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Das Glück der Wenigen

Blog Marcel Fratzscher vom 8. Februar 2021

Erbschaften und Schenkungen verschärfen die Ungleichheit. Wir benötigen keine Neiddebatte, aber eine sachliche Diskussion darüber, wie wir Vermögen fairer verteilen.

Dieser Beitrag ist am 5. Februar 2021 in der ZEIT ONLINE–Kolumne Fratzschers Verteilungsfragen erschienen.

Ein großer Teil des gesamten privaten Vermögens in Deutschland ist nicht mit der eigenen Hände Arbeit erzielt worden, sondern durch Erbschaften oder Schenkungen zustande gekommen. Und diese nehmen deutlich zu, da die Nachkriegsgeneration immer mehr ihres Vermögens an Kinder und Enkelkinder weitergibt, wie eine neue Studie zeigt. Davon profitieren aber nur wenige und meist eh schon stark privilegierte Menschen in unserer Gesellschaft. Eine Erbschaft kann ein großes Glück sein, aber sie verschärft auch die Ungleichheit bei Vermögen und Chancen. Daher benötigen wir eine sachliche Diskussion zu diesem wichtigen Thema und keine Neiddebatte.

Eine neue Studie des DIW Berlin mit anderen Instituten und Universitäten unterstreicht die steigende Bedeutung von Erbschaften und Schenkungen in unserer Gesellschaft. In den vergangenen 15 Jahren hatten zehn Prozent aller Erwachsenen das Glück, eine Erbschaft oder größere Schenkungen zu erhalten. Vor allem in den letzten Jahren ist die Höhe der Erbschaften deutlich gestiegen: Betrug die durchschnittliche Erbschaft in den Jahren 1986 bis 2001 noch preisbereinigt 72.000 Euro, so stieg sie auf 85.000 Euro in den Jahren 2002 bis 2017.

Ungleiche Erbschaftsteuer

Erbschaften und Schenkungen sind zudem von der Größe her sehr ungleich verteilt. Die Hälfte aller Erbschaften beträgt weniger als 33.000 Euro. Dass dieser sogenannte Median so viel niedriger ist als der Durchschnitt, heißt, dass einige wenige große Beträge erben. Und tatsächlich erhalten zehn Prozent der Begünstigten die Hälfte aller Erbschaften und Schenkungen. Die anderen 90 Prozent teilen sich die restliche Hälfte.

Das große gesamtwirtschaftliche Bild ist dabei erstaunlich: Frühere Studien des DIW Berlin schätzen die gesamte Höhe der jährlichen Erbschaften und Schenkungen in Deutschland auf 300 bis 400 Milliarden Euro, das sind knapp zehn Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung Deutschlands. Da wundert es nicht, dass ein großer Teil der mehr als zehn Billionen Euro an privaten Vermögen in Deutschland durch Erbschaften oder Schenkungen erzielt wurde und nicht durch der eigenen Hände Arbeit.

Erstaunlich dabei ist, wie wenig der Staat über die Erbschaftssteuer davon einnimmt: jährlich zwischen sechs und sieben Milliarden Euro, also lediglich knapp zwei Prozent der gesamten Summe, die geschätzt durch Erbschaften und Schenkungen weitergereicht wird. Dies liegt vor allem an den großzügigen Ausnahmen von der Erbschaftssteuer, durch die nach wie vor große Erbschaften von Unternehmen häufig komplett steuerfrei an die nächste Generation weitergereicht werden können. So hat eine frühere Studie des DIW Berlin gezeigt, dass Bürgerinnen und Bürger, die Erbschaften zwischen 250.000 und 500.000 Euro erhalten, im Durchschnitt mehr als zehn Prozent Erbschaftssteuer zahlen, solche mit Erbschaften von mehr als 20 Millionen Euro jedoch nur knapp zwei Prozent davon an Steuern entrichten müssen. Ziel ist es, eine Substanzbesteuerung von Unternehmen zu vermeiden, um diese zu schützen.

Älter, westdeutsch und vermögend

Wer sind die Erbinnen und Erben in Deutschland? Die kurze Antwort lautet: meist Menschen, die in vielerlei Hinsicht bereits privilegiert sind. Die längere Antwort lautet: Es erben meistens Personen in der zweiten Lebenshälfte, also zwischen 55 und 74 Jahren; Menschen in Westdeutschland, die im Durchschnitt doppelt so hohe Erbschaften erhalten wie Menschen in Ostdeutschland – und solche mit hohen Einkommen: Fast 25 Prozent der Erbschaften gehen an Menschen, die zu den zehn Prozent derjenigen gehören, die die höchsten Einkommen haben. Und es sind meist Menschen, die auch ohne Erbschaften schon sehr vermögend sind: Zwei Drittel aller Erbschaften und Schenkungen gehen an Menschen, die zu den 20 Prozent derer gehören, die die größten privaten Vermögen besitzen.

Die Konsequenz ist, dass sich Erbschaften und Schenkungen extrem auf die Verteilung und die Ungleichheit von Vermögen und Einkommen auswirken. In der Debatte um solche Effekte von Erbschaften wird häufig darauf hingewiesen, dass Erbschaften und Schenkungen die Ungleichheit von Vermögen doch verringerten. Das ist richtig, wenn man die relative Ungleichheit, beispielsweise gemessen am Gini-Koeffizienten, dem gebräuchlichsten Ungleichheitsmaß, betrachtet, aber auch nicht überraschend: Meist gibt eine Person ihr Erbe an mehrere Personen weiter. Das führt schon allein mechanisch zu einer besseren Verteilung und damit zu einem geringeren Gini-Koeffizienten.

Es verschleiert aber die absolute Verteilung von Vermögen und Einkommen. Daher ist die Betrachtung der absoluten Ungleichheit, also in Euro gemessen, sehr viel relevanter. Die Vermögensdifferenz zwischen denjenigen, die erben, und denjenigen, die leer ausgehen, steigt enorm. Und da Menschen mit geringen Einkommen und kleinen Vermögen sehr viel häufiger leer ausgehen oder nur sehr geringe Summen erhalten, verändert sich für ihr Leben und ihre Zukunftsperspektive wenig.

Keine Neiddebatte

Richtig ist aber auch, dass eine Erbschaft oder eine Schenkung für viele Menschen eine große Chance bedeutet. Es kann geringe Monatseinkommen entlasten, es ermöglicht vielleicht den Immobilienkauf oder eine berufliche Neuorientierung. Es ist gut, wenn Menschen durch Erbschaften oder Schenkungen ihr Leben zum Besseren verändern können und mehr Freiheiten und Eigenverantwortung erhalten. Daher sollte es nicht um eine Neiddebatte gehen.

Die Frage sollte vielmehr lauten, wie große Erbschaften und Schenkungen fairer besteuert werden können und möglichst viele Menschen von Erbschaften und Schenkungen profitieren können, gerade in der kritischen Phase ihres Lebens wie bei der Familiengründung und beim Start ins Berufsleben. Eine gleichmäßigere Verteilung von Freibeträgen, durch die nicht nur Ehepartner und leibliche Kinder begünstigt werden, sondern – entsprechend der neuen Vielfalt an Familienformen – auch andere nahestehende Personen wie Stiefkinder oder Lebenspartnerinnen, könnte die Ungleichheit reduzieren. Oder auch die Abschaffung der Zehnjahresfrist, die es gerade Hochvermögenden erlaubt, einen Teil ihres Vermögens alle zehn Jahre steuerfrei weiterzugeben.

In früheren Kolumnen hatte ich zudem ein Lebenschancenerbe vorgeschlagen, bei dem alle jungen Menschen nach dem ersten Berufsabschluss vom Staat eine Schenkung von 30.000 Euro erhalten, mit der sie in ihre eigene berufliche und private Zukunft investieren können. Vorstellbar wäre auch eine Flat Tax bei Erbschaften, also eine gleichmäßige Besteuerung zum Beispiel von zehn Prozent, die keine Ausnahmen bei großen Vermögen, aber großzügige Freibeträge für kleine Erbschaften und Schenkungen vorsieht (die es ja auch heute schon gibt). Dies würde mehr Fairness bedeuten und helfen, dass Erbinnen und Erben sich stärker am Gemeinwohl beteiligen.

Themen: Ungleichheit

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