DIW Wochenbericht 9 / 2020, S. 119-130
Greta Sundermann, Nicole Wägner, Astrid Cullmann, Christian von Hirschhausen, Claudia Kemfert
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„Die übermäßige Nitratbelastung im Grundwasser erfordert nicht nur akute Maßnahmen zur Abwendung von Strafzahlungen, sondern auch strukturelle Reformen der intensiven Landwirtschaft zum Schutz von Natur und Gesundheit.“ Claudia Kemfert
Seit vielen Jahren übersteigt die Nitratbelastung an knapp einem Fünftel der Grundwasser-Messstellen in Deutschland den Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter. Neben der Beeinträchtigung des Ökosystems, zum Beispiel durch Eutrophierung von Gewässern, schädigt nitratbelastetes Trinkwasser auch die menschliche Gesundheit und es besteht der Verdacht einer krebserregenden Wirkung. Ökonometrische Berechnungen mit aktuellen Daten bestätigen den in der Literatur etablierten Zusammenhang zwischen der Nitratbelastung und dem Ausmaß landwirtschaftlicher Nutzung. Besonders betroffen sind Bundesländer mit intensiver Landwirtschaft, wie zum Beispiel Sachsen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Die Überarbeitung der Düngeverordnung durch Bund und Länder aus dem Jahr 2017 ist unzureichend. Daher hat die Europäische Union eine Vertragsverletzungsklage gegen Deutschland angestrengt und droht mit Strafzahlungen in Millionenhöhe. Die in diesem Jahr zu verabschiedende Düngeverordnung muss die Einhaltung des Nitratgrenzwerts sicherstellen. Mit der Einführung bundeslandspezifischer Regulierungen und erweiterter Berichtspflichten zu Nährstoffeinträgen ist bereits ein Schritt getan. Dennoch sollte die Wirksamkeit dieser Maßnahmen stringent überprüft werden und gegebenenfalls durch zusätzliche ordnungspolitische Maßnahmen ergänzt werden.
Seit über einem Jahrzehnt verletzt Deutschland, wie andere EU-Staaten auch, den Grenzwert der Grundwasserbelastung mit Nitrat. Die Europäische Richtlinie 91/676/EWG zum „Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen“ schreibt eine Obergrenze für Nitrat im Grundwasser vor, welche derzeit bei 50 Milligramm pro Liter (mg/l) liegt.Vgl. Richtlinie 91/676/EWG des Rates vom 12. Dezember 1991 zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigungen durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen (online verfügbar, abgerufen am 5. Februar 2020. Dies gilt auch für alle anderen Onlinequellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Die Europäische Richtlinie geht von einer Unschädlichkeitsschwelle von 25 mg/l aus, unterhalb derer eine Region nicht mehr zu regelmäßigen Nitratmessungen verpflichtet ist. Das Umweltbundesamt geht davon aus, dass bereits bei Erreichung von 75 Prozent des europäischen Grenzwerts von 50 mg/l, also bei einer Nitratbelastung von über 37,5 mg/l, korrektive Maßnahmen ergriffen werden sollen. Knapp ein Fünftel der in Deutschland verteilten 1200 Messstellen weist jedoch höhere Werte auf. In landwirtschaftlich geprägten Gebieten wird sogar an mehr als jeder vierten Messstelle der Grenzwert verletzt, mit Überschreitungen von teilweise mehr als 700 Prozent.
In der Literatur besteht Konsens, dass überhöhte Nitratwerte mit dem Ausmaß landwirtschaftlicher Nutzung korrelieren. Durch Ausbringung stickstoffhaltigen Düngers auf landwirtschaftliche Flächen werden den Pflanzen Nährstoffe zugeführt. Ist die Menge an Gülle oder chemischen Düngemitteln zu hoch, sammelt sich Stickstoff im Boden an und wird durch biochemische Prozesse in Nitrat umgewandelt, welches sich in Grund- und Oberflächenwassern anreichert. Eine hohe Belastung von Oberflächengewässern mit Nitrat oder anderen Stickstoffverbindungen kann zum einen das Ökosystem negativ beeinträchtigen, etwa indem übermäßiges Algenwachstum andere Pflanzen und Tiere verdrängt. Zum anderen gefährdet nitratbelastetes Trinkwasser die menschliche Gesundheit, insbesondere bei Säuglingen, und steht im Verdacht, krebserregend zu wirken (Kasten 1).
Gut die Hälfte (51 Prozent) der deutschen Bodenfläche wird landwirtschaftlich genutzt.Vgl. Umweltbundesamt (UBA) (2018): Struktur der Flächennutzung. Dessau-Roßlau (online verfügbar). Stickstoffdünger ist ein wichtiger und gängiger Bestandteil des landwirtschaftlichen Anbaus. Dieser erhält die Bodenfruchtbarkeit, liefert Nährstoffe, fördert das Pflanzenwachstum und steigert so den landwirtschaftlichen Ertrag. Während Stickstoff als Hauptbestandteil der Luft zum Teil auf natürliche Weise zu reaktiven Stickstoffverbindungen, wie z.B. Ammoniak (NH3), Stickstoffoxiden (NO und NO2) und Nitrat (NO3) umgewandelt wird, ist Stickstoff in landwirtschaftlich genutzten Böden ein begrenztes Gut. Der biologisch verfügbare Stickstoff wird durch Ernte, Ausgasung, Versickerung bzw. Auswaschung dem Boden entzogen. Um die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten und eine gleichbleibende Ernte zu erzielen, führen Landwirtinnen und Landwirte dem Boden regelmäßig Stickstoff durch Dünger zu.Vgl. Sachverständigen Rat für Umweltfragen (2015): Stickstoff: Lösungsstrategien für ein drängendes Umweltproblem. Sondergutachten. Berlin (online verfügbar), Kapitel 3 und 4.
Allerdings führt übermäßige Düngung dazu, dass Rückstände im Boden verbleiben. Nach Angaben des Nitratberichts 2016 wird fast die Hälfte der eingesetzten Düngemittel von den Pflanzen nicht aufgenommen, wodurch jährlich ein durchschnittlicher Überschuss von ungefähr 100 Kilogramm Stickstoff pro Hektar entsteht.Vgl. BMU und BMEL (2017): Nitratbericht 2016. Berlin (online verfügbar). Diese Stickstoffüberschüsse werden durch bakterielle Prozesse in Nitrat umgewandelt, welches ins Grundwasser sickert oder durch Regen ausgeschwemmt wird und in die umliegenden Fließ- und Stillgewässer gelangt.
Der exzessive Düngemittelgebrauch führt zu erhöhter Belastung von Gewässern und kann schwere ökologische und gesundheitsgefährdende Folgen haben. Einerseits trägt das Überangebot an Nährstoffen zur Eutrophierung von Gewässern bei, welche Pflanzen und Tiere schädigt und so die Vielfalt des Ökosystems beeinträchtigt.Eutrophierung beschreibt einen durch menschliche Aktivität ausgelösten Prozess, in welchem der Nährstoffgehalt von Gewässern zunimmt und somit das Wachstum von Algen und anderen Wasserpflanzen übermäßig anregt. Diese entziehen anderen Pflanzenarten, Kleinlebewesen und Tieren die Lebensgrundlage, wodurch es schließlich zu einem Verlust an Biodiversität kommt. Andererseits kann Nitrat in Lebensmitteln oder im menschlichen Körper bei der Verdauung durch Bakterien oder enzymatische Prozesse zu Nitrit umgewandelt werden, welches den Sauerstofftransport im Blut hemmt. Gefährdet sind vor allem Säuglinge in den ersten Lebensmonaten.Vgl. UBA (2020): FAQs zu Nitrat im Grund- und Trinkwasser. Dessau-Roßlau (online verfügbar). Wird zur Herstellung von Säuglingsnahrung nitratbelastetes Trinkwasser verwendet kommt es zur Unterversorgung des Blutes mit Sauerstoff. Epidemiologische Studien verweisen darauf, dass Säuglinge in den ersten Lebensmonaten besonders anfällig sind, an einer Methämoglobinämie zu erkranken, wenn die aufgenommene Nitratkonzentration im Trinkwasser über 44,3 mg/l liegt.Vgl. Weltgesundheitsorganisation (WHO) (2017): Guidelines for Drinking-Water Quality. 4. Edition. Genf (online verfügbar); Europäische Kommission (2018): Less water pollution from agriculture, but worrying hotspots remain and need stronger action. Brüssel (online verfügbar). Neben der Gefährdung von Säuglingen wird auch ein Verdacht auf eine krebserzeugende Wirkung diskutiert, wie zum Beispiel Magenkrebs. Allerdings wurde bislang kein kausaler Zusammenhang mit spezifischen Krebsarten festgestellt.Vgl. WHO (2017), a.a.O.
Wegen zu hoher Nitratbelastungen in Deutschlands Grundwasserkörpern und unzureichender Gegenmaßnahmen leitete die Europäische Kommission beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Jahr 2016 ein Vertragsverletzungsverfahren ein.Vgl. Klage, eingereicht am 27. Oktober 2016 – Europäische Kommission/Bundesrepublik Deutschland (Rechtssache C-543/16) (online verfügbar). Als Reaktion auf das Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission reformierte die Bundesregierung 2017 die Düngeverordnung (DüV), die gemeinsam mit dem Düngegesetz (DüngG) die europäische Nitratrichtlinie in nationales Recht umsetzt.DüngG und DüV ergänzen das Wasserhaushaltsgesetz hinsichtlich des Schutzes der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen. Vgl. BMU und UBA (2017): Wasserwirtschaft in Deutschland – Grundlagen, Belastungen, Maßnahmen. Umweltbundesamt. Dessau-Roßlau (online verfügbar). Zentrale Elemente sind dabei die Düngebedarfsermittlung mit standortbezogener StickstoffobergrenzeDie Düngebedarfsermittlung findet vor der Düngung statt und dient dazu, den Stickstoff- und Phosphatbedarf der Feldfrüchte zu ermitteln. Dabei basiert der Bedarf auf den durchschnittlichen Ernteerträgen der letzten drei Jahre, von welchem die vor dem Anbau vorhandene Stickstoffmenge im Boden abgezogen wird. Zudem berücksichtigt der standortbezogene Bedarf auch Vor- und Zwischenfruchtwirkungen, den Humusgehalt des Bodens und organische Düngemengen des Vorjahres. Vgl. § 3 Absatz 2 der DüV (2017) (online verfügbar). Die Überschreitung des ermittelten Bedarfsist ordnungswidrig und wird mit einem Bußgeld von bis zu 50000 Euro bestraft. Vgl. BMEL (2020): Die neue Düngeverordnung – Was ändert sich für Landwirtschaft und Gartenbau? (online verfügbar). sowie die Stoffstrombilanz,Seit dem 1. Januar 2018 müssen landwirtschaftliche Betriebe (zunächst nur größere Betriebe mit höherem Tierbesatz) eine jährliche Bilanz zu Nährstoffzufuhr und -abgabe für Stickstoff und Phosphor erstellen. Dabei werden alle eingehenden und ausgehenden Nährstoffflüsse erfasst. Vgl. Verordnung über den Umgang mit Nährstoffen im Betrieb und betriebliche Stoffstrombilanzen (2017) (online verfügbar) und BMEL (2019): Stoffstrombilanz: Mehr Transparenz über Nährstoffe in landwirtschaftlichen Betrieben. (online verfügbar). welche schlagbezogen schriftlich dokumentiert werden muss.Ein Schlag ist eine „einheitlich bewirtschaftete, räumlich zusammenhängende und mit der gleichen Pflanzenart oder mit Pflanzenarten mit vergleichbaren Nährstoffansprüchen bewachsene oder zur Bestellung vorgesehene Fläche“, vgl. § 2 der DüV (2017), a.a.O. Auch wurden erstmalig Elemente der Regionalisierung in der Düngeverordnung umgesetzt. Die Länder wurden angeordnet aus einem Katalog zusätzlicher Anforderungen an die Düngung mindestens drei zu wählen, wie etwa die genaue Analyse der chemischen Zusammensetzung des Wirtschaftsdüngers oder erhöhte Mindestlagerkapazitäten für Gülle und Gärrückstände.Vgl. § 13 der DüV (2017), a.a.O. Die meisten Bundesländer setzten die gewählten Vorschriften im Laufe des vergangenen Jahres mittels landesspezifischer Rechtsverordnungen um.
Da auch diese reformierte Düngeverordnung von 2017 nicht ausreichte, um die Einhaltung der Nitratrichtlinie zu gewährleisten,Vgl. Pressemitteilung Nr. 161 des BMEL vom 25. Juli 2019: Nitratrichtlinie: Deutschland erhält Mahnschreiben (online verfügbar). Zur Überprüfung der Wirksamkeit der Gesetzgebung finden regelmäßige Untersuchungen des Grundwassers sowie der Oberflächen- und Küstengewässer statt, deren Ergebnisse alle vier Jahre der EU-Kommission in Form eines Nitratberichts vorgelegt werden. Vgl. BMU und BMEL (2017): Nitratbericht 2016. Gemeinsamer Bericht der Bundesministerien für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit sowie für Ernährung und Landwirtschaft (online verfügbar). strengte die Europäische Kommission 2019 ein zweites Verfahren gegen die Bundesregierung an.Der Schuldspruch im ersten Verfahren erfolgte im Juni 2018. Vgl. Urteil des Gerichtshofs (Neunte Kammer) vom 21. Juni 2018 – Europäische Kommission/Bundesrepublik Deutschland (Rechtssache C-543/16) (online verfügbar). Bei einer erneuten Verurteilung drohen erhebliche Geldstrafen von bis zu 850000 Euro täglich.Da es sich um ein laufendes Vertragsverletzungsverfahren handelt, ist das Mahnschreiben der Europäischen Kommission bislang nicht öffentlich zugänglich. Vgl. European Ombudsman (2019): Decision in case 1802/2019/EWM on the European Commission's refusal to provide access to a letter to Germany in an infringement procedure for non-respect of the Nitrates Directive. (online verfügbar). Für Informationen zum angedrohten Zwangsgeld, siehe Tagesschau.de (2019): Für Deutschland könnte es teuer werden. Bericht vom 27. Juli 2019 (online verfügbar). Aktuell wird an der Düngeverordnung 2020 gearbeitet, die schon in naher Zukunft erlassen werden könnte. Der aktuelle Vorschlag für die Düngeverordnung 2020 wurde Mitte Februar von der EU Kommission grundsätzlich gebilligt.Ende 2019 wurde zunächst ein Referentenentwurf zur Düngeverordnung erstellt, der auch der Europäischen Kommission vorgelegt wurde. Vgl. Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein (2020): Diskussion Düngeverordnung 2020 (online verfügbar). Um die Klage abzuwenden, muss nun der Bundesrat dem Entwurf fristgerecht am 3. April 2020 zustimmen.Pressemitteilung des BMEL vom 21. Februar 2020: Sprechererklärung zur Düngeverordnung – fristgerechte Zuleitung an den Bundesrat ist erfolgt (online verfügbar).
Dieser Wochenbericht ergänzt die Diskussion zur Nitratbelastung des Grundwassers in Deutschland. Auf Basis neuer Daten untersucht er empirisch die Beziehung zwischen landwirtschaftlicher Nutzung von Böden und der Nitratbelastung sowie der Nitratbelastung und lokalen Wasserpreisen. Aus den Befunden werden wirtschafts- und umweltpolitische Schlussfolgerungen abgeleitet.
Die Berichterstattung über Zustand und Entwicklung der Gewässerbelastung durch Nitrat erfolgt im gemeinsamen Bericht der Bundesministerien für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMU) sowie für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Alle vier Jahre werden die Untersuchungsergebnisse der rund 1200 Messstellen des Grundwassernetzes der Europäischen Umweltagentur (EUA-Grundwassermessnetz) in Deutschland im Nitratbericht zusammengefasst, zuletzt für den Zeitraum 2008 bis 2014.Vgl. BMU und BMEL (2017), a.a.O. Zusätzlich führen die Branchenverbände BDEW (Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft), DVGW (Deutscher Verein das Gas- und Wasserfaches) und VKU (Verband kommunaler Unternehmen) eine eigene Grundwasserdatenbank, welche die Nitratbelastung des Grundwassers im Einzugsgebiet von über eintausend Trinkwassergewinnungsanlagen dokumentiert.Vgl. DVGW, BDEW und VKU (2019): Bericht zur Nitratbelastung der Trinkwasserressourcen in Deutschland (online verfügbar).
Die aktuellsten Daten des EUA-Grundwassernetzes zeigen für die Jahre 2015 und 2016 eine durchschnittliche Nitratbelastung von ungefähr 28 mg/l für das Gesamtnetz.Der Datensatz wurde vom Umweltbundesamt (UBA) bereitgestellt und enthält, neben Informationen zur Messstelle (geografische Lage, Kategorisierung innerhalb des Messnetzes), einzelne unterjährige Nitratmesswerte inklusive Datum der Messung. Da die Messungen innerhalb eines Jahres unterschiedlich häufig und zu verschiedenen Zeitpunkten stattfinden, wurden die unterjährigen Messwerte an jeder Messstelle zu Jahresmittelwerten aggregiert. Überdurchschnittlich hoch sind dabei die Konzentrationen in Sachsen (41,8 mg/l), Niedersachen (40 mg/l), Schleswig-Holstein (37,3 mg/l), Rheinland-Pfalz (37,3 mg/l) und Sachsen-Anhalt (35,4 mg/l). An knapp einem Fünftel aller Messstellen überschreiten jedoch die Messergebnisse seit vielen Jahren den EU-Grenzwert von 50 mg/l.
Auf Landkreisebene liegt eine deutliche Heterogenität in der durchschnittlichen Nitratbelastung der Grundwasserkörper vor (Abbildung 1). So überschreiten die durchschnittlichen Messwerte in 42 Landkreisen den EU-Grenzwert. Dies entspricht etwa 15 Prozent aller Landkreise, in denen eine Nitratmessstelle liegt. Diese Landkreise mit Grenzwertüberschreitung sind vor allem im nordwestlichen, im östlichen und im südwestlichen Raum Deutschlands zu finden. Jedoch stellt übermäßige Nitratbelastung des Grundwassers deutschlandweit ein Problem dar. Betrachtet man die Maximalwerte aller Messstellen innerhalb eines Landkreises aus den Jahren 2015 und 2016, so überschreitet jedes Bundesland an mindestens einer Messstelle den EU-Grenzwert von 50 mg/l (Abbildung 2). Darüber hinaus liegen die Werte in einer großen Zahl der Messstellen nahe am Grenzwert, das heißt im Bereich von 40 bis 50 mg/l.
Artikel 5 der EG-Nitratrichtlinie 91/676/EWG verpflichtet die Bundesregierung, bei der Berichterstattung besonders auf die Messstellen einzugehen, in deren Einzugsgebiet die Nutzungseinflüsse von Acker, Grünland und Sonderkulturen auf die Grundwassermessstellen überwiegen.BMU und BMEL (2017), a.a.O. Dieses „Teilmessnetz Landwirtschaft“ umfasst in dem bereitgestellten Datensatz etwa 680 Messstellen. Die Messwerte des Teilmessnetzes Landwirtschaft liegen im Durchschnitt bei 40 mg/l und damit deutlich über dem Mittelwert der Messstellen ohne landwirtschaftlichen Bezug (13 mg/l) (Abbildung 3). Innerhalb des Teilmessnetzes Landwirtschaft kommt es nicht nur häufiger zu Grenzwertüberschreitungen als im restlichen Messnetz, sondern die Grenzwertüberschreitungen sind auch wesentlich gravierender. Beispielsweise wiesen einige Messstellen im Jahr 2015 eine Nitratbelastung von etwa dem Siebenfachen des erlaubten Grenzwertes auf. Besonders extreme Werte wurden zum Beispiel an den Messstellen Haldensleben im Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt (370 mg/l) und in Laar im Landkreis Grafschaft Bentheim in Niedersachen (347 mg/l) gemessen.
Die beobachteten Überschreitungen des Nitratgrenzwerts sind keine einmaligen Befunde. Die Messwerte liegen seit vielen Jahren auf konstant hohem Niveau. Sowohl im Gesamt- als auch im Teilmessnetz Landwirtschaft liegt der Anteil der Messstellen, die den Grenzwert überschreiten, relativ konstant bei etwa 18 beziehungsweise 28 Prozent (Abbildung 4).
Der Zusammenhang zwischen dem Ausmaß landwirtschaftlicher Nutzung und der Höhe der Nitratkonzentration ist in der internationalen Literatur eindeutig belegt (Tabelle 1). Untersuchungen zeigen, dass für landwirtschaftlichen Anbau genutzte Flächen höhere Nitratwerte im Grundwasser aufweisen und Wald- sowie Grünlandflächen in der Regel eine geringere Nitratkonzentration im Grundwasser haben.Neben agrar- und forstwirtschaftlicher Landnutzung beeinflusst auch das Wetter die Nitratkonzentration im Grundwasser.
AutorInnen | Untersuchungsort | Zeitraum | Methode | Untersuchte Größe | Untersuchte Einflussfaktoren | Zentrale Befrunde zu den Einflussfaktoren des Nitratgehalt im Grundwasser |
---|---|---|---|---|---|---|
Bawa und Dwivedi (2019) | Florida, USA | 2008–2018 | Multivariate lineare Regression | Nitrat-Stickstoff, Kalium | Landbedeckung | Landwirtschaft (+) |
Sun et al. (2018) | China (Haihe-Flussbecken) | 2010 | Multivariate lineare Regression | Nitrat, Phosphor | niederschlagsgewichtete Landbedeckung | Landwirtschaft (+), Wald (−), Wohngebiete (+), Grünland (−) |
Gallagher und Gergel (2017) | USA und Kanada (Abbotsford-Sumas-Aquifer) | 2005–2016 | Multivariate lineare Regression | Nitrat | Landbedeckung, Höhe des Grundwasserspiegels, Brunnentiefe | Landwirtschaft (+/−), Wald (+/−), Stadt (+), unbebaute Landstücke (+) |
Lawniczak et al. (2016) | Polen (Wielkopolska Nationalpark) | 2012 | Multivariate Analyse | Nitrat, Phosphor, Ammonium | Landbedeckung, Jahreszeit, Düngemitteleinsatz | Landwirtschaft, insbesondere Ackerflächen (+), Wald (−), Wohngebiete (−), Frühling (+), Düngemittel (+) |
Mair und El-Kadi (2013) | Hawaii, USA | 2000–2012 | Logistische Regression | Nitrat, Begasungsmittel, chlorhaltige Lösemittel | Landbedeckung, Grundwassertiefe, Eigenschaften des Bodens und des Grundwasserleiters | Landwirtschaft (+) |
Wick et al. (2012) | Österreich | 1992–2008 | Multivariate Regression | Nitrat | Landbedeckung, Regen, Erdporösität, Lufttemperatur | Landwirtschaft (+), Wald (−), Stadt (−), Grünland (−), Regen (−), Lufttemperatur (−) |
Quelle: Eigene Zusammenfassung basierend auf Ranjit Bawa und Puneet Dwivedi (2019): Impact of land cover on groundwater quality in the Upper Floridan Aquifer in Florida, United States. Environmental Pollution 252, 1828–1840 (online verfügbar); Ranhao Sun, Xian Cheng und Liding Chen (2018). A precipitation-weighted landscape structure model to predict potential pollution contributions at watershed scales. Landscape Ecology, 33 (9), 1603–1616 (online vergügbar); Tanya L. Gallagher und Sarah E. Gergel (2017): Landscape indicators of groundwater nitrate concentrations: an approach for trans—border aquifer monitoring. Ecosphere 8, Nr. 12, e02047 (online verfügbar); Agnieszka Ewa Lawniczak et al. (2016): Impact of agriculture and land use on nitrate contamination in groundwater and running waters in central-west Poland. Environmental Monitoring and Assessment 188 (3), 172 (online verfügbar); Alan Mair und Aly I. El-Kadi (2013): Logistic regression modeling to assess groundwater vulnerability to contamination in Hawaii, USA. Journal of Contaminant Hydrology 153, 1–23 (online verfügbar); und Katharina Wick, Christine Heumesser und Erwin Schmid (2012): Groundwater nitrate contamination: factors and indicators. Journal of Environmental Management 111, 178–186 (online verfügbar).
Für Deutschland gibt es bislang keine systematische empirische Untersuchung zum Zusammenhang zwischen Bodennutzung und der Nitratbelastung des Grundwassers. Am DIW Berlin wurde daher eine ökonometrische Analyse mithilfe einer multivariaten linearen Regression durchgeführt (Kasten 2).
Die multivariate Regressionsanalyse untersucht statistisch den Zusammenhang zwischen der Nitratbelastung des Grundwassers an allen Messstellen und möglichen Einflussfaktoren (Tabelle). Die Messwerte des Nitrat-Gesamtmessnetzes werden dabei durch eine Reihe von regionalen Einflussfaktoren erklärt, die in Anlehnung an die internationale Fachliteratur ausgewählt wurden. Dies umfasst vor allem verschiedene Formen der agrar- und forstwirtschaftlichen Landnutzung in einem Umkreis von 300 Metern um eine Messstelle sowie die Viehdichte innerhalb des Landkreises einer Messstelle. Der Typ einer Messstelle wird durch eine binäre Variable für das Teilmessnetz Landwirtschaft abgebildet, da innerhalb des Teilmessnetzes Landwirtschaft höhere Nitratkonzentrationen zu erwarten sind. Zudem enthält die Schätzgleichung Dummy-Variablen für die Bundesländer. Hierdurch werden potenzielle Unterschiede in der Nitratkonzentration aufgrund geologischer Gegebenheiten sowie unterschiedlicher institutioneller Rahmenbedingungen der Gewässer- und Landbewirtschaftung systematisch in die Untersuchung einbezogen. Dummy-Variablen für die einzelnen Jahre im Datensatz berücksichtigen potenzielle jahresspezifische Effekte, die alle Messwerte des Gesamtnetzes in einem Jahr beeinflussen können. Zuletzt berücksichtigt die Regressionsanalyse auch Wettereinflüsse durch Temperatur und Niederschlag, weil diese die Bildung von Nitrat im Boden und dessen Auswaschung in anliegende Gewässer beeinflussen können.
Variable | Definition | Einheit | Mittelwert | Standardabweichung | Minimum | Maximum |
---|---|---|---|---|---|---|
Umweltbundesamt (2019) | ||||||
Nitrat | Durchschnittliche jährliche Nitratkonzentration im Grundwasser | Milligramm pro Liter | 28 | 41 | 0 | 370 |
Teilmessnetz Landwirtschaft | Binäre Variable zur Zugehörigkeit der Messstelle zum Teilmessnetz Landwirtschaft | 1 = ja; 0 = nein | 0,574 | 0,495 | 0 | 1 |
CORINE Land Cover Database (2012) | ||||||
Ackerland | Anteil der Ackerflächen im Messbereich | Prozent | 0,375 | 0,374 | 0 | 1 |
Weinanbau | Anteil der Weinbauflächen im Messbereich | Prozent | 0,006 | 0,062 | 0 | 0,995 |
Obstanbau | Anteil der Obst- und Beerenflächen im Messbereich | Prozent | 0,005 | 0,046 | 0 | 0,957 |
Grünland | Anteil der Wiesen und Weiden im Messbereich | Prozent | 0,200 | 0,272 | 0 | 1 |
Wald | Anteil von Wald im Messbereich | Prozent | 0,272 | 0,361 | 0 | 1 |
Wasser | Anteil von Wasserflächen im Messbereich | Prozent | 0,002 | 0,022 | 0 | 0,356 |
Regionalstatistik der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder (2012 und 2016) | ||||||
Rinderdichte | Anzahl der Rinder in Bezug zur Fläche des Landkreises | Rinder je Quadratkiliometer | 35 | 31 | 0 | 152 |
Schweinedichte | Anzahl der Schweine in Bezug zur Fläche des Landkreises | Schweine je Quadratkiliometer | 80 | 161 | 0 | 1633 |
Schafdichte | Anzahl der Schafe in Bezug zur Fläche des Landkreises | Schafe je Quadratkiliometer | 5 | 5 | 0 | 44 |
Deutscher Wetterdienst (2019) | ||||||
Niederschlag | Durchschnittlicher täglicher Niederschlag pro Jahr an der Messstelle | Millimeter pro Jahr | 1,937 | 0,533 | 0,978 | 5,888 |
Temperatur | Durchschnittliche tägliche Temperatur pro Jahr an der Messstelle | Grad Celsius | 9,638 | 1,153 | −3,893 | 12,561 |
Anmerkung: Die Tabelle listet alle verwendeten Variablen, ihre Quellen sowie deskriptive Statistiken auf. Die jährliche mittlere Nitratkonzentration und die Kategorisierung zum Teilmessnetz Landwirtschaft werden für jede Messstelle erfasst. Die Anteile der Landnutzung beziehen sich auf den Messbereich der Messstelle. Der Messbereich beschreibt die unmittelbar an die Messstelle grenzende Fläche innerhalb eines Radius von 300 Metern. Für den Messbereich jeder Messstelle werden die Anteile der jeweilgen Landnutzungsform prozentual dargestellt. Die Angaben der jeweiligen Viehdichte beziehen sich auf den Bestand von Rindern, Schweinen und Schafen im Landkreis der Messstelle. Angaben zu Niederschlag und Temperatur enstprechen den Messwerten der Wetterstation mit der kleinsten Distanz zur betreffenden Nitratmessstelle.
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis von Daten des Umweltbundesamtes (2019): Grundwassermessnetz der Europäischen Umweltagentur, der CORINE Land Cover Database (2012): CORINE Land Cover 10 ha (CLC) (online verfügbar), der Regionalstatistik der Statistischen Ämter des Bundesund der Länder (2016): Erhebung der landwirtschaftlichen Betriebe mit Viehhaltung und Zahl der Tiere für die Jahre 2012 und 2016 (online verfügbar) und des Deutschen Wetterdienstes (2019): Klimadaten Deutschland 2012–2016 (online verfügbar).
Die Ergebnisse der Analyse bestätigen den international belegten Zusammenhang zwischen landwirtschaftlicher Nutzung und Nitratbelastung auch für Deutschland. Messstellen, die zum Teilmessnetz Landwirtschaft gehören und damit überwiegend durch Nutzungseinflüsse von Acker, Grünland und Sonderkulturen gekennzeichnet sind, weisen durchschnittlich um 16,7 mg/l höhere Nitratmesswerte auf als Messstellen ohne landwirtschaftlichen Bezug (Tabelle 2). Insbesondere sind die Nitratwerte an einer Messstelle höher, je stärker das umliegende Gebiet eine agrarwirtschaftliche Landnutzung in Form von Acker- und Weinanbau aufweist.Beispielsweise ist eine Zunahme in der Anbaufläche angrenzender Äcker und Felder um einen Prozentpunkt ceteris paribus mit einer Erhöhung der Nitratwerte um 0,1 mg/l assoziiert. Für den Weinanbau ist der geschätzte Wert noch höher. Allerdings spielt der Weinanbau in Deutschland flächenmäßig eine untergeordnete Rolle. An Messstellen in Gebieten, die stärker durch Wald und Grünland geprägt sind, sind die Messwerte hingegen signifikant niedriger (Tabelle 2). Diese Befunde stimmen mit den Ergebnissen der internationalen Literatur überein.
Abhängige Variable: Jährliche mittlere Nitratbelastung der Messstelle
Regressor | Koeffizient | Standardfehler |
---|---|---|
Teilmessnetz Landwirtschaft | 16,697*** | 2,388 |
Ackerland | 10,037* | 5,303 |
Wein | 63,152** | 26,281 |
Obst | 2,751 | 13,433 |
Wald | −11,369*** | 3,540 |
Wasser | −9,473 | 49,201 |
Grünland | −14,500*** | 5,214 |
Rinderdichte | −0,048 | 0,044 |
Schweinedichte | 0,023** | 0,010 |
Schafdichte | −0,251 | 0,192 |
Konstante | 24,915*** | 8,360 |
Anzahl der Beobachtungen | 5848 | |
Anzahl der Messtellen | 1217 | |
R2 | 0,193 |
Anmerkungen: Die Ergebnisse basieren auf einer multivariaten Regressionsanalyse, die mittels pooled OLS geschätzt wurde. Die Daten beziehen sich auf die Jahre 2012 bis 2016. Neben den abgebildeten Variablen bezieht die Analyse feste Jahreseffekte im Nitratniveau aller Messstellen, das Bundesland einer Messstelle sowie Wettereinflüsse an den Messstellen (Temperatur und Niederschlag) als Regressoren mit ein. Die Standardfehler sind auf Ebene der Messstellen geclustered, um mögliche Korrelationen zwischen den jährlichen Messwerten einer Messstelle abzubilden. Statistische Signifikanzniveaus: ***p<0,01; **p<0,05; *p<0,1.
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis von Daten des Umweltbundesamtes, der CORINE Land Cover Database, der Regionalstatistik der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder und des Deutschen Wetterdienstes.
Der Einfluss der Viehdichte blieb in der Fachliteratur bisher kaum berücksichtigt,Einige Fallstudien haben sich bereits mit dem Zusammenhang zwischen Viehbestand und Nitratbelastung des Grundwassers beschäftigt. Allerdings begrenzt sich die Analyse häufig auf einen spezifischen Wasserkörper. Vgl. Nicholas J.K. Howden et al. (2011): Nitrate pollution in intensively farmed regions: What are the prospects for sustaining high-quality groundwater? Water Resources Research 47 (6) (online verfügbar). obwohl theoretisch ein positiver Zusammenhang zur Nitratbelastung des Grundwassers zu erwarten ist. Die vorliegende Analyse zeigt, dass eine höhere Dichte des Schweinebestandes mit einer höheren Nitratbelastung des Grundwassers einhergeht; für die Dichte von Rindern und Schafen ist kein statistisch signifikanter Zusammenhang feststellbar. Hierbei ist zu beachten, dass die Viehdichte auf Landkreisebene erfasst wird und daher nur eine grobe Approximation des tatsächlichen Viehbestandes in der Nähe der Messstelle darstellt. Zudem wird der inzwischen weit verbreitete sogenannte Gülle-Tourismus – die An- und Verkäufe von Gülle sowie der damit einhergehende Transport über größere Distanzen – nicht berücksichtigt.
Die hohen Nitrateinträge führen mittel- und vor allem langfristig zu Kostensteigerungen bei der Trinkwasserversorgung, welche sich mittelbar auch auf die Wasserpreise für Endverbraucher auswirken. Bereits heute müssen Wasserversorgungsunternehmen Maßnahmen ergreifen, um die Nitratbelastung des Trinkwassers zu reduzieren. Dabei zielen präventive Maßnahmen direkt auf die Verschmutzer und darauf, den Eintrag von Nitrat ins Rohwasser zu begrenzen.Als Rohwasser wird unbehandeltes Wasser (Grund- und Oberflächenwasser) bezeichnet, welches zu Trinkwasser aufbereitet wird. Vgl. UBA (2020), a.a.O. Beispiele solcher präventiven Maßnahmen sind Kooperationszahlungen an Landwirte für umweltfreundlichere Bewirtschaftung, die Beratung von Landwirten über gewässerschonende Bewirtschaftung und der Ankauf beziehungsweise die Pacht von Flächen um den Düngemitteleinsatz komplett zu verhindern. Als reaktive Maßnahmen werden Behandlungen des Trinkwassers bezeichnet, die dazu dienen den Grenzwert von 50 mg/l einzuhalten (sogenannte Reparaturmaßnahmen).Der Nitratgrenzwert für Trinkwasser ergibt sich aus der Richtlinie 98/83/EG des Rates vom 3. November 1998 über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (online verfügbar) und der Verordnung über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (Trinkwasserverordnung) (online verfügbar). Dazu gehören unter anderem die Verschneidung von belastetem und unbelastetem Rohwasser und die Verlagerung der Trinkwassergewinnung in tiefergelegene, weniger belastete Grundwasserkörper.
Wenn die Trinkwasserversorger zunehmend in Maßnahmen investieren, um die Einhaltung des Nitratgrenzwerts zu gewährleisten, verursacht dies Kosten. Es ist zu erwarten, dass die Unternehmen einen Teil dieser Kosten über eine Erhöhung der jährlichen Grundgebühr an die Haushalte weitergeben. Auch dieser Zusammenhang wurde am DIW Berlin für die Jahre 2012 bis 2015 mittels einer Regressionsanalyse untersucht (Kasten 3). Die vorliegende Analyse betrachtet dabei nur den möglichen Effekt auf den verbrauchsunabhängigen Grundpreis. Auch der verbrauchsabhängige Preisbestandteil des Wassertarifs könnte durch eine erhöhte Nitratbelastung beeinflusst werden. Dieser Aspekt wird im Folgenden nicht untersucht.
Der Einfluss der Nitratbelastung des Grundwassers auf die verbrauchsunabhängigen Wassertarife innerhalb einer Gemeinde wurde mittels einer multivariaten Regressionsanalyse für die Jahre 2012 bis 2015 untersucht. Dazu wurde jeder Messstelle des Nitratmessnetzes basierend auf ihrem Standort eine Gemeinde zugewiesen und die Gemeindecharakteristika, wie Preise oder Bevölkerungsdichte, zugeordnet.Da Informationen zu den Wasserpreisen nicht für alle Gemeinden verfügbar sind, verringert sich die Anzahl der Nitratmessstellen gegenüber der ersten Untersuchung in diesem Bericht um 109.
Die Analyse betrachtet vier Kategorien der Nitratbelastung. Niedrige Konzentrationen zwischen null und 25 mg/l (Referenz-Kategorie), mittlere Konzentrationen zwischen 25 und 40 mg/l, hohe Konzentrationen zwischen 40 und 50 mg/l und grenzwertüberschreitende Konzentrationen über 50 mg/l.Diese Kategorisierung wird auch im Nitratbericht des BMU und BMEL genutzt, vgl. BMU und BMEL (2017), a.a.O. Auf Gemeindeebene bezieht die Untersuchung die Anzahl der Einwohner und die Einwohnerdichte als erklärende Variablen für die Höhe der Grundgebühr mit ein.Daten zu den regionalen Wassertarifen und den Charakteristika der Gemeinden stammen aus der Regionalstatistik der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder. Die Grundgebühr lag im Jahr 2015 im Bundesdurchschnitt bei 78,15 Euro pro Jahr während das verbrauchsabhängige Entgelt pro Kubikmeter Wasser bei durchschnittlich 1,76 Euro je Kubikmeter lag. Vor allem bei der Grundgebühr gibt es regional große Unterschiede. Sie schwankt zwischen 17,58 Euro pro Jahr in Berlin und 129,37 Euro pro Jahr Thüringen. Die verbrauchsabhängigen Wassertarife sind tendenziell im geographischen Osten, also in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg am höchsten, aber auch Nordrhein-Westfalen, Saarland und Rheinland-Pfalz haben überdurchschnittlich hohe Wassertarife. Zudem berücksichtigt die Analyse heterogene Effekte für die einzelnen Beobachtungsjahre sowie die Zugehörigkeit zum geographischen Osten beziehungsweise Westen mittels Dummy-Variablen. Letzteres soll bestehende Unterschiede des Versorgungssystems zwischen den neuen und alten Bundesländern berücksichtigen, wie beispielsweise das Alter der Kanalisation und technischen Anlagen. Diese Unterschiede sind vor allem historisch bedingt, resultieren aber auch aus den Strategien zur Entwicklung der Infrastruktur und der Finanzierungspolitik der Bundesländer.
Die Ergebnisse der Regressionsanalyse legen nahe, dass die Nitratkonzentration im Grundwasser einen preissteigernden Effekt auf den verbrauchsunabhängigen Wasserpreis hat (Tabelle 3). In Gemeinden mit Nitratkonzentrationen oberhalb des Grenzwerts von 50 mg/l liegt die jährliche Grundgebühr der Haushalte um mehr als fünf Euro pro Jahr über der jährlichen Grundgebühr in Gemeinden mit Nitratkonzentrationen unter 25 mg/l. Für Nitratkonzentrationen zwischen 25 und 50 mg/l liegt kein statistisch signifikanter Unterschied zu Gemeinden mit niedriger Nitratkonzentration im Grundwasser vor. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Wasserversorger erst bei Grenzwertüberschreitungen aktiv werden und Maßnahmen zur Senkung des Nitratgehalts im Trinkwasser ergreifen, jedoch nicht bei erhöhten Belastungen unterhalb des Grenzwerts.
Abhängige Variable: Verbrauchsunabhängiger Wasserpreis der Gemeinde, in der eine Nitratmessstelle liegt
Regressor | Koeffizient | Standardfehler |
---|---|---|
Mittlere Nitratbelastung (25 bis 40 mg/l) | 4,918 | 3,107 |
Hohe Nitratbelastung (40 bis 50 mg/l) | 6,579 | 4,209 |
Sehr hohe Nitratbelastung (ab 50 mg/l) | 5,591** | 2,486 |
Konstante | 151,692*** | 4,336 |
Anzahl der Beobachtungen | 4302 | |
Anzahl der Messtellen | 1108 | |
R2 | 0,300 |
Anmerkungen: Die Ergebnisse basieren auf einer multivariaten Regression, die mittels pooled OLS geschätzt wurde. Die Daten beziehen sich auf die Jahre 2012 bis 2015. Neben den abgebildeten Variablen bezieht die Analyse die Bevölkerungszahl und -dichte auf Gemeindeebene sowie feste Jahreseffekte als Regressoren mit ein. Die Basiskategorie ist geringe Nitratbelastung (0 bis 25 mg/l). Die Standardfehler sind auf Ebene der Messtellen geclustered, um mögliche Korrelationen zwischen den jährlichen Messwerten einer Messstelle abzubilden. Statistische Signifikanzniveaus: ***p<0,01; **p<0,05; *p<0,1.
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis von Daten des Umweltbundesamtes und der Regionalstatistik der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder.
Für die Zukunft schätzt eine Studie des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), dass aufgrund der aktuellen Düngepraxis und der dadurch notwendigen Maßnahmen zur Reduktion der Nitratbelastung die Wasserpreise regional bis zu 62 Prozent steigen werden, vor allem durch notwendige Anlagen zur Entfernung des Nitrats aus dem Trinkwasser.Die Preissteigerung ergibt sich aus den zusätzlichen Kosten für Denitrifikationsanlagen. Vgl. Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) (2017): Berechnung der Kosten der Nitratbelastung in Wasserkörpern für die Wasserwirtschaft. Berlin (online verfügbar). Für einen Drei-Personen-Haushalt mit einem täglichen durchschnittlichen Wasserverbrauch von 122 Litern pro Person würde dies eine Erhöhung der jährlichen Wasserrechnung von 217 auf 352 Euro bedeuten.Vgl. BDEW (2017), a.a.O.
Wie schnell ein Stickstoffüberschuss aus der Düngung zu einem messbaren Nitrateintrag ins Grundwasser führt, hängt von physikalisch-chemischen Prozessen im Boden ab. Hierbei kann eine Zeitspanne von wenigen Monaten bis hin zu mehreren Jahrzehnten vergehen.Vgl. Christoph Gerber et al. (2018): Using environmental tracers to determine the relative importance of travel times in the unsaturated and saturated zones for the delay of nitrate reduction measures. Journal of Hydrology 561, 250–266 (online verfügbar), Lei Wang et al. (2013): The nitrate time bomb: a numerical way to investigate nitrate storage and lag time in the unsaturated zone. Environmental Geochemistry and Health, 35 (5), 667–681 (online verfügbar) und Mathieu Sebilo et al. (2013): Long-term fate of nitrate fertilizer in agricultural soils. Proceedings of the National Academy of Sciences, 110 (45), 18185–18189 (online verfügbar). Daher ist auch in den kommenden Jahren mit weiter hohen Nitratbelastungen zu rechnen, die teilweise auf Nitrateinträge durch eine übermäßige landwirtschaftliche Flächenbewirtschaftung in der Vergangenheit zurückgehen.
Unklar ist, wie eine „faire“ Allokation der externen Umweltkosten durch die Nitratbelastung aussehen könnte. Sicher ist, dass die aktuelle Überlastung des Bodens durch übermäßigen Düngemitteleinsatz und damit der zusätzliche Eintrag von Nitrat zurückgefahren werden muss (Flow-Problem), beispielsweise durch strengere Grenzwerte der Stickstoffausbringung. Ein Großteil der Nitratbelastung stammt jedoch aus übermäßigem Nitrateintrag in der Vergangenheit (Stock-Problem).
Daher stellt sich die Anwendung des Verursacherprinzips bezüglich der über viele Jahrzehnte akkumulierten Nitrate in Böden und Grundwasser schwieriger dar. In vielen Fällen existieren die originären Verursacher nicht mehr. Mengenmäßig dürften diese Nitrat-Bestände im Boden („stocks“) weit oberhalb der jährlichen zusätzlichen Flüsse („flows“) liegen, und damit auch für die Trinkwasserversorger kostenseitig den größten Umfang ausmachen. Jedoch liegen derzeit keine praktikablen Technologien vor, das Stock-Problem direkt zu lösen und das Nitrat aus dem Grundwasser zu beseitigen.
Internationale Erfahrungen zeigen, dass stringente Regulierung den Stickstoffeintrag in den Boden senken kann und somit mittelfristig auch die Nitratbelastung des Grundwassers. So ist Dänemark ein Beispiel für eine erfolgreiche Trendumkehr. Bereits seit Mitte der 1980er-Jahre zielt die dänische Gesetzgebung auf eine Reduktion der Nitratbelastung durch die Landwirtschaft ab. Die nationale Gesetzgebung wurde durch die Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie weiter verschärft.Vgl. Brigitte Hansen et al. (2017): Groundwater nitrate response to sustainable nitrogen management. Nature Scientific Reports, 7 (1), 1–12 (online verfügbar) und Lisbeth Flindt Jørgensen, Karen G. Villholth und Jens Christian Refsgaard (2016): Groundwater management and protection in Denmark: a review of pre-conditions, advances and challenges. International Journal of Water Resources Development, 33 (6), 868–889 (online verfügbar). Ziele der dänischen Regulierung waren einerseits eine möglichst umfassende Wiederverwendung von Gülle und Dung („N-Effizienz“), andererseits die Begrenzung des Einsatzes von Kunstdünger.Vgl. Ministry of Environment and Food of Denmark (2017): Overview of the Danish regulation of nutrients in agriculture and the Danish Nitrates Action Programme, cf. Council Directive of 12 December 1991 concerning the protection of waters against pollution caused by nitrates from agricultural sources (91/676/EEC) (online verfügbar). So konnte in Dänemark der Stickstoffüberschuss der Düngung zwischen 1980 und 2007 um durchschnittlich 37 Prozent gesenkt werden, wodurch die Nitratbelastung des Grundwassers seit Mitte der 1980er-Jahre rückläufig ist.Vgl. Hansen et al. (2017), a.a.O. und Brigitte Hansen et al. (2012): Regional analysis of groundwater nitrate concentrations and trends in Denmark in regard to agricultural influence. Biogeosciences, 9, 3277–3286 (online verfügbar).
Wichtig in diesem Prozess war die Erfassung der jährlichen Nährstoffüberschüsse auf Ebene der landwirtschaftlichen Betriebe in Form des Düngeregisters,Die Nutzung des Düngeregisters ist verpflichtend für alle landwirtschaftlichen Betriebe ab einer bestimmten Größe. Vgl. Ministry of Environment and Food of Denmark (2017), a.a.O. welches bereits in den 1990ern eingeführt wurde und seit 2011 digital geführt wird. Die transparente Erfassung der ausgebrachten Düngemengen ermöglicht die Regulierung des Stickstoffeintrags, beispielsweise durch Festlegung von Stickstoffquoten für jeden einzelnen Betrieb. Dabei werden die Betriebsfläche, die Bodenart sowie die Viehhaltung und die angebauten Feldfrüchte berücksichtigt. Dadurch soll das Risiko der Überdüngung verringert werden, ohne dass daraus Einbußen bei den Ernteerträgen entstehen.Vgl. Ministry of Environment and Food of Denmark (2017), a.a.O.
Auch die Niederlande gehörten lange Zeit zu den EU-Ländern mit besonders hoher Nitratbelastung. Doch in den vergangenen Jahren hat die Regierung mit umfassenden Maßnahmen und Regelungen den Stickstoff- und Phosphoreinsatz in der Landwirtschaft drastisch gemindert. Beispielsweise sank die Nachfrage nach Stickstoffdünger zwischen 1990 und 2012 um etwa die Hälfte.Gleichzeitig sank der durchschnittliche Stickstoffüberschuss und die Nitratkonzentration im Grundwasser, vgl. Hans J.M. van Grinsven, Aaldrik Tiktak und Carin W. Rougoor (2016): Evaluation of the Dutch implementation of the nitrates directive, the water framework directive and the national emission ceilings directive. NJAS-Wageningen Journal of Life Sciences 78, 69–84 (online verfügbar). Erreicht wurde dies unter anderem durch Obergrenzen für Stickstoff- und Phosphatausbringung, deren Einhaltung engmaschig kontrolliert wird. Beispielsweise erfolgt die Aufbringung von Gülle unter GPS-Überwachung. Bei Verstößen gegen die Ausbringungsvorschriften drohen den Landwirtinnen und Landwirten hohe Geldstrafen.Vgl. BDEW (2017), a.a.O. Zudem sind niederländische Agrarbetriebe verpflichtet, einen Teil ihres überschüssigen Wirtschaftsdüngers zu Düngegranulat weiterzuverarbeiten.Vgl. van Grinsven, Tiktak und Rougoor (2016), a.a.O. Dieses Düngegranulat kann ähnlich wie Mineraldünger genutzt werden, was wiederum den Einsatz von jenem verringern könnte.Vgl. Jean Gault et al. (2015): Analysis of implementation of the Nitrates Directive by other Member States of the European Union (online verfügbar).
Trotz mehrerer Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission gegen die Bundesregierung und drohender Strafzahlungen bleibt Deutschland Europas Nitrat-Sünder. Für den Zeitraum 2012–2015 wurde in Deutschland im Durchschnitt die EU-weit zweithöchste Nitratbelastung des Grundwassers gemessen, nach Malta.Vgl. Europäische Kommission (2018): Report from the Commission to the Council and the European Parliament on the implementation of Council Directive 91/676/EEC concerning the protection of waters against pollution caused by nitrates from agricultural sources based on Member State reports for the period 2012–2015. Brüssel (online verfügbar). Seitdem gibt es keinen nennenswerten Rückgang der durchschnittlich gemessenen Nitratkonzentration, und es kommt regelmäßig und deutschlandweit zu Grenzwertüberschreitungen. Insbesondere Gebiete mit hohen Anteilen von Acker- und Weinanbau sowie intensiver Viehhaltung leiden unter den Auswirkungen exzessiver Nitrateinträge. Dies kann zu ökologischen Konsequenzen führen, etwa indem Biodiversität verloren geht, negative Folgen für die menschliche Gesundheit nach sich ziehen und eine ökonomische Belastung darstellen, etwa indem die Wassertarife steigen.
Mitte Februar 2020 wurde der Regierungsentwurf zur Anpassung der Düngeverordnung von der EU-Kommission akzeptiert. Sollte der Bundesrat den Vorschlägen zustimmen, wäre das bereits die zweite Novellierung der Düngeregulierung innerhalb der letzten drei Jahre. Zukünftig sollte daher der Fokus zunächst auf der Überprüfung der Wirksamkeit der verschärften Düngeregulierung liegen. Sollte sich im Rahmen des Monitorings herausstellen, dass die ergriffenen bundesweiten und länderspezifischen Maßnahmen zur Begrenzung der Nährstoffbelastung der Umwelt nicht ausreichen, so sind gegebenenfalls Anpassungen an der existieren Regulierung vorzunehmen oder zusätzliche Maßnahmen einzuführen.
Die 2017 in Kraft getretene Düngebedarfsermittlung, die spezifische Werte für einzelne bewirtschaftete Flächen (Schläge) vorsieht, und die Stoffstrombilanz sind wichtige Schritte zu mehr Transparenz und Datengenauigkeit in Deutschland. Derzeit müssen nur große landwirtschaftliche Betriebe eine Stoffstrombilanz erstellen; eine Ausweitung dieser Berichtspflichten auf kleine und mittelgroße landwirtschaftliche Betriebe würde genauere Informationen zu den Stickstoffüberschüssen – auch auf regionaler Ebene – liefern. Diese Betriebe sollten bei der Anpassung an die neue Düngegesetzgebung und bei der Umstellung auf neue umweltschonende Technologien für die Nährstoffausbringung unterstützt werden. Erfahrungen aus Dänemark und den Niederlanden zeigen, dass eine systematische und zentralisierte Datenerfassung die Transparenz erhöht und so eine bessere Kontrolle und Steuerung von Wirtschaftsdüngereinsatz ermöglicht.
In jedem Fall variieren Umweltschäden durch Stickstoffüberschüsse regional stark und hängen von einer Reihe von Faktoren ab, beispielsweise von der Bodenbeschaffenheit oder Tiefe des Grundwasserspiegels. Dies sollte durch räumlich differenzierte Vorgaben bei ordnungspolitischen Maßnahmen, beispielsweise auf Ebene der Länder, abgefangen werden.
Themen: Umweltmärkte
JEL-Classification: Q15;Q53;Q58
Keywords: Water pollution, nitrate concentration, water prices
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-9-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/219343