Direkt zum Inhalt

Von Rentenkürzungen ist die ärmere Bevölkerungshälfte überproportional betroffen: Interview

DIW Wochenbericht 45 / 2023, S. 632

Timm Bönke, Erich Wittenberg

get_appDownload (PDF  81 KB)

get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF  3.54 MB - barrierefrei / universal access)

Herr Bönke, Sie haben den Gegenwartswert des Rentenvermögens für Deutschland geschätzt. Üblicherweise werden die gesetzlichen Rentenansprüche nicht in die Vermögensberechnung einbezogen. Warum eigentlich nicht? Bei einer gesetzlichen Rente handelt es sich nicht um klassisches Vermögen, das ich einfach verkaufen oder beleihen kann. Deswegen wird es bei der Betrachtung des Nettovermögens normalerweise nicht berücksichtigt. Die privaten Renten, wie zum Beispiel die Riester-Rente, sind hingegen in der Nettovermögensverteilung berücksichtigt. Wir versuchen jetzt, eine Vergleichbarkeit zwischen denjenigen herzustellen, die nur gesetzliches Rentenvermögen haben, und denjenigen, die sowohl gesetzliches als auch privates Rentenvermögen haben. Für diesen Vergleich ist es wichtig, das Rentenversicherungsvermögen mit einzubeziehen.

Wie groß ist das Rentenvermögen in Deutschland beziehungsweise der Gegenwartswert der Rentenansprüche? Der Gegenwartswert des Rentenversicherungsvermögens, also der Ansprüche aus gesetzlicher Rentenversicherung, betrieblicher Altersvorsorge und Beamtenpension, inklusive dem, was einem als Witwer oder Witwe zusteht, beläuft sich auf rund 270 Prozent des Nationaleinkommens im Jahr 2017. Das ist in Preisen von 2015 eine Summe von 7,5 Billionen Euro.

Wie wirkt sich die Einbeziehung des deutschen Rentenvermögens auf die Vermögensverteilung aus? Wir wissen, dass die untersten 50 Prozent in Deutschland kaum nennenswertes Nettovermögen haben, weil hier selten für Immobilien oder für eine private Altersvorsorge gespart werden kann. In der oberen Hälfte der Vermögensverteilung sieht das anders aus. Hier haben wir Immobilien, zusätzliche private Rentenversicherungen oder Selbstständige, die komplett privat abgesichert sind. Das sind alles Werte, die vormals immer schon in der Nettovermögensverteilung berücksichtigt worden sind.

Und was bedeutet das für die Vermögenskonzentration beziehungsweise die Vermögensungleichheit? Wenn man das Rentenvermögen mit berücksichtigt, dann profitiert natürlich insbesondere die ärmere Hälfte der Bevölkerung, in dem Sinne, dass hier häufig Rentenansprüche bestehen, aber nicht zusätzlich gespart wird. Durch die Berücksichtigung des Rentenvermögens vervierfacht sich der Anteil der unteren 50 Prozent am Gesamtvermögen in Deutschland von zwei auf etwas über neun Prozent. Am oberen Ende der Vermögensverteilung hingegen, wo die private Altersvorsorge sowie Betriebsvermögen und Immobilien eine viel größere Rolle spielen und kaum gesetzliche Vorsorge stattfindet, verringert sich der Anteil von ungefähr 30 Prozent auf nur 20 Prozent. Er reduziert sich also um zehn Prozentpunkte.

Was bedeuten Ihre Ergebnisse für künftige rentenpolitische Entscheidungen? Zunächst einmal ist ganz wichtig, dass diese Ergebnisse und das Einbeziehen des Rentenvermögens in die Vermögensbetrachtung nicht bedeutet, dass die Problematik der ungleich verteilten Vermögen in Deutschland weniger dramatisch ist. Das ist kein Ergebnis, das die aktuellen Zahlen zur Vermögensungleichheit in Deutschland in irgendeiner Weise relativiert. Es zeigt aber, dass das Rentenvermögen insbesondere bei den unteren 50 Prozent der Vermögensverteilung einen signifikanten Beitrag der Haushalte am Gesamtvermögen darstellt. Wenn ich also eine Rentenreform durchführe, dann muss ich mir darüber im Klaren sein, dass sich jede Reduktion der Rente eins zu eins auf diesen impliziten Vermögensanteil auswirkt und dass die ärmere Bevölkerungshälfte davon überproportional betroffen ist.

Das Gespräch führte Erich Wittenberg.

O-Ton von Timm Bönke
Von Rentenkürzungen ist die ärmere Bevölkerungshälfte überproportional betroffen - Interview mit Timm Bönke

keyboard_arrow_up