DIW Wochenbericht 21 / 2021, S. 363
Alexander Schiersch, Erich Wittenberg
get_appDownload (PDF 94 KB)
get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF 2.69 MB)
Herr Schiersch, was versteht man unter wissensintensiven unternehmensnahen Dienstleistungen und warum ist die Arbeitsproduktivität in diesem Bereich von so großer Bedeutung? Wissensintensive unternehmensnahe Dienstleistungen umfassen Dienstleistungen, die in erster Linie für Unternehmen erbracht werden. Das sind zum Beispiel Ingenieursdienstleistungen oder Marketingkonzepte und -kampagnen, aber auch Auftragsforschung oder Rechtsberatungen. Dieser Bereich hat in den letzten Jahrzehnten stark geboomt und ist mittlerweile der viertwichtigste in der gewerblichen Wirtschaft in Deutschland. Zudem produziert er viele Vorleistungen für Unternehmen aus anderen Wirtschaftszweigen und hat dementsprechend auch Einfluss auf deren Performance.
Wie hat sich die Arbeitsproduktivität in diesem Bereich in den letzten Jahren entwickelt? Wir beobachten, dass über eine lange Zeit, zwischen 1995 und 2014 etwa, die Produktivität fast kontinuierlich um insgesamt fast 40 Prozent gefallen ist. Das ist schon enorm, gerade wenn man berücksichtigt, dass in demselben Zeitraum viele andere Wirtschaftszweige ein starkes Produktivitätswachstum aufgewiesen haben. Erst ab ungefähr 2014 haben wir eine kleine Stagnationsphase und erwarten jetzt eigentlich, dass sich die Produktivität wieder ein bisschen verbessert. Aber in der Summe haben wir in den letzten zwei Dekaden einen massiven Produktivitätsverlust gesehen.
Sind eher große oder eher kleine Unternehmen betroffen? Wir beobachten das über alle Größenklassen hinweg. Sowohl kleinste, kleine, als auch mittlere und große Unternehmen sind betroffen. Allerdings sind es gerade die großen Unternehmen, wo die Produktivitätsverluste besonders ausgeprägt sind.
Warum sind die größeren Unternehmen stärker betroffen? Wir sehen als Gründe unter anderem eine verstärkte Nutzung von Vorleistungen, ohne dass das durch einen Abbau von Beschäftigung kompensiert wurde. Wir vermuten, dass zusätzliche Regulierungen und Berichtspflichten dazu geführt haben, dass die Beschäftigten trotz der vermehrten Verwendung von Vorleistungen benötigt werden, um all diese komplexen Anforderungen zu erfüllen – sei es im Berichtswesen, sei es bei der Antragstellung für Projekte oder Angebote. Das hat in der Summe vermutlich dazu geführt, dass gerade größere Unternehmen, die diesen Berichtspflichten stärker unterliegen, auch stärker davon betroffen sind.
Wo liegen darüber hinaus die Ursachen für die abnehmende Arbeitsproduktivität? Die stark gestiegenen Vorleistungen, die nicht durch Beschäftigungsreduktion kompensiert wurden, erklären ungefähr 50 Prozent des Produktivitätsrückgangs. Dann sehen wir noch, dass der deutliche Aufwuchs an Teilzeitbeschäftigung einen kleinen Beitrag hatte. Wir haben noch weitere Aspekte untersucht, die überraschenderweise keinen großen Effekt hatten. Zum einen haben wir vermutet, dass die Wettbewerbsintensität vielleicht gefallen ist. Dem ist nicht so. Das zweite war, dass wir den Markteintritt vieler kleiner Unternehmen gesehen haben, die man eher für unproduktiv hielt. Aber, obwohl sie eine leicht negative Produktivitätsentwicklung haben, ist auch das nicht der Hauptgrund gewesen.
Wie schätzen Sie die zukünftige Entwicklung ein? Wir gehen im Moment davon aus, dass sich der etwa 2014/2015 beginnende Trend einer anziehenden Produktivität fortsetzt, unter anderem weil die Wettbewerbsintensität zuletzt etwas zugenommen hat. Das spricht in der Regel für eine steigende Produktivität. Zum anderen sehen wir ähnliche Entwicklungen in anderen europäischen Ländern. Dort hat die Produktivität nach starken Rückgängen zum Teil bereits wieder begonnen zu wachsen. Wir gehen davon aus, dass dieser Effekt früher oder später auch hier zum Tragen kommt.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Wettbewerb und Regulierung, Produktivität
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-21-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/235733