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Griechenland: Vielversprechende Wirtschaftsstruktur in Sicht: Kommentar

DIW Wochenbericht 4 / 2021, S. 60

Alexander S. Kritikos

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Viele Hoffnungen der griechischen Bevölkerung ruhten auf dem neuen Premier Kyriakos Mitsotakis, als er 2019 an die Regierung kam. Nach zehn Jahren im Krisenmodus versprach er, das zu tun, was die Troika von seinen Vorgängerregierungen vergeblich zu erzwingen versucht hatte: nämlich Griechenland zu reformieren und auf einen stabilen Wachstumspfad zu bringen.

Corona hat diese Hoffnung scheinbar zunichte gemacht. Statt eines angestrebten Wachstums von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ist Griechenland 2020 um ein weiteres Zehntel geschrumpft. Das Land liegt damit in etwa auf dem Wohlstandsniveau zum Zeitpunkt seines Eintritts in die Eurozone. Zwar sind die Infektionszahlen in Griechenland anteilig weit niedriger als etwa in Deutschland, doch trifft die Corona-Krise das Land härter. Griechenlands Wirtschaft hängt weitaus mehr von Branchen ab, die unter den Beschränkungen litten, zuvorderst dem Tourismus. Der ist letztes Jahr um mehr als 80 Prozent eingebrochen.

Wenn Mitsotakis Glück hat, wird Griechenland zum Ende seiner geplanten Amtszeit im Sommer 2023 das BIP-Niveau zum Zeitpunkt seines Regierungsantritts erlangen. Damit einher gehen weitere negative Schlagzeilen: Die Staatsschuldenquote steigt wieder, weil die Staatseinnahmen spürbar zurückgehen und gleichzeitig die Staatsausgaben nicht unerheblich steigen.

Und trotzdem sind die Aussichten nicht so trüb, wie dies auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn die griechische Regierung hat sich durch die Corona-Krise nicht von ihrer wichtigsten Zielsetzung abbringen lassen: mehr Investitionen.

Ein wesentliches Merkmal der vergangenen zwei Dekaden war die markant niedrige Investitionsquote: Es wurde halb so viel pro Kopf investiert wie im EU-Durchschnitt. Da muss man sich nicht wundern, wenn die griechische Wirtschaft keine wettbewerbsfähigen Strukturen entwickelt hat. Genau hier will die neue Regierung ansetzen und den fälligen Strukturwandel einläuten, um konkurrenzfähiger zu werden. Dafür kommen die im Zuge der Corona-Krise für die nächsten Jahre bereitgestellten EU-Mittel in Höhe von 32 Milliarden Euro wie gerufen. Während manch anderes Land in Südeuropa noch immer öffentlichkeitswirksam über die Verwendung dieser Töpfe streitet, hat sich die griechische Regierung dieses Mal für eine konsequente Innovationsstrategie entschieden. Es sollen Projekte und Investitionen in den drei Kernthemen europäischer Zukunftspolitik angeschoben werden: im Klimaschutz und dem Ausbau erneuerbarer Energien, in der Aus- und Weiterbildung sowie in der Digitalisierung der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung.

Von diesen Investitionen kann im Land ein Innovationsschub ausgehen, der private Investitionen nach sich zieht. Auch hier gibt es bereits erste Leuchtturmprojekte. Zu nennen seien derer drei: ein Pilotprojekt auf der Insel Astypalea, auf der nur noch Elektrofahrzeuge verkehren sollen; ein deutscher Elektroautohersteller, der in Griechenland ein Joint Venture zur jährlichen Produktion von 30 000 Fahrzeugen gründen will. Und drittens Investitionen von einer Milliarde Euro zur Errichtung dreier Datenzentren für Cloud-Computing in Griechenland.

Damit diese Leuchtturmprojekte zu weiteren Investitionsaktivitäten und zu vermehrten Innovationen führen, werden die schon seit langem geforderten Strukturreformen notwendig sein: eine Justizreform zur Beschleunigung von Wirtschaftsverfahren, der Abbau der überbordenden Bürokratie, eine Vereinfachung des Steuersystems sowie die Absenkung der Lohnnebenkosten. Es bleibt zu hoffen, dass die Regierung Mitsotakis diesen wahrscheinlich schwierigsten Teil des Reformprozesses konsequent fortführt.

Zum Ende der Amtszeit der Regierung Mitsotakis mag das BIP in Griechenland zwar nur auf dem gleichen Niveau liegen wie zu Beginn seiner Amtszeit. Aber die Struktur der griechischen Wirtschaft dürfte dann eine andere, hoffentlich konkurrenzfähigere sein. Griechenland könnte aus der Pandemie als ein Land mit neuer Wirtschaftsstruktur hervorgehen, die die Basis für ein stabiles Wirtschaftswachstum bildet.

Dieser Beitrag ist am 20. Januar 2021 in der „Welt“ erschienen.

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