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Ampel-Monitor Energiewende #3: Aktuelle Daten zum Erdgasverbrauch

Blogbeitrag vom 13. Oktober 2022

Vor dem Hintergrund der nach wie vor angespannten Lage bei der Erdgasversorgung stellen wir in diesem Blog aktuelle Daten zum Erdgasverbrauch in Deutschland bereit. Dies beinhaltet insbesondere witterungsbereinigte Daten des Erdgasverbrauchs von Haushalten und Gewerbe. Daneben wird ein Update der Situation bei den Erdgas-Importen gegeben.

Alle zugrunde liegenden Daten sind unter einer CC-BY-4.0-Lizenz im Open Energy Tracker verfügbar und werden dort, genauso wie die Abbildungen, laufend aktualisiert.

Die in diesem Blog gezeigten Daten zu Erdgas-Importen wurden am 19.10.2022 aktualisiert.

Wie immer enthält dieser Blog auch wieder unsere "Tacho-Abbildung", die die aktuelle Geschwindigkeit der Energiewende für fünf asugewählte Indikatoren vergleicht mit der von jetzt an nötigen Durchschnittsgeschwindigkeit zur Erreichung der 2030-Ziele.

Aktuelles Tempo der Energiewende

Für fünf ausgewählte Indikatoren, bei denen Monatsdaten vorliegen, vergleichen wir regelmäßig das Ausbautempo im Trend der letzten zwölf verfügbaren Monate mit der Geschwindigkeit, die zum Erreichen der 2030-Ziele von jetzt an im Durschnitt erforderlich ist. Das aktuelle Ausbautempo der Windkraft an Land beträgt nur rund ein Viertel dessen was nötig wäre, und bei der Windkraft auf See gab es zuletzt nur einen sehr geringen Zubau. Die Photovoltaik muss ihr Ausbautempo fast verdreifachen. Bei batterieelektrischen Pkw und den Ladpunkten beträgt das Tempo derzeit nur rund ein Fünftel bzw. ein Sechstel dessen, was nötig wäre.

  • Witterungsbereinigung: Auf Basis der Daten von 2021 schätzen wir einen Zusammenhang zwischen dem durchschnittlichen Gasverbrauch und der wöchentlichen Summe der Gradtagszahlen. Wir schätzen zwei Modelle: (1) Ein Modell, welches im Hintergrund "Linear Regression Trees" nutzt, was wiederum eine Mischung aus linearen Regressionmodellen und Decision Trees ist. Im Vergleich zu einem einfachen linearen Modell ist dies flexibler und sollte besser mit den unterschiedlichen Zusammenhängen zwischen Verbrauch und Gradtagszahlen umgehen können, die in den verschiedenen Jahreszeiten vorherrschen. Dafür nutzen wir die Python-Bibliothek linear-tree. (2) Als Vergleich schätzen wir auch ein einfaches lineares Regressionsmodell, bei dem die Witterungsabhängigkeit des Erdgasverbrauchs in den Sommermonaten vermutlich überschätzt wird. Die als "witterungsbereinigt" beschriftete Zeitreihe kann auch interpretiert werden als hypothetischer Erdgasverbrauch, der sich bei unverändertem Heizverhalten wie im Jahr 2021 bei den tatsächlichen Temperaturen des Jahres 2022 ergeben hätte.

  • Berechnung der wöchentlichen Gradtagszahlen: Die Gradtagszahl einer Wetterstation berechnet sich als Differenz der gemessenen mittleren täglichen Außentemperatur zu 20°C, wenn die Temperatur 15°C oder weniger beträgt. Bei Temperaturen über 15°C ist die Gradtagszahl per Definition 0, bei 13 °C beträgt sie z.B. 7. Pro Tag berechnen wir ein ungewichtetes Mittel aller Gradtagszahlen über alle verfügbaren Wetterstationen in Deutschland und summieren diese dann über eine Woche.

  • Daten zum Erdgasverbrauch: Bundesnetzagentur - Gasverbrauch der Haushalts- und Gewerbekunden in GWh/Tag, wöchentlicher Mittelwert
  • Temperaturdaten: Deutscher Wetterdienst Open Daten Portal; Tägliche Stationsmessungen der mittleren Lufttemperatur in 2 m Höhe in °C (Variable temperature_air_mean_200)

Wöchentliche Daten zum witterungsbereinigten Erdgasverbrauch von Haushalten und Gewerbe

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Die Bundesnetzagentur geht davon aus, dass der Erdgasverbrauch in Deutschland um mindestens 20 Prozent gegenüber den Vorjahren sinken muss, um eine Gasmangellage im Winter 2022/2023 zu vermeiden. Dies gilt grundsätzlich unabhängig von der Außentemperatur und damit dem Heizenergiebedarf. Daher vergleicht die Bundesnetzagentur auf ihrer Homepage zur Gaslage auch absolute und keine witterungsbereinigten Erdgas-Verbrauchsdaten der letzten Jahre. Die Bundesnetzagentur hatte zuletzt einen zu hohen Gasverbrauch von Haushalten und Gewerbe im September festgestellt (wiederholt von Präsident Klaus Müller auf Twitter).

Für eine zeitnahe Beurteilung der Einsparerfolge im Sinne eines Frühindikators, der ggf. energiepolitische Nachsteuerungen erlaubt, erscheint es jedoch durchaus von Interesse, den Erdgasverbrauch auch witterungsbereinigt zu vergleichen. Dies gilt insbesondere für den Verbrauch im Haushalts- und Gewerbebereich, der im Vergleich zum Verbrauch der Industriekunden stärker an die Außentemperatur gekoppelt ist und weniger flexibel reagieren kann. Nur durch den Vergleich mit einem witterungsbereinigten Verbrauch kann man einschätzen, ob es bereits Einsparungen bei Haushalts- und Gewerbekund*innen gibt.

Basierend auf Verbrauchs- und Temperaturdaten des Jahres 2021 ermitteln wir hier einen Zusammenhang zwischen Temperatur (bzw. Gradtagszahlen) und Erdgasverbrauch von Haushalts- und Gewerbekund*innen und schätzen so die ggü. dem Jahr 2021 witterungsbereinigten Verbräuche des Jahr 2022. Das Ergebnis kann auch interpretiert werden als der Verbrauch, der im Jahr 2022 auf Basis der aktuellen Temperaturen zu erwarten wäre, wenn das Verhalten der Erdgaskund*innen sich gegenüber dem Jahr 2021 nicht geändert hätte. Insofern kann man die in der Abbildung als "witterungsbereinigt" beschriftete Zeitreihe auch interpretieren als Verbrauch "bei Heiz-Verhalten wie 2021". Die Differenz zwischen diesem witterungsbereinigten Verbrauch und dem tatsächlichen Verbrauch erlaubt Schlussfolgerungen zur Frage, wie stark die Einsparbemühungen in Haushalten und Gewerbe bisher greifen.

Wie in der Abbildung gut zu sehen ist, liegt der der witterungsbereinigte Erdgasverbrauch (gepunktete Linie) deutlich über dem tatsächlichen Gasverbrauch. Die ist ein Hinweis darauf, dass die Haushalte und Gewerbekund*innen derzeit deutlich weniger Gas verbrauchen, als dies bei den aktuellen Temperaturen und ggü. 2021 unverändertem Heiz-Verhalten zu erwarten wäre. So wurde in der Kalenderwoche 39 in Haushalt und Gewerbe rund 4,3 TWh Erdgas verbraucht, was leicht über dem Vorjahreswert lag. Witterungsbereinigt ggü. 2021 hätte der Verbrauch bei unverändertem Verhalten jedoch mit 7,8 TWh um rund 80 Prozent höher gelegen.

Für die Witterungsbereinigung verwenden wir ein lineares Regressionsmodell, welches durch einen Ansatz des maschinellen Lernens erweitert wurde, um den kaum von Witterungseinflüssen beeinflussten Gasverbrauch im Sommer adäquat zu berücksichtigen (siehe ausklappbares Textelement oben). Da das Modell nur mit den Verbrauchs- und Temperaturdaten des Jahres 2021 geschätzt wurde (Verbrauchsdaten für frühere Jahre wurden von der BNetzA nicht veröffentlicht), könnten die ermittelten Werte fehlerbehaftet sein. Jedoch sind die erheblichen Abweichungen zwischen tatsächlichem und erwartetem Gasverbrauch in den Kalenderwochen 38 und 39 ein Indiz, dass die Einsparungen im Haushalts- und Gewerbebereich deutlich größer waren, als es die nicht witterungsbereinigte Darstellung nahelegt.

Temperatur und Gradtagszahlen

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Die Abbildung zeigt die durchschnittlichen Wochentemperaturen sowie die wöchentlichen Summen der Tagesdurchschnitte der Gradtagszahlen im Jahresverlauf. Dabei wurden jeweils ungewichtete Mittelwerte aus allen Messstationen des Deutschen Wetterdienstes gebildet. Der September des Jahres 2022 war insgesamt deutlich kühler als der des Jahres 2021. Die Durchschnittstemperaturen in den Kalenderwochen 38 und 39 lagen im Jahr 2022 gut 3 bis 4°C unter denen des Jahres 2021. Die daraus folgenden Gradtagszahlen, die als wesentlicher Indikator für den Heizenergiebedarf gelten, waren ebenfalls deutlich höher: so lag die Summe der durchschnittlichen Gradtagszahlen in den Kalenderwochen 38 und 39 des Jahres 2022 bei 67 bzw. 72, im Vergleich zu 36 bzw. 40 im Jahr 2021.

Versorgungssicherheit: Monatliche Netto-Erdgasimporte nach Deutschland

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Im Unterabschnitt zu Gas und Wasserstoff enthält der Koalitionsvertrag die Aussage: "Wir wollen die Energieversorgung für Deutschland und Europa diversifizieren." Ein quantitatives Ziel wird dabei nicht genannt. Spätestens nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 ist aber klar, dass insbesondere die Abhängigkeit von russischen Erdgasimporten schnell reduziert werden soll. Diese ist in den letzten Jahren allerdings deutlich gewachsen. Direkte (via Nord Stream 1) und indirekte (via Polen) Gasimporte aus Russland lagen seit 2018 meist in der gleichen Größenordnung wie die gesamten Netto-Erdgasimporte. Zu beachten ist dabei, dass Deutschland auch ein ein Gas-Transitland ist. Insbesondere floss seit 2014 regelmäßig Gas nach Tschechien. Seit Ende 2021 haben die russischen Netto-Importe aber deutlich abgenommen. Im August 2022 waren sie so niedrig wie noch nie seit der Erfassung der Daten durch die IEA. Gleichzeitig haben die Netto-Importe insgesamt tendenziell zugenommen. Durch die zwischenzeitliche Abschaltung und Beschädigung der Pipeline Nord Stream 1 sind die russischen Importe mittlerweile komplett versiegt; dies geht aus den IEA-Daten jedoch wegen des Zeitverzugs noch nicht hervor.

Versorgungssicherheit: Netto-Erdgasimporte, letzte drei Monate im Vergleich zum Vorjahreszeitraum

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In den letzten drei Monaten, in denen IEA-Daten verfügbar sind (Juni bis August 2022), lagen die Netto-Importe von Erdgas deutlich über den entsprechenden drei Monaten des Vorjahres. Dabei haben vor allem die Importe aus Norwegen deutlich zugenommen, zudem wurden beim Handel mit "Anderen" Ländern (hier ist insbesondere Belgien relevant) Nettoexporte zu Nettoimporten. Die Nettoimporte aus Russland gingen währenddessen zurück, da über Polen kein Erdgas mehr ankam und auch der Import via Nord Stream 1 einbrach.

Wolf-Peter Schill
Wolf-Peter Schill

Leiter des Forschungsbereichs „Transformation der Energiewirtschaft“ in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt

Alexander Roth
Alexander Roth

Wissenschaftlicher Mitarbeiter & Doktorand in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt

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