Medienbeitrag vom 9. Juli 2019
Dieses Interview mit Jürgen Schupp ist am 4. Juli 2019 bei ZEIT ONLINE erschienen. Die Fragen stellte Maria Mast.
Das solidarische Grundeinkommen will Langzeitarbeitslosen, die zwischen zwölf und 36 Monaten ohne Beschäftigung sind, wieder eine Stelle vermitteln. Das ist die Idee des Modellprojekts, das am 2. Juni in Berlin beschlossen wurde. Was hat es damit auf sich? Das erklärt der Sozialwissenschaftler Jürgen Schupp, der am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin forscht und das solidarische Grundeinkommen von Beginn an begleitet hat.
ZEIT ONLINE: Bedeutet das solidarische Grundeinkommen, dass bald alle Langzeitarbeitslosen in Berlin Geld bekommen – ohne zu arbeiten?
Jürgen Schupp: Nein. Das ist der Fall beim bedingungslosen Grundeinkommen, bei dem keine Tätigkeit ausgeübt werden muss und man trotzdem Geld bekommt. Das solidarische Grundeinkommen funktioniert ganz anders: Es schafft längerfristige Jobs für Langzeitarbeitslose und ist an bestimmte Bedingungen geknüpft.
ZEIT ONLINE: Welche sind das?
Schupp: Es richtet sich an Arbeitslose, die mehr als zwölf Monate arbeitslos sind und damit höchstens seit einigen Monaten Hartz IV beziehen, aber noch nicht mehr als drei Jahren ohne Arbeit sind. Für sie wird ein Job für fünf Jahre geschaffen, der nach dem Mindestlohn oder sogar nach Tarifgehalt bezahlt wird. Das sind je nach Tarif ungefähr 1.200 Euro netto und damit deutlich mehr als der Hartz-IV-Regelsatz von 424 Euro. Das solidarische Grundeinkommen ist deshalb für Langzeitarbeitslose interessant, die oft keine Berufsausbildung haben. Für qualifizierte Personen, die normalerweise mehr verdienen, eher nicht.
ZEIT ONLINE: In Berlin sind aktuell mehr als 38.000 Langzeitarbeitslose gemeldet. Wie viele von ihnen werden künftig das solidarische Grundeinkommen bekommen?
Schupp: Etwa 28.000 der gemeldeten Langzeitlosen sind zwischen zwölf und 36 Monaten arbeitslos und kämen für das solidarische Grundeinkommen infrage. In der ersten Phase wurden 250 neue Jobs geschaffen und Mitte Juli wird die Vermittlung dieser Stellen und die Auswahl der geeigneten Bewerberinnen und Bewerber beginnen. Im nächsten Jahr soll das Programm auf bis zu tausend Stellen ausgedehnt werden.
ZEIT ONLINE: Was sind das für Jobs?
Schupp: Die Personen werden beispielsweise im Kita- und im Schulalltag helfen. Die BVG bietet Stellen als City-Lotsen, die etwa ältere Menschen in den öffentlichen Verkehrsmitteln begleiten und unterstützen. Und Wohnungsbaugesellschaften stellen Quartierläufer ein, die Wohngebiete auf Sauberkeit und auf Mängel kontrollieren. Das alles sind unterstützende Tätigkeiten, für die die Bezahlung fair ist.
ZEIT ONLINE: Das Modellprojekt wird vom Haushalt des Landes Berlins finanziert. Wie hoch sind die Kosten?
Schupp: Pro geförderte Person kostet das im Jahr etwa 30.000 Euro. Ein Teil davon fließt als Einkommenssteuer und in Form von Sozialversicherungsbeiträgen wieder zurück in öffentliche Haushalte. Die Stellen, die geschaffen wurden, sollen den Bürgern etwas zurückgeben. Denn die Verkäuferin, die vielleicht selbst wenig Geld hat, soll sehen, dass etwas Sinnvolles getan wird. Dass ihr Kind in der Kita oder der Schule besser betreut wird. Die Jobs setzen zwischen Bürgern und Fachkräften an.
ZEIT ONLINE: Der Bund wollte kein Geld dazugeben und die Zusammenführung mit dem Projekt des Arbeitsministers Hubertus Heil für Langzeitarbeitslose ist nicht gelungen. Warum nicht?
Schupp: Das Programm von Hubertus Heil zum sozialen Arbeitsmarkt zielt auf den harten Kern der Langzeitarbeitslosen, die sechs Jahre oder länger Geld vom Arbeitsamt beziehen. Dafür sind vier Milliarden Euro im Bundeshaushalt eingeplant. Das solidarische Grundeinkommen holt die Menschen früher ab. Es reagiert damit auch auf das negative Image von Hartz IV, das das ZDF Politbarometer im November 2018 bestätigt hat: Demnach forderten fast fünfzig Prozent der erwachsenen Deutschen, dass Hartz IV grundlegend reformiert wird und mehr als ein Drittel wünschte sich zumindest ein paar Änderungen.
ZEIT ONLINE: Auch früher gab es schon Programme zur Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen wie die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, die arbeitslose Menschen zunächst auf dem zweiten Arbeitsmarkt wieder eingliedern wollte, oder die Ein-Euro-Jobs. Warum sollte das solidarische Grundeinkommen nun besser funktionieren?
Schupp: Im Fall der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bekamen Akademiker deutlich mehr Geld als weniger qualifizierte Arbeitnehmer. Das ist beim solidarischen Grundeinkommen nicht so. Und da es um zusätzlich geschaffene Jobs geht, ist das Programm eher mit den Ein-Euro-Jobs vergleichbar. Der entscheidende Unterschied zu ihnen ist zum einen der Grundgedanke der Freiwilligkeit und zum anderen die Beschäftigungsperspektive für längere Zeit, nämlich für fünf Jahre. Das bietet sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber bessere Perspektiven. Bei den Ein-Euro-Jobs waren die Stellen in der Regel auf drei bis zwölf Monate befristet, dann mussten sie beendet werden. Und das war oft für beide Seiten schade und entmutigend.
ZEIT ONLINE: Auch fünf Jahre sind nicht viel. Was passiert danach mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern?
Schupp: Es ist noch nicht klar, ob für alle erforderlich sein wird, dass sie vom Land Berlin weiterbeschäftigt werden, und wie vielen eine Integration in den ersten Arbeitsmarkt gelungen sein wird. Das ist eine empirische Frage, die von den einzelnen Personen abhängt und davon, wie gut sie es schaffen, sich einzubringen, Fuß zu fassen oder eine reguläre Stelle zu finden. Die Erfahrung zeigt, dass eine Bewerbung aus einer Tätigkeit heraus höhere Erfolgschancen hat. Da die Teilnehmer in großen Betrieben beschäftigt sein werden, können sie sich während des Programms auch auf intern ausgeschriebene Stellen bewerben. Und die öffentlichen Stellen können nach den fünf Jahren auch weiter vom Berliner Haushalt finanziert, im Idealfall verstetigt und in einer höheren Tarifgruppe angesiedelt werden.
ZEIT ONLINE: Wie wird kontrolliert, ob das Projekt erfolgreich verläuft?
Schupp: Der erste Schritt wird sein, die Akzeptanz zu prüfen. Bewirbt sich überhaupt jemand? Der Grundgedanke des Projektes ist die Freiwilligkeit. Langzeitarbeitslose können sich auch dafür entscheiden, weiter Hartz IV zu bekommen. Im weiteren Verlauf wird evaluiert, ob der Job den Beteiligten Stabilität gibt und ermöglicht, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Wie genau das geprüft werden wird, ist derzeit noch unklar. Ein Beirat soll das Pilotprojekt und die Auswahl weiterer Einsatzfelder begleiten.
ZEIT ONLINE: Und was ist, wenn die Langzeitarbeitslosen gar nicht teilnehmen wollen?
Schupp: Natürlich kann die Motivation der Beteiligten zu niedrig sein. Oder jemand kann so oft krank sein, dass es für den Arbeitgeber nicht rentabel ist. Bei den Ein-Euro-Jobs aber hat sich eher gezeigt, dass die Menschen hoch motiviert waren, ihre Arbeit gut zu machen. Wenn man bedenkt, dass die Stimmung für Hartz IV so schlecht ist und viele Menschen von der Bürokratie genervt sind, bin ich sicher, dass es einen Versuch wert ist. Die Jobs sind nicht toll bezahlt, aber auch nicht prekär. Ich halte sie für ein faires Angebot. Und vor allem bieten sie den Menschen, die die Arbeitslosigkeit verlassen wollen, eine längerfristige Perspektive.
Themen: Arbeit und Beschäftigung