dass in manchen Arbeitsverträgen hohe Prämien dafür gezahlt werden, dass die ArbeitnehmerInnen hohe Präsenz zeigen beziehungsweise, wenn nötig, auch viele Überstunden leisten.
Im Gegensatz dazu sind insbesondere Gesundheits- und Pflegeberufe durch eine proportionale Entlohnung gekennzeichnet, die mit geringen Gender Pay Gaps einhergeht. Die Tätigkeiten in diesen Berufen sind in hohem Maße durch standardisierte Prozessen geprägt. Die Schichtarbeit erfordert zum Beispiel eine Dokumentation des Behandlungsprozesses in Patientenakten, so dass alle KollegInnen die PatientInnen gleichermaßen behandeln können. Durch die Substituierbarkeit der Beschäftigten sind kürzere Arbeitszeiten weder für ArbeitgeberInnen noch für ArbeitnehmerInnen mit höheren Kosten verbunden.
Folgt man einer Empfehlung für den amerikanischen Arbeitsmarkt,Goldin (2014), a.a.O. so kann der Gender Pay Gap erst verschwinden, wenn flexible Arbeitszeiten nicht mehr mit (überproportionalen) Lohneinbußen verbunden sind. Dies könnte beispielsweise für Berufe in der Unternehmerorganisation und -strategie bedeuten, dass Konzepte wie „Top-Sharing“, also die Tatsache, dass sich zwei Teilzeitkräfte eine Arbeitsstelle als Führungsposition teilen, weiter gefördert werden sollten. In anderen Tätigkeitsfeldern wie in handels- oder fertigungstechnischen Berufen könnte – ähnlich wie im Gesundheitsbereich – die Standardisierung der Ablaufprozesse zu einer besseren Substituierbarkeit der Beschäftigten und somit auch zu einem geringeren Gender Pay Gap führen. Diese Veränderung der Arbeitsorganisation verlangt nicht nur ein Umdenken seitens der Arbeitgeber sondern auch der ArbeitnehmerInnen, denn sie setzt die Bereitschaft voraus, sich verzichtbar zu machen und Arbeit an KollegInnen abzugeben.
Weiterhin bestätigen die Ergebnisse, dass Tarifverträge, wie sie in den meisten öffentlichen Unternehmen vorliegen, mit kleineren Gender Pay Gaps einhergehen, denn sie sichern allen Beschäftigten den gleichen Lohn zu. Der Ausbau von Tarifverträgen und eine stärkere Tarifbindung könnten also zu kleineren Verdienstunterschiede zwischen Frauen und Männern führen.
Die Untersuchung weist außerdem darauf hin, dass der Anteil der Beschäftigten in leitender Stellung in einem Beruf positiv mit dem Gender Pay Gap korreliert, was die Existenz einer gläsernen Decke nahelegt. Politische und betriebliche Maßnahmen, die den Frauenanteil in Führungspositionen erhöhen, könnten somit auch einen Beitrag zur Reduzierung der Gender Pay Gaps leisten.
Themen: Gender, Arbeit und Beschäftigung
JEL-Classification: J16;J31;J33;J22;J24
Keywords: Gender Pay Gap, wage distribution, Part Time Gap, occupations
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2019-10-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/194170