DIW Wochenbericht 39 / 2020, S. 755-760
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„Der Übergang zu einem freien Wohnungsmarkt hat vielen Menschen ermöglicht, ihre Wohnsituation besser an individuelle Bedürfnisse anzupassen. In der Gesamtheit führt dies zu einer immer stärkeren Angleichung der ostdeutschen an die westdeutsche Wohnungswirtschaft.“ Konstantin A. Kholodilin
Die Wohnraumversorgung ist ein wichtiger Indikator für das Wohlbefinden innerhalb einer Gesellschaft. In der DDR versprach die sozialistische Wohnungspolitik den BürgerInnen niedrige Mieten und einen hohen Kündigungsschutz. Dafür war die durchschnittliche Wohnraumqualität gering und die Möglichkeiten, die eigene Wohnsituation an individuellen Bedürfnisse anzupassen, äußerst beschränkt. Mit der Wende fielen diese Restriktionen und der Wohnungsmarkt wurde liberalisiert. Für die Bevölkerung Ostdeutschlands brachte diese Anpassung an den westdeutschen Wohnungsmarkt Vor- und Nachteile mit sich. Einerseits steht den ostdeutschen MieterInnen heute mehr Pro-Kopf-Wohnfläche zur Verfügung und sie berichten eine höhere Zufriedenheit mit ihren Wohnungen. Andererseits ist der Wohnraum teurer geworden, wodurch auch die Mietbelastung deutlich gestiegen ist. Für Menschen mit niedrigen Einkommen ist dieser Anstieg ausgeprägter als für Menschen mit hohen Einkommen. Dennoch sollte dieser Befund nicht als Anlass für eine Verstärkung restriktiver Eingriffe in den Wohnungsmarkt dienen. Mit Blick auf die gestiegene Mietbelastung sollte eher auf eine gezielte finanzielle Unterstützung benachteiligter Haushalte und eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Ausweitung des Angebots an bezahlbarem Wohnraum gesetzt werden.
Zu DDR-Zeiten war die ostdeutsche Wohnungswirtschaft streng reguliert. Der Staat sorgte über Jahrzehnte hinweg für niedrige Mieten, machte es beinahe unmöglich, Mieterinnen und Mieter zu kündigen und erhob sich selbst zum entscheidenden Akteur bei der Vergabe von Wohnraum. Zwar gab es auch in der Bundesrepublik restriktive Eingriffe in den Wohnungsmarkt, jedoch erreichten diese nach 1950 nicht mehr das Niveau des östlichen Nachbarn. Die Wende bedeutete auch das Ende für die sozialistische Wohnungspolitik der DDR. Die Einführung eines freien Wohnungsmarkts sorgte dafür, dass die Intensität restriktiver Eingriffe im Osten stark abnahm und sich schnell an das westdeutsche Niveau anpasste. Für die Bevölkerung der neuen Bundesländer hat diese Entwicklung Vor- und Nachteile mit sich gebracht. Der vorliegende Bericht zeigt, wie sich diese Transformation auf verschiedene Aspekte des Wohnens ausgewirkt hat. Im Fokus steht dabei Mietwohnraum.
Die Wohnungspolitik kann als eine Reihe aller Maßnahmen definiert werden, die eine Regierung ergreift, um die Leistung des Wohnungsmarktes zu beeinflussen. Der Hauptzweck solcher Interventionen besteht darin, Rahmenbedingungen zu setzen, die eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum von angemessener Qualität gewährleisten. Die Instrumente der Wohnungspolitik können entweder als stimulierend oder als restriktiv eingestuft werden. Im Folgenden liegt der Fokus auf den restriktiven Maßnahmen, da deren Nutzung im Zuge der Wiedervereinigung die stärksten Veränderungen erfuhr. Betrachtet werden dabei die Bereiche der Mietpreiskontrolle und der Wohnraumlenkung.
Die Intensität der restriktiven Maßnahmen kann für beide Bereiche quantitativ gemessen werden (Kasten).Für weitere Details zur Datenbasis und Methode vgl. Konstantin A. Kholodilin (2020): Long-Term, Multi-Country Perspective on Rental Market Regulations. Housing Policy Debate (online verfügbar, abgerufen am 17. September 2020. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt) und Konstantin A. Kholodilin, Jan Philip Weber und Steffen Sebastian (2018): Die Mietwohnungsmarktregulierung der letzten 100 Jahre im internationalen Vergleich. DIW Wochenbericht Nr. 45, 971–982 (online verfügbar) . Je höher der jeweilige Wert, desto stärker sind die vom Staat ergriffenen Schutzmaßnahmen für MieterInnen. Liegt der Wert bei 100, ist der Wohnungsmarkt in diesem Bereich vollständig reguliert. Ein Wert von null hingegen bedeutet, dass in diesem Bereich überhaupt nicht reguliert wird. Für Ost- und Westdeutschland lagen die Werte in der Zeit vor der Wende in beiden Bereichen auf einem sehr unterschiedlichen Niveau (Abbildung 1).
Zur Messung der Regulierungsintensität in den Bereichen Mietpreiskontrolle und Wohnraumlenkung werden selbst erstellte Indizes angewendet.
Die Mietpreiskontrolle wird anhand von sechs binären Komponenten quantifiziert, die jeweils den Wert von eins annehmen, wenn die entsprechende Restriktion gegeben ist. Dazu zählen die Kontrolle der realen Mieten (Beschränkung der Preisanstiege durch Orientierung an den Wachstumsraten der allgemeinen Lebenshaltungskosten), die Kontrolle der nominalen Mieten (Einfrierung der Mieten), die Mietniveaukontrolle (Festsetzung eines Preisniveaus), die Neuvermietungskontrolle (Regelungen zur Preissetzung bei Mieterwechsel), weitere spezielle Deregulierungen (zum Beispiel für Neubau- oder Luxuswohnungen) und spezielle Verschärfungen der Mietpreiskontrolle (zum Beispiel bei kleinen Wohnungen oder für besonders benachteiligte oder privilegierte Bevölkerungsgruppen).
Bei der Wohnraumlenkung werden acht binäre Variablen definiert. Dazu zählen neben der Wohnraumerfassung, -erhaltung, -gewinnung und -beschlagnahme auch Mobilitätsbeschränkungen (die Schaffung von Hindernissen für den Umzug in Gebiete mit besonders akutem Wohnungsmangel), die Erhaltung der sozialen Zusammensetzung, die Normierung des Wohnraumverbrauchs (zum Beispiel eine maximal erlaubte Pro-Kopf-Wohnfläche oder eine maximale Anzahl an Zimmern pro Person) sowie die Verstaatlichung von Privatwohnungen.
Die Indizes für Mietpreiskontrolle und Wohnraumlenkung werden als die Summe ihrer binären Komponenten multipliziert mit dem Faktor 100 berechnet.
Bis zur Wiedervereinigung unterlagen die Mietpreise in Ostdeutschland vollständig staatlicher Kontrolle und waren auf dem Niveau von 1936 eingefroren.Verordnung über das Verbot von Preiserhöhungen vom 26. November 1936. Die Mieten blieben jahrzehntelang auf demselben vom Staat bestimmten Niveau und durften nicht erhöht werden, was sich in einer Regulierungsintensität von 100 Prozent bis 1990 widerspiegelt. Aber auch in Westdeutschland war der Wohnungsmarkt in der Zeit vor der Wiedervereinigung nicht frei von restriktiven Eingriffen in die Mietpreisgestaltung.Für eine detaillierte Analyse der Wohnungspolitiken in Deutschland zwischen 1910 und 2015 vgl. Konstantin A. Kholodilin (2017): Quantifying a century of state intervention in rental housing in Germany. Urban Research and Practice 10 (3), 267–328. Zwar konnten die Mieten bei Neuvermietung freifinanzierter Wohnungen durch Verhandlung zwischen MieterIn und VermieterIn auf Marktniveau gesetzt werden, diese durften jedoch seit 1971 nicht unangemessen weit über marktüblichen Mieten liegen. Die im Jahr 1982 eingeführte Kappungsgrenze beschränkte auch die Möglichkeiten, die Mieten innerhalb eines abgeschlossenen Vertragsverhältnisses zu erhöhen.Auch zuvor durfte bei Mieterhöhungen die neue Miete die übliche Miete nicht übersteigen.
Nach der Wiedervereinigung wurde die Mietpreiskontrolle in Ostdeutschland schrittweise an das westdeutsche System angepasst. Zunächst galten die damals in der Bundesrepublik gültigen Regelungen der Mietpreiskontrolle in den neuen Bundesländern nur für Wohnungen, die nach dem 1. Juli 1990Der Tag, an dem die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen Ost- und Westdeutschland in Kraft trat. neu gebaut oder durch eine umfassende Instandsetzung wieder bewohnbar gemacht wurden.Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschland vom 31. August 1990. Siehe auch Franz Hubert und Horst Tomann (1994): Wohnungspolitischer Umbruch in Ostdeutschland — eine Bestandsaufnahme mit Blick auf Osteuropa. Nachdruck einer Studie im Auftrag des Bundesbauministeriums vom Februar 1993. Erst 1995 wurde der Geltungsbereich des westdeutschen Mietrechts auf andere Wohnungen ausgeweitet und somit eine für ganz Deutschland einheitliche Mietpreisregulierung etabliert.Gesetz zur Überleitung preisgebundenen Wohnraums im Beitrittsgebiet in das allgemeine Miethöherecht vom 6. Juni 1995. In den 2010er Jahren ist die Regulierungsintensität im Bereich der Mietpreiskontrolle wieder gestiegen. Dazu hat zunächst die Einführung der Mietpreisbremse im Jahr 2015 beigetragen, die Anfang 2020 durch den Berliner Mietendeckel ergänzt wurde.
Instrumente der Wohnraumlenkung kamen vor der Wende sowohl im Osten als auch im Westen zum Einsatz. Jedoch waren die Maßnahmen in der DDR deutlich umfangreicher als in Westdeutschland. Dass der Wert für die Regulierungsintensität dennoch nur bei 63 Prozent liegt, hängt damit zusammen, dass die DDR-Wohnungspolitik nicht alle im Index für Wohnraumlenkung berücksichtigten Komponenten erfüllte. Dennoch schränkte der Staat die Freiheiten seiner BürgerInnen stark ein und ergriff verschiedene Maßnahmen. So sollten EigentümerInnen und MieterInnen dem Staat über ihre Wohnungen und Leerstand berichten, nicht genutzte oder zweckentfremdete Wohnungen konnten beschlagnahmt werden. Gemeinden konnten den Um- beziehungsweise Ausbau von Gebäuden auch gegen den Willen der EigentümerInnen veranlassen, um mehr Wohnraum zu schaffen. Auch die Zuzüge in bestimmte Regionen konnten beschränkt werden.Vgl. Verordnung über die Lenkung des Wohnraumes vom 22. Dezember 1955, vom 14. September 1967 und vom 16. Oktober 1985. Wohnraum wurde in der Regel vom Staat zugewiesen. Einzige Option für einen Umzug war oft nur der Wohnungstausch. Die Schwierigkeit den Wohnort zu wechseln führte zu einer insgesamt sehr niedrigen Wohnortmobilität, die für alle ehemaligen sozialistischen Länder charakteristisch war.Vgl. Lisa Lee und Raymond Struyk. (1996): Residential Mobility in Moscow During the Transition. International Journal of Urban and Regional Research 20 (4), 656–670.
Im Westen waren die Maßnahmen zur Wohnraumlenkung deutlich weniger umfangreich. Im Wesentlichen fanden zwei Instrumente Anwendung: Zum einen sollten Zweckentfremdungsverbote verhindern, dass Wohnraum für andere, beispielsweise gewerbliche, Zwecke verwendet wird. Zum anderen wurden ab 1976 in großen Städten sogenannte Milieuschutzgebiete eingeführt, in denen Abrisse oder Rückbauten, Nutzungsänderung der Wohnungen, Änderungen der baulichen Anlagen sowie die Gründung von Sondereigentum verboten sind. Durch den Erhalt der Bausubstanz soll einer Gentrifizierung vorgebeugt werden.
Mit der Wiedervereinigung und dem Übergang ins marktwirtschaftliche System ist auch der Umfang der staatlichen Wohnraumlenkung in Ostdeutschland sehr stark zurückgegangen. Die Zuweisung der Wohnungen durch den Staat ist dem Marktmechanismus gewichen, zudem wurden volkseigene Wohnungsbestände privatisiert.Gesetz über die Umwandlung volkseigener Wohnungswirtschaftsbetriebe in gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften und zur Übertragung des Grundeigentums an die Wohnungsgenossenschaften vom 22. Juli 1990. Seitdem gilt in beiden Teilen Deutschlands eine einheitliche Wohnraumlenkungspolitik.
Die ehemals sozialistischen Länder legten großen Wert darauf, ihrer Bevölkerung bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Das führte dazu, dass die Mietkosten gegen Ende der 1980er in den Ländern des sozialistischen Lagers verschwindend klein waren. In der DDR lag der Anteil der Mieten an den durchschnittlichen jährlichen Ausgaben in Haushalten von Arbeitern und Angestellten zwischen 1980 und 1989 unter drei Prozent.Gemäß Angaben der Statistischen Jahrbücher der Deutschen Demokratischen Republik. Allerdings hat sich die Mietbelastungsquote, also das anhand von SOEP-Daten berechnete Verhältnis zwischen Bruttokaltmiete und Nettoeinkommen der privaten Haushalte, in den neuen Bundesländern im Laufe der 1990er Jahre sehr schnell ans westdeutsche Niveau angepasst. Heute besteht bei der Mietbelastung nur noch ein relativ kleiner Unterschied zwischen Ost und West. Betrug der Unterschied der Mietbelastungsquoten zwischen Ost und West im Jahr 1990 noch über 17 Prozentpunkte, ist er bis 2018 auf lediglich zwei Prozentpunkte gefallen (Abbildung 2).
Die Entwicklung der Mietbelastung fiel für verschiedene Einkommensklassen sehr unterschiedlich aus. Im Osten stieg die Mietbelastungsquote des untersten Einkommensquintils (die untersten 20 Prozent der Einkommensverteilung) von vier Prozent im Jahr 1990 auf 29 Prozent im Jahr 2018, also um 25 Prozentpunkte. Über den gleichen Zeitraum wuchs die Mietbelastungsquote des obersten Quintils von vier auf 24 Prozent, das heißt um lediglich 20 Prozentpunkte. In Westdeutschland, wo die Mietbelastung im Jahr 1990 bereits viel höher war, fiel die Steigerung deutlich geringer aus. So stieg die Mietbelastung des unteren Quintils von 20 Prozent im Jahr 1990 auf rund 31 Prozent im Jahr 2018, also um etwa 11 Prozentpunkte. Über den gleichen Zeitraum nahm die Mietbelastungsquote des oberen Quintils von 21 auf 26 Prozent, also um lediglich fünf Prozentpunkte, zu. Somit zeigt sich, dass die Wohnkostensteigerung die unteren Einkommensschichten wesentlich stärker belastet hat als die höheren, insbesondere in Ostdeutschland.
Vor der Wende stand den westdeutschen Mieterhaushalten im Schnitt deutlich mehr Wohnfläche zur Verfügung als den ostdeutschen. Allerdings konnte der Osten bei der Wohnraumversorgung dank steigender Flächen beim Neubau gegenüber dem Westen aufholen und der Unterschied wurde im Zeitverlauf immer kleiner (Abbildung 3). Verfügten die westdeutschen Mieterhaushalte im Jahr 1990 im Schnitt über eine Pro-Kopf-Wohnfläche von 42 Quadratmetern, also 12 Quadratmeter oder 38 Prozent mehr als die Ostdeutschen, lag ihr Wohnraumkonsum im Jahr 2018 bei 49 Quadratmetern, und damit um nur vier Quadratmeter oder zehn Prozent höher als der der Ostdeutschen. Zu dieser Entwicklung hat auch der Bau- und Sanierungsboom der frühen 1990er Jahre beigetragen.Vgl. Claus Michelsen und Dominik Weiß (2010): Förderung des Wohnungsbaus und der städtebaulichen Entwicklung: Von der Lösung zum Problem? In: Ulrich Blum (Hrsg.): 20 Jahre Deutsche Einheit. Von der Transformation zur europäischen Integration. Halle, 311–333 sowie Claus Michelsen und Dominik Weiß (2009): What Happened to the East German Housing Market. Post-Communist Economies 22 (3), 387–409. Dadurch sind im Osten sowohl die Anzahl der Wohnungen als auch ihre durchschnittliche Größe stark gestiegen.
Ein weiterer Faktor, der die Annäherung nach der Wiedervereinigung begünstigt haben könnte, ist der Bevölkerungsrückgang in Ostdeutschland. Diese Vermutung wird indirekt auch von der Entwicklung der Leerstandsquoten in Ost- und Westdeutschland zwischen 1994 und 2018 gestützt. Über den gesamten Zeitraum ist die Leerstandsquote im Osten deutlich höher als im Westen. Am höchsten war der Unterschied Anfang der 2000er Jahre: Während im Westen die Leerstandsquote nur zwei bis drei Prozent betrug, stieg sie im Osten von vier Prozent im Jahr 1994 auf 17 Prozent im Jahr 2002. Vgl. Pressemitteilung des GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen vom 17. Juni 2012: „Regulierungswut bremst Wohnungswirtschaft aus – GdW: Wirtschaftliche Balance muss erhalten bleiben“ (online verfügbar) sowie Pressemitteilung des GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen vom 17. Juni 2019: „Deutschland braucht die #Wohnwende“ (online verfügbar). In der Folge wurde die Differenz durch den Abriss vieler Gebäude im Osten teilweise abgebaut, sodass die Leerstandsquote im Jahr 2019 auf acht Prozent sank. Dennoch fällt der Leerstand in Westdeutschland aktuell um etwa acht Prozentpunkte niedriger aus als in Ostdeutschland.
Die nach der Wende verzeichneten Zuwächse beim Wohnraumkonsum verteilen sich auf alle Einkommensschichten. Betrug die Pro-Kopf-Wohnfläche im jeweils untersten Einkommensquintil im Jahr 1990 im Osten 19 und im Westen 21 Quadratmeter, lag sie 2018 bei 27 beziehungsweise 25 Quadratmetern. Im jeweils obersten Einkommensquintil stieg der Wert von 39 auf 51 (Ost) beziehungsweise 52 auf 58 (West) Quadratmeter.
Dank umfangreicher Sanierungsarbeiten hat auch die Qualität der verfügbaren Wohnungen nach der Wende stark zugenommen. Im Jahr 1990 waren fast 20 Prozent aller Wohnungen in Ostdeutschland vollständig renovierungsbedürftig.Vgl. Markus M. Grabka (2014): Private Vermögen in Ost- und Westdeutschland gleichen sich nur langsam an. DIW Wochenbericht Nr. 7, 959–966 (online verfügbar). Im Jahr 2018 beträgt dieser Anteil weniger als zwei Prozent und liegt damit etwa auf westdeutschem Niveau.
Im Durchschnitt ist die Zufriedenheit der Ostdeutschen mit ihren Wohnungen zwischen 1990 und 2018 stark gestiegen und befindet sich nun sogar leicht über dem westdeutschen Niveau. So lag die auf einer Skala von 0 (am wenigsten zufrieden) bis 10 (am zufriedensten) erhobene Zufriedenheit mit der Wohnung im Osten 1990 durchschnittlich bei 6,6 und stieg nach einem kurzen Rückgang seit Mitte der 1990er Jahre stetig an. Im Jahr 2018 beträgt sie 7,4 und liegt damit über dem relativ konstanten westdeutschen Wert von 7,3 (1990: 7,2). Somit ist der Anstieg der Zufriedenheit bei den westdeutschen Haushalten wesentlich schwächer ausgeprägt als im Osten (Abbildung 4).
Auch bei der Zufriedenheit mit der Wohnung sind die Zuwächse für sämtliche Einkommensgruppen feststellbar. Sowohl am unteren als auch am oberen Rand der Einkommensverteilung ist die Zufriedenheit gestiegen, wobei im Osten der Anstieg für die oberen Einkommen stärker ausgeprägt ist als für die unteren.
Die Wiedervereinigung hat in Ostdeutschland zu vielen Umbrüchen geführt. Einer davon ist die Liberalisierung des straff regulierten Wohnungsmarktes. Infolgedessen sind die Wohnkosten und die Mietbelastung für die Menschen in Ostdeutschland deutlich gestiegen. Auf der anderen Seite steht den Menschen heute unabhängig von deren Einkommen deutlich mehr Pro-Kopf-Wohnfläche zur Verfügung. Der Übergang ins marktwirtschaftliche System hat vielen Menschen ermöglicht, ihre Wohnsituation besser an ihre individuellen Bedürfnisse anzupassen. Wohl auch deshalb sind die Menschen in Ostdeutschland heutzutage zufriedener mit ihrer Wohnsituation als vor der Wiedervereinigung. Diese Zufriedenheitsgewinne sind in allen Einkommensgruppen zu beobachten, gehen aber damit einher, dass die Bevölkerungsgruppe mit den niedrigsten Einkommen nach der Wiedervereinigung die relativ stärkste Zunahme der Mietbelastung hinnehmen musste.
Dennoch sollten diese Befunde nicht automatisch als Anlass für restriktive Eingriffe in den Wohnungsmarkt dienen. Wie die Geschichte der DDR und aktuelle Beispiele zeigen, können solche auch nicht intendierte Effekte mit sich bringen.Vgl. beispielsweise Andreas Mense, Claus Michelsen und Konstantin A. Kholodilin (2019): The effects of second-generation rent control on land values. AEA Papers and Proceedings 109, 385–388 sowie Konstantin A. Kholodilin und Sebastian Kohl (2019): Die Regulierung des Wohnungsmarkts hat weltweit zum Siegeszug des Eigenheims beigetragen. DIW Wochenbericht Nr. 38, 701–709 (online verfügbar). Aus diesem Grund sollten insbesondere Maßnahmen der Mietpreiskontrolle und der Wohnraumlenkung im Vorhinein einer sorgfältigen Abwägung unterzogen werden. Mit Blick auf steigende Mietbelastungen sollte der Staat eher auf die finanzielle Unterstützung benachteiligter Haushalte setzen, als zu versuchen, restriktiv in die Mietpreisbildung und Wohnraumlenkung einzugreifen. Ebenso sollten Bedingungen geschaffen werden, die eine schnelle Anpassung des Wohnraumangebots an die Bedürfnisse der Bevölkerung zulassen. Dies kann unter anderem durch die Ausweisung zusätzlicher Bauflächen, eine schnellere Vergabe von Baugenehmigungen, die Aufwertung von Regionen mit hohen Leerstandsquoten sowie durch eine Stärkung des sozialen Wohnungsbaus gelingen.
Themen: Regionalwirtschaft, Märkte, Immobilien und Wohnen
JEL-Classification: R21;R28;N14
Keywords: Housing market, German re-unification, housing affordability, satisfaction with dwelling
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-39-4
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/226747