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Wir sehen die Gefahr, dass sich die EZB politischem Druck aussetzt: Interview

DIW Wochenbericht 40 / 2022, S. 520

Kerstin Bernoth, Erich Wittenberg

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Frau Bernoth, der Rat der Europäischen Zentralbank hat im Juli dieses Jahres das Transmissionsschutzinstrument TPI angekündigt. Was soll damit erreicht werden?Die europäische Zentralbank hat Anfang dieses Jahres begonnen, die äußerst expansive geldpolitische Ausrichtung Schritt für Schritt zurückzufahren. Infolgedessen sind die Staatsanleihezinsen aller Länder gestiegen, jedoch bei hochverschuldeten Ländern stärker als beispielsweise in Kernländern wie Deutschland. Dies hat die Sorge geschürt, dass die Anleihezinsen einzelner Länder durch Marktübertreibungen immer weiter in die Höhe getrieben werden könnten und somit eine einheitliche Geldpolitik gefährdet sein könnte. Das war die Motivation, dieses TPI-Programm anzukündigen, dass es der EZB erlaubt, notfalls selektiv Staatsanleihen von einzelnen Ländern aufzukaufen.

Ist es nicht normal, dass die Zinsen in hochverschuldeten Ländern aufgrund des Risikos stärker ansteigen? Ja, die Zinsdifferenzen zwischen Staatsanleihen spiegeln eigentlich unterschiedliche Ausfallrisiken wider. Wenn zum Beispiel ein Investor Anleihen eines Landes mit hoher Staatsverschuldung kauft, verlangt er dafür eine höhere Risikoprämie. Das sind die Zinsdifferenzen, die wir beobachten. Aber die EZB befürchtet, dass die Renditen über diese rational erklärbaren Zinsdifferenzen weiter ansteigen könnten. Und nur in diesem Fall, also wenn es ungerechtfertigte Zinsanstiege geben sollte, möchte die EZB eingreifen.

Macht denn die derzeitige Entwicklung der Anleihezinsen den Einsatz des TPI-Programms notwendig? Wir meinen, dass die aktuellen Renditeunterschiede nicht als ungerechtfertigt angesehen werden können. Wir können sie sehr gut erklären, zum einen mit einer Verschlechterung der Staatsverschuldung der Länder und auch mit einer Zunahme der allgemeinen Risikoaversion der Anleger*innen. In Krisenzeiten ist immer eine Flucht in sichere Häfen und damit ein Ansteigen der Zinsdifferenzen zu beobachten. Noch wichtiger ist, dass derzeit kein Land von den Finanzmärkten diskriminiert und anders behandelt zu werden scheint. Das zeigt uns, dass der Einsatz des TPI-Programms derzeit nicht erforderlich ist.

Das geplante TPI-Programm wird vielfach kritisiert, zum Beispiel was die rechtliche Zulässigkeit angeht. Teilen Sie diese Kritik? Ja, das angekündigte neue Instrument ist aus rechtlicher, aber auch konzeptioneller Perspektive in mehreren Punkten kritisch zu sehen. Wir sehen die Gefahr, dass sich die EZB politischem Druck aussetzt, weil sie alleine entscheidet, ob die Entwicklung von Staatsanleiherenditen gerade gerechtfertigt ist oder nicht. Zudem entscheidet auch die EZB, ob in diesem Fall das TPI aktiviert wird. Sie hat hier einen erheblichen Ermessensspielraum und das ist aus meiner Sicht problematisch. Die EZB hat nicht das Mandat, eine wirtschaftliche Einschätzung abzugeben. Vielleicht wäre es besser, dies einer externen Institution zu überlassen.

Gibt es aus Ihrer Sicht noch weitere Kritikpunkte? Ja, problematisch ist auch, dass die Ankündigung von TPI in vielerlei Hinsicht sehr vage ist. Der europäische Gerichtshof hat klare Kriterien vorgegeben, die erfüllt sein müssen, damit Anleihekäufe mit dem Verbot der monetären Finanzierung vereinbar sind. Hier schweigt bisher die Ankündigung des TPI. Auch ist es vielen überhaupt nicht klar, warum wir ein neues Instrument brauchen, denn seit 2012 gibt es das Notfallprogramm OMT, das ebenfalls EZB-Käufe von Staatsanleihen einzelner Länder ermöglicht, aber unter strengeren Voraussetzungen. Wann wird nun also OMT benutzt und wann TPI? Das ist nicht deutlich und muss stärker abgegrenzt werden.

Das Gespräch führte Erich Wittenberg.

O-Ton von Kerstin Bernoth
Wir sehen die Gefahr, dass sich die EZB politischem Druck aussetzt - Interview mit Kerstin Bernoth

Kerstin Bernoth

Vice Dean of Graduate Studies im Graduate Center

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