DIW Wochenbericht 8 / 2022, S. 135
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Selten war die wirtschaftliche Zukunft so schwer vorherzusehen wie in der Corona-Krise. Zu viele Unwägbarkeiten und mangelnde Erfahrung im Umgang mit Pandemien erleichtern es Politik und Wissenschaft nicht gerade, die Risiken in ihrer Tragweite richtig einzuschätzen und ihnen vorzubeugen. Eines der am meisten unterschätzten Risiken in den kommenden zwei Jahren könnte eine weltweite Finanzkrise sein, ausgehend vor allem von Schwellenländern wie China. Gerade weil die Pandemie alle Aufmerksamkeit bindet, werden die steigenden Risiken für das Finanzsystem zu einem blinden Fleck.
Drei Faktoren haben die Wahrscheinlichkeit einer regionalen oder gar einer systemischen Finanzkrise deutlich erhöht: Zahlreiche Unternehmen stehen durch die Pandemie am Rande ihrer Existenz, das könnte zu Kreditausfällen und Problemen für das Finanzsystem führen. Auch die sich durch den Klimawandel häufenden Naturkatastrophen werden sich immer stärker destabilisierend auf Volkswirtschaften und Finanzsysteme auswirken. Seit der Finanzkrise 2008/2009 nehmen überdies die globalen Ungleichgewichte bei den Schulden stark zu, was durch die Pandemie weiter befeuert wird.
China könnte als erster Dominostein fallen, dabei das globale Finanzsystem mitreißen und die Weltwirtschaft in die Knie zwingen. Mehrere Gründe sprechen dafür, dass die Finanzkrise in China ihren Anfang nehmen dürfte. Fakt ist: Nie zuvor hat ein Schwellenland weltweit ein derart starkes Wachstum und einen Aufholprozess erfolgreich bewerkstelligen können, ohne eine oder mehrere große Finanzkrisen durchleiden zu müssen.
Überdies hat China ein wenig modernes Finanzsystem mit intransparenter staatlicher Regulierung, die der Logik der Politik und nicht des Marktes folgt. Vor allem der Immobiliensektor ist in China zu einem Pulverfass geworden. Im jahrzehntelangen Boom haben sich Immobilienkonzerne und private Haushalte massiv verschuldet. Der drohende Kollaps des chinesischen Immobilienkonzerns Evergrande ist nur die Spitze des Eisbergs.
China hat einige Stärken, um eine vom Immobiliensektor verursachte Finanzkrise bewältigen zu können. Dazu gehören die tiefen Taschen des chinesischen Staats und dessen umfassende Kontrolle über weite Teile des Finanzsystems. Chinas wohl größter Vorteil ist der immer noch weitgehend geschlossene Kapitalverkehr: Privates Kapital kann nur in sehr begrenztem Maße abgezogen werden und dadurch das Finanzsystem destabilisieren. In fast allen Finanzkrisen der Schwellenländer war Kapitalflucht eines der größten Probleme.
Trotzdem könnte für China bald der Zeitpunkt kommen, an dem das Land die massiven Probleme seines Finanzsystems lösen muss. Dann wird die Insolvenz großer Immobilienkonzerne, einiger staatlicher Banken und die Schließung zahlreicher anderer Staatskonzerne unvermeidbar.
Es gibt weitere Faktoren, die China stark zusetzen dürften. Einer ist der Handelskonflikt mit den USA und zunehmend auch mit Europa. Eine Finanzkrise Chinas würde die Weltwirtschaft hart treffen: Noch massivere Störungen der Lieferketten wären das unweigerliche Resultat. Zudem ist China einer der größten Abnehmer auch deutscher Exporte. China hat die Kontrolle über wichtige Rohstoffe wie seltene Erden. Und geopolitisch könnte eine Finanzkrise Chinas große Verwerfungen auslösen, weil autoritäre Regime dazu neigen, durch externe Konflikte von internen Problemen abzulenken.
Das Risiko von Finanzkrisen hat mit der Pandemie deutlich zugenommen. Einiges spricht dafür, dass China der erste Dominostein im globalen Finanzsystem sein dürfte, der fällt. Darauf sollten wir uns vorbereiten, indem Unternehmen und Finanzinstitutionen kurzfristig ihre finanziellen Risiken in China begrenzen. Auch in Deutschland müssen wir nun konkrete Schritte ergreifen, um unsere Wirtschaft langfristig resilienter zu machen und besser gegen Finanzrisiken abzusichern.
Der Beitrag ist in einer längeren Fassung am 10. Februar im Handelsblatt und im Tagesspiegel erschienen.
Themen: Gesundheit, Finanzmärkte
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-8-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/251415