DIW Wochenbericht 23/24 / 2021, S. 414
Claus Michelsen, Erich Wittenberg
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Herr Michelsen, die zurückliegenden Monate waren geprägt durch strikte Maßnahmen zur Eingrenzung der Corona-Pandemie. Wie stark wurde die deutsche Wirtschaft dadurch in Mitleidenschaft gezogen? Die weitreichenden Einschränkungen, die die Politik aufgrund der zweiten und dritten Corona-Welle beschlossen hat, haben nicht zu solch heftigen wirtschaftlichen Einbrüchen geführt wie im vergangenen Jahr. Natürlich haben wir Wirtschaftsleistung verloren, allerdings ist der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts mit knapp zwei Prozent im ersten Quartal deutlich moderater gewesen als die minus zehn Prozent, die wir im zweiten Quartal des vergangenen Jahres gesehen haben. Dass die Wirtschaft insgesamt besser durch diese neuerlichen Infektionswellen gekommen ist, ist vor allen Dingen darauf zurückzuführen, dass die Industrie ganz gut gelaufen ist und uns ein relativ gutes Winterhalbjahr beschert hat.
Langsam zeichnet sich eine vorsichtige Rückkehr zur Normalität ab. Stehen wir vor einem großen Aufschwung? Wir erwarten, dass die Wirtschaft ein verspätetes Frühlingserwachen erleben wird. Insbesondere die Dienstleistungsbereiche und der Handel dürften jetzt von den Lockerungsmaßnahmen profitieren. Allerdings werden mit den Öffnungen die Menschen auch wieder mehr Kontakte haben, was wieder zu steigenden Inzidenzzahlen führen kann. Wir gehen davon aus, dass auch in den Sommermonaten immer wieder regional Beschränkungen beschlossen werden müssen, bis die Impfquote so hoch ist, dass zumindest annähernd eine Herdenimmunität erreicht ist. Dann werden wir einen nachhaltigen Aufschwung erleben. Mit dem Jahreswechsel dürfte das Vorkrisenniveau wieder erreicht werden.
Wie stark sind die Einbrüche beim privaten Konsum? Gastronomieeinrichtungen mussten schließen, die Unterhaltungsbranche konnte nicht arbeiten und auch der Handel war stark eingeschränkt. Das machte sich natürlich in deutlichen Rückgängen des privaten Konsums bemerkbar. Der Konsum ist typischerweise die stabilisierende Größe in der Volkswirtschaft. Normalerweise sehen wir die Fluktuationen viel stärker bei den Investitionsgütern. Die haben sich relativ stabil gehalten und auch der Export war in den Wintermonaten eine Stütze der Konjunktur.
Inwieweit droht eine Insolvenzwelle bei Dienstleistern und im Einzelhandel? Es sind vor allem die kleinen Unternehmen mit einer dünnen Eigenkapitaldecke, die von Insolvenz bedroht sind. Als im vergangenen Jahr die Insolvenzmeldepflicht ausgesetzt war, haben außergewöhnlich wenige Unternehmen eine Insolvenz angemeldet und außergewöhnlich wenige UnternehmerInnen haben ihr Geschäft aufgegeben und abgemeldet. Jetzt gilt die Insolvenzmeldepflicht wieder und wir müssen davon ausgehen, dass dies in den kommenden Monaten nachgeholt wird und die Zahlen deutlich steigen. Ob das dann zu einer Insolvenzwelle führt, die größer ist als der Nachholeffekt, den wir erwarten, hängt davon ab, ob wieder nachhaltig Geschäftstätigkeit möglich ist.
Wie entwickeln sich die Verbraucherpreise und die Inflation? Die Preise für Rohstoffe und Energie sind stark gestiegen, aber auch wichtige Vorleistungsgüter sind für die Industrie sehr viel teurer geworden. Die Knappheiten auf den Rohstoffmärkten dürften aber nur bedingt auf die Inflation auf der Verbraucherebene durchschlagen. Dennoch gibt es einige Sondereffekte. Die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer im Januar und die Einführung der CO2-Bepreisung führen dazu, dass die Inflation stärker ausfällt. Wenn wir auf die Kerninflation schauen, also ohne Öl- und Energiepreise, dann beobachten wir jedoch eine relativ stabile Preisentwicklung um anderthalb Prozent.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Konjunktur, Gesundheit, Geldpolitik
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-23-4
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/235742