DIW Wochenbericht 41 / 2022, S. 534
Mara Barschkett, Erich Wittenberg
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Frau Barschkett, Sie haben untersucht, inwieweit eine Anhebung des Renteneintrittsalters eine Auswirkung auf die Gesundheit haben könnte. Wie sind Sie dabei vorgegangen und welche Gruppe von Personen stand dabei im Fokus? Die Abschaffung der sogenannten Altersrente für Frauen hat dazu geführt, dass das effektive Frühverrentungsalter für Frauen von 60 auf 63 Jahre erhöht wurde. Das heißt, alle Frauen der Geburtsjahrgänge 1951 und früher konnten unter bestimmten Voraussetzungen bereits mit 60 Jahren in Frührente gehen. Für die Geburtsjahrgänge 1952 und später galt diese Option nicht mehr, sie konnten dann frühestens mit 63 Jahren in Frührente gehen. In unserer Studie haben wir uns auf die Frauen der Geburtsjahrgänge 1951 und 1952 konzentriert und die Gesundheitsmerkmale dieser beiden Gruppen verglichen.
Was ist das Ergebnis der Studie? Hat ein Anstieg des Renteneintrittsalters einen Effekt auf die Gesundheit? Ja, wir können zeigen, dass sich infolge der Abschaffung der Frühverrentungsoption mit 60 Jahren die Gesundheit der betroffenen Frauen in bestimmten Dimensionen verschlechtert hat und in anderen Dimensionen unverändert geblieben ist. In keiner Dimension können wir jedoch eine Verbeserung der Gesundheit verzeichnen. Wir haben uns drei Dimensionen angeschaut, nämlich psychische Gesundheit, physische Gesundheit und die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen.
Bei welchen Krankheiten ist eine Verschlechterung durch einen späteren Renteneintritt zu erwarten? Eine Verschlechterung hat besonders im Bereich der psychischen Krankheiten stattgefunden. Wir sehen bei den betroffenen Frauen einen Anstieg an Stimmungsstörungen und stressbedingten Krankheiten. Auch sind Frauen, wenn sie länger arbeiten müssen, häufiger übergewichtig und leiden häufiger an Muskel- und Skelett- Erkrankungen, wie zum Beispiel Arthrose oder Rückenbeschwerden. Bei Herzkreislauferkrankungen und Diabetes können wir keine Veränderungen feststellen.
Steigt die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen durch ein höheres Renteneintrittsalter? Ja, wir stellen auch fest, dass die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen ansteigt und sehen einen Anstieg von Behandlungsfällen. Bei den Gesundheitskosten steigen die Kosten im Jahr ungefähr um 14 Euro pro Patientin an.
Für ein höheres Renteneintrittsalter werden positive fiskalische Effekte ins Feld geführt. Wie fällt der Vergleich zwischen diesen fiskalischen Effekten und höheren Gesundheitskosten aus? Setzt man die fiskalischen Effekte der Reform und die gestiegenen Gesundheitskosten in Relation, sieht man, dass die Gesundheitskosten nur einen sehr kleinen Teil ausmachen, nämlich ungefähr zwei Prozent. Das heißt, aus rein fiskalischer Sicht ist die Reform positiv zu bewerten. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass wir nur ambulante Gesundheitskosten betrachtet haben. Krankenhauskosten und individuelle Kosten, die auch gesamtwirtschaftliche Folgen haben können, wurden nicht betrachtet.
Was bedeuten Ihre Ergebnisse für die Diskussion über die Erhöhung des Renteneintrittsalters? Aus unserer Sicht sollten weitere Erhöhungen des Renteneintrittsalters von präventiven Maßnahmen begleitet werden, zum Beispiel durch Investitionen in Gesundheit bereits in jüngeren Jahren. Gleichzeitig sollte man auch in Bildung und Weiterbildung über den gesamten Erwerbsverlauf hinweg investieren, da Bildung und Gesundheit positiv korreliert sind. Zudem sollten Erhöhungen des Renteneintrittsalters mit Anpassungen des Erwerbsminderungsrentensystems einhergehen, damit Menschen, die nicht in der Lage sind, länger zu arbeiten, aufgefangen werden und niemand auf der Strecke bleibt.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Rente und Vorsorge, Gesundheit, Gender
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-41-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/265850