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Ein wirksames Klimaschutzgesetz braucht Frühindikatoren

DIW Wochenbericht 41 / 2021, S. 679-687

Daniela Fietze, Mats Kröger, Thorsten Müller, Karsten Neuhoff

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  • Klimaschutzgesetz sieht bisher nur Monitoring von Emissionen vor – so werden fehlende Fortschritte nur verzögert erkannt und transformative Maßnahmen verkannt
  • Zusätzliche Frühindikatoren könnten Management der Klimawende verbessern und Unsicherheiten für Wirtschaft reduzieren
  • Frühindikatoren würden das Klimaschutzgesetz sinnvoll ergänzen und Regierungshandeln besser nachvollziehbar machen
  • Dies wäre auch im Sinne des Bundesverfassungsgerichts, demzufolge Gesetzgeber frühzeitig Planungssicherheit und Entwicklungsdruck hin zur Klimaneutralität erzeugen müsse

„Das Monitoring im Klimaschutzgesetz greift noch zu kurz: Der Übergang zur Klima­neutralität kann besser gelingen, wenn Frühindikatoren ergänzt würden, die Fortschritte und Mängel sichtbar machen.“ Karsten Neuhoff

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz sowie die Verpflichtung zum Erreichen von Klimaneutralität stellen neue Anforderungen an die Politik. Die Weichen für eine klimaneutrale Gesellschaft müssen jetzt gestellt werden. Die derzeit im Klimaschutzgesetz vorgesehenen Monitoringinstrumente sind jedoch nicht ausreichend, um zu erkennen, ob die Politikinstrumente und Programme die intendierte Wirkung entfalten. Denn Treibhausgasreduktionen auf Sektorebene, die aktuell die alleinige Zielgröße darstellen, sind mit Unsicherheiten behaftet. Zudem erlauben sie es erst mit Verzögerung Fortschritte zu erkennen, und sie bilden die den konkreten Emissionsminderungen vorgelagerten transformativen Maßnahmen nur unzureichend ab. Um diese Defizite auszuräumen, sollte das Klimaschutzgesetz durch Frühindikatoren ergänzt werden. Auf diese Weise könnte durch eine verbreiterte Informationsgrundlage eine bessere Umsetzung von Energie- und Klimapolitikmaßnahmen ermöglicht werden.

In den vergangenen Jahren hat sich ein Paradigmenwechsel in der Klimapolitik vollzogen. Innerhalb weniger Jahre ist aus einer Debatte über die Notwendigkeit von Klimaschutz eine Debatte über die richtigen Maßnahmen hin zur Klimaneutralität geworden. Befeuert wurde diese Diskussion auch durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom März 2021.infoBVerfG, Beschluss vom 24. März 2021, Az.: 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20 (online verfügbar, abgerufen am 15. September 2021. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Darin wurde das Klimaschutzgesetz als teilweise verfassungswidrig eingestuft und die Bundesregierung zu Nachbesserungen verpflichtet, um die Freiheitsrechte jüngerer Generationen zu schützen. Laut Bundesverfassungsgericht fehlten in dem Gesetz ausreichende Vorgaben für die Minderung der Emissionen ab 2031.

Diese Debatte schlägt sich auch in den Programmen der Parteien für die Bundestagswahl 2021 nieder (Tabelle 1). War 2017 nur bei den Grünen und der SPD das Konzept der „Klimaneutralität“ sporadisch im Wahlprogramm erwähnt, ist es jetzt in allen Programmen der im Bundestag vertretenen Parteien außer dem der AfD zu finden. Auch nennen alle Parteien mit Ausnahme der AfD einen konkreten Zeithorizont für das Erreichen der Klimaneutralität, sei es 2035infoDie Linke (2021): Zeit zu handeln! Für soziale Sicherheit, Frieden und Klimagerechtigkeit, Wahlprogramm (online verfügbar)., 2040infoBündnis ’90/Die Grünen (2021): Deutschland. Alles ist drin, Wahlprogramm (online verfügbar)., 2045infoSozialdemokratische Partei Deutschlands (2021): Aus Respekt vor deiner Zukunft, Wahlprogramm (online verfügbar).,infoChristdemokratische Union Deutschland und Christlich-Soziale Union Deutschland (2021): Das Programm für Stabilität und Erneuerung. Gemeinsam für ein modernes Deutschland, Wahlprogramm (online verfügbar). oder 2050infoFreie Demokratische Partei (2021): Nie gab es mehr zu tun, Wahlprogramm (online verfügbar).. Die Ausgestaltung des Weges hin zur Klimaneutralität wird eine der wichtigsten Aufgaben der neuen Bundesregierung sein.

Tabelle 1: Zahl der Nennungen des Wortes „klimaneutral/CO2-neutral/treibhausgasneutral“ in den Wahlprogrammen der Bundestagsparteien

2017 2021 Zieljahr1 für Klimaneutralität (Programm 2021)
CDU 0 18 2045
SPD 3 20 2045
Grüne 3 60 2040
Linke 0 32 2035
FDP 0 5 2050
AfD 0 0

1 Die Zieljahre sind nicht zwingend als Forderungen der Parteien genannt, sondern kommen in einigen Fällen in der Beschreibung des Handlungsrahmens vor.

Quelle: Bundestagsprogramme der Parteien.

Mit dem Klimaschutzgesetz von 2019infoBundes-Klimaschutzgesetz (2019): Fassung vom 12. Dezember 2019, BGBl. I, 2513. hat der Gesetzgeber bereits einen wichtigen Schritt zu einer Konkretisierung des Wegs hin zur Klimaneutralität unternommen. Die Einführung konkreter Minderungsziele in den verschiedenen Sektoren der Wirtschaft soll Klimaschutz messbar machen und eine Überprüfung des Fortschritts ermöglichen. Allerdings ist der Blick auf sektorale Emissionsminderungen allein nicht ausreichend, um eine Steuerung und Erfolgskontrolle in der Klimapolitik zu erreichen.

Daher sollten die Minderungsziele durch weitere Indikatoren ergänzt werden und so die Klimaschutzziele konkretisieren, einen Kontrollmechanismus für den Erfolg des Regierungshandelns stärken und regulatorische Risiken für Unternehmen sowie BürgerInnen reduzieren. Durch diese zusätzlichen Indikatoren würde sich ein effektiveres Management der Klimawende verwirklichen lassen. Eine solche Reform des Klimaschutzgesetzes würde auch zur Freiheitssicherung künftiger Generationen im Sinne des Bundesverfassungsgerichts beitragen.

Bundesverfassungsgericht: Gesetzgeber muss den Übergang zur Klimaneutralität frühzeitig anleiten

Mit Beschluss vom 24. März 2021 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Klimaschutzgesetz des Bundes aus dem Jahr 2019 teilweise verfassungswidrig ist.infoKonkret: § 3 Absatz 1 Satz 2, § 4 Absatz 1 Satz 3 i. V. m. Anlage 2 KSG a. F., vgl. dazu Thorsten Müller, Daniela Fietze und Hannah Scheuing (2021): Rechtliche Stellungnahme zur Anhörung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit des deutschen Bundestages am 21. Juni 2021, 4f. (online verfügbar). Zur Begründung hieß es, das Gesetz leiste nicht genug, um den verfassungsrechtlich notwendigen Übergang zur Klimaneutralität anzuleiten.

Das Grundgesetz beinhalte in Gestalt von Artikel 20a GGinfoDer Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung. ein Klimaschutzgebot, das mittelfristig auch zur Klimaneutralität verpflichte: Denn Klimaschutz bedeute vor allem die „Einhaltung einer Temperaturschwelle, bei der die durch Menschen verursachte Erwärmung der Erde angehalten werden soll“.infoDie in folgenden Absätzen erscheinenden Zitate stammen allesamt aus dem o.g. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. Seien diese Grenzen der Erderwärmung erreicht, verpflichte das Klimaschutzgebot dazu, Treibhausgasemissionen auf ein „für die Treibhausgaskonzentration in der Erdatmosphäre neutrales Maß“ zu begrenzen – also zur Klimaneutralität.

Den Übergang zu einer klimaneutralen Welt müsse der Gesetzgeber so gestalten, dass auch nachfolgenden Generationen nennenswerte Freiräume verbleiben („intertemporale Freiheitssicherung“). Emissionsminderungslasten dürften nicht einseitig in die Zukunft verlagert werden, andernfalls seien künftig schwerwiegende Freiheitseinbußen zu erwarten.

Daraus leitet das Gericht Pflichten für den Gesetzgeber ab: Dieser muss den Übergang zur Klimaneutralität in allen Lebensbereichen frühzeitig ein- und anleiten. Er muss ein Maß an Planungssicherheit und Entwicklungsdruck erzeugen, das gesellschaftliche und technologische Entwicklungsprozesse in Richtung klimaneutraler Verhaltensalternativen anstößt. Dabei erkennt das Gericht an, dass „(t)echnische Entwicklung und Verhaltensinnovation insoweit nicht genau […] vorhersehbar“ sind. Verfassungsrechtlich ist es daher geboten, Entscheidungen fortlaufend zu überprüfen und gegebenenfalls nachzusteuern.infoVgl. Müller, Fietze und Scheuing (2021), a.a.O., 9. Damit ist der Rahmen für Verbesserungen des Klimaschutzgesetzes gesteckt. Nun geht es darum, ihn bestmöglich auszufüllen.

Minderungsziele auf Sektorebene sind nicht ausreichend, um Klimaneutralität zu erreichen

Bisher sind sektorale Minderungsziele das zentrale Monitoringinstrument des Klimaschutzgesetzes zur Überprüfung und Steuerung klimapolitischer Maßnahmen. Diese beschreiben den Pfad, auf dem Deutschland seine Emissionen gegenüber dem Basisjahr 1990 reduzieren will, um das Ziel eines Rückgangs der Emissionen um 65 Prozent im Jahr 2030 und Klimaneutralität im Jahr 2045 zu erreichen. Sie sind in den sechs Sektoren „Energiewirtschaft“, „Industrie“, „Verkehr“, „Gebäude“, „Landwirtschaft“ und „Abfallwirtschaft/Sonstiges“ die zentralen Indikatoren zur Steuerung und Kontrolle der klimapolitisch relevanten Maßnahmen.infoVgl. Anlage 2 zu § 4 KSG. Die sektoralen Minderungsziele für die Jahre 2023 bis 2030 wurden nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts bereits im Mai 2021 nachgeschärft.infoVgl. Müller, Fietze und Scheuing (2021), a.a.O., 10.

Auf Basis der Emissionsdaten des Umweltbundesamtes überprüft der Expertenrat für Klimafragen jährlich, inwieweit die Ziele bereits erreicht wurden.info§ 12 Absatz 1 KSG. Verfehlt einer der Sektoren die angestrebten Minderungen, muss das zuständige Bundesministerium ein Sofortprogramm vorlegen, das die Einhaltung der Emissionsmengen des Sektors für die folgenden Jahre sicherstellt.info§ 8 Absatz 1 KSG.

Das Klimaschutzgesetz geht mit der Definition der Reduktionspfade für die Sektoren einen wichtigen Schritt hin zu einer Konkretisierung des allgemeinen Ziels der Klimaneutralität. Doch die im Gesetz vorgesehenen Indikatoren weisen erhebliche Defizite auf, die im Folgenden diskutiert werden.

Verlässliche sektorale Emissionsdaten sind nur mit Zeitverzug verfügbar

Ein Problem des Klimaschutzgesetzes ist, dass zum Zeitpunkt der Berichterstattung durch das Umweltbundesamt – der 15. März des auf das Berichtsjahr folgenden Jahresinfo§ 5 Absatz 1 KSG. – nur vorläufige Emissionsdaten vorliegen.infoDie vollständigen und offiziellen Daten veröffentlicht das UBA jeweils im zweiten auf das Berichtsjahr folgenden Jahr (online verfügbar). Die Erfahrungen mit der Berichterstattung nach der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) lassen darauf schließen, dass diese vorläufigen Daten im weiteren Verlauf noch korrigiert werden.infoDa die Berichte auf umfassenden Datensätzen der allgemeinen Statistik beruhen, zu denen oftmals erst im dritten Quartal die endgültigen Zahlen für das Vorjahr vorliegen, müssen im ersten Quartal in vielen Bereichen noch Schätzwerte verwendet werden. Die EU-Governance-Verordnung (VO (EU) 2018/1999) sieht in Artikel 26 Absatz 3 allerdings vor, dass die Mitgliedstaaten ab 2023 bis zum 15. März eines Jahres „endgültige Daten ihrer Treibhausgasinventare“ an die EU-Kommission übermitteln müssen. In welchem Umfang dafür das statistische Meldewesen angepasst werden muss und kann, ist allerdings noch offen.

Beispielsweise lagen die durchschnittlichen jährlichen Korrekturen zwischen den Vorjahresschätzungen und den finalen Emissionsdaten im Bereich der Landwirtschaft zwischen 2010 und 2018 bei 3,4 Prozent und im Bereich der Abfallwirtschaft bei 11,3 Prozent.infoExpertenrat für Klimafragen (2021): Bericht zur Vorjahresschätzung der deutschen Treibhausgasemissionen für das Jahr 2020, 9 (online verfügbar). Die Korrekturen resultieren daraus, dass Statistiken für einige Teilbereiche der Wirtschaft erst verzögert verfügbar sind und daher auf die Vorjahresschätzung, basierend zum Beispiel auf Aktivitätsdaten, zurückgegriffen wird. Außerdem besteht eine Unsicherheit bei der Erfassung der Emissionen in einigen Bereichen wie beispielsweise bei den Methanemissionen in der Abfallwirtschaft.infoExpertenrat für Klimafragen (2021), a.a.O., 9. Im Falle der Klimaziele für das Jahr 2020 haben diese Ungenauigkeiten dazu geführt, dass es im Landwirtschafts- und Abfallwirtschaftssektor nicht möglich war, eindeutig zu bestimmen, ob die Klimaziele erreicht wurden oder nicht.infoIn seiner Bewertung der Emissionsminderungen kommt der Expertenrat zum Schluss, dass das Minderungsziel im Falle der Sektoren „Gebäude“, „Verkehr“, „Abfallwirtschaft“ und „Landwirtschaft“ innerhalb des 95-Prozent-Konfidenzintervalls liegt. In Anbetracht dieser relativ großen Unsicherheiten kommt der Expertenrat im Bereich der Landwirtschaft und Abfallwirtschaft zum Ergebnis, dass ein Erreichen der Ziele in diesen Sektoren „ebenso wahrscheinlich wie nicht wahrscheinlich“ sei. Obwohl die Ziele nach der Vorjahresschätzung erreicht wurden, ist es also durchaus möglich, dass die Emissionsmenge nach der Korrektur doch noch über dem Zielwert liegt (Expertenrat für Klimafragen, a.a.O, 10ff. und 69). Während im Verkehrssektor das Emissionsziel vermeintlich erreicht und im Gebäudesektor verfehlt wurde, besteht eine Restwahrscheinlichkeit von jeweils mehr als fünf Prozent des gegenteiligen Ergebnisses (Abbildung 1).

Sondereffekte reduzieren Aussagekraft über klimapolitische Fortschritte

Zudem ist die kurzfristige Aussagekraft der Emissionsdaten über klimapolitische Fortschritte begrenzt, da die Emissionsminderungen, die auf die Klimapolitik zurückzuführen sind, durch konjunkturelle Effekte oder externe Schocks überlagert werden.

Die Emissionsänderungen sind insbesondere auf Sektorebene des Klimaschutzgesetzes sehr volatil (Abbildung 2). Im Bereich der Industrie schlagen sich die Schwankungen der konjunkturellen Entwicklung sehr stark nieder,infoUmweltbundesamt (2021): Berichterstattung unter der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen und dem Kyoto-Protokoll 2021 – Nationaler Inventarbericht zum Deutschen Treibhaus­gasinventar 1990–2019, 142 (online verfügbar). wie die negativen Emissionsentwicklungen in den Jahren 2009 und 2020, aber auch der „Recovery“-Effekt im Jahr 2010 zeigen. Im Bereich der Energiewirtschaft sind sowohl wirtschaftliche Entwicklungen und fluktuierende Produktionsmengen der erneuerbaren Energien als auch Änderungen in den Preisen fossiler Energieträger zu erkennen.infoExpertenrat für Klimafragen (2021), a.a.O., 74. Im Gebäudebereich schließlich sind die starken Schwankungen vor allem durch die wechselnden Witterungsbedingungen zwischen den Jahren zu erklären.infoBundesumweltministerium (2021): Klimaschutz in Zahlen, 40 (online verfügbar). Im Verkehrssektor zeigt sich im Jahr 2020 besonders stark die Auswirkung der Corona-Beschränkungen.

Diese Volatilität reduziert die Aussagekraft der Sektorminderungsziele als Monitoringinstrument. Das zeigt sich auch in der Debatte um das Erreichen der Klimaziele im vergangenen Jahr. Diese wurden unter anderem durch den wirtschaftlichen Abschwung infolge der Corona-Pandemie, einen milden Winter und überdurchschnittlich hohe Winderträge erreicht.infoUmweltbundesamt (2021): Treibhausgasemissionen sinken 2020 um 8,7 Prozent. Pressemitteilung (online verfügbar). Durch den Wegfall dieser Effekte wird bereits jetzt prognostiziert, dass die Klimaziele für 2021 für die Sektoren Verkehr, Gebäude und Industrie verfehlt werden, so dass Sofortprogramme erforderlich scheinen.infoAgora Energiewende (2021): Deutschland steht 2021 vor dem höchsten Anstieg der Treibhausgasemissionen seit 1990 (online verfügbar). Es liegt also nahe, dass die schon im vergangenen Jahr notwendigen Sofortprogramme nur durch die Sondereffekte verzögert wurden.

Aggregation auf Sektorebene verhindert Planungssicherheit und Zurechenbarkeit

Im aktuellen Klimaschutzgesetz werden Minderungsziele für die Gesamtemissionen jedes Sektors definiert. Dadurch wird aktuell nicht betrachtet, welche Emissionsminderungen durch verschiedene Aktivitäten innerhalb der Sektoren erreicht wurden und in welchen der Teilsektoren Fortschritte gemacht wurden. So könnten Fortschritte in einem Teilsektor fehlende Fortschritte in einem anderen Teilsektor verdecken. Diese Aggregation führt außerdem dazu, dass der Pfad zur Klimaneutralität in den einzelnen Teilsektoren nicht definiert wird, und so nicht zu Koordination und Verlässlichkeit für Investoren beiträgt.

Fokus auf direkte Emissionsminderungen erfasst transformative Maßnahmen nicht

Nicht alle sinnvollen klimapolitischen Maßnahmen haben eine direkte Minderung der Emissionen zur Folge. In vielen Fällen muss zunächst die Infrastruktur aufgebaut oder erweitert werden, um so die notwendigen Rahmenbedingungen für signifikante Emissionsminderungen herzustellen. Dies ist beispielsweise bei der Bereitstellung von Wasserstoffnetzen, Speicherkapazitäten oder dem Aufbau einer Ladeinfrastruktur für E-Mobilität der Fall. Der Fortschritt dieser vorbereitenden, transformativen Maßnahmen wird von dem bisherigen Monitoringsystem nicht erfasst. Das könnte dazu führen, dass kurzfristige Minderungsschritte politisch priorisiert werden. Dies ist insbesondere dort problematisch, wo die kurzfristigen Maßnahmen nicht mit dem Langfristziel einer klimaneutralen Gesellschaft im Einklang stehen. Beispielsweise lassen sich im Gebäudebereich durch einfache Sanierungen kurzfristig Treibhausgasemissionen reduzieren, jedoch werden dann später erneute tiefergehende Sanierungen notwendig. Dies ist daher mit Blick auf Klimaneutralität kein sinnvoller Schritt. Es braucht also zusätzliche Indikatoren, mit denen die Qualität der umgesetzten Maßnahmen und damit der Fortschritt hin zur Klimaneutralität bewertet werden kann.

Die verzögerte Wirkung klimapolitisch sinnvoller Maßnahmen auf Emissionsminderungen bedeutet außerdem, dass eine reine Steuerung über sektorale Treibhausgasausstöße der Regierung nicht erlaubt, Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig nachzusteuern. Vielmehr werden Fehlentwicklungen meist erst dann offensichtlich und erhalten die notwendige politische Aufmerksamkeit, wenn die Minderungsziele verfehlt werden.

Welche Frühindikatoren könnten ins Klimaschutzgesetz aufgenommen werden?

Um die aufgezeigten Defizite des Monitoringsystems zu adressieren, sollten ergänzende Frühindikatoren ins Klimaschutzgesetz aufgenommen werden. Bei diesen Frühindikatoren handelt es sich um Kennzahlen, die Zwischenschritte und vorbereitende Maßnahmen der Transition zur Klimaneutralität abbilden. Bei der Auswahl der Indikatoren sollte berücksichtigt werden, dass sie wesentliche Entwicklungen auf dem Weg zu einer klimaneutralen Wirtschaft erfassen und so bereits frühzeitig Aufschluss über den Fortschritt der Klimapolitik geben. Ein ähnlicher Vorschlag wurde kürzlich von Duwe et al. (2021) gemacht, die in ihrem Report ein Indikatorensystem für den Wandel hin zur Klimaneutralität entwickeln, das die verschiedenen strukturellen Transformationen erfassen soll.infoVgl. Matthias Duwe et al. (2021): Measuring progress towards climate neutrality. Ecologic Institute. (online vefügbar).

Die nun folgenden Indikatoren sollen als Beispiel dafür dienen, wie Indikatoren in den vier Sektoren mit den höchsten Emissionen Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr und Gebäude aussehen könnten (Tabelle 2). So soll gezeigt werden, wie bereits eine kleine Anzahl relevanter Indikatoren ein besseres Verständnis für den aktuellen Stand der Transformation im jeweiligen Sektor schaffen kann.

Tabelle 2: Beispiele für mögliche Indikatoren

Energiewirtschaft Industrie Verkehr Bauwesen
1 Anteil Wind-/Solar-/Geothermie an der Stromproduktion A,B Anteil an klimaneutraler Produktion bei verschiedenen Grundstoffen A,D,E Anzahl Ladestationen für E-Mobilität C,D Sanierungsrate, differenziert nach Tiefe D,E,F,G
2 Kapazität zum Speichern und zur Lastverschiebung D Anteil an hochwertigem Recycling bei verschiedenen Grundstoffen A,H Anteil klimaneutraler Antriebstechnologien, differenziert nach Transportmittel A,B,C,F,G Wärmeverbrauch pro Quadratmeter in Neubauten A
3 Flexibilität, die zu Netzengpassmanagement beitragen kann (GW) Materialintensität H Fahrgastentwicklung/ Kapazitäten des öffentlichen Personennahverkehrs B,E Anteil klimaneutraler Wärmeversorgung an Neuinstallationen A
4 Transportkapazität für (grünen) Wasserstoff (Tonnenkilometer) D Energieintensität der Industrie außerhalb von Grundstoffen Kapazität des Schienennetzes für Güterverkehr und Personenverkehr E Stromverbrauch pro Haushalt (ohne Wärme)
5 Stromnetzausbau (Kilometer) B,D Anzahl innerdeutscher Flüge A Einsatz an CO2/energieintensiven Materialien pro Quadratmeter Neubaufläche A
6

Anmerkungen: Kennzahlen werden in ähnlicher Form bereits genutzt bzw. vorgeschlagen in folgenden Berichten: A: IEA Net Zero 2050 Roadmap, B: Energiewendemonitoring, C: Nationale Energie- und Klimapläne, D: Ecologic & IDDRI (2021), E: Agora Energiewende (2021), F: Oliver Sartor (2016), G: Europäische Kommission (2020), H: OECD (2020).

A IEA (2021): Net Zero by 2050: A Roadmap for the Global Energy Sector (online verfügbar).

B BMWi (2021): 8. Monitoring-Bericht (online verfügbar).

C BMWi (2020): Nationaler Energie- und Klimaplan (online verfügbar).

D Matthias Duwe et al. (2021): Measuring Progress towards Climate Neutrality (online verfügbar).

E Agora Energiewende (2021): Klimaneutrales Deutschland 2045 (online verfügbar).

F Oliver Sartor (2016): Key indicators for tracking 2030 strategies towards decarbonisation in the EU. IDDRI Working Paper (online verfügbar).

G Europäische Kommission (2020): Impact assessment: Stepping up Europe’s 2030 climate ambition. SWD/2020/176 final (online verfügbar).

H OECD (2020): Environment at a Glance (online verfügbar).

Quelle: Eigene Darstellung.

Die aufgeführten Frühindikatoren werden schon in vielen Studien, Gesetzen und Diskursen genutzt. Für das Klimaschutzgesetz sollten sie so gewählt werden, dass sie sowohl konsistent mit dem Ziel der Klimaneutralität sind und zugleich die Ziele abbilden, die sich aus dem politischen Diskurs ergeben, so dass die Indikatoren gesellschaftlich und politisch verankert sind.

Für die Energiewirtschaft werden drei große Herausforderungen diskutiert: die Steigerung der Produktion erneuerbarer Energien, die Bereitstellung von zeitlicher Flexibilität und der Ausbau von Transportkapazitäten für Strom und Wasserstoff. Diese werden durch die Indikatoren abgedeckt, indem der „Anteil erneuerbarer Energien an der Stromproduktion“ die Steigerung der Produktionskapazität beschreibt. Gleichzeitig können die „Kapazität zum Speichern und zur Lastverschiebung“ sowie die „Flexibilität, die zu Netzengpassmanagement beitragen kann,“ als Indikatoren für die Erschließung der Flexibilitätspotentiale genutzt werden. Schließlich bilden die „Transportkapazität für Wasserstoff“ sowie der „Stromnetzausbau“ den Ausbau der Transportinfrastruktur ab.

Für den Bereich der Industrie bestehen zentrale Herausforderungen in der Produktion klimaneutraler Grundstoffe, der effizienten Wahl und Nutzung von Materialien und der Errichtung einer Kreislaufwirtschaft zur Reduktion von Ressourcen und Energieverbrauch. Der Indikator „Anteil klimaneutraler Produktionsprozesse“ bildet die Umsetzung der klimaneutralen Grundstoffindustrie für verschiedene Materialien ab. Dazu bilden die beiden Indikatoren „Anteil an hochwertigem Recycling“ und „Materialintensität “ den Fortschritt bei Kreislaufwirtschaft und Materialeffizienz ab. Mit dem Indikator zur Energieintensität werden Effizienzsteigerungen der nicht Grundstoffe produzierenden Industrie erfasst.

Im Verkehrssektor werden schließlich separate Indikatoren für die verschiedenen Teilsektoren gebraucht. So schlagen wir Indikatoren für die Bereiche Individualmobilität („Ladeinfrastruktur für E-Mobilität“ und „Anteil klimaneutraler Antriebstechnologien, differenziert nach Transportmittel“), Schienenverkehr und ÖPNV („Fahrgastentwicklung und Kapazitäten ÖPNV“ und „Kapazität des Schienennetzes für Güterverkehr und Personenverkehr“) vor. Die „Anzahl innerdeutscher Flüge“ bildet die Verlagerung des Flugverkehrs hin zu anderen Verkehrsträgern ab.

Im Gebäudesektor bestehen große Herausforderungen in der Reduktion des Energieverbrauchs durch Wärmedämmung, der Nutzung und Erschließung erneuerbarer Energien und der Reduktion von Emissionen, die durch Baumaßnahmen verursacht werden. Für die Reduktion des Verbrauchs sind die „Sanierungsrate“ im Bestand und der „Wärmeverbrauch pro Quadratmeter in Neubauten“ wichtige Indikatoren. Durch den Indikator „Anteil der Gebäude mit klimaneutraler Wärmeversorgung“ können Fortschritte beispielsweise bei der Nutzung von Wärmepumpen oder Fernwärme gemessen werden. Der Indikator „Stromverbrauch pro Haushalt“ bildet die Reduktion des Energieverbrauchs in anderen Bereichen ab. Schließlich ist der Einsatz von CO2-intensiven Materialien im Neubau eine wichtige Kenngröße für den Fortschritt der Klimaneutralität im Bausektor.

Welche Konsequenzen sollte eine Verfehlung der Indikatoren haben?

Sind Frühindikatoren im Klimaschutzgesetz verankert, stellt sich die Frage, ob und wenn ja welche Konsequenzen eine Verfehlung der Indikatoren haben soll.

Dabei sind grundsätzlich mehrere Varianten denkbar: So könnte eine Verfehlung nicht gesondert sanktioniert werden, sondern lediglich verwendet werden, um die Sofortprogramme nach § 8 KSG möglichst passgenau zu erstellen.

Soll eine Indikatorenverfehlung Konsequenzen haben, so könnte sie eine Stellungnahme- oder Begründungspflicht auslösen, etwa des für den jeweiligen Sektor zuständigen Ministeriums oder der Bundesregierung. Weitergehend könnten MinisterInnen oder die Bundesregierung verpflichtet werden, innerhalb eines klar definierten Zeitraums Maßnahmen zu erarbeiten, mit denen die Lücke geschlossen werden soll. Ein noch einmal weitergehendes Instrument wäre ein gesetzlicher Automatismus. Das heißt, im Falle einer Verfehlung würden bestimmte, bereits im Vorfeld vom Gesetzgeber festgelegte Maßnahmen ohne weitere Zwischenschritte in Kraft treten.infoVgl. etwa den Vorschlag der Agora Energiewende zur Nachsteuerung mittels CO2-Preis-Automatismus, Agora Energiewende: Sechs Eckpunkte für eine Reform. des Klimaschutzgesetzes (online verfügbar, zuletzt abgerufen am 24. September 2021), 14f.

Zwischen diesen Varianten müsste für jeden Indikator – beziehungsweise seine Verfehlung – eine Auswahl getroffen werden. Dabei spricht aus unserer Sicht einiges dagegen, gesetzliche Automatismen zu verankern: Es wird eine Vielzahl an Indikatoren geben. Die Aufgabe, für jeden dieser Indikatoren im Vorfeld eine spezifische Gegenmaßnahme zu finden und festzulegen, dürfte das Auswahlverfahren deutlich verkomplizieren und in die Länge ziehen. Häufig wird es auch eine Vielzahl an möglichen Reaktionen auf eine Verfehlung geben. In diesem Fall würde eine gesetzgeberische Vorfestlegung Potenzial verschenken, zielgenau und effizient nachzusteuern. Es wäre daher sinnvoll, an Indikatorenverfehlungen – analog zur Verfehlung von Sektorminderungszielen – eine Verpflichtung der Exekutive zum Tätigwerden anzuknüpfen. Wird die Exekutive nicht tätig – etwa, weil sie der Ansicht ist, der Indikatorenverfehlung besser im Rahmen des Sofortprogramms nach § 8 KSG entgegentreten zu können –, so muss sie dies begründen.

Frühindikatoren bieten eine Vielzahl von Vorteilen

Durch die Einführung von Frühindikatoren werden die Strategien für den Übergang zur Klimaneutralität greifbar und besser umsetzbar.infoZur Wirkung von Frühindikatoren vgl. etwa James Cust (2009): Using intermediate indicators: lessons for climate Policy, Climate Policy, 9(5), 450–463. Damit können die oben identifizierten Defizite adressiert werden und zugleich weitere Vorteile erreicht werden.

Frühindikatoren erlauben ein besseres Management der Klimawende

Durch eine Operationalisierung der Klimaschutzziele entsteht ein Frühwarnsystem, mit dem die Bundesregierung frühzeitig überprüfen kann, ob die Ziele erreicht werden. Falls dies nicht der Fall ist, kann sie rechtzeitig gegensteuern. Zugleich kann sie damit auch politische Verantwortung für Fortschritte noch innerhalb des Zeitrahmens von Legislaturperioden übernehmen. Im Klimaschutzgesetz ist diese Funktion bereits angelegt: Die Regierung muss bei Nichterreichung der sektorspezifischen Minderungsziele ein Sofortprogramm auflegen. Durch die zusätzliche Betrachtung von Frühindikatoren kann besser erkannt werden, ob solch ein Programm notwendig ist und wie es auszurichten ist.

Frühindikatoren reduzieren Unsicherheiten für die Privatwirtschaft

Die zusätzlichen Indikatoren schaffen eine größere Klarheit für die Wirtschaft, indem sie definieren, in welchem Zeitrahmen die Regierung mit einer klimaneutralen Produktion in den jeweiligen Teilsektoren rechnet. Dies gibt den Unternehmen zusätzliche Orientierung, die sie brauchen, um in eine Transformation ihrer Produktionsanlagen zu investieren.

Frühindikatoren machen Regierungshandeln nachvollziehbar

Die zusätzlichen Frühindikatoren erlauben darüber hinaus, dass das Regierungshandeln von Wissenschaft, Medien und Zivilgesellschaft nachvollzogen werden kann. Die Debatte um das mögliche Verfehlen des Ziels von 65 Prozent erneuerbaren Stroms bis 2030 zeigt, wie konkretere klimapolitische Ambitionen eine öffentliche Kontrolle der Maßnahmen und einen Handlungsdruck für die Regierenden herbeiführen können.infoSiehe Energiewirtschaftliches Institut an der Universität zu Köln (2020): Deutschland verfehlt das 65-Prozent-Ziel voraussichtlich (online verfügbar); oder Agora Energiewende (2020): Wie die Ökostromlücke gestopft werden kann (online verfügbar). Die konkrete Formulierung der Frühindikatoren, zum Beispiel als energetische Sanierungsrate, Ausbauziel für Windenergie oder Kapazität des ÖPNV, unterstützt darüber hinaus einen gesellschaftlichen Diskurs über das Tempo und die Ausrichtung der notwendigen Maßnahmen und damit auch deren Akzeptanz.

Risiken von Frühindikatoren können durch Ausgestaltung minimiert werden

Eine Einführung von Frühindikatoren birgt auch gewisse Risiken, die aber durch die Ausgestaltung der Indikatoren minimiert werden können.

Erstens besteht das Risiko, sich durch eine zu hohe Spezifität zu früh auf eine Technologie festzulegen und so andere, effizientere Entwicklungen zu behindern. Innerhalb eines Sektors sollten Indikatoren daher so definiert werden, dass sie verschiedene technologische Lösungen offenlassen, wenn über diese noch Uneinigkeit besteht.

Zweitens besteht das Risiko, dass die Konkretisierung zu einem ineffizienten Reduktionspfad führt, da Emissionsminderungen nicht zunächst in den Bereichen mit den geringsten Vermeidungskosten vorgenommen werden. Um Klimaneutralität bereits deutlich vor 2050 zu erreichen, muss jedoch in allen Teilsektoren parallel der Übergang zu klimaneutralen Technologien gelingen, so dass dieses Risiko weniger schwer wiegt.

Drittens besteht das Risiko der Inkonsistenz des Indikatorensets sowohl zwischen den Sektoren als auch mit dem übergeordneten Ziel der Klimaneutralität. Um einen realistischen Pfad zur Klimaneutralität zu beschreiben, sollten die Indikatoren auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Szenarien basieren. Für die sektorübergreifende Koordinierung eignet sich beispielsweise ein Kabinettsausschuss, wie er an anderer Stelle diskutiert wurdeinfoHeiner Lüpke und Karsten Neuhoff (2019) Ausgestaltung des deutschen Klimaschutzgesetzes: Grundlage für eine bessere Governance-Struktur. DIW Wochenbericht Nr. 5, 75–81 (online verfügbar). und wie er unter der aktuellen Bundesregierung mit dem sogenannten KlimakabinettinfoBundesregierung (2021): Klimakabinett berät CO2-Bepreisung, (online verfügbar). besteht.

Viertens besteht das Risiko, dass durch zu viele Indikatoren die Relevanz einzelner Indikatoren und der zugrunde liegenden Politikmaßnahmen infrage gestellt wird. Deswegen sollten die sektoriellen Emissionsziele jeweils nur mit wenigen, gut kommunizierbaren Indikatoren ergänzt werden. Dabei sollten jedoch möglichst alle großen Aufgaben des Übergangs zur Klimaneutralität abgedeckt werden. Es muss also eine Abwägung zwischen der Klarheit der Ziele und ihrer Vollständigkeit getroffen werden.

Frühindikatoren gewährleisten ein „Mehr“ an intertemporaler Freiheitssicherung

Verfassungsrechtlich ist die Einführung von Frühindikatoren ins Klimaschutzgesetz zwar nicht zwingend – der Gesetzgeber hat einen großen Spielraum bei der Gestaltung von Gesetzen. Eine Einführung würde allerdings ganz im Sinne der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts wirken, wenn dieses die Erzeugung von „Planungssicherheit und Entwicklungsdruck“ hin zu klimaneutralen Verhaltensweisen fordert. Denn Indikatoren, die unterschiedliche Teilbereiche innerhalb der einzelnen Sektoren in den Blick nehmen, machen auch den in den Sektoren aktiven Unternehmen und Individuen deutlich, an welchen Stellen Handlungsdruck besteht.

Schlussfolgerung: Frühindikatoren stellen eine sinnvolle Weiterentwicklung der staatlichen Klimaschutz-Governance dar

Dieser Wochenbericht kommt zu dem Ergebnis, dass das Klimaschutzgesetz durch Frühindikatoren ergänzt werden sollte. Dies würde die Leistungsfähigkeit des zentralen Regelungsbausteins der deutschen Klimaschutz-Governance verbessern. Denn das bisherige Kontroll- und Steuerungssystem, also die nachgelagerte Kontrolle über Sektorminderungsziele, weist erhebliche Defizite auf. Es ist mit Unsicherheiten behaftet und erkennt Fortschritte erst mit Verzögerung. Zudem überlagern Sondereffekte wie zum Beispiel die wirtschaftlichen Entwicklungen mögliche klimapolitische Fortschritte oder Misserfolge. Der Fokus auf Emissionsminderungen kann darüber hinaus dazu führen, dass transformative Maßnahmen wie der Aufbau einer klimaneutralen Infrastruktur, die nicht zu einer unmittelbaren Emissionsminderung führen, vernachlässigt werden. Ausdifferenzierte Frühindikatoren würden die abstrakten Sektorminderungsziele operationalisieren und dazu beitragen, Defizite des bisherigen Systems auszuräumen. So erlauben sie ein besseres Management der Transformation zur Klimaneutralität.

Entscheidend für die Wirksamkeit und die Akzeptanz der Frühindikatoren wird ihre Auswahl und Ausgestaltung sein. Wird deutlich, dass Indikatoren korrigiert oder weiterentwickelt werden müssen, sollte dies in klar definierten Prozessen unter Beteiligung von Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft geschehen. So kann der Spagat zwischen dem Mehr an Vorhersehbarkeit für Politik und Wirtschaft einerseits und der Offenheit für neue technische und gesellschaftliche Entwicklungen anderseits gemeistert werden.

Karsten Neuhoff

Abteilungsleiter in der Abteilung Klimapolitik



JEL-Classification: H11;K32;L51;O2
Keywords: Intermediary Indicators, Climate Policy, Climate Neutrality, Policy Monitoring, Climate Governance
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-41-1

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/248530

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