DIW Wochenbericht 21 / 2021, S. 355-362
Alexander S. Kritikos, Alexander Schiersch, Caroline Stiel
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„Wir gehen im Moment davon aus, dass sich der etwa 2014/15 beginnende Trend einer anziehenden Produktivität fortsetzt, unter anderem weil die Wettbewerbsintensität zuletzt etwas zugenommen hat. Das spricht in der Regel für eine steigende Produktivität. Zudem sehen wir ähnliche Entwicklungen in anderen europäischen Ländern.“ Alexander Schiersch
Die wissensintensiven unternehmensnahen Dienstleistungen, die rund 8,5 Prozent zur der nominalen Wertschöpfung beitragen, sind in Deutschland der viertgrößte Wirtschaftszweig der gewerblichen Wirtschaft. Zudem gehören sie zu den Branchen mit den höchsten Beschäftigungszuwächsen. Die Arbeitsproduktivität in diesem Bereich ist zwischen 1995 und 2014 jedoch um über 40 Prozent gesunken. Erst danach erholt sie sich leicht. Dabei fällt auf, dass größere Unternehmen höhere Produktivitätsverluste zu verzeichnen haben als kleinere. Ein wesentlicher Grund für die gefallene Arbeitsproduktivität ist eine gestiegene Vorleistungsquote, die nicht mit einem entsprechenden Rückgang der Beschäftigung einhergeht. Auch die gewachsene Teilzeitbeschäftigung erklärt einen kleinen Teil. Der Wettbewerbsdruck scheint in diesem Teil des Dienstleistungssektors zuletzt tendenziell eher angestiegen zu sein. Eine sinkende Wettbewerbsintensität dürfte daher nicht die Ursache für den Produktivitätsrückgang sein.
Seit mehr als einem Jahrzehnt beklagen Politik und Wissenschaft ein gesamtwirtschaftlich sich immer weiter abschwächendes Produktivitätswachstum – nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen Ländern. Lag das Wachstum der Arbeitsproduktivität in Deutschland Anfang der 1990er Jahre bei jährlich durchschnittlich 2,5 Prozent, sank es in der Folgezeit kontinuierlich und liegt seit etwa 2010 dauerhaft unter einem Prozent. Das ist umso überraschender, als es in den zurückliegenden Jahrzehnten viele bahnbrechende Innovationen insbesondere im Bereich der Digitalisierung gab, die eher positive Produktivitätseffekte erwarten ließen. Diese reichen vom flächendeckenden Einsatz von Computern über die vielfältige Nutzung des Internets bis hin zur Robotik und der künstlichen Intelligenz. Die sich abschwächenden Produktivitätszuwächse, welche eine wichtige Maßzahl für die wirtschaftliche Entwicklung sind, bereiten der Politik schon seit längerem Sorgen. Deshalb haben beispielsweise alle EU-Länder seit 2016 einen Nationalen Ausschuss für Produktivität eingerichtet, welcher die Produktivitätsentwicklungen beobachten und Vorschläge an die Politik machen soll.Siehe hierzu auch die Informationen auf der Webseite der Europäischen Kommission (abgerufen am 17. Mai 2021. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). In Deutschland wird diese Aufgabe seit 2019 vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung wahrgenommen.
Auch die Wissenschaft befasst sich intensiv mit diesem Phänomen, ohne eine abschließende Antwort geben zu können. Die dabei diskutierten Ursachen reichen von einem abgeschwächten beziehungsweise zunehmend eingeschränkten WettbewerbJan De Loecker, Jan Eeckhout und Gabriel Unger (2020): The Rise of Market Power and the Macroeconomic Implications. Quarterly Journal of Economics 135, 561–644., über Messfehler in den Statistiken aufgrund neuer (digitaler) Produkte und DienstleistungenDavid M. Byrne, John G. Fernald und Marshall B. Reinsdorf (2016): Does the United States have a productivity slowdown or a measurement problem? Federal Reserve Bank of San Francisco, Working Paper 2016-03 (online verfügbar); Chad Syverson (2017): Challenges to mismeasurement explanations for the US productivity slowdown. Journal of Economic Perspectives 31, 165–186., einer mangelnden oder gehemmten Anwendung neuen WissensDan Andrews, Chiara Criscuolo, und Peter Gal (2019): The best versus the rest: Divergence across firms during the global productivity slowdown. CEP Discussion Paper 1645. bis hin zum Bedeutungsgewinn produktivitätsschwacher DienstleistungenSVR (2019): Produktivität: Wachstumsbedingungen verbessern, Nationaler Produktivitätsbericht 2019 (online verfügbar)..
Eine eingehendere Betrachtung einzelner Wirtschaftszweige des Dienstleistungssektor bleibt meist aus. Der Gegenstand dieses Wochenberichts ist daher die Veränderung der Produktivität in einem spezifischen Teilbereich, nämlich in den wissensintensiven unternehmensnahen Dienstleistungen.Im gesamten Text wird damit der Wirtschaftsabschnitt Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen bezeichnet. Darin sind Tätigkeiten erfasst, bei denen es um Marketing, Forschung, Entwicklung, Planung, Konstruktion und Design sowie Steuer- und Rechtsberatung geht. Deren Entwicklung hebt sich deutlich negativ von anderen Wirtschaftszweigen ab: Die Arbeitsproduktivität dieses Wirtschaftszweiges, gemessen als reale Bruttowertschöpfung pro Kopf, ist laut dem Statistischen Bundesamt zwischen 1995 und 2017 fast ausnahmslos, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität um insgesamt 37 Prozent gefallen (Abbildung 1).Eine fallende Arbeitsproduktivität in den wissensintensiven unternehmensnahen Dienstleistungen ist kein deutsches Phänomen, sondern lässt sich auch in vielen kontinentaleuropäischen Ländern beobachten.
Zwischen 1995 und 2004 sind die wissensintensiven unternehmensnahen Dienstleistungen zunächst durch einen durchgängigen und signifikanten Rückgang des Produktivitätsniveaus von insgesamt 26 Prozent gekennzeichnet. Dieser setzte sich bis 2014 fort, allerdings in vielen Jahren nicht mehr so massiv wie zuvor. In der Summe ist ein erneuter Rückgang um 20 Prozent im Vergleich zu 2004 und um 41 Prozent zu 1995 festzustellen.Auf den Rückgang zwischen 2008 und 2009 als Folge der Finanzkrise entfällt etwa die Hälfte des Gesamtrückgangs von 20 Prozent zwischen 2004 and 2014. Erst nach 2014 hat sich die Produktivität leicht erholt, sodass sie im Jahr 2017 nur noch etwa 37 Prozent unter dem Niveau von 1995 lag.
Die wissensintensiven unternehmensnahen Dienstleistungen sind in Deutschland der viertgrößte Wirtschaftszweig der gewerblichen Wirtschaft. Ihr Anteil an der nominalen Wertschöpfung lag im Jahr 2019 bei 8,5 Prozent. Zudem gehören sie zu den Wirtschaftszweigen mit den höchsten Beschäftigungszuwächsen seit 1995.Ein noch etwas stärkeres Wachstum ist im Abschnitt Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen zu beobachten. Dies ist jedoch dem massiven Wachstum der Leiharbeit im Beobachtungszeitraum geschuldet, deren Beschäftigten, also die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter, dem Wirtschaftszweig Vermittlung und Überlassung von Arbeitskräften zugeordnet werden. Auch deshalb ist es von zentraler Bedeutung, die Ursachen der so stark gesunkenen Produktivität zu ergründen.
Im diesem Wochenbericht werden verschiedene mögliche Erklärungen für die sinkende Produktivität diskutiert.Alexander Kritikos, Alexander Schiersch und Caroline Stiel (2021): The productivity decline in professional services. Mimeo. Sie lassen sich in zwei Kategorien einteilen: in sogenannte Kompositionseffekte und Wettbewerbseffekte.
Kompositionseffekte erfassen Veränderungen der aggregierten Produktivitätswerte durch eine veränderte Zusammensetzung etwa der Unternehmen, der Beschäftigten oder der genutzten Produktionsfaktoren in einem Wirtschaftszweig. So sind die wissensintensiven unternehmensnahen Dienstleistungen durch einen starken Eintritt neuer Unternehmen gekennzeichnet. Dies sind hauptsächlich kleine und kleinste Unternehmen mit oft deutlich geringerer Produktivität als in mittleren und großen Unternehmen. Daraus ergibt sich die Frage, ob ein zunehmender Anteil kleinster und kleiner Unternehmen die Produktivität des Wirtschaftszweigs negativ beeinflusst hat. Ein weiterer Aspekt ist die zunehmende Teilzeitbeschäftigung. In der Regel wird die Arbeitsproduktivität als Wertschöpfung pro tätige Person berechnet. Dies geschieht vor allem, weil die Arbeitsstunden im Rahmen der Datenerhebungen durch die statistischen Ämter nicht erfasst werden. Steigt die Zahl der Erwerbstätigen aufgrund wachsender Teilzeitbeschäftigung stark an, könnte in der Folge die Arbeitsproduktivität als zu niedrig ausgewiesen werden. Zudem stellt sich die Frage, ob sich das Verhältnis von Vorleistungen zum Output verändert hat. Im verarbeitenden Gewerbe wurde in den letzten Dekaden eine sinkende Fertigungstiefe beobachtet. Wenn es ähnliche Entwicklungen in den wissensintensiven unternehmensnahen Dienstleistungen gegeben hat und diese Entwicklung nicht durch ein Freisetzen von Arbeitskräften oder ein entsprechendes Umsatzwachstum kompensiert wurde, muss dies die Wertschöpfung pro Kopf verringern.
Schließlich könnten Wettbewerbseffekte für den Produktivitätsrückgang verantwortlich sein. Einige empirische Untersuchungen zeigen einen positiven Zusammenhang zwischen der Intensität des Wettbewerbs und der Produktivität.Matthew Backus (2020): Why Is Productivity Correlated With Competition? Econometrica 88, 2415–2444; Gustavo Grullon, Yelena Larkin und Roni Michaely (2019): Are US Industries Becoming More Concentrated? Review of Finance 23, 697–743; Chang-Tai Hsieh und Esteban Rossi-Hansberg (2019): The Industrial Revolution in Services. NBERWorking Paper 25968 (online verfügbar). Gälte dieser Wirkmechanismus auch im umgekehrten Fall, würde ein Rückgang des Wettbewerbsdrucks die Produktivität negativ beeinflussen, etwa weil unproduktive Unternehmen auf dem Markt bleiben können beziehungsweise weniger produktive Unternehmen in den Markt einträten. Die fallende Produktivität wäre dann Ausdruck einer sinkenden Wettbewerbsintensität.So zeigen etwa Affeldt et al., (2021): „Marktkonzentrationstrend steigt in Dienstleistungsmärkten deutlich“ (DIW Wochenbericht Nr. 20, 339–347), dass zwischen 1990 und 2015 der Konzentrationstrend im Dienstleistungssektor insgesamt angestiegen ist. Um die Erklärungsansätze empirisch zu überprüfen, wurden sowohl sektorale Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als auch amtlichen Unternehmensdaten genutzt (Kasten 1).
Die Untersuchungen der sektoralen Zusammensetzung nach Unternehmensgröße und die Berechnung der Preisaufschläge basieren auf den Daten des AFiD-Panel Dienstleistungsunternehmen.Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2018): Allgemeine und methodische Informationen zum AFiD-Panel Strukturerhebung im Dienstleistungsbereich 2008–2018 (EVAS-Nummer: 47415); DOI: 10.21242/47415.2017.00.01.1.1.0 Es handelt sich um eine geschichtete Stichprobe aller im Unternehmensregister erfassten Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 17 500 Euro aus den Wirtschaftszweigen Verkehr und Lagerei (NACE Rev.2 Code H), Information und Kommunikation (NACE Rev.2 Code J), Grundstücks- und Wohnungswesen (NACE Rev.2 Code L), Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen (NACE Rev.2 Code M) und Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen (NACE Rev.2 Code N). Für die Erhebung gelten bis 2015 die Schichtungsmerkmale Bundesland, Wirtschaftszweig und Beschäftigtengrößenklassen. Ab 2016 kommt die Umsatzgrößenklasse hinzu. Aufgrund der gesetzlichen Auskunftspflicht ist der Antwortausfall (Unit-Nonresponse-Rate) vergleichsweise gering. Für die Analyse wurden die Berichtsjahre 2008 bis 2017 im Forschungsdatenzentrum der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder ausgewertet.
Die Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung basieren auf derselben Erhebung, wobei die Mikrodaten des Statistischen Bundesamtes unter weitergehenden Berechnungen auf die sektorale Ebene (Abschnitte beziehungsweise Abteilungen) aggregiert werden. Sie sind über das GENESIS-Portal des Statistischen Bundesamtes kostenlos zugänglich. Hier werden die Berichtsjahre 1995 bis 2017 genutzt.
Die Anzahl der kleinen Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten hat sich in den wissensintensiven unternehmensnahen Dienstleistungen zwischen 2008 und 2017 um 178000 erhöht, während die Zahl der Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern um etwa 2300 gestiegen ist. Da die kleinen Unternehmen über eine geringere Produktivität verfügen als große Unternehmen (Abbildung 2), stellt sich die Frage, ob der vermehrte Markteintritt kleiner Unternehmen die Gesamtproduktivität gesenkt hat.
Seit 2008 ist die Zahl der Unternehmen in beiden Gruppen in gleichem Ausmaß gewachsen: Kleinst- und Kleinunternehmen um 54 Prozent und mittlere und große Unternehmen um 57 Prozent. Da letztere pro Unternehmen mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen, hat sich die Beschäftigtenstruktur trotz des massiven Zuwachses in der Zahl kleinster und kleiner Unternehmen aber zugunsten der größeren Unternehmen verschoben. Im Jahr 2008 waren 36 Prozent der Erwerbstätigen in mittleren und großen Unternehmen tätig, im Jahr 2017 waren es 38 Prozent.Die Arbeitsproduktivität im gesamten Sektor ist ein mit den Beschäftigtenzahlen gewichtetes Mittel aus den Arbeitsproduktivitäten in den einzelnen Unternehmensgrößenklassen. Wenn sich die Beschäftigtenstruktur zwischen den Größenklassen verschiebt, beeinflusst dies die Gesamtproduktivität.
Um näher zu beleuchten, wie sich dies auf das Produktivitätswachstum auswirkt, wurde der Rückgang der Arbeitsproduktivität zwischen 2008 und 2017 in einen Struktureffekt und einen Verhaltenseffekt zerlegt (Kasten 2). Demnach ist die Produktivität in allen Unternehmensgrößenklassen zurückgegangen (Verhaltenseffekt) (Tabelle 1). Der negative Beitrag der mittleren und großen Unternehmen fällt mit 6453 Euro pro Erwerbstätigen dabei sehr viel stärker aus als jener der Kleinst- und Kleinunternehmen mit 1987 Euro pro Erwerbstätigen. Die mittleren und großen Unternehmen haben mithin etwa 20 Prozent ihrer Produktivität verloren, während es bei den Kleinst- und Kleinunternehmen nur etwa sechs Prozent waren. Trotzdem sind die mittleren und großen Unternehmen auch im Jahr 2017 immer noch produktiver als die kleineren Unternehmen (Abbildung 2). Die Verschiebung des Beschäftigungsaufkommens von den Kleinst- und Kleinunternehmen hin zu den mittleren und großen Unternehmen hat sich daher in der Summe positiv auf das Produktivitätswachstum ausgewirkt. So hat die Veränderung in der Beschäftigtenstruktur die Gesamtproduktivität zwischen 2008 und 2017 um etwa 500 Euro pro Erwerbstätigen gesteigert. Sie konnte den Abwärtstrend jedoch nicht aufhalten. Im Zeitraum 2008 bis 2017 ist die Arbeitsproduktivität um etwa 7940 Euro pro Erwerbstätigen gesunken.
In Euro
Kleine und kleinste Unternehmen | Mittlere und große Unternehmen | Summe | |
---|---|---|---|
Struktureffekt | −1193 | 1692 | 499 |
Verhaltenseffekt | −1987 | −6453 | −8440 |
Summe | −3180 | −4761 | −7941 |
Anmerkungen: Mit dem Hochrechnungsfaktor gewichtete Werte. Preise von 2015.
Quellen: AFiD-Panel Strukturerhebung im Dienstleistungsbereich, doi: 10.21242/47415.2017.00.01.1.1.0; eigene Berechnungen.
Mithilfe der Zerlegungsanalyse lässt sich untersuchen, wie sich die Veränderung einer ökonomischen Größe aus den Veränderungen in bestimmten – vorher festgelegten – Untergruppen zusammensetzt. Die Gesamtveränderung besteht dabei aus zwei Effekten: Den Veränderungen innerhalb der Untergruppen (Verhaltenseffekt), wenn die Wirtschaftsstruktur (zum Beispiel Marktanteile, Beschäftigtenstruktur) konstant geblieben wäre, sowie den Veränderungen, die sich aus Verschiebungen in der Wirtschaftsstruktur ergeben (Struktureffekt). Für die wissensintensiven Unternehmensdienstleistungen wurde untersucht, welchen Anteil Unternehmen verschiedener Größe am Produktivitätswachstum zwischen 2008 und 2017 zukommt. Die Formel hierfür lautet
wobei die Beschäftigtenstruktur abbildet, also den Anteil der Beschäftigten in einer Unternehmensgrößenklasse an der Gesamtzahl der Beschäftigten.
Preisaufschläge messen das Verhältnis zwischen dem Preis, den ein Unternehmen für ein Produkt verlangt, und den geschätzten Grenzkosten, die die Produktion einer weiteren Einheit dieses Gutes verursachen würde. Die Preisaufschläge in der vorliegenden Untersuchung wurden mithilfe ökonometrischer Verfahren geschätzt.Vgl. De Loecker, Eeckhout und Unger (2020), a.a.O. ; Jan De Loecker (2011): Recovering Markups from Production Data. International Journal of Industrial Organization 29, 350–355. Hierbei wird eine Translog-Produktionsfunktion zugrunde gelegt
wobei die logarithmierte Bruttowertschöpfung, den logarithmierten Kapitalstock, den logarithmierte Arbeitseinsatz und die logarithmierte Gesamtfaktorproduktivität bezeichnen. Aus den Parametern lassen sich die Produktionselastizitäten der Faktoren Arbeit und Kapital berechnen. Die Indizes definieren das Unternehmen und den Beobachtungszeitpunkt . Darüber hinaus wird angenommen, dass das Unternehmen eine Kostenoptimierung vornimmt.
Der Produktivitätsrückgang ist also nicht von einem massiven Anstieg der Zahl kleinster und kleiner Unternehmen verursacht, sondern überwiegend bei den mittleren und großen Unternehmen zu verorten, deren durchschnittliche Produktivität zurückgegangen ist.Dies mag kontraintuitiv erscheinen, da die mittleren und großen Unternehmen auch im Jahr 2017 immer noch über eine höhere Produktivität verfügen als die kleinen Unternehmen. Im Fokus der Analyse steht jedoch die Erklärung von Veränderungen in der Produktivität, nicht des Produktivitätsniveaus. Anders ausgedrückt, hätte es nicht den massiven Produktivitätsverlust bei den mittleren und großen Unternehmen gegeben, wäre das Produktivitätsniveau bei ihnen im Jahr 2017 höher als in Abbildung 2.
Die Bruttowertschöpfung misst die Differenz zwischen Output (der geleisteten Dienstleistung oder der produzierten Güter) und den eingesetzten Vorleistungen. Seit Jahrzehnten ist zu beobachten, dass die Fertigungstiefe in der Gesamtwirtschaft sinkt: Unternehmen führen für das Endprodukt notwendige Zwischenschritte immer weniger selbst aus und nehmen stattdessen externe Vorleistungen in Anspruch.In den wissensintensiven Unternehmensdienstleistungen stammen gut die Hälfte der Vorleistungen aus dem gleichen Sektor. Insbesondere in der Rechts-, Steuer- und Unternehmensberatung sowie in den Ingenieurs- und Architekturdienstleistungen ist die interne Verflechtung mit 61 Prozent beziehungsweise 48 Prozent sehr hoch. Eine weitere Rolle spielen Dienstleistungen aus dem Bereich Information und Kommunikation (12 Prozent aller Vorleistungen) sowie Mieten und Pachten (10 Prozent). Siehe Statistisches Bundesamt (2020): Input-Output-Rechnung. 2016 GENESIS 81511-0004 (online verfügbar). So ist die Vorleistungsquote in der Gesamtwirtschaft zwischen 1995 und 2017 auf 51 Prozent angestiegen. In den wissensintensiven unternehmensnahen Dienstleistungen wuchs sie ebenfalls und lag im Jahr 2017 bei 46 Prozent. Wenn der Verbrauch an Vorleistungen stärker steigt als das Volumen der produzierten Dienstleistungen, reduziert das die preisbereinigte Bruttowertschöpfung. Die Arbeitsproduktivität sinkt, wenn nicht auch die Beschäftigung entsprechend zurückgeht beziehungsweise der Output entsprechend steigt.
Für die Analyse wird die Arbeitsproduktivität sowohl basierend auf der Bruttowertschöpfung als auch auf dem Bruttoproduktionswert (das heißt dem Volumen der produzierten Dienstleistungen) berechnet. Beide Zeitreihen folgen bis 2013 einem ähnlichen Trend (Abbildung 3). Der Rückgang ist jedoch unter Verwendung des Bruttoproduktionswertes geringer ausgeprägt (−18 Prozent) als bei der Bruttowertschöpfung (−37 Prozent). Zudem nimmt der Unterschied zwischen beiden Maßen über die Zeit zu. Das bedeutet, dass die zunehmende Verwendung von Vorleistungen nicht mit einer entsprechenden Reduzierung der Erwerbstätigen einhergeht, was zu Produktivitätsverlusten führt. Insgesamt kann die steigende Vorleistungsquote demzufolge etwa die Hälfte des Produktivitätsverlustes zwischen 1995 und 2017 erklären.
Als weitere mögliche Erklärung für den Rückgang der Produktivität wird die gestiegene TeilzeitquoteVerhältnis zwischen Teilzeit und Vollzeitbeschäftigten. untersucht. In den wissensintensiven Unternehmensdienstleistungen ist sie von 15 Prozent im Jahr 2008 auf 24 Prozent im Jahr 2017 gestiegen und hat damit im gesamtwirtschaftlichen Vergleich aufgeholt.Zu den Zahlen für die wissensintensiven unternehmensnahen Dienstleistungen vgl. Statistisches Bundesamt (2021): Statistik der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. 2008–2020. GENESIS 13111-0004 (online verfügbar). In der Gesamtwirtschaft ist die Teilzeitquote von 16 Prozent im Jahr 1995 über 26 Prozent im Jahr 2008 auf 29 Prozent im Jahr 2017 gestiegen. Siehe hierzu Statistisches Bundesamt (2021): Abhängig Erwerbstätige: Beschäftigungsumfang. Mikrozensus Deutschland. 1985–2019. GENESIS 12211-0011 (online verfügbar). Um zu überprüfen, inwieweit die gestiegene Teilzeitbeschäftigung den gemessenen Rückgang der Arbeitsproduktivität erklären kann, wird die Arbeitsproduktivität einmal mit der Anzahl der Erwerbstätigen und einmal mit der Anzahl der geleisteten Stunden berechnet.Diese werden vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung geschätzt. Letztere bleibt von der Teilzeitquote unberührt.
Beide Kurven folgen einem nahezu identischen Trend (Abbildung 4). Die Arbeitsproduktivität sinkt grundsätzlich auch, wenn die geleisteten Stunden zugrunde gelegt werden. Es lässt sich jedoch etwa ab der Jahrtausendwende eine geringe Abweichung beobachten. Die gestiegene Teilzeitquote könnte somit insgesamt etwa fünf Prozentpunkte des Rückgangs erklären, ist für den gemessenen Rückgang jedoch nicht hauptverantwortlich.
Der beschriebene Produktivitätsrückgang könnte potenziell auch durch Wettbewerbseffekte erklärt werden. In der wissenschaftlichen Literatur wird ein Zusammenhang zwischen Produktivitätsniveau und Wettbewerbsgrad angenommen: Je stärker der Wettbewerbsdruck in einem Markt ist, desto höher ist das durchschnittliche Produktivitätsniveau in diesem Markt. Ein Maß zur Messung der Wettbewerbsintensität sind die Preisaufschläge, die Unternehmen für ihre Produkte durchsetzen können, also das Verhältnis zwischen Preisen und Kosten. In Märkten mit hohem Wettbewerbsdruck sind die Preisaufschläge in der Regel gering, da Unternehmen sonst befürchten müssten, Marktanteile an Wettbewerber zu verlieren, die ihre Produkte zu geringeren Preisen anbieten.
Um diesen Aspekt näher zu beleuchten, wurde die Entwicklung der Preisaufschläge der Unternehmen berechnet (Kasten 2). Die Preisaufschläge zwischen 2008 und 2017 sind in allen Unternehmensgrößenklassen schwach gesunken (Abbildung 5). Der Wettbewerbsdruck dürfte also in diesem speziellen Segment der Dienstleistungsmärkte eher zugenommen haben. Dies erscheint auch insofern plausibel, als die Europäische Kommission seit Erlass der Dienstleistungsrichtlinie im Jahr 2006 auf Deutschland einwirkt, Wettbewerbshemmnisse zu beseitigen. In der Folge wurde etwa die Preisregulierung in den freien Berufen immer mehr gelockert und sieht nun zusätzliche Ausnahmen vor.Zu den Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland vgl. unter anderem Europäische Kommission (2015): Fixed Tariffs for Architects and Engineers. Vertragsverletzungsverfahren INFR(2015)2057. Zu den Ausnahmen von der Preisregulierung vgl. zum Beispiel §§ 34 bis 36 RVG (Rechtsberatung), §§ 4 und 14 der StBVV (Steuerberatung) oder §§ 1 und 2a HOAI (Ingenieurs- und Architekturdienstleistungen). Somit gibt es eher Anzeichen für eine Intensivierung des Wettbewerbs und ein gesunkener Wettbewerbsdruck erscheint als Ursache für den Produktivitätsrückgang unwahrscheinlich.
Die wissensintensiven unternehmensnahen Dienstleistungen, wozu beispielsweise Ingenieurdienstleistungen, Marketing, die Auftragsforschung sowie die Steuer- und Rechtsberatung zählen, sind der viertgrößte Wirtschaftszweig der gewerblichen Wirtschaft in Deutschland. Hier hat ein besorgniserregender Einbruch der Arbeitsproduktivität stattgefunden. Die Unternehmen in diesem Wirtschaftszweig arbeiten heute mit einer um mehr als ein Drittel niedrigeren Effizienz als Mitte der 1990er Jahre. Das negative Wachstum der Arbeitsproduktivität in diesem Wirtschaftszweig liefert damit einen Beitrag zu dem sich seit drei Dekaden abschwächenden gesamtwirtschaftlichen Produktivitätswachstum, das Politik und Wissenschaft seit langem in Sorge versetzt.
Zur Hälfte wird der erstaunliche Einbruch durch die gestiegene Vorleistungsquote erklärt, die nicht mit einem entsprechenden Rückgang der Erwerbstätigen einherging. Eine gestiegene Teilzeitquote trägt nur in geringem Maße zur Erklärung bei. Es ist jedoch unklar, was die Ursachen für diese Entwicklung sind. So dürfte es für viele Unternehmen anspruchsvoller geworden sein, ihre Dienstleistungen zu erbringen, beispielsweise aufgrund von Umweltvorgaben für Ingenieursdienstleistungen oder gestiegene Kundenanforderungen in der Beratung. Trotz zusätzlicher Vorleistungen wäre somit ein erhöhter Arbeitseinsatz erforderlich. Des Weiteren könnten es aber auch gestiegene Büromieten und ähnliche Fixkosten sein, die der Preisindex für Vorleistungen unter Umständen nicht adäquat abdeckt.
Gerade bei den größeren Unternehmen, bei denen sich womöglich auch der Vorleistungseffekt stärker auswirkt, finden sich höhere Produktivitätsverluste als bei den kleinen und kleinsten Unternehmen. Es gibt somit keine Belege für die häufig geäußerte Erwartung, dass gerade letztere die Treiber des Produktivitätseinbruchs in diesem Wirtschaftszweig sind. Auch die Vermutung, dass die Produktivität gesunken ist, weil der Wettbewerb nachgelassen hat, konnte nicht bestätigt werden. Vielmehr gibt es Hinweise für eine zuletzt gestiegene Wettbewerbsintensität. Dies könnte zur Stabilisierung der Arbeitsproduktivität in den wissensintensiven unternehmensnahen Dienstleistungen seit 2014 beigetragen haben.
Themen: Wettbewerb und Regulierung, Produktivität
JEL-Classification: L84;O47;D24
Keywords: professional services, productivity
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-21-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/235732