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Mythos Atomkraft: Bill Gates irrt gleich fünffach

Medienbeitrag vom 16. Februar 2021

Dieser Gastbeitrag von Claudia Kemfert und Christian von Hirschhausen ist am 16.02.2021 im Handelsblatt erschienen.

Bill Gates ist es gewohnt, recht zu haben. Doch diesmal irrt er sich gleich fünffach: Es ist keine geniale Idee, Atomenergie aus der Mottenkiste zu holen. Sie ist für den Kampf gegen den Klimawandel ungeeignet.

Irrtum 1:

Atomenergie ist zwar CO2-ärmer als fossile Energien, aber keineswegs CO2-frei. Bei der Produktion der Kraftwerke, beim Abbau von Uran, beim jahrelangen Rückbau der Anlagen entstehen in erheblichem Umfang Treibhausgase.

Irrtum 2:

Die vermeintlich größte Stärke der Atomkraftwerke liegt in ihrem 'Grundlast'-Beitrag. Das klingt nach nützlicher Ergänzung im Energiemix, weil erneuerbare Energien in der Stromproduktion schwanken. Doch Atomkraft ist selbst eine Energiequelle mit großen Ausschlägen, nicht nur durch Unfälle, sondern auch wegen vielfältiger Ausfallzeiten im 'Normalbetrieb'.

Es gibt auch schon ausreichend Flexibilitätsoptionen für eine sichere Stromversorgung. Wer Digitalisierung und Klimaschutz zusammendenkt, kombiniert Energie- und Lastmanagement, flexible Nachfrage und mittelfristig Stromspeicher, die in kürzester Zeit Schwankungen ausgleichen. Erneuerbare Energien sind flexible Teamplayer.

Irrtum 3:

Atomenergie taugt nicht als Friedenstechnologie. Im Gegenteil. Die Technik ist seit 80 Jahren vor allem aus militärischen Motiven wichtig, ob im Zweiten Weltkrieg, im Kalten Krieg oder im Iran und in Nordkorea heute.

Auch die angeblich neue Technik der von Gates propagierten Reaktoren stammt aus den Anfängen militärischer Entwicklungen der Nachkriegszeit. Die redlichen Bemühungen internationaler Abkommen, das Problem der Atomwaffen zu minimieren, würden durch zusätzliche Atomkraftwerke konterkariert.

Die Umsetzung der Energiewende zählt

Irrtum 4:

Auch die von Gates' Unternehmen TerraPower propagierten Reaktorkonzepte sind nicht frei von Gefahren. Sie verwenden die Technologie des Schnellen Brüters, die von fast allen Ländern, die damit experimentierten, inzwischen aufgegeben wurde. Der Laufwellenreaktor benötigt Werkstoffe und Kühlmittel, die bis heute nicht kommerziell verfügbar sind. Und auch die Mini-Reaktoren müssen irgendwann aufwendig zurückgebaut werden.

Irrtum 5:

Die Kosten von Kleinreaktoren sind nicht niedriger, sondern höher. Deswegen hat man einst begonnen, große statt kleine Reaktoren zu bauen. Nur mit Subventionen oder staatlichen Geldern können Reaktoren gebaut werden. Bisher sind alle Atom-Start-ups nach kurzer Zeit wieder in der Versenkung verschwunden - aus immer denselben Gründen: Risiko, Müll und Kosten.

In den Zeiträumen, die für Klimaschutz besonders wichtig sind, den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten, sind die von Gates verfolgten Konzepte irrelevant. Was zählt, ist die konsequente Umsetzung der Energiewende als komplexes Gemeinschaftswerk. Im Zusammenspiel liefern die erneuerbaren Energien all das, was Gates erreichen will: Versorgungssicherheit, Dezentralität, Klimaschutz und Frieden. Sie sind deutlich weniger risikobehaftet, preiswerter und bereits heute einsatzfähig. Nutzen wir einfach konsequent, was wir schon haben!

Ausgaben der Energiewende führen auch zu Einnahmen

In weniger seriösen Berechnungen werden verlorene Arbeitsplätze etwa in der Kohleindustrie einseitig als Nebenkosten der Energiewende beziffert. Seriös ist es, die Wertschöpfung und Arbeitsplätze durch Investitionen in erneuerbare Energien dagegenzustellen. Dann findet man: Der Nettonutzen der Energiewende ist weit größer als die Nettokosten. Anders gesagt: Die Energiewende kostet nicht, sie spart Geld.

Genauso irreführend ist es, bei der Klage über hohe Kosten der Energiewende zu unterschlagen, dass Ausgaben für die Energiewende auch zu Einnahmen führen. Die Kosten sind Investitionen - und die werden natürlich mit Gewinnabsicht getätigt.

Auch bei der Kohle- und Atomenergie sind gewaltige Summen in den Aufbau der Kraftwerke und Strukturen geflossen, bevor der angeblich so günstige Strom aus der Steckdose kam. Günstig ist das nur bei extremer Kurzsichtigkeit: Denn die Langzeitkosten durch Atommüll, Umwelt- und Klimaschäden müssen von künftigen Generationen bezahlt werden.

Eine Generation hat billige Energie, aber 30.000 Generationen zahlen dafür die Zeche. Dabei kalkuliert doch jeder Häuslebauer, wenn er heute eine neue Heizung kauft, die langfristigen Verbrauchs- und Nutzungskosten mit ein.

Die Anschubfinanzierung der Energiewende hat einen enormen Nutzen gebracht. So wurden die Stromgestehungskosten der erneuerbaren Energien durch Innovationen, steigende Nachfrage und Wettbewerb deutlich gesenkt.

Je schneller der Ausbau erneuerbarer Energien vorangeht, desto größer wird der Nettonutzen der Energiewende. Denn so können wir nicht nur externe Kosten durch Atom und Kohle drastisch reduzieren, sondern auch Jobs in der Solar- und Windbranche zurückgewinnen, die wir an China und andere Länder verloren haben.

Die fossile Vogel-Strauß-Politik kostet Milliarden. In den letzten zehn Jahren haben wir mit dem 'Brückentechnologie-Theater' unnötig Zeit und Geld vergeudet. Der Kohleausstieg hätte effizienter und billiger sein können, vor allem die üppigen Entschädigungszahlungen waren überflüssig. Die erneuerbaren Energien wurden und werden ausgebremst. Das macht die Energiewende unnötig teuer. Das Ausbautempo der erneuerbaren Energien muss drastisch erhöht werden.

Statt von den Kosten der Energiewende sollten wir lieber von den potenziellen Gewinnen der Energiewende reden! Denn über die Zeit rechnet sie sich. Je schneller wir sie umsetzen, desto günstiger wird es. Vor uns liegen weitere 20 Jahre, in denen wir in allen Bereichen die Vollversorgung mit erneuerbaren Energien erreichen und damit die Gewinnzone der Energiewende ausbauen. Je früher wir damit anfangen, desto größer wird die Rendite.

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