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Lieber investieren statt sparen

Medienbeitrag vom 25. März 2019

Italien hat vor lauter Kostendruck seinen Strukturwandel verschlafen. Die negativen Folgen zeigen sich längst.

von Alexander Kritikos

Seit Jahren begleiten Italien Forderungen nach einem Schuldenabbau. Frühere italienische Regierungen haben sie ernster genommen, als man häufig wahrhaben will. Die Regierungen Monti und Renzi haben das typische Werkzeug an Sparmaßnahmen umgesetzt: Steuererhöhungen, Einsparungen im öffentlichen Dienst und bei staatlichen Investitionen, Schuldenbremse und Privatisierungen. Ihnen gelang es auf diese Weise, als einzigem Land des Euroraums übrigens, seit vielen Jahren (mit Ausnahme von 2009) einen Primärüberschuss zu erzielen, also mehr Staatseinnahmen als Staatsausgaben vor Zinszahlungen zu realisieren.

Diese Maßnahmen mit dem Ziel, den mit der EU vereinbarten Schuldenabbau fortzusetzen, fruchteten seit dem Jahr 2007 nicht mehr. Die Staatsschuldenquote Italiens stieg von 100 Prozent im Jahr 2007 auf aktuell 132 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) an. Das lag zum einen an den hohen Zinsen, die das Land in den Jahren der europäischen Staatsschuldenkrise 2012 und 2013 zahlen musste.

„Das italienische Wohlstandsniveau entfernt sich immer mehr von Ländern wie Frankreich oder Großbritannien“ Alexander Kritikos, Leiter der Forschungsgruppe Entrepreneurship

Zum anderen, und das ist das größere Problem, ist das der negativen wirtschaftlichen Entwicklung Italiens geschuldet. Denn sein BIP verharrt seit mehr als zehn Jahren unterhalb des Vorkrisenniveaus. Ein rückläufiges BIP erhöht aber die Staatsschuldenquote automatisch. Gleichzeitig führt eine solche Stagnation naturgemäß zu steigender Arbeitslosigkeit, geringerer Beschäftigung und zu einer gefühlten Perspektivlosigkeit unter den Beschäftigten.

Diese negative Entwicklung ist im europäischen Kontext besorgniserregend. Italien ist als Nettozahler eine wichtige Stütze innerhalb der EU. Das italienische Wohlstandsniveau entfernt sich aber immer mehr von Ländern wie Frankreich oder Großbritannien, auf deren Niveau es einst lag, und nähert sich nunmehr Spanien an, das zuletzt im Gegensatz zu Italien positives Wachstum zu verzeichnen hat.

Die Quittung für die italienische Malaise haben die Wähler ihrer vorherigen Regierung letztes Jahr ausgestellt. Unzufrieden mit der Sparpolitik haben sie jene gewählt, die antieuropäische Ressentiments bedienen. Denn, so deren Narrativ, die Verantwortlichen für die misslungene Sparpolitik sitzen in Brüssel und Berlin.

Warum aber hat sich die italienische Wirtschaft in der vergangenen Dekade so schlecht entwickelt? Als Erstes fällt auf, dass die Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe und im Bau - den historischen Wachstumstreibern der italienischen Wirtschaft - in diesem Zeitraum um jeweils 700 000 Mitarbeitern eingebrochen ist.

Diese Wirtschaftszweige sind natürlich auch in anderen Ländern entweder rückläufig (wie etwa in Spanien) oder tragen zumindest nicht mehr so substanziell zum Wachstum bei. Aber im Gegensatz zu Deutschland und zu Spanien stagnieren in Italien auch die neuen Wachstumsbranchen, also die wissensintensiven Dienstleistungen, wie etwa die Informations- und Kommunikationstechnologien. Das Land hat offensichtlich den Strukturwandel verpasst.

Dreierlei Ursachen dürften dafür verantwortlich sein. Zum einen sind die Rahmenbedingungen für Investitionen in Italien wenig erbaulich. Gerichtsverfahren zur Durchsetzung von vertraglichen Ansprüchen sind äußerst langwierig, die Alltagsbürokratie ist mühselig, das Steuersystem wenig vorhersehbar und die Finanzierungsbedingungen sind schlecht.

Zum Zweiten benötigen vor allem junge Unternehmen in den wissensintensiven Dienstleistungen ein Innovationsumfeld, das sie bei ihren riskanten Ideen unterstützt, anstatt sie zu behindern. Dabei geht es nicht nur um die Finanzierung von Forschungs- und Entwicklung (F & E) sondern auch um das gesamte Umfeld, etwa die Zusammenarbeit zwischen Staat, Wirtschaft und Wissenschaft. Italien gibt nur 1,35 Prozent seines BIP für F & E aus - andere Länder der EU sind bei drei Prozent und mehr angekommen, und bei vielen Analysen der Innovationssysteme rangiert Italien auf den hinteren europäischen Plätzen.

Zentrale dritte Voraussetzung gerade für die wissensintensiven Dienstleistungen ist eine gute Vorbereitung auf die Digitalisierung. In Italien gibt es aber - im Gegensatz zu Spanien - nur wenige digitale staatliche Dienstleistungen, die digitale Infrastruktur ist nur bruchstückhaft vorhanden, und die Integration von digitalen Technologien in den unternehmerischen Alltag erfolgt dort kaum.

Das macht deutlich, dass investitionshemmende regulatorische Rahmenbedingungen den Transformationsprozess von einer produktions- in eine wissensgetriebene Ökonomie behindert haben. Da ist es kein Wunder, dass viele italienische Innovatoren, die diesen Prozess in Italien hätten vorantreiben können, in Länder ausgewandert sind, in denen diese Rahmenbedingungen besser sind - in die USA oder die Schweiz.

Damit Italien wieder auf Wachstumskurs kommt, braucht es in erster Linie Strukturreformen. Die hat es in den vergangenen zehn Jahren gegeben, sie waren aber auf die Arbeitsmärkte konzentriert. Diese Reformen müssen in anderen Bereichen fortgesetzt werden, zuvorderst in der Justiz, im Steuerwesen, im Abbau von Alltagsbürokratie und in verbesserten Rahmenbedingungen für schnell wachsende Unternehmen. Gleichzeitig bedarf es einer Erhöhung der staatlichen Investitionen, etwa in F & E, in die digitale und analoge Infrastruktur.

Wie soll das finanziert werden? Natürlich ist jedem bewusst, dass Italiens Ausgabengebaren unter Beobachtung steht. Nun hat die aktuelle italienische Regierung eine Erhöhung der Staatsausgaben angekündigt. Die Zinsen für italienische Staatsanleihen sind kaum angestiegen, obwohl diese Regierung überhaupt nicht investieren, sondern den Spielraum für Umverteilungsmaßnahmen nutzen will. Da muss sich die EU-Kommission die Frage gefallen lassen, ob die gegenüber Italien eingeforderte Politik des Dauersparens wirklich die beste Lösung war und ist. Dieser jetzt für die Frühverrentung ausgehandelte Spielraum wäre wohl weit besser für Investitionen ausgegeben worden. In Kombination mit weiteren Strukturreformen hätte das die mittlerweile stark sensibilisierten Investoren mehr erfreut. Dass eine solche Kombination fruchtet, kann man gerade am Beispiel Spaniens studieren, das genau diesen Ansatz verfolgt hat. Aber dieser Zug ist für Italien erst mal abgefahren.

Bleibt zu hoffen, dass man in Brüssel aus dieser Entwicklung lernt: Die Ausgestaltung eines Strukturwandels kann eher durch eine temporäre Erhöhung staatlicher Ausgaben als durch Sparen unterstützt werden, eine Erkenntnis, die in Deutschland seit den Hartz-Reformen gut bekannt ist.

Themen: Europa , Konjunktur

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