DIW Wochenbericht 11 / 2021, S. 174-189
Claus Michelsen, Guido Baldi, Paul Berenberg-Gossler, Geraldine Dany-Knedlik, Hella Engerer
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Das Wiederaufflammen des Pandemiegeschehens und die erneuten Lockdowns haben zwar den Erholungskurs der Weltwirtschaft abgebremst, doch die Einbußen werden insgesamt weniger gravierend sein als nach der ersten Infektionswelle im Frühjahr. Vor allem die Industrie entwickelt sich weiterhin gut. Einzelhandel und viele Dienstleistungen sind dagegen stark belastet – vor allem in besonders betroffenen Regionen wie Europa. Die finanzpolitischen Impulse federn aber einen Großteil der Verwerfungen ab. Mit steigendem Impfschutz werden ab der zweiten Jahreshälfte die meisten wirtschaftlichen Einschränkungen sukzessive wieder aufgehoben, was den privaten Konsum beleben dürfte. Das DIW Berlin hebt die Prognose aufgrund der kräftigen konjunkturellen Dynamik in den USA und China für dieses und das kommende Jahr um jeweils 0,4 Prozentpunkte an und rechnet mit einem Wachstum von 6,7 beziehungsweise 4,8 Prozent. Ihren langfristigen Wachstumspfad wird die globale Produktion wohl erst wieder Ende 2022 erreichen. Auch wenn sich durch das Brexit-Abkommen und die Abwahl des US-Präsidenten Donald Trump einige weltwirtschaftliche Unwägbarkeiten gelegt haben, bestehen weiterhin Risiken, vor allem durch erneute Infektionswellen und stark steigende Insolvenzzahlen.
Eine zweite Corona-Infektionswelle bremst seit dem Schlussquartal des vergangenen Jahres die weltwirtschaftliche Erholung aus. Nachdem sich die Weltwirtschaft im dritten Quartal um 7,9 Prozent im Vergleich zum vorherigen Vierteljahr noch kräftig erholt hatte, legte sie im vierten Quartal nur noch um 1,8 Prozent zu (Abbildung 1).
Verschärfte Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens in Europa und Nordamerika haben zu wirtschaftlichen Rückschlägen geführt (Kasten 1). Die Produktion im Euroraum schrumpfte im vierten Quartal um 0,7 Prozent. Mit einem Wachstum von rund einem Prozent verlangsamte sich die Erholung im Vereinigten Königreich und den USA. Angesichts geringer Infektionszahlen setzten Volkswirtschaften im asiatischen Raum – allen voran China – die Erholung zum Jahresende mit kräftigen Raten fort. Zwar liegt die wirtschaftliche Leistung der meisten Volkswirtschaften zum Jahresende 2020 wieder knapp unter oder bereits auf dem Vorkrisenniveau. Bis aber der langfristige Wachstumspfad wieder erreicht wird, muss die Produktion nochmals um ein Drittel zulegen.
Nach der ersten Welle der Pandemie im Frühjahr 2020 ist im Herbst die Sieben-Tage-Inzidenz weltweit erneut gestiegen.Die offiziell gemeldete Zahl an Infektionen ist von verschiedenen Faktoren abhängig, darunter auch von den Testungen. Nach Angaben des European Centre for Disease Prevention and Control variierte in der EU die Anzahl der Testungen in der 7. Kalenderwoche 2021 zwischen 836 in Polen und 24195 pro 100000 Personen in Zypern. Grundsätzlich wird in fortgeschrittenen Volkswirtschaften mehr getestet als in ärmeren Regionen der Welt, so dass insbesondere in vielen Entwicklungsländern die Infektionszahlen unterschätzt sein dürften. Eine zweite Welle erreichte zu den Weihnachtsfeiertagen einen ersten Höhepunkt mit knapp 60 Fällen pro 100000 Personen (Abbildung 1). Ein zweiter Höhepunkt war Mitte Januar 2021 zu beobachten. Bis Anfang März 2021 hat sich die Sieben-Tage-Inzidenz global halbiert.
Vor allem das Pandemiegeschehen in fortgeschrittenen Volkswirtschaften treibt die weltweiten Inzidenzen in die Höhe. In Europa, hier vor allem im Vereinigten Königreich und in Irland, kam es im Herbst zu einem rasanten Anstieg der Sieben-Tage-Inzidenzen. In den USA war ein erster Gipfel von über 500 Fällen pro 100000 Personen vor Weihnachten erreicht; Mitte Januar folgte ein zweiter Höhepunkt mit einer Sieben-Tages-Inzidenz von 530. Der Wert ist bis Ende Februar in den USA und in der EU stark gesunken und hat sich bei rund 100 eingependelt. Im Unterschied hierzu kam es in Asien bislang zu keiner ausgeprägten zweiten Welle. Zumeist lagen die Sieben-Tage-Inzidenzen unter 50 Fällen pro 100000 Personen.
Nach dem raschen Rückgang im Januar und Februar zieht die weltweite Sieben-Tage-Inzidenz seit Anfang März wieder an, wenn auch bislang moderat. Vor allem in Europa steigen mit der Verbreitung von Virusmutationen die Neuinfektionen wieder. Besonders dramatisch ist die Lage in Tschechien mit 780 Fällen pro 100000 Personen (Stand Anfang März 2021). Eine dritte Infektionswelle ist daher in vielen europäischen Ländern sehr wahrscheinlich, insbesondere auch deshalb, weil sich der Impfschutz nur langsam aufbaut.
Mit steigenden Inzidenzen haben die europäischen Länder die Eindämmungsmaßnahmen seit Herbst wieder verschärft (Abbildung 2). Seit Oktober letzten Jahres wurde im Vereinigten Königreich und vielen EU-Ländern der Besuch von Schulen und Betreuungseinrichtungen wieder stärker bis vollständig eingeschränkt; viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind aufgefordert, von zu Hause aus zu arbeiten. Die privaten Kontakte und der Bewegungsradius wurden mit unterschiedlichen Ausgangsbeschränkungen reduziert. Der Umfang der einzelnen Eindämmungsmaßnahmen war nur zum Teil vergleichbar mit dem Niveau vom Frühjahr letzten Jahres. Angesichts der in einigen Ländern steigenden Inzidenzwerte sind neuerliche Einschränkungen in diesem Frühjahr wahrscheinlich.
Im Unterschied zu vielen europäischen Volkswirtschaften wurden die Eindämmungsmaßnahmen in den USA hauptsächlich dezentral von den jeweiligen Bundesstaaten verhängt. Insgesamt wirken sie weniger strikt als in den europäischen Ländern. Dies legen auch weltweite Mobilitätsdaten nahe (Abbildung 3).
Trotz leicht steigender Infektionszahlen wurden in den meisten südamerikanischen Ländern die Infektionsschutzmaßnahmen bislang kaum verändert. Ähnlich ist es in den meisten asiatischen Ländern. So sind die genannten Eindämmungsmaßnahmen in Japan bei vergleichsweise geringen Fallzahlen wenig restriktiv oder wurden sogar ganz aufgehoben; dafür wurde die Einreise stark kontrolliert.
Die Auswirkungen der Eindämmungsmaßnahmen lassen sich aufgrund der regionalen und nationalen Unterschiede schwer pauschal einordnen. Bei der Einschätzung können Google-Mobilitätsdaten helfen. Diese zeigen, dass die zweite Infektionswelle – beginnend im letzten Herbst – die weltweite Mobilität zwar wieder sinken ließ, allerdings weitaus weniger, als es noch während der ersten Welle im Frühjahr 2020 der Fall war (Abbildung 3). Ähnlich wie in der ersten Welle sank auch in der zweiten Welle die Mobilität im Bereich der Freizeitgestaltung, des Einzelhandels und teilweise des Reiseverkehrs. Im Unterschied zum Frühjahr 2020 verringerte sich die Mobilität in diesen Bereichen vor allem in fortgeschrittenen Volkswirtschaften, insbesondere in Europa und Amerika. Weniger betroffen als während der ersten Welle scheint die Arbeitsplatzmobilität zu sein, die seit dem Sommer 2020 – mit Ausnahme der Feiertage über den Jahreswechsel – auf einem konstanten Niveau unterhalb ihres langfristigen Durchschnitts liegt. Dies deutet darauf hin, dass Unternehmen und Beschäftigte sich besser auf die Pandemielage eingestellt und auf eine weitere Infektionswelle vorbereitet haben. Insbesondere im verarbeitenden Gewerbe kam es bislang nicht zu Produktionsstopps, Unterbrechung von Lieferketten und entsprechenden Rücksetzern in der Wertschöpfung.
Die Unterschiede in der Mobilität stehen in Zusammenhang mit den Eindämmungsmaßnahmen. Seit Herbst letzten Jahres ist die Mobilität in Ländern wie Japan oder Brasilien, die entweder ein anhaltend geringes Infektionsgeschehen oder nur lockerere Infektionsschutzmaßnahmen aufweisen, kaum oder gar nicht gesunken. Hingegen verringerte sich die Mobilität in den meisten europäischen Ländern im Zuge der verschärften Einschränkungen merklich. In den Vereinigten Staaten, die trotz sehr hoher Sieben-Tage-Inzidenzen die Infektionsschutzmaßnahmen bei landesweiter Betrachtung kaum verschärften, ging die Mobilität nur geringfügig zurück.
Bis Ende Februar 2021 haben knapp zwei Prozent der Weltbevölkerung eine erste Dosis mit einem Covid-19-Impfstoff erhalten. Derzeit werden Impfstoffe eingesetzt, die erst (einige Wochen) nach Verabreichung einer zweiten Impfdosis den vollen Impfschutz entfalten. Allerdings deuten bisherige Studien darauf hin, dass bereits nach Verabreichung der ersten Dosis ein gewisser Impfschutz aufgebaut wird, der Fälle mit schwerem Krankheitsverlauf und einer Hospitalisierung mindert.Untersucht wurde die Effektivität des Biontech-Pfizer-Impfstoffs unter erwachsenen TeilnehmerInnen der israelischen Impfkampagne. Vgl. Noa Dagan et al. (2021): BNT162b2 mRNA Covid-19 Vaccine in a Nationwide Mass Vaccination Setting. The New England Journal of Medicine, 24. Februar (online verfügbar). Ab welchem prozentualen Anteil geimpfter Personen an der Gesamtbevölkerung Neuinfektionen und Hospitalisierungen reduziert werden, ist noch nicht gesichert. Klar scheint aber zu sein, dass sich gerade in den vulnerablen Gruppen, die meist priorisiert geimpft wurden, das Infektionsgeschehen erheblich reduziert.
Weltweit führend mit Impfungen ist Israel, wo rund 56 Prozent der Bevölkerung eine erste Dosis und 44 Prozent eine zweite Dosis erhalten haben (Stand 11. März 2021). Neben Israel kommen die Impfungen im Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten besonders schnell voran. Im Vereinigten Königreich haben 34 Prozent der Bevölkerung die erste Impfdosis erhalten.Um möglichst rasch vielen Personen eine Erstimpfung zu verabreichen, wurde das Intervall bis zur Verabreichung der zweiten Dosis verlängert. Den vollen Impfschutz haben daher bislang nur etwas mehr als zwei Prozent der Bevölkerung (Stand Ende Februar). Vgl. Jedidajah Otte (2021): Nearly 20m receive first dose of Covid vaccine in the UK. The Guardian vom 27. Februar (online verfügbar, abgerufen am 11. März) In den USA erreicht die Impfung bei der ersten Dosis 18 Prozent und bei der zweiten Dosis zehn Prozent.Vgl. den Covid Data Tracker auf der Website der Centers for Disease Control and Prevention. In der EU verlaufen die Impfungen bislang schleppend. Hier sind im Durchschnitt etwa sieben Prozent der Bevölkerung mit der ersten Dosis geimpft. Auch in den meisten südamerikanischenEine Ausnahme bildet Chile mit einer Quote von über 17 Prozent der Bevölkerung. Das Land hat früh verschiedene Impfstoffe geordert. Zudem hat das chilenische Gesundheitssystem Erfahrungen mit Massenimmunisierungen. Bereits im Juni 2021 sollen 80 Prozent der Bevölkerung geimpft sein. sowie asiatischen Ländern und vor allem in Afrika sind die Impfquoten zumeist gering.Für China liegen keine Daten vor. Anfang Februar sollen 40,5 Millionen Dosen verabreicht worden sein. Dies entspräche einer Impfquote von unter drei Prozent.
Die Verfügbarkeit der bereits zugelassenen Impfstoffe wird sich mit Ausweitung der Produktionskapazitäten weiter verbessern. Weitere Impfstoffe stehen vor der Zulassung, unter anderem in den USA und der EU. Dabei werden mehr Impfstoffe auf den Markt kommen, bei denen eine einzige Dosis ausreicht und die zudem weniger stark gekühlt werden müssen als die zuerst zugelassenen mRNA-Impfstoffe. Dies dürfte das Impfgeschehen weltweit beschleunigen. Eine Herausforderung bleibt es, Menschen in entlegenen Gebieten zu erreichen. Eine globale Aufgabe wird es sein, ausreichend Impfstoffe auch in ärmeren Regionen zur Verfügung zu stellen.
In der ersten Jahreshälfte dürfte das Infektionsgeschehen in Europa und Amerika den weltwirtschaftlichen Erholungsprozess trotz des Aufbaus eines Impfschutzes weiterhin bremsen. Nach einem kontinuierlichen Rückgang der Neuinfektionen zu Jahresbeginn steigen die Zahlen seit Ende Februar in vielen europäischen Ländern wieder an. Eine dritte Infektionswelle samt erneuter Verschärfung der Eindämmungsmaßnahmen in der ersten Jahreshälfte sind hier wahrscheinlich. Auch in den USA sinken die Neuinfektionen derzeit nicht mehr, sondern bleiben auf einem konstanten, aber weiterhin recht hohen Niveau. Die Ausbreitung verschiedener Virusmutationen lässt die Infektionszahlen auch in anderen Regionen, insbesondere Südamerika, wieder steigen.
In vielen Volkswirtschaften haben Impfprogramme bereits begonnen, aber laufen – meist wegen bestehender Impfstoffknappheiten – eher schleppend an. So ist in den größten Volkswirtschaften nicht mit einem flächendeckenden Impfschutz vor Ende der ersten Jahreshälfte zu rechnen. Bis dahin dürften das Infektionsgeschehen und die Eindämmungsmaßnahmen weiterhin auf dem Einzelhandel und personennahen Dienstleistungen in den betroffenen Regionen lasten. Dies wird den weltwirtschaftlichen Aufschwung zunächst bremsen.
Die wirtschaftlichen Einbußen der aktuellen Infektionswelle dürften im Vergleich zum Frühjahr des vergangenen Jahres allerdings deutlich geringer ausfallen. Zum einen konzentriert sich das aktuelle Infektionsgeschehen bislang hauptsächlich auf zwei Regionen – Europa und Nordamerika –, zum anderen legt die industrielle Wertschöpfung selbst in diesen Regionen deutlich zu und scheint kaum vom Infektionsgeschehen beeinträchtigt zu sein. Entsprechend entwickeln sich vielerorts auch die Unternehmensinvestitionen und der Handel von Industriegütern solide. Insbesondere der sich fortsetzende Aufschwung in asiatischen Ländern dürfte die Produktion in der Industrie, vor allem im verarbeitenden Gewerbe, weiterhin begünstigen und den Welthandel stärken.
Ab Sommer dieses Jahres dürfte mit ausreichendem Impfschutz der Aufschwung in den großen Volkswirtschaften kräftig an Fahrt gewinnen. Dabei liegt der Prognose die Annahme zugrunde, dass die derzeitigen wirtschaftlichen Einschränkungen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens bis zum Sommer dieses Jahres nur geringfügig reduziert werden. Mit einem ausreichenden Impfschutz werden die Infektionsschutzmaßnahmen in der zweiten Jahreshälfte 2021 schrittweise reduziert, so dass zum Jahresende nur noch wenige gesetzliche Vorgaben und freiwillige Verhaltensänderungen die Wirtschaft beeinträchtigen. Im Jahr 2022 werden sich die Einschränkungen in den meisten Volkswirtschaften auf wenige sektorale und regionale Maßnahmen begrenzen.
Zusätzliche finanzpolitische Impulse dürften neben der äußerst lockeren Geldpolitik die Erholung in den kommenden Jahren stützen. Zum Jahreswechsel beschlossen viele Regierungen weitere finanzpolitische Hilfspakete. So verabschiedete die US-Regierung seit Dezember zwei Hilfspakete im Umfang von rund 2,8 Billionen Dollar, was rund 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der USA des Jahres 2020 entspricht. Dieser finanzpolitische Impuls stärkt die Wachstumsaussichten in den Vereinigten Staaten erheblich. Auch einige europäische Länder stockten beschlossene finanzpolitische Pakete auf, wenn auch in geringerem Umfang als die USA. Zusätzliche finanzpolitische Direktmaßnahmen dürften aktuelle Verluste der Unternehmen und Einkommenseinbußen der privaten Haushalte teilweise kompensieren und so längerfristige Verwerfungen verhindern.
Viele Konjunkturhilfen enthalten zudem investitionsfördernde Maßnahmen, um den Erholungsprozess in den kommenden Jahren anzukurbeln. Beispielsweise entfällt in Japan die Hälfte der beschlossenen Konjunkturhilfen – rund drei Prozent des japanischen Bruttoinlandsprodukts – auf Investitionen im Bereich Digitalisierung und Dekarbonisierung. Auch ein Großteil des Europäischen Wiederaufbaufonds, der rund sechs Prozent der Wirtschaftsleistung der EU umfasst, ist auf die Förderung von Unternehmensinvestitionen ausgerichtet. Neben der Finanzpolitik dürften die weiterhin günstigen Finanzierungsbedingungen und eine robuste Entwicklung der Industrieproduktion die Unternehmensinvestitionen vielerorts stützen.
Der private Verbrauch bleibt hingegen zunächst gebremst. Das liegt zum einen am Infektionsgeschehen in wirtschaftlich wichtigen Regionen, aber auch an Einkommenseinbußen der Haushalte und deren anhaltenden Verunsicherung über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung. Dies spiegelt sich in den vielerorts hohen Sparquoten wider. Der Wegfall der wirtschaftlichen Einschränkungen in den derzeit besonders betroffenen Regionen dürfte den Konsum der Haushalte deutlich beleben, da ein Teil des Verbrauchs wohl nachgeholt werden wird. Ein ausreichender Impfschutz und weniger Angst vor neuen Infektionswellen dürften dem privaten Verbrauch zusätzlich Schwung verleihen und die Sparquoten senken.
Der Arbeitsmarkt dürfte sich in vielen Volkswirtschaften nur schleppend erholen. Bis zum Jahreswechsel konnten die Beschäftigungsverluste aus dem letzten Frühjahr in den meisten Ländern nur etwa zur Hälfte aufgeholt werden (Abbildung 2). In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften sinken die Arbeitslosenquoten zwar weiterhin, liegen aber meist noch deutlich über dem Vorkrisenniveau. Sollten Soforthilfen für Unternehmen, beispielsweise Kurzarbeitergeld, kurzfristig beendet werden, ist auch mit einem erneuten Anstieg der Arbeitslosigkeit zu rechnen. Die nur allmähliche Erholung auf den Arbeitsmärkten wird in vielen Volkswirtschaften wohl auch die Lohnentwicklung belasten. So dürfte – trotz zuletzt gestiegener Energiepreise – die Verbraucherpreisinflation in den meisten Wirtschaftsräumen nur moderat steigen.
Die Corona-Pandemie ließ die Weltwirtschaft im vergangenen Jahr um rund 2,7 Prozent schrumpfen. Aufgrund der kräftigen Erholung der asiatischen Region, insbesondere der chinesischen Volkswirtschaft, fällt das Minus rund 0,7 Prozentpunkte geringer aus als zuletzt vom DIW Berlin erwartet (Tabelle). Das Wiederaufflammen des Pandemiegeschehens in Europa und den USA hat die weitere Erholung verlangsamt, in der zweiten Jahreshälfte 2021 wird sich wohl der Aufschwung mit kräftigen Zuwachsraten fortsetzen. Ihren langfristigen Wachstumspfad dürfte die globale Produktion damit erst zum Ende des Prognosezeitraums erreichen. Insbesondere aufgrund des unerwartet kräftigen Aufschwungs in China und der besseren Wachstumsaussichten der USA hebt das DIW Berlin seine Prognose um jeweils 0,4 Prozentpunkte für die Jahre 2021 und 2022 an. So rechnet das Institut mit Wachstumsraten von 6,7 Prozent und 4,8 Prozent in diesem und im kommenden Jahr.
In Prozent
Bruttoinlandsprodukt | Verbraucherpreise | Arbeitslosenquote in Prozent | ||||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent | ||||||||||||
2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | |
Euroraum | 1,3 | −6,8 | 3,4 | 4,2 | 1,3 | 0,1 | 1,6 | 1,2 | 7,5 | 8,1 | 9,2 | 8,1 |
ohne Deutschland | 1,6 | −7,5 | 3,6 | 4,4 | 1,2 | −0,1 | 1,3 | 1,1 | 9,5 | 9,8 | 11,4 | 10,1 |
Frankreich | 1,5 | −8,3 | 4,4 | 4,4 | 1,1 | 0,5 | 1,2 | 1,1 | 8,5 | 8,2 | 9,8 | 8,5 |
Italien | 0,3 | −8,9 | 3,0 | 3,9 | 0,7 | −0,2 | 1,0 | 0,9 | 9,9 | 8,9 | 10,3 | 9,7 |
Spanien | 2,0 | −11,0 | 5,1 | 5,8 | 0,7 | −0,3 | 1,0 | 1,1 | 14,0 | 16,2 | 18,6 | 16,0 |
Niederlande | 1,6 | −3,8 | 2,2 | 3,0 | 2,6 | 1,1 | 1,6 | 1,6 | 3,4 | 3,8 | 5,7 | 5,3 |
Vereinigtes Königreich | 1,4 | −9,9 | 4,7 | 6,5 | 1,7 | 1,0 | 1,8 | 2,4 | 3,8 | 4,5 | 6,5 | 6,1 |
USA | 2,2 | −3,5 | 6,7 | 3,5 | 1,9 | 1,2 | 2,6 | 2,1 | 3,6 | 7,5 | 5,3 | 4,0 |
Japan | 0,3 | −4,9 | 2,9 | 1,8 | 0,5 | −0,1 | −0,3 | 0,9 | 2,4 | 2,8 | 3,0 | 2,6 |
Südkorea | 2,0 | −0,9 | 3,3 | 3,1 | 0,4 | 0,5 | 1,2 | 1,4 | 3,8 | 4,0 | 4,1 | 3,7 |
Mittel- und Osteuropa | 4,1 | −3,7 | 4,0 | 4,7 | 2,7 | 3,1 | 3,3 | 3,1 | 3,3 | 3,7 | 4,2 | 3,7 |
Türkei | 1,0 | 1,6 | 4,9 | 3,0 | 15,2 | 12,3 | 13,1 | 11,0 | 13,7 | 14,0 | 14,3 | 13,3 |
Russland | 1,3 | −3,1 | 2,9 | 2,9 | 4,5 | 3,4 | 4,3 | 4,1 | 4,6 | 5,8 | 5,6 | 4,9 |
China | 6,2 | 2,5 | 8,9 | 5,8 | 2,4 | 3,4 | 2,1 | 3,0 | 4,1 | 4,1 | 4,1 | 4,1 |
Indien | 4,7 | −8,2 | 8,9 | 7,4 | 3,7 | 6,6 | 3,8 | 3,6 | ||||
Brasilien | 1,4 | −5,0 | 3,0 | 2,0 | 3,8 | 3,3 | 4,7 | 3,5 | 11,9 | 13,8 | 14,1 | 13,3 |
Mexiko | 0,0 | −8,7 | 3,5 | 2,0 | 3,4 | 3,4 | 3,6 | 3,2 | 3,5 | 4,6 | 5,9 | 4,5 |
Fortgeschrittene Volkswirtschaften | 1,7 | −4,8 | 5,1 | 3,7 | 1,5 | 0,7 | 1,9 | 1,7 | 4,5 | 6,6 | 6,0 | 5,0 |
Schwellenländer | 4,6 | −1,5 | 7,6 | 5,5 | 3,6 | 4,5 | 3,6 | 3,8 | 5,2 | 5,5 | 5,7 | 5,4 |
Welt | 3,5 | −2,7 | 6,7 | 4,8 | 2,8 | 3,1 | 2,9 | 3,0 | 4,9 | 6,0 | 5,8 | 5,2 |
Quellen: Nationale statistische Ämter; DIW Frühjahrsgrundlinien 2021.
Durch das nun abgeschlossene Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und dem Vereinigten Königreich sowie den endgültigen Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Joe Biden haben sich die abwärtsgerichteten Unsicherheiten zuletzt etwas gemindert. Dennoch bleibt die Prognose insgesamt mit überwiegend negativen Risiken behaftet, insbesondere aufgrund anhaltender Unwägbarkeiten bezüglich des weiteren Pandemieverlaufs, des Auftretens von Virusmutationen und der Wirksamkeit der vorhandenen Impfstoffe.
Trotz Eindämmungsmaßnahmen und Impfkampagnen könnte es zu weiteren unkontrollierten Anstiegen der regionalen, aber auch weltweiten Neuinfektionen kommen, insbesondere wenn die Virusmutationen sich rasant ausbreiten. Dies wiederum würde schärfere Einschränkungen notwendig machen und dürfte den Wirtschaftsaufschwung dann weiter ausbremsen. Auch könnten Verzögerungen bei Impfungen die Hoffnung auf ein relativ schnelles Ende der Pandemie dämpfen und das Vertrauen schwächen.
Ein weiteres Risiko besteht darin, dass die Unternehmens- und Privatinsolvenzen insbesondere durch weiterhin anhaltende (Teil-) Lockdowns stark steigen. Dies könnte zu erheblichen Kreditausfällen führen und im Zuge dessen die Finanzmärkte destabilisieren, was auch die Solvenz etlicher Staaten gefährden kann. Den globalen Aufschwung hingegen stärken würden eine schnellere Verteilung von Impfstoffen und eine effektivere Wirksamkeit von Therapien gegen Covid-19.
In den Vereinigten Staaten stieg die Wirtschaftsleistung im vierten Quartal 2020 um ein Prozent gegenüber dem Vorquartal (annualisiert 4,1 Prozent). Die Erholung nach dem Einbruch im ersten Halbjahr setzte sich somit deutlich abgeschwächt fort; im dritten Quartal hatte das Bruttoinlandsprodukt noch um 7,5 Prozent (annualisiert 33,4 Prozent) zugelegt. Die bereits seit dem Herbst steigenden Corona-Neuinfektionen erreichten Mitte Januar ihren Höhepunkt. Die Infektionsschutzmaßnahmen waren etwas strikter als im Spätsommer (Kasten 1) und belasteten im vierten Quartal vor allem personennahe Dienstleistungen. Die Industrieproduktion legte hingegen mit soliden Raten zu.
Die US-Wirtschaft startete mit Schwung in das neue Jahr. Die Industrieproduktion und die Einzelhandelsumsätze stiegen im Januar merklich. Auch die Einkaufsmanagerindizes setzten ihren Aufwärtstrend oberhalb der Expansionsschwelle von 50 Indexpunkten fort. Diese Entwicklungen dürften auch auf das Ende Dezember beschlossene Hilfs- und Stimulierungspaket im Umfang von 900 Milliarden Dollar zurückzuführen sein, das unter anderem Einmalzahlungen an Personen mit geringem und mittlerem Einkommen in Höhe von 600 Dollar sowie eine Erhöhung der Arbeitslosenunterstützung beinhaltet. Zudem ist das Impfprogramm im internationalen Vergleich gut angelaufen und dürfte die Zuversicht auf ein allmähliches Abflauen der Pandemie erhöhen. Auch die politische Unsicherheit hat sich mit dem neuen Präsidenten verringert. Allerdings konnten die günstigeren wirtschaftlichen Aussichten die Stimmung der KonsumentInnen noch nicht verbessern.
Kräftigen Rückenwind bekommt die US-Wirtschaft nun durch das im März beschlossene neue Hilfspaket, das einen Umfang von rund 1,9 Billionen Dollar – also rund neun Prozent des Bruttoinlandsprodukts – hat. Wichtige Bestandteile sind weitere Einmalzahlungen von 1400 Dollar an Personen mit niedrigem und mittlerem Einkommen sowie die Verlängerung der höheren Arbeitslosenunterstützung bis September. Auch aufgrund der Hilfsprogramme dürften die Schulden in diesem Jahr auf etwa 108 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Die sehr expansive Finanzpolitik und die schrittweisen Lockerungen der Eindämmungsmaßnahmen werden den privaten Konsum in den kommenden Quartalen massiv stimulieren. Die finanzpolitischen Impulse dürften auch die Lage auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Im Februar lag die Arbeitslosenquote immer noch bei 6,2 Prozent, nachdem sie von 3,5 Prozent im Februar auf 14,7 Prozent im April 2020 stark zugelegt hatte. Das tatsächliche Ausmaß der Arbeitslosigkeit wird durch die amtliche Arbeitslosenquote allerdings um wohl mindestens zwei Prozentpunkte unterschätzt.Vgl. Jason Furman und Wilson Powell III (2021): Unemployment continues to fall but workers still not returning to the labor force. Peterson Institute for International Economics (online verfügbar, abgerufen am 5. März 2021).
Vor dem Hintergrund einer kräftigen Konsumnachfrage und einer allmählich zulegenden Auslandsnachfrage werden sich auch die Investitionen der Unternehmen merklich erhöhen. Die Finanzierungsbedingungen der Unternehmen werden wohl etwas weniger günstig sein als im vergangenen Jahr, stützen aber weiterhin die Investitionsneigung der Unternehmen.
Die Geldpolitik wird expansiv ausgerichtet bleiben – auch weil die Zentralbank aufgrund ihrer überarbeiteten geldpolitischen Strategie ein moderates Überschießen der Inflationsrate über das durchschnittliche Inflationsziel von zwei Prozent zulassen wird. Im laufenden Jahr dürfte die Inflationsrate vorübergehend auf über zwei Prozent steigen. Es ist damit zu rechnen, dass die US-Notenbank im Laufe des kommenden Jahres beginnen wird, ihre Geldpolitik allmählich weniger expansiv auszurichten. Alles in allem wird die US-Wirtschaft im laufenden Jahr wohl um 6,7 Prozent zulegen. Im Jahr 2022 dürfte die Wachstumsrate bei 3,5 Prozent liegen (Abbildung 3).
In Japan legte das Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal 2020 deutlich um 2,8 Prozent im Vergleich zum Vorquartal zu, nachdem bereits die Erholung im dritten Quartal mit einer Wachstumsrate von 5,3 Prozent kräftig gewesen war. Zum Jahresende stützte neben einer starken Binnennachfrage vor allem der Außenhandel das Wachstum: Die Exporte legten um 11,1 Prozent zu. Da die Importe lediglich um 4,1 Prozent stiegen, weitete sich der Handelsbilanzüberschuss deutlich aus.
Die japanische Wirtschaft dürfte im ersten Quartal des laufenden Jahres etwas schrumpfen, da es im Winter zu höheren Corona-Fallzahlen kam und die Eindämmungsmaßnahmen etwas verschärft wurden. Insbesondere wurden die Menschen aufgefordert, zu Hause zu bleiben und wenn möglich auf Heimarbeit umzustellen. Dies dürfte den privaten Konsum dämpfen. Darauf deuten auch die im Januar rückläufigen Einzelhandelsumsätze und die verschlechterte Konsumentenstimmung hin. Zuletzt hellte sich die Zuversicht der KonsumentInnen wieder etwas auf. Auch die Stimmung der japanischen Unternehmen hat sich im Winter etwas verbessert. Gestützt wird die wirtschaftliche Entwicklung weiterhin von der kräftigen Auslandsnachfrage, vor allem aus China und den USA. Die Industrieproduktion hat im Januar weiter zugelegt und dürfte somit den Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im ersten Quartal begrenzen.
Ab dem zweiten Quartal dürfte die japanische Wirtschaft wieder deutlich zulegen und ihre Erholung fortsetzen. Steigender Impfschutz und gelockerte Eindämmungsmaßnahmen werden die japanische Binnennachfrage im Laufe dieses Jahres stärken.Ein geringer Impuls für die Binnennachfrage ist auch von den voraussichtlich stattfindenden Olympischen Sommerspielen zu erwarten. Pandemiebedingt werden nur wenige ausländische Gäste einreisen; die Exporte und der private Konsum werden so nur wenig stimuliert. Zudem wird wohl die expansive Geld- und Finanzpolitik den Erholungsprozess weiterhin stützen. Die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen werden günstig bleiben und die Investitionstätigkeit anregen.
Weitere Impulse für Unternehmensinvestitionen stellen zudem noch die im Winter des letzten Jahres zusätzlich beschlossenen Finanzhilfen dar. Das im Dezember 2020 beschlossene umfangreiche Programm ist weniger als die vorherigen Pakete auf die kurzfristige Stimulierung der Wirtschaft ausgerichtet, sondern beinhaltet vor allem langfristige Maßnahmen im Bereich der Digitalisierung sowie der Förderung „grüner“ Energiequellen, was insbesondere Unternehmensinvestitionen ankurbeln dürfte. Dies erhöht zwar die Staatsverschuldung von 238 Prozent Ende 2019 auf voraussichtlich nun 264 Prozent, wovon der Großteil aber im Inland gehalten wird, Nach einem pandemiebedingt eher schwachen Jahresauftakt dürfte sich der Erholungsprozess des privaten Verbrauchs im weiteren Prognoseverlauf fortsetzen. Nicht nur die zusätzlichen finanzpolitischen Maßnahmen, sondern auch eine verbesserte Lage auf dem Arbeitsmarkt dürften die Einkommen der Haushalte stärken. Trotz des Wirtschaftseinbruchs hat sich die amtliche Arbeitslosenquote seit dem Ausbruch der Pandemie nur wenig von 2,2 Ende 2019 auf 3,1 Prozent im Oktober 2020 erhöht; das staatliche Kurzarbeiterprogramm hat einen stärkeren Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindert. Im Januar 2021 lag die Arbeitslosenquote sogar nur noch bei 2,9 Prozent.
Der zuletzt etwas gefallene Außenwert des Yens dürfte den Verbraucherpreisen Auftrieb verleihen. Zusammen mit einer vorerst schleppenden Lohnentwicklung wird dies wohl nicht ausreichen, um das Zwei-Prozent-Inflationsziel der japanischen Notenbank zu erreichen. Angesichts einer wachsenden Auslandsnachfrage im Zuge der globalen wirtschaftlichen Erholung und eines niedrigen Außenwertes des Yen dürften sich die Exporte weiter kräftig erhöhen. Durch den milden Verlauf der zweiten Infektionswelle und die zusätzlichen wirtschaftspolitischen Stimuli bleibt die japanische Wirtschaft auf Erholungskurs. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte im laufenden Jahr wohl um 2,9 Prozent zulegen. Im Jahr 2022 dürfte die Wachstumsrate bei 1,8 Prozent liegen (Abbildung 4).
Das Bruttoinlandsprodukt Chinas hat im vierten Quartal 2020 um 2,6 Prozent zugelegt. Das Wachstum wurde vor allem durch weiterhin sehr starke Exporte und eine expansive Wirtschaftspolitik mit überwiegend nachfragestimulierenden Maßnahmen in Höhe von 4,7 Prozent des BIP seit Anfang 2020 getrieben.Über diese fiskalpolitischen Maßnahmen hinaus hat China auch unkonventionellere Maßnahmen, zum Beispiel eine angeordnete Senkung der Strompreise um fünf Prozent, durchgeführt. IWF (2021): Database of Fiscal Policy Responses to COVID-19 (online verfügbar, abgerufen am 9. März 2021) Die anhaltend starke weltweite Nachfrage nach Gütern im medizinischen Bereich, vor allem Gesichtsmasken oder andere Schutzausrüstung, und nach digitalen Produkten für Home Offices stützt die chinesischen Exporte.
Binnenkonsum und Importe hinken hingegen noch etwas hinterher. Seit November 2020 ist die Stimmungslage der KonsumentInnen fast wieder auf Vorkrisenniveau, auch wenn die Kfz-Verkaufszahlen seit Dezember wieder leicht sinken. Die Industrieproduktion und der Einzelhandel sind bereits wieder zum Vorkrisenniveau zurückgekehrt.
Angetrieben durch die weltweite Nachfrage nach chinesischen Gütern und die expansive Wirtschaftspolitik wird das Wachstum in den ersten zwei Quartalen 2021 weiterhin stark zulegen. Die chinesische Industrie konnte bis jetzt die Produktion von im Ausland dringend benötigten Gütern steigern. Sobald die Pandemie nachlässt und die nationale Produktion der derzeitigen Hauptabnehmerländer anspringt, wird die weltweite Nachfrage nach Medizinprodukten zwar zurückgehen. Gleichzeitig dürfte aber auch die Weltwirtschaft wieder wachsen, was die Exporte anderer in China hergestellter Güter antreiben wird. Da jedoch auch die Effekte der derzeit sehr expansiven Politikmaßnahmen auslaufen dürften, ist mit niedrigeren Wachstumszahlen im dritten und vierten Quartal 2021 zu rechnen.
Alles in allem wird das chinesische Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal 2021 nochmals um 1,5 Prozent im Vergleich zum Vorquartal zunehmen. Über das Jahr dürften die Wachstumsraten dann schrittweise auf unter ein Prozent zurückkehren. Für das gesamte Jahr 2021 dürfte Chinas Wachstum bei beeindruckenden 8,9 Prozent liegen, die aber vor allem durch die schwache Vergleichszahl des Jahres 2020 begründet sind. Im kommenden Jahr dürfte sich das Wachstum der chinesischen Wirtschaft wieder etwas auf 5,8 Prozent verlangsamen (Abbildung 5).
Neben den pandemiebedingten Risiken gibt es für die chinesische Volkswirtschaft weitere strukturelle Unwägbarkeiten. So könnte sich wegen der hohen Schulden im Unternehmenssektor ein abruptes Ende der bislang guten Wirtschaftszahlen in Insolvenzen niederschlagen. Auch Chinas Bankenaufsichtsbehörde hat bereits gewarnt, dass faule Kredite rasch zunehmen könnten. Viele ImmobilieninvestorInnen sind stark verschuldet, die Wohnungspreise sind im Verhältnis zu den Einkommen sehr hoch und viele Wohnungen werden zu Investitionszwecken gekauft. Eine Korrektur der Wohnungspreise würde Bauträger und KreditnehmerInnen in Schwierigkeiten bringen. Die Regierung musste seit 2019 bereits eine Reihe von Banken retten und das Ende der Fahnenstange scheint noch nicht erreicht. Ein abrupter Abschwung der chinesischen Wirtschaft, zum Beispiel aufgrund eines neuen Ausbruchs des Corona-Virus, würde somit die Finanzmarktrisiken deutlich erhöhen.
Ein anderes Risiko liegt in einer Verschlechterung der internationalen Beziehungen Chinas. So deutet auch unter dem neuen US-Präsidenten Joe Biden wenig auf eine Verbesserung des Verhältnisses zu den Vereinigten Staaten hin. Der Handelsstreit schwelt auch nach der Unterzeichnung des US-chinesischen Handelsabkommens im Januar 2020 weiter, selbst wenn der weitere Verlauf berechenbarer als unter dem bisherigen US-Präsidenten Donald Trump sein dürfte.
Die zweite Infektionswelle hat die Wirtschaft im Euroraum zum Jahresende wieder zurückgeworfen. Nachdem der Aufschwung im dritten Quartal 2020 mit einer Zuwachsrate von 12,4 Prozent dynamisch begann, ließ die erneut aufflammende Pandemie die Produktion im vierten Quartal um 0,7 Prozent schrumpfen. Das Minus erklärt sich hauptsächlich durch einen Rückgang des privaten Verbrauchs. Solide Zuwächse bei den Unternehmensinvestitionen konnten die gesamtwirtschaftlichen Verluste im vierten Quartal jedoch begrenzen. Der Außenbeitrag lag bei etwa Null.
Die zweite Infektionswelle dürfte den Aufschwung im Euroraum in der ersten Jahreshälfte 2021 ausbremsen. Die Währungsunion wird im ersten Quartal wohl wieder in eine technische Rezession rutschen. Zwar ist die Zahl der Neuinfektionen bis Ende Februar wieder stark gesunken und die europäischen Regierungen haben vielerorts begonnen, die im Winter verschärften Eindämmungsmaßnahmen etwas zu lockern. Allerdings zeichnen sich am aktuellen Rand wieder steigende Sieben-Tages-Inzidenzen in einigen Mitgliedstaaten der Währungsunion ab; Italien hat seine Lockerungen Mitte März wieder zurückgenommen. Eine dritte Infektionswelle scheint somit wahrscheinlich und entsprechend ist mit erneuten Verschärfungen der Eindämmungsmaßnahmen im Frühjahr zu rechnen.
Die seit dem Winter bestehenden Einschränkungen dämpfen vor allem die binnenwirtschaftliche Aktivität. So gingen die Einzelhandelsumsätze in den meisten Euroraum-Staaten im Januar weiter zurück. Umfragebasierte Indikatoren zur Konsumentenzuversicht verharrten zum Jahresbeginn auf einem niedrigen Niveau; die VerbraucherInnen blicken pessimistisch auf das neue Jahr. Ähnlich wie während der ersten Infektionswelle sind neben dem Einzelhandel wieder besonders personennahe Dienstleistungen betroffen. So rutschten die Einkaufmanagerindizes für Dienstleistungen im vierten Quartal deutlich unter die Expansionsschwelle von 50 Indexpunkten und verblieben bis zuletzt auf diesem niedrigen Niveau.
Die Industrie zeigt sich gemessen an ihrer Produktion und ihren guten Exporten resilient gegenüber dem aktuellen Pandemiegeschehen. Dies dürfte zum einen daran liegen, dass sich im Gegensatz zur ersten Welle im Frühjahr 2020 das aktuelle Pandemiegeschehen derzeit auf Europa und die USA konzentriert und damit internationale Lieferketten intakt blieben. So setzt sich die wirtschaftliche Erholung in den meisten Schwellenländern und im asiatischen Raum mit kräftigen Zuwächsen und einer entsprechend hohen Nachfrage nach industrienahen Gütern aus dem Euroraum fort. Zum anderen blieben Produktionsstätten im Euroraum über den Winter weitestgehend geöffnet – wohl auch, weil Unternehmen bereits auf erneute Verschärfungen der Infektionsschutzmaßnahmen vorbereitet waren. Die Industrieproduktion ist in den meisten Ländern zuletzt weiter gestiegen, wenn auch mit geringeren Raten als zuvor. Die Kapazitätsauslastung hat ebenfalls zugelegt und liegt in den größten Ländern um die 80 Prozent und damit knapp unter dem Niveau von 2019. Wohl auch deshalb zeigen sich die Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes trotz anhaltend hoher Infektionszahlen äußerst zuversichtlich.
Mit anlaufendem Impfschutz und dem schrittweisen Abbau der Infektionsschutzmaßnahmen dürfte sich die Erholung ab der zweiten Hälfte dieses Jahres mit kräftigen Raten fortsetzen. Dieser Prognose liegt die Annahme zugrunde, dass die derzeitigen wirtschaftlichen Einschränkungen im ersten Quartal zur Gänze bestehen bleiben und bis zum Ende des zweiten Quartals nur geringfügig gelockert werden. Mit einsetzendem Impfschutz werden Infektionsschutzmaßnahmen ab dem Sommer zum Jahresende abgebaut, so dass im kommenden Jahr die wirtschaftliche Aktivität nur noch begrenzt sektoral oder regional eingeschränkt sein dürfte.
Die Konjunktur in der Währungsunion dürfte vom starken Wachstum wichtiger Handelspartner, wie den USA, Japan und China, mitgetragen werden. Eine gestiegene Auslandsnachfrage wird die Ausfuhren von Waren und Dienstleistungen stützen und pandemiebedingte binnenwirtschaftliche Verluste sowie Einbußen aufgrund der neuen Handelsbeziehungen zwischen der EU und Großbritannien teilweise kompensieren. Zusätzlich dürfte der zuletzt leicht geringere Außenwert des Euro zum US-Dollar die Exporte begünstigen.
Wichtige Stütze des binnenwirtschaftlichen Aufschwungs bleibt wohl die expansive Finanzpolitik. Aufgrund der anhaltend hohen Inzidenzen und entsprechend strikteren Eindämmungsmaßnahmen kündigten viele Regierungen zusätzliche Hilfen an. Größtenteils erweitern die Euroraum-Staaten die im letzten Jahr bereits aufgesetzten Hilfsprogramme wie Kurzarbeit, Steuerstundungen, Garantien und Kredite. So beschlossen die niederländische und die spanische Regierung bereits zusätzliche Hilfen im Umfang von 3,7 beziehungsweise sieben Milliarden Euro. Auch Italiens neuer Ministerpräsident Mario Draghi kündigte im Zuge der ab Mitte März geltenden strikteren Eindämmungsmaßnahmen weitere finanzpolitische Hilfen an. Damit werden die Kosten der aktuellen Infektionswelle für Unternehmen und Haushalte etwas abgefedert. Zudem dürften bereits geplante Programme für den wirtschaftlichen Wiederaufbau, wie der Europäische Wiederaufbaufonds und zusätzliche nationale Programme, den Erholungsprozess insbesondere durch investitionsfördernde Maßnahmen stützen. Neben den guten Aussichten in der Industrie dürfte dies die Investitionsneigung der Unternehmen vor allem ab Sommer dieses Jahres deutlich stärken.
Die expansive Geldpolitik, die günstige Finanzierungsbedingungen erlaubt, stützt die Unternehmensinvestitionen zusätzlich. Die Europäische Zentralbank hat ihren expansiven Kurs zum Jahreswechsel nicht nur beibehalten, sondern sogar noch einmal nachgelegt. Im Dezember 2020 beschloss der Rat der EZB das Gesamtvolumen des Pandemie-Notfallankaufprogramms (PEPP) um 500 Milliarden Euro auf insgesamt 1850 Milliarden Euro anzuheben. Im März 2021 kündigte Zentralbankpräsidentin Christine Lagarde an, dass das Volumen der Anleihekäufe im Rahmen des PEPP im Frühjahr dieses Jahres erhöht wird – wenngleich das Gesamtvolumen unverändert bleibt.
Der private Konsum dürfte angesichts der wirtschaftlichen Einschränkungen und der Verunsicherung zunächst weiter nachgeben. Mit den Lockerungen ab Sommer dieses Jahres wird aber auch der private Verbrauch voraussichtlich wieder in Schwung kommen. Haushalte dürften ihren derzeit geringen Konsum teilweise nachholen. Mit fortschreitender Immunisierung werden sich die Unsicherheiten bezüglich der Pandemie wohl legen und Haushalte zusätzlich zum Konsum angeregt. Dies dürfte auch die Sparquote, die derzeit auf historisch hohem Niveau liegt, allmählich wieder absenken.
Die Situation auf dem Arbeitsmarkt dürfte sich zunächst etwas verschlechtern und mit einsetzendem wirtschaftlichem Aufschwung graduell erholen. Die Arbeitslosigkeit in den meisten Volkswirtschaften der Währungsunion liegt zwar fast wieder auf Vorkrisenniveau, die Zahlen dürften allerdings wegen der Kurzarbeiterprogramme etwas trügen. Diese und andere wirtschaftspolitische Maßnahmen verhindern derzeit eine Massenarbeitslosigkeit. Allerdings wird es mit dem Auslaufen der Hilfsprogramme in diesem Jahr zunächst vermehrt zu Entlassungen kommen.Zurzeit laufen die Kurzarbeiterprogramme in Frankreich und den Niederlanden bis zum 1. Juli, in Spanien bis zum 31. Mai und in Italien bis zum 31. März. In Italien und Spanien besteht zudem Kündigungsschutz bis zum 31. März 2021. Im Zuge der wirtschaftlichen Erholung dürfte sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt schrittweise verbessern und die Beschäftigung graduell steigen.
Die schleppende Erholung auf dem Arbeitsmarkt wird die Lohnentwicklung in vielen Ländern des Euroraums deutlich belasten. Zwar legte die Inflation im Euroraum zu Jahresbeginn vor allem aufgrund anziehender Preise von Energiegütern und Dienstleistungen deutlich zu (Abbildung 6), insgesamt dürfte die Verbraucherpreisinflation aber in den meisten Mitgliedstaaten trotz expansiver Geldpolitik nur moderat ansteigen.
Durch das anhaltende Pandemiegeschehen rutscht die Wirtschaft des Euroraums zunächst in eine technische Rezession, erholt sich ab Sommer allerdings wieder mit kräftigen Raten. So ist mit einem Wirtschaftswachstum vom 3,4 Prozent in diesem Jahr und 4,2 Prozent im nächsten Jahr zu rechnen (Abbildung 7).
Das Wirtschaftswachstum des Vereinigten Königreichs legte im vierten Quartal 2020 im Vergleich zum Vorquartal um ein Prozent zu. Das niedrige Wirtschaftswachstum ist auf den schwachen Privatkonsum und auf den kräftigen Anstieg der Importe zurückzuführen. Vor allem der harte Lockdown im November belastete die Binnennachfrage. Hinzu kommt, dass in Vorbereitung eines möglichen ungeordneten Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU wohl viele Firmen ihre Lagerbestände aufgefüllt und Haushalte ihren Konsum vorgezogen haben.
Der Auslastungsgrad der britischen Industrie war Ende des vierten Quartals nur noch knapp zehn Punkte unter dem Vorkrisenniveau, und die Industrieproduktion erholt sich seit dem Tiefpunkt im April 2020 weiter. Dies spiegelt auch die gute Stimmung britischer Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe wider. Aufgrund der Corona-Eindämmungsmaßnahmen verschlechterte sich die Stimmung im Dienstleistungssektor hingegen im letzten Quartal. Das Ende Dezember im letzten Moment abgeschlossene Handels- und Kooperationsabkommen mit der EU scheint hingegen noch keinen nennenswerten Einfluss auf die Stimmungslage der Industrie und des Dienstleistungssektors gehabt zu haben. Während die Importe zum Jahresende zulegten, zeigten die Zahlen noch keinen direkten Einfluss des Brexits auf die britischen Exporte (Kasten 2).
Sechs Tage vor Ablauf der Frist, die ein ungeordnetes Ausscheiden („No deal“) des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (EU) bedeutet hätte, wurden sich die Verhandlungspartner doch noch einig. Seit 1. Januar 2021 ist nun ein gemeinsames Handels- und Kooperationsabkommen in Kraft.Vgl. Europäische Kommission (2020): Das Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. 31. Dezember (online verfügbar, abgerufen am 2. März 2021). So konnten große konjunkturelle und sicherheitspolitische Risiken an der nordirischen Grenze verhindert werden. Es besteht aus einem Freihandelsabkommen, einer Vereinbarung, die fairen Wettbewerb unter den Wirtschaftsräumen garantieren soll, und einem Kooperationsabkommen im Sicherheitsbereich.
Das Freihandelsabkommen garantiert Nullzollsätze und Nullkontingente für den Warenhandel. Allerdings gibt es erhebliche neue nichttarifäre Hemmnisse, wie zum Beispiel Zoll- und regulatorische Kontrollen oder Ursprungsregeln. Darüber hinaus benötigen Produkte, die für den Verkauf in Großbritannien lizenziert sind, möglicherweise eine separate Lizenz für den Verkauf in der EU. De facto bedeutet das einen erheblichen administrativen Mehraufwand für Firmen, um in den jeweils anderen Wirtschaftsraum zu exportieren.
Vor allem in dem für UK wichtigen Dienstleistungsbereich ist das Freihandelsabkommen relativ begrenzt. Das Abkommen bedeutet zwar, dass Firmen keine lokalen Tochtergesellschaften gründen müssen, um Dienstleistungen im jeweils anderen Markt anbieten zu können. Es stellt außerdem sicher, dass Dienstleistungsanbieter gegenüber inländischen Firmen beziehungsweise Firmen aus Drittländern nicht diskriminiert werden. Diese Maßnahmen wurden jedoch durch eine lange Liste von Ausnahmen eingeschränkt. Insbesondere einige britische Sektoren dürfte das Abkommen vor größere Probleme stellen. Ein Beispiel ist der britische FinanzdienstleistungssektorDer britische Finanzdienstleistungssektor trug im Jahr 2019 6,9 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Im ersten Quartal 2020 gab es im Vereinigten Königreich 1,1 Millionen Arbeitsplätze im Finanzdienstleistungssektor, was 3,2 Prozent aller Arbeitsplätze entspricht. Vgl. House of Commons (2021): Financial services: contribution to the UK economy. Briefing Paper Nr. 6193, 1. Februar (online verfügbar, abgerufen am 1. März 2021. Dies gilt für alle Onlinequellen in diesem Kasten, sofern nicht anders angegeben)., auf den durch den Brexit erhebliche Mehrkosten zukommen werden.Das betrifft vor allem das sogenannte Finanzpassrecht. Dieses erlaubte bis Ende 2020 Finanzdienstleistern, die ihren Sitz in London hatten, Dienstleistungen in der gesamten EU anzubieten, ohne ausländische Geschäftsstellen zu eröffnen oder sich an behördliche Vorgaben der jeweiligen Länder zu halten. Im Finanzsektor gibt es besonders große Unsicherheiten, da künftige grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen laut Abkommen nur auf Grundlage unilateraler Anerkennungen der jeweils anderen Seite gewährt werden.Solch eine unilaterale Anerkennung basiert auf der Äquivalenz der Aufsichtsregime zwischen der EU und UK. Sie kann jederzeit wieder entzogen werden. Vgl. Deutsche Bundesbank (2020): Brexit-bezogene Informationen für Finanzinstitute. 30. Dezember (online verfügbar). Bis heute hat die EU nur in zwei der Dutzenden von Bereichen der Finanzindustrie, in denen Großbritannien Zugang anstrebt, Äquivalenz gewährt. Vgl. Europäische Kommission (2021): Equivalence Decisions taken by the European. Februar (online verfügbar). Ein anderer wichtiger Bereich ist der Automobilsektor, für den das Abkommen eine Ursprungsregel vorsieht, demnach 55 Prozent der Teile in Europa produziert sein müssen.Falls also nicht mindestens 55 Prozent eines Produkts im Automobilsektor in Europa produziert werden, bekommen britische Automobilprodukte keinen zollfreien Zugang zum europäischen Markt. 2019 hatte der britische Automobilsektor einen Gesamtanteil an allen Exporten von 13 Prozent. Vgl. Society of Motor Manufacturers & Traders (2020): Motor Industry Facts 2020. November (online verfügbar, abgerufen am 2. März 2021).
Andererseits dürfte ein kleiner Teil der britischen Landwirtschaft von dem Abkommen profitieren. Speziell die britische Fischereiindustrie, für die höhere Fischfangquoten gelten werden, profitiert vom Brexit.Die britische Fischereiindustrie trug 2019 0,02 Prozent zur gesamten britischen Bruttowertschöpfung bei. Vgl. House of Commons (2020): UK Fisheries Statistics. Briefing Paper Nr. 2788. 23. November (online verfügbar, abgerufen am 2. März 2021). In anderen Industriezweigen könnten die strengeren Ursprungsregeln kleineren britischen Firmen im Binnenmarkt helfen, da diese wohl weniger der europäischen Konkurrenz ausgesetzt sein dürften.
Alles in allem wird das Abkommen aber zu erheblichen neuen Handelsbarrieren zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich führen, mit den damit verbundenen negativen wirtschaftlichen Auswirkungen. Längerfristig dürfte das Abkommen aber zumindest die Planbarkeit für Unternehmen stärken und ein positives Signal für eine konstruktive zukünftige Wirtschaftsbeziehung setzen. Die Kosten sind derzeit noch schwer abzuschätzen. Einerseits ist es aufgrund der Corona-Krise kaum zu beurteilen, inwieweit das Wachstum im vierten Quartal 2020 und der zu erwartende Wirtschaftseinbruch im ersten Quartal 2021 allein auf den Brexit zurückzuführen sind. Andererseits sind die verfügbaren Hochfrequenzindikatoren, wie zum Beispiel die Anzahl an Warenabfertigungen in britischen Häfen, nur bedingt interpretierbar.Aufgrund der seit dem 1. Januar 2021 geltenden zusätzlichen administrativen Hürden scheinen Lkw teilweise auch leer in die EU zurückzufahren. Vgl. BBC (2021): Brexit: Are freight exports to the EU back to normal? 17. Februar (online verfügbar).
Derzeitige Schätzungen gehen davon aus, dass die britische Produktion aufgrund des Brexits in diesem und nächsten Jahr um rund ein Prozent weniger wächst. Darüber hinaus rechnen Studien von insgesamt bis zu vier Prozent Wachstumseinbußen in der langen Frist.Vgl. Bank of England (2020): Monetary Policy Report. November (online verfügbar). Langfristig gehen die Schätzungen aber von insgesamt bis zu vier Prozent weniger Wachstum aufgrund des Brexits aus.Vgl. Bank of England (2020), a.a.O.; Office of Budget Responsibility (2020): Economic and Fiscal Outlook. November (online verfügbar). Ändern sich allerdings die britisch-europäischen Verträge, schlägt dies auch auf die Kosten durch. Denkbar sind vor allem zukünftige bilaterale Handelsabkommen in bestimmten Sektoren. Falls unilaterale Anerkennungen bestimmter Äquivalenzen in Zukunft aber entzogen werden, zum Beispiel aufgrund von regulatorischen Divergenzen, könnten sich die Kosten auch erhöhen.
Das DIW Berlin geht in dieser Prognose von Wachstumseinbußen von 1,5 Prozent für die britische Wirtschaft und unveränderten Bedingungen des Handels- und Kooperationsabkommens aus. Der Großteil dieser Kosten ist auf eine verringerte Wettbewerbsfähigkeit britischer Exporte, die langfristig um bis zu sechs Prozent zurückgehen dürften, sowie negative Effekte auf britische Wertschöpfungsketten zurückzuführen.
Der Brexit und die derzeit noch angespannte Corona-Situation trüben das Wachstum im ersten und zweiten Quartal 2021. Ab dem dritten Quartal dürfte aber die Wachstumsdynamik aufgrund der hohen Impfquoten und einer weiterhin expansiv ausgerichteten Geld- und Finanzpolitik zunehmen, wenn auch der Brexit wohl das Potenzialwachstum drückt.Die englische Zentralbank dürfte den Leitzins nach der letzten Herabsetzung von 0,25 Prozent auf 0,1 Prozent im März 2020 kurz- bis mittelfristig stabil halten. Sie hat angekündigt weitere Anleihekäufe („Quantitative Easing“) vorzunehmen, falls die wirtschaftliche Aktivität nachlässt.
Fiskalpolitisch wird die expansive Geldpolitik vor allem durch das Programm Coronavirus Job Retention (CJR), das britische Äquivalent zum Kurzarbeitergeld, begleitet. Der britische Staat komplettiert also weiterhin bis zu 80 Prozent der ursprünglichen Gehälter von betroffenen ArbeitnehmerInnen. Bis Ende Januar 2021 ist deren Zahl noch einmal kräftig von 4,0 auf 4,7 Millionen gestiegen.Insgesamt wurden im Zeitraum März 2020 bis Februar 2021 11,2 Millionen Jobs unterstützt. Vgl. HM Revenue & Customs (2021): Coronavirus Job Retention Scheme statistics: February (online verfügbar, abgerufen am 2. März 2021). Da die Arbeitslosenquote Ende Dezember bereits 5,1 Prozent erreichte,Office for National Statistics (2021): Labour market overview, UK: February (online verfügbar, abgerufen am 2. März 2021). kündigte die britische Regierung eine Erweiterung des CJR-Programms bis Ende April an, die den Anstieg der Arbeitslosigkeit zu Beginn des Jahres 2021 abfedern dürfte. Die hohe Arbeitslosigkeit dürfte die Lohnentwicklung, die Einkommen der Haushalte und den privaten Verbrauch zusätzlich belasten.
Die expansiven fiskalpolitischen Maßnahmen dürften aber den britischen Haushalt belasten und die Staatsschulden um 25,4 Prozentpunkte von derzeit 84,6 Prozent des BIP auf 110 Prozent bis 2024 und 2025 treiben.Office for National Statistics (2021): UK government debt and deficit: September (online verfügbar, abgerufen am 10. März 2021); Institute for Fiscal Studies (2021): Outlook for the public finances: October (online verfügbar, abgerufen am 10. März 2021).
Alles in allem wird das britische Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal 2021 um drei Prozent sinken. In den darauffolgenden Quartalen dürfte das Wirtschaftswachstum aber wieder zurückkehren. Insgesamt ergibt sich somit für das Jahr 2021 eine Wachstumsrate von 4,7 Prozent. Im kommenden Jahr ist mit Zuwächsen des Bruttoinlandsprodukts von 6,5 Prozent zu rechnen (Abbildung 8).
Die EU-Länder Mittel- und Osteuropas haben die Pandemie mit einem Rückgang des BIP von knapp drei bis vier Prozent im Jahr 2020 vergleichsweise gut durchgestanden. Ausnahme ist Tschechien mit einem Rückgang von 5,6 Prozent.
Die Entwicklung des Infektionsgeschehens in Tschechien ist aktuell dramatisch. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag Ende Februar bei 640. Anfänglich war Tschechien kaum von der Pandemie betroffen; auch die anderen Länder der Region blieben von der ersten Welle nahezu verschont. Erst im Herbst kam es zu einem raschen Anstieg der Neuinfektionen. Im Oktober wurde in Tschechien der Notstand beschlossen und ein Lockdown verhängt, der kurz vor Weihnachten teilweise zurückgenommen wurde. Noch vor dem Jahresende wurde indes wieder die höchste Warnstufe ausgerufen. Für das Infektionsgeschehen spielt offenbar auch eine Rolle, dass die Bereitschaft, sich testen zu lassen, gering und die Nachverfolgung von Kontaktpersonen schwierig ist. Die Impfkampagne kommt nur langsam voran.
Das Schlussquartal verlief in den Ländern sehr unterschiedlich. So ist das Bruttoinlandsprodukt in Rumänien mit 5,3 Prozent besonders kräftig gestiegen; dies ist wahrscheinlich auf öffentliche Ausgaben zurückzuführen. Leicht rückläufig war hingegen die Wirtschaftsleistung in Polen. Die Industrieproduktion war in den meisten Ländern der Region leicht aufwärtsgerichtet. Auch in den ersten Monaten 2021 wird aufgrund der Eindämmungsmaßnahmen der private Konsum wahrscheinlich noch nicht anspringen. So gilt in Rumänien weiterhin der Alarmzustand; lokale Lockerungen sind allerdings möglich. Bulgarien hat weitreichende Einschränkungen bis Ende April beschlossen. Hingegen wurden in Polen im Februar in einer zweiwöchigen Testphase unter anderem Hotels und Sportanlagen unter freiem Himmel geöffnet, was zu einem Ansturm in den Wintersportorten führte; die Sieben-Tage-Inzidenz ist in Polen bis Anfang März stark gestiegen. Im weiteren Jahresverlauf dürfte mit der Rückführung der Eindämmungsmaßnahmen der private Konsum zulegen, auch vor dem Hintergrund einer guten Lage auf dem Arbeitsmarkt: Die Arbeitslosenquote in der Region stagniert oder sinkt sogar leicht, was auch auf die diversen Formen von Kurzarbeitergeld oder Lohnzuschüssen in einigen der Länder zurückzuführen sein dürfte. Dies dürfte stützend auf die Nachfrage wirken.
Im verarbeitenden Gewerbe haben sich die Einkaufsmanagerindizes in Polen und Ungarn sowie in Tschechien weiter verbessert. Für Polen wird von steigenden Auftragseingängen – auch aus dem Ausland – berichtet. Das Land ist übrigens bei den deutschen Exporten auf den sechsten Rang und bei den deutschen Importen sogar auf den vierten Rang, hinter den USA, aufgerückt. Insgesamt hat sich in Mittel- und Osteuropa der Außenhandel im Schlussquartal 2020 weiter erholt; diese Entwicklung dürfte sich fortsetzen.
In der Geldpolitik gab es keine wesentlichen Veränderungen; nur die rumänische Zentralbank hat Mitte Januar 2021 den Leitzins leicht gesenkt. Die im vergangenen Jahr beschlossenen staatlichen Unterstützungsmaßnahmen wirken meist fort. Mit 11,7 Prozent des BIP sind diese in Polen besonders hoch; hier wurde zusätzlich im Dezember das sogenannte „Finanzschild für KMU 2.0“ beschlossen (2,9 Milliarden Euro), das vor allem den Einzelhandel, das Hotel- und Gaststättengewerbe sowie Freizeit und Verkehr unterstützen soll. In den ersten beiden Monaten 2021 folgten weitere Maßnahmen für die Freizeit- und Eventbranche sowie NGOs und gemeinnützige Einrichtungen (knapp zwei Milliarden Euro). In allen Volkswirtschaften ist die Staatsverschuldung gestiegen, bleibt aber – bis auf Ungarn – deutlich unter dem Schuldenstand anderer EU-Länder.
Insgesamt ist in den mittel- und osteuropäischen Ländern im laufenden Jahr eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um 4,0 Prozent und im nächsten um 4,7 Prozent zu erwarten (Abbildung 9).
Mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 3,1 Prozent waren die volkswirtschaftlichen Einbußen in Russland im vergangenen Jahr vergleichsweise gering. Die Industrieproduktion sank um knapp drei Prozent, die Einzelhandelsumsätze gingen nur um vier Prozent zurück. Stark rückläufig waren hingegen die von der Bevölkerung in Anspruch genommenen Dienstleistungen. Im Außenhandel war Russland als Ölexporteur von den im April 2020 beschlossenen Förderkürzungen der OPEC+ betroffen. Die Auswirkungen auf den Außenbeitrag wurden durch die eingeschränkte Reisetätigkeit russischer Bürger gemildert.
Die im Zuge der Corona-Pandemie gestiegene Arbeitslosigkeit ist bereits im Schlussquartal 2020 etwas zurückgegangen. Dies setzte sich auch am Jahresanfang fort. Noch stagnieren die Einzelhandelsumsätze, und die Dienstleistungen waren auch im Januar rückläufig. Mit einer Rücknahme der Eindämmungsmaßnahmen wird der private Konsum voraussichtlich anziehen. Die Stimmungsindikatoren für das verarbeitende Gewerbe und die Dienstleistungen liegen über der Expansionsschwelle. Die Industrieproduktion hat nach einer Steigerung in den beiden Vormonaten im Januar aber etwas nachgegeben.
Russland wurde von der OPEC+ eine Verringerung der Förderkürzung für Erdöl für die Monate Februar bis April zugestanden. Dies dürfte gemeinsam mit dem gestiegenen Ölpreis zu höheren Einnahmen im föderalen Haushalt führen, was wohl coronabedingte Mehrausgaben teilweise auffangen wird. In Russland dürfte die Wirtschaftsleistung in diesem und im kommenden Jahr um knapp drei Prozent steigen (Abbildung 10).
Themen: Konjunktur, Gesundheit
JEL-Classification: E32;E66;F01
Keywords: Business cycle forecast, economic outlook
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-11-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/233776