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Ampel-Monitor Energiewende #4: Haushalte und Gewerbe sparen Erdgas

Blogbeitrag vom 11. November 2022

Die Bundesnetzagentur geht davon aus, dass der Erdgasverbrauch in Deutschland um mindestens 20 Prozent gegenüber den Vorjahren sinken muss, um eine Gasmangellage im Winter 2022/2023 zu vermeiden. Im September 2022 hatte die Bundesnetzagentur wiederholt darauf hingewiesen, dass die Einsparerfolge von Haushalten und Gewerbe zu gering sind, wiederholt u.a. von Präsident Klaus Müller auf Twitter. Zur Vermeidung einer Gasmangellage sind absolut erzielte Einsparungen relevant, also der tatsächliche Verbrauch unabhängig von der Außentemperatur und damit dem Heizbedarf.

Jedoch lässt die Analyse des reinen Erdgasverbrauchs keine Rückschlüsse über Einsparungen zu. Dies gilt insbesondere für den Verbrauch im Haushalts- und Gewerbebereich, der im Vergleich zu dem der Industriekunden stark von der Außentemperatur abhängt. Nur durch eine Witterungsbereinigung kann man einschätzen, inwiefern Einsparungen von Haushalten und Gewerben auf Verhaltensänderungen oder auf Witterungseinflüsse zurückgehen. Für eine zeitnahe Beurteilung der Einsparerfolge ist es daher von Interesse, den einen witterungsbereinigten Erdgasverbrauch zu ermitteln.

Basierend auf Verbrauchs- und Temperaturdaten der Jahre 2018-2021 ermitteln wir mit Hilfe einer Linear-Forest-Methode (siehe Methodik-Kasten unten) einen Zusammenhang zwischen der Außentemperatur und dem Erdgasverbrauch von Haushalts- und Gewerbekund*innen. Auf dieser Basis schätzen wir den Verbrauch im Jahr 2022 ab, der auf Basis der aktuellen Temperaturen zu erwarten wäre, wenn das sich Verhalten der Erdgaskund*innen gegenüber den letzten Jahren nicht geändert hätte. Die Differenz zwischen diesem "erwarteten" und dem tatsächlichen Verbrauch erlaubt Schlussfolgerungen zur Frage, wie stark die Einsparbemühungen in Haushalten und Gewerbe bisher greifen. Dabei liegt der Fokus auf dem Zeitraum ab ungefähr Anfang September 2022, ab Kalenderwoche (KW) 36.

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Die Abbildung zeigt, dass der erwartete Erdgasverbrauch (gepunktete Linie) deutlich über dem tatsächlichen Erdgasverbrauch liegt. Das heißt, dass die Haushalte und Gewerbekund*innen derzeit deutlich weniger Gas verbrauchen, als dies bei den aktuellen Temperaturen und unverändertem Verhalten zu erwarten wäre.

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Mit Hilfe des geschätzen, "erwarteten" Verbrauchs können wir die Erdgaseinsparungen im Jahr 2022 konkret in eine "Witterungskomponente" und eine "Verhaltenskomponente" zerlegen. Wie in der Abbildung oben gut zu erkennen ist, schwanken die Einsparungen 2022 gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 2018-2021 zwischen den Wochen beträchtlich. Der September 2022 (KW 36-39) war ausgesprochen kühl, was sich in einer positiven Witterungskomponente widerspiegelt, d.h. der erwartete Erdgasverbrauch lag in diesen Wochen über dem des Mittels der Vorjahre. Trotz teils starker verhaltensbedingter Einsparungen stieg dadurch der Verbrauch in den KW 38 und 39 gegenüber dem Durchschnitt der jeweiligen KW der Vorjahre an. Im Oktober (ab KW 40) half die ungewöhnlich milde Witterung jedoch, den Gasverbrauch zu senken. Dabei übertrafen die witterungsbedingten Einsparungen zuletzt die Verhaltenseinsparungen.

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In Summe hat sich der Erdgasverbrauch von Haushalten und Gewerbe seit September 2022 um rund 20 Prozent gegenüber dem durchschnittlichen Verbrauch 2018-2021 reduziert. Wie in der obigen Abbildung zu sehen ist, haben Haushalte und Gewerbe zwischenzeitlich im besonders kalten September sogar noch etwas mehr als 20 Prozent eingespart. Zur Vermeidung einer Gasmangellage müssen diese Einsparerfolge bei wieder kälteren Temperaturen im weiteren Verlauf der Heizperiode fortgesetzt werden.

Gegenüber einer früheren Fassung verwenden wir in diesem Update ein verbessertes Vorhersagemodell. Mit einem "Linear Forest", einer Methode des maschinellen Lernens, schätzen wir den Gasverbrauch von Haushalten und Gewerbe auf Basis von Durchschnitts-, Maximal- und Minimaltagestemperaturen für den aktuellen Tag und die jeweils letzten drei Tage. Wir aggregieren die Daten von hunderten Wetterstationen in ganz Deutschland mittels des Medians, um einer Verzerrung durch extreme Datenpunkte, wie beispielsweise von der Zugspitze, vorzubeugen. Zusätzlich kontrollieren wir für den aktuellen Kalendermonat und Wochenend- bzw. Feiertage, um der dem Gasverbrauch inhärenten Saisonalität (über die Temperaturschwankungen hinaus) und unterschiedlichem Verhalten an arbeitsfreien Tagen Rechnung zu tragen.

Wir trainieren unser Modell auf Basis von täglichen Daten zwischen Juli 2018 und Dezember 2021. Temperaturdaten beziehen wir vom Deutschen Wetterdienst und Gasverbrauchsdaten von Trading Hub Europe. Mithilfe der Periode von Januar 2018 bis Juni 2018 haben wir die Qualität der Vorhersage des Models gegenüber den tatsächlich eingetretenen Verbrauchsständen validiert und so das performanteste Modell ermittelt. Auf diese Weise haben wir eine ganze Reihe von Machine-Learning-Modellen verglichen, u.a. ein neurales Netzwerk, einen LASSO-Schätzer, Linear Trees, Gradient Boosting, Random Forests und Linear Forests. Eine Linear-Forest-Spezifikation wies dabei den geringsten mittleren quadratischen Fehler auf und schnitt somit am Besten ab.

Wir nutzen das resultierende Modell für die Vorhersage von Verbräuchen im Jahr 2022. Es ist nicht eindeutig, ab wann eine Abweichung des tatsächlichen Erdgasverbrauchs von dem auf Basis der vorhergegangenen Jahre geschätzten Gasverbrauch zu erwarten ist. Vergleichbare Modellierungsansätze beginnen mit der Prognose bereits ab September 2021, als die Gaspreise an den europäischen Gashandelsplätzen begannen zu steigen. Ein anderer Ansatz wäre den Startzeitpunkt auf den Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine zu datieren. Wir betrachten lediglich Haushalte und Gewerbekund*innen, für welche sich die Entwicklung an den Großhandelsbörsen in der Regel erst mit großer Verzögerung im vertraglichen Arbeitspreis niederschlagen. Daher halten wir es für plausibel, dass ein Einbezug von Trainingsdaten bis Dezember 2021 nicht zu Verzerrungen bei der Vorhersage führt.

Wir vergleichen unsere Prognose in wöchentlicher Auflösung auf Basis der Verbrauchsdaten der Bundesnetzagentur, da diese aktuellere Daten zu Verfügung stellt als der Trading Hub Europe.

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