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Deutsche Wirtschaft trotzt Unsicherheiten

Pressemitteilung vom 13. Juni 2019

DIW Berlin erwartet BIP-Wachstum von 0,9 Prozent für dieses und 1,7 Prozent für kommendes Jahr – Konjunkturbild ist unverändert: Binnenwirtschaft trägt das Wachstum, Auslandsgeschäft bleibt vor Hintergrund zahlreicher Risiken verhalten – Arbeitslosigkeit geht weiter zurück – Handelskrieg stellt bedeutendes Risiko für deutsche Wirtschaft dar – Kommunen müssen finanziell gestärkt werden   

Allen Unkenrufen zum Trotz: Die deutsche Wirtschaft zeigt sich im Frühsommer 2019 zwar ein bisschen schwächer als im Vorjahr, nach einem starken Jahresauftakt und vor allem dank einer starken Binnenwirtschaft insgesamt aber gut aufgestellt.  

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) dürfte in diesem Jahr um 0,9 Prozent und im kommenden Jahr um 1,7 Prozent wachsen, so die aktuelle, im Vergleich zum Frühjahr geringfügig nach unten angepasst Prognose (Prognose aus dem März: 1,0 Prozent für 2019 und 1,8 Prozent für 2020) des Konjunkturteams am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).

Hinter diesen Zahlen verbirgt sich nach wie vor ein zweigeteiltes Bild: Vom Dienstleistungssektor, der von einem dynamischen heimischen Konsum profitiert, und vom Baugewerbe gehen kräftige Impulse aus. Die Industrie, die stärker den Schwankungen der Auslandsnachfrage unterliegt – Stichwort Brexit und Handelskrieg –, durchlebt hingegen eine Durststrecke. Die Wertschöpfung im verarbeitenden Gewerbe dürfte in diesem Jahr um zwei Prozent nachgeben, während das Baugewerbe und der Sektor Handel, Gastgewerbe und Verkehr gut abschneiden werden.

Neue Tiefstände bei der Arbeitslosigkeit

Die Arbeitslosigkeit in Deutschland wird weiter zurückgehen – ein Anstieg ist zwar im zweiten Quartal dieses Jahres zu erwarten, er ist aber auf einen statistischen Sondereffekt zurückzuführen. Die Arbeitslosigkeitsquote sehen die Forscherinnen und Forscher um DIW-Konjunkturchef Claus Michelsen im Durchschnitt bei 4,9 Prozent in diesem und 4,6 Prozent im nächsten Jahr, neue Tiefstände seit der Wiedervereinigung. Die Nachfrage nach Arbeitskräften bleibt hoch, insbesondere in den konsumnahen Wirtschaftszweigen (Handel, Gastgewerbe), der Bauwirtschaft und den Bereichen Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit und Information und Kommunikation. Die anhaltend gute Verfassung des Arbeitsmarkts drückt sich in steigenden Löhnen aus – auch wenn das Plus nicht mehr so dynamisch wie zuletzt ausfällt.

Finanzpolitische Maßnahmen wie die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung und eine Rentenerhöhung in diesem Sommer tun ihr Übriges, um den privaten Haushalten einen komfortablen Einkommenszuwachs zu bescheren (+3,1 Prozent in diesem und +2,8 Prozent im nächsten Jahr), der sich wiederum, bei anhaltend niedriger Inflation, in einem steigenden privaten Konsum niederschlägt.      

© DIW Berlin

Der Außenhandel liefert im Verlauf der beiden Prognosejahre unterm Strich kaum einen Beitrag zum Wachstum, da die Importe mindestens so stark wie die Exporte steigen. Diese werden von einer Abkühlung der Konjunktur in einigen wichtigen Absatzmärkten und von Unsicherheiten (Brexit, Handelskonflikt) in Mitleidenschaft gezogen. Die deutschen Exporteure machen weiterhin gute Geschäfte, aber die Gangart verlangsamt sich ein wenig.

Für den Staat bedeutet die leichte Abschwächung der wirtschaftlichen Dynamik, dass die öffentlichen Überschüsse kleiner werden. Laut Prognose dürften diese aber mit 40 Milliarden Euro in diesem und 32 Milliarden Euro im kommenden Jahr weiterhin sehr üppig ausfallen. Der Großteil davon fällt auf Bundesebene an. Anlass zur Sorge gibt dagegen die finanzielle Lage vieler Kommunen, die trotz der insgesamt guten Kassenlage Schwierigkeiten haben, ihrer Aufgabe der Daseinsvorsorge nachzukommen. Eine Neuordnung der Finanzbeziehungen, die Kommunen mehr finanzielle Mitteln sichert, muss jetzt Priorität haben – auch wenn es bedeutet, dass Schuldenregeln teilweise gelockert werden müssten. 

Zitate

Marcel Fratzscher, DIW-Präsident
„Die deutsche Wirtschaft hat einen Gang runtergeschaltet, ist aber weiterhin solide. Die Risiken waren allerdings selten so hoch wie jetzt. Der von US-Präsident angeheizte Handelskonflikt ist die größte Bedrohung für die deutsche Wirtschaft, vor allem, wenn Donald Trump sich Deutschland als nächsten Gegner vornehmen sollte. Dafür sollten wir uns wappnen, indem wir eine gemeinsame europäische Strategie abstimmen und europäische Institutionen stärken.“

Claus Michelsen, DIW-Konjunkturchef
„Um die deutsche Wirtschaft ist es im Moment gar nicht so schlecht bestellt, wie viele meinen. Aber es sind unsichere Zeiten, und das bekommen vor allem die exportierenden Industrieunternehmen zu spüren. Daher ist es umso wichtiger, wirtschafts- und finanzpolitisch eine klare Linie zu fahren. In Deutschland sollten vor allem die Kommunen, die für viele wichtige Investitionen zuständig sind, finanziell gestärkt werden. Dies stützt die Nachfrage im Inland und ist gut für den Wirtschaftsstandort.“

Simon Junker, Experte für die deutsche Wirtschaft
„Die Binnenwirtschaft läuft sehr gut. Es werden Jobs geschaffen – wenn auch nicht mehr im selben Tempo wie in den vergangenen Jahren –, Löhne und Einkommen steigen, davon profitieren der private Konsum und alle Sektoren, die daran hängen. Auch der Staat gibt Geld aus. Das alles drückt sich in dynamischen Importen und einem sinkenden Leistungsbilanzüberschuss aus.“  

Marius Clemens, Experte für öffentliche Finanzen
„Die Steuereinnahmen spiegeln das zweigeteilte Bild der aktuellen konjunkturellen Situation wider: Die Lohnsteuereinnahmen steigen kräftig, die Einnahmen der Körperschafts- und Gewerbesteuern entwickeln sich verhaltener. Aber insgesamt ist die Zeit der Milliardenüberschüsse nicht vorbei, die Kassen des deutschen Staates werden jetzt lediglich ein bisschen weniger prall gefüllt sein, als wir es seit einigen Jahren gewohnt sind.“

Links

O-Ton von Claus Michelsen
Die Wirtschaft profitiert stark davon, dass viele Zuwanderer nach Deutschland gekommen sind - Interview mit Claus Michelsen

Themen: Konjunktur

Malte Rieth

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Makroökonomie

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