DIW Wochenbericht 38 / 2023, S. 522
Lea Bernhardt, Erich Wittenberg
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Frau Bernhardt, ist der Strom in Deutschland im internationalen Vergleich so teuer, dass ein Preisanstieg die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie gefährdet? Insbesondere nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine haben wir starke Preissteigerungen gesehen. Allerdings liegen die Preise in Deutschland im europäischen Vergleich betrachtet, ohne Steuern und Abgaben, im Mittelfeld. Im außereuropäischen Vergleich wird jedoch deutlich, dass deutsche Unternehmen eher Wettbewerbsnachteile haben. Beispielsweise liegt der Strompreis in den USA mit teilweise acht Cent pro Kilowattstunde deutlich niedriger als in Deutschland.
Sie haben verschiedene Szenarien simuliert. Welche Kosten hätten demnach die stromintensiven Unternehmen zu tragen, wenn die Strompreise deutlich über das Vorkrisenniveau steigen würden? Wir haben einmal einen Preisanstieg von sechs Cent pro Kilowattstunde im Vergleich zu 2018 simuliert und einmal ein eher unrealistisches Extremszenario mit einem Preisanstieg von 18 Cent pro Kilowattstunde. Wenn wir (bei einem Anstieg von sechs Cent) einen subventionierten Industriestrompreis hätten, dann würden die Kosten im Verhältnis zur Wertschöpfung mit Industriestrompreis um maximal drei Prozent steigen und ohne um maximal sieben Prozent. Im Szenario mit 18 Cent pro Kilowattstunde hätten wir mit subventioniertem Strompreis einen Kostenanstieg um fünf Prozent und ohne maximal um zehn Prozent. Aber diese zehn Prozent betreffen auch nur die zwei am stärksten betroffenen Branchen.
Welche Unternehmen sind von den steigenden Energiekosten besonders betroffen? Besonders betroffen sind die Branchen der Papier- und Pappeherstellung und der Metallerzeugung und -bearbeitung mit jeweils sieben Prozent Kostensteigerung. Weniger stark betroffen sind die Branchen der Holzwaren und der chemischen Erzeugnisse mit jeweils fünf bzw. vier Prozent Kostensteigerung im Szenario mit einer Preiserhöhung um sechs Cent. Ein Vorteil unserer Studie ist, dass wir uns auch die Verteilung innerhalb der Branchen anschauen können, die sehr unterschiedlich ausfällt. Insbesondere die Teilbranche der Industriegase ist stark betroffen. Hier hätten wir einen maximalen Kostenanstieg um 39 Prozent im Verhältnis zur Wertschöpfung, gefolgt von der Aluminiumproduktion mit 15 Prozent und der anorganischen Chemie, sowie der Zementproduktion mit jeweils zwölf Prozent.
Inwieweit wäre die Einführung eines Industriestrompreises zielführend? Aus unserer Sicht ist ein breit angelegter Industriestrompreis nicht zielführend und auch nicht sinnvoll. Deutschland wird auf längere Sicht keinen Wettbewerbsvorteil durch günstige Energiekosten haben. Daher ist es aus unserer Sicht unrealistisch, dass ein Brückenstrompreis, beispielsweise bis ins Jahr 2030, ausreicht, um die Unternehmen hier in Deutschland zu behalten. Wenn die Politik sich entscheidet, bestimmte Unternehmen in Deutschland zu halten, dann kann sie diese gezielt entlasten, allerdings muss alles mit dem europäischen Beihilferecht vereinbar sein.
Welche alternativen Entlastungsinstrumente gäbe es? Eine Alternative wäre die Absenkung oder auch Abschaffung der Stromsteuer. Das wäre im Gegensatz zum Industriestrompreis eine sehr breite Entlastung, weil sie nicht nur die Industriekunden unterstützen würde, sondern zum Beispiel auch private Haushalte. Das wäre natürlich teurer als der Industriestrompreis. Die jährlichen Einnahmen der Stromsteuer betragen 6,7 Milliarden Euro. Die Kosten für den Industriestrompreis betrügen jährlich 4,8 Milliarden Euro. Ein Industriestrompreis auf Basis des Konzeptes des BMWK wäre also günstiger als die Abschaffung der Stromsteuer, aber selektiver.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Ressourcenmärkte, Industrie, Energiewirtschaft
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-38-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/279495