Blog Marcel Fratzscher vom 14. Dezember 2020
Menschen in Minijobs haben keinerlei Anspruch auf Kurzarbeitergeld oder Arbeitslosenhilfe. Hunderttausende verlieren ihre Arbeit, die für viele der Haupterwerb ist.
Dieser Beitrag ist am 10. Dezember 2020 in der ZEIT ONLINE–Kolumne Fratzschers Verteilungsfragen erschienen. Hier finden Sie alle Beiträge von Marcel Fratzscher.
Mit der zweiten Corona-Welle werden viele Beschäftigte in den kommenden Monaten um ihren Arbeitsplatz bangen müssen. Das Kurzarbeitergeld wurde und wird in Deutschland als großer Erfolg gefeiert, da es einen deutlich stärkeren Anstieg der Arbeitslosigkeit bei sozialversicherungspflichtigen Jobs bisher verhindern konnte. Was in dieser Diskussion jedoch ignoriert wird, ist die Tatsache, dass 850.000 Minijobberinnen und Minijobber in der ersten Infektionswelle ihre Arbeit verloren haben und vielen weiteren in der zweiten Welle ein Jobverlust droht. Betroffen sind häufig Menschen, die auf das geringe Einkommen von 450 Euro im Monat angewiesen sind. Die Politik muss sich dringend um sie kümmern.
Die Pandemie offenbart eine große Schwäche des deutschen Arbeitsmarkts. Den verwundbarsten Beschäftigten, nämlich jenen in geringfügiger Beschäftigung und vor allem in Minijobs, wird kaum Schutz gewährt. Anders als bei regulären, sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen besteht in Minijobs keinerlei Anspruch auf Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld. Oft gibt es keine oder nur befristete Arbeitsverträge. Daher ist es nicht überraschend, dass in der Pandemie viele Unternehmen zuallererst Beschäftigte mit Minijob entlassen.
Laut einer Studie des DIW Berlin haben im ersten Halbjahr 2020 zwölf Prozent oder 850.000 Minijobberinnen und Minijobber ihre Arbeit verloren. Im Vergleich dazu ist die Arbeitslosigkeit bei den sozialversicherungspflichtigen Jobs lediglich um zwei Prozent oder 600.000 gestiegen. Manche Leserin oder Leser mag einwenden, Minijobs seien oft nur eine Nebentätigkeit oder würden von Studentinnen und Studenten oder älteren Menschen in Ruhestand ausgeübt. Es ist daher höchste Zeit, mit solchen falschen Wahrnehmungen aufzuräumen und die Fakten transparenter zu machen.
Die Anzahl der Minijobberinnen und Minijobber ist in Deutschland zwischen 2003 und 2019 stark gestiegen, von 5,3 Millionen auf 7,6 Millionen Menschen. Hiervon sind nur knapp drei Millionen Beschäftigte in einer Nebentätigkeit aktiv, für 4,6 Millionen dagegen handelt es sich um die Haupttätigkeit. Wenn man die Anzahl von Minijobs nicht zu einem Zeitpunkt misst, sondern über den Jahresverlauf, so waren gar 13 Millionen Menschen irgendwann im Jahr in einem solchen Beschäftigungsverhältnis.
Die Tatsache, dass viele von ihnen Studentinnen und Studenten und ältere Menschen sind, macht die Ausgangslage nicht viel besser. Denn auch sie sind häufig von den erzielten Einkommen abhängig und haben oft keine Rücklagen und andere Möglichkeiten, diese Verluste auszugleichen. Für viele Rentnerinnen und Rentner bedeutet der Wegfall des zusätzlichen Einkommens durch den Minijob einen Rückfall in die Armutsgefährdung und eine deutliche Einschränkung ihres Lebensstandards.
Zudem sind zwei Drittel der 4,6 Millionen Minijobberinnen und Minijobber in Haupttätigkeit Frauen, die in Haushalten leben, die ohnehin geringe Einkommen haben. Dies bedeutet, dass ihr Einkommen durchaus wichtig ist, um die Familie ernähren zu können und nicht in die Armut abzurutschen. Und nicht wenige, die ihren Minijob verlieren, fallen in die Erwerbslosigkeit.
Auch das Klischee, die meisten Minijobs seien in der Gastronomie zu finden, ist so nicht richtig. Sehr viele Minijobs gibt es auch in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales, also in Branchen, die gerade in dieser Pandemie eigentlich stark nachgefragt sind, aber eben auch häufig geringe Stundenlöhne zahlen.
Die Gefahr ist groß, dass nun in der zweiten Infektionswelle weitere Minijobberinnen und Minijobber ihre Arbeit verlieren und Einkommenseinbußen erfahren müssen, auch weil sie keinen Arbeitsschutz und kein Anrecht auf Kurzarbeit oder Arbeitslosengeld haben. Die Lage dürfte sich also gerade für viele Menschen mit prekären Beschäftigungsverhältnissen in den kommenden Monaten weiter verschärfen.
Daher ist es so dringend, dass die Politik sich nicht nur um den Schutz von Unternehmen, sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten und Soloselbstständigen kümmert – so notwendig diese Hilfe auch ist. Zwar wurde der Zugang zu BAföG für Studentinnen und Studenten in der Pandemie verbessert, dies reicht jedoch für viele nicht aus. Und dies hilft auch nicht den vielen Millionen anderen Minijobberinnen und Minijobbern, die keine solche Kompensation erhalten. Eine mögliche Lösung ist es, ihnen temporär ein Anrecht auf Kurzarbeitergeld zu geben, ähnlich wie dies auch für Soloselbstständige diskutiert wurde und wird. Dies könnte es für Arbeitgeber attraktiver machen, Minijobberinnen und Minijobber trotz Pandemie weiter zu beschäftigen.
Gleichzeitig sollte die Politik die Anzahl von Minijobs nach der Pandemie stark reduzieren und möglichst viele davon in sozialversicherungspflichtige und somit sozialrechtlich besser abgesicherte Tätigkeiten umwandeln, zum Beispiel, indem sie dessen Verdienstobergrenze von 450 Euro deutlich reduziert und bessere Anreize für reguläre Beschäftigungsverhältnisse setzt. Dies bedingt, dass die meisten Minijobberinnen und Minijobber brutto deutlich mehr verdienen müssten als die 450 Euro bisher, um netto ein höheres monatliche Einkommen erzielen zu können. Und dies erfordert vor allem auch höhere Stundenlöhne und bessere Arbeitsbedingungen.
Themen: Arbeit und Beschäftigung