DIW Wochenbericht 23 / 2024, S. 335-341
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„Der Pro-Kopf-Zuckerkonsum in Deutschland liegt weit über den empfohlenen Mengen. Eine gestaffelte Zuckersteuer nach dem Vorbild des Vereinigten Königreichs würde einen Anreiz schaffen, der Hersteller dazu bewegt, den Zuckergehalt der Getränke deutlich zu reduzieren. Von einer solchen Steuer würden auch Menschen mit einer niedrigen Selbstkontrolle profitieren.“ Renke Schmacker
Steuern auf ungesunde Lebensmittel, zum Beispiel zuckergesüßte Getränke, sollen Verbraucher*innen einen Anreiz geben, sich gesünder zu ernähren. Im Fokus dieser Politik stehen besonders Menschen mit niedriger Selbstkontrolle, die ihren Zuckerkonsum weniger unter Kontrolle haben. Dieser Wochenbericht untersucht anhand der dänischen Steuer auf zuckerhaltige Getränke, ob Konsument*innen mit niedriger und hoher Selbstkontrolle unterschiedlich auf Preisveränderungen reagieren. Als die Steuer 2012 stark erhöht und dies über die Produktpreise an die Konsument*innen weitergegeben wurde, haben Menschen mit hoher Selbstkontrolle ihren Konsum merklich reduziert, solche mit niedriger Selbstkontrolle hingegen nur unwesentlich. Als die Steuer 2014 abgeschafft wurde, haben jedoch beide Gruppen ihren Konsum deutlich erhöht. Die Ergebnisse zeigen, dass die Zielgruppe einer solchen Maßnahme nicht zwingend auf höhere Preise reagiert. Um Menschen mit niedriger Selbstkontrolle zu helfen, braucht es Instrumente, die Herstellern Anreize geben, ihre Produkte gesünder zu machen. Dafür empfiehlt sich eine gestaffelte Zuckersteuer, wie das Beispiel der Zuckersteuer im Vereinigten Königreich zeigt. Gleichzeitig sollte die Vermittlung von Wissen über gesundheitsrelevantes Verhalten verbessert werden, um die Ursache für zu starken Zuckerkonsum anzugehen.
Steuern auf ungesunde Lebensmittel werden als potenzielles Instrument zur Bekämpfung und Vorbeugung von Krankheiten wie Adipositas und Diabetes regelmäßig diskutiert. Viele Länder haben beispielsweise Steuern auf zuckerhaltige Getränke eingeführt, etwa das Vereinigte Königreich, Frankreich, Mexiko, Norwegen oder Chile. Zuckerhaltige Getränke stehen besonders im Fokus, da sie in der Regel keine Nährstoffe enthalten, kein Sättigungsgefühl erzeugen und damit „zusätzlichen“ Zuckerkonsum bedeuten. Auch in Deutschland wird eine solche Steuer von einigen Verbänden gefordert, beispielsweise vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, dem AOK-Bundesverband und der Deutschen Diabetes Gesellschaft.Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen (2020): AOK, BVKJ und DDG fordern gesetzgeberische Maßnahmen zur Zuckerreduktion. Pressemitteilung vom 27. Oktober 2020 (online verfügbar, abgerufen am 23. Mai 2024. Dies gilt auch für alle anderen Onlinequellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). In Europa gehört Deutschland zu den Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Konsum von zuckerhaltigen Getränken.Eurostat (2021): How often do you drink sugar-sweetened soft drinks? (online verfügbar); Barry M. Popkin und Corinna Hawkes (2016): Sweetening of the global diet, particularly beverages: patterns, trends, and policy responses. Lancet Diabetes Endocrinol 4, 174–186. Der Pro-Kopf-Zuckerkonsum in Deutschland liegt bei circa 95 Gramm pro Tag und damit deutlich über den 50 Gramm pro Tag, die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlen werden.Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (2024): Versorgungsbilanz: Weniger Zucker verbraucht. Pressemitteilung vom 7. Februar 2024 (online verfügbar). Bislang setzt die Bundesregierung aber in erster Linie auf freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie im Rahmen ihrer Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie.Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2024): Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten (online verfügbar). Diese Strategie bleibt bislang aber hinter den Zielen zurück.Peter von Philipsborn et al. (2023): Interim Evaluation of Germany’s Sugar Reduction Strategy for Soft Drinks: Commitments versus Actual Trends in Sugar Content and Sugar Sales from Soft Drinks. Ann Nutr Metab, 79 (3), 282–290.
Die Gründe, die für eine Zuckersteuer vorgebracht werden, sind vielfältig (Kasten 1). Übergewicht, Adipositas und deren Folgeerkrankungen verursachen massive Gesundheitskosten, beispielsweise für Medikamente, Arztbesuche oder auch Operationen, die zum Großteil über die Krankenversicherung vergemeinschaftet werden. Die Steuer hätte zwei potenzielle Effekte: Erstens würde sie die Produkte teurer machen und damit die Nachfrage und in der Folge auch die Gesundheitskosten senken. Zweitens würde sie Steueraufkommen generieren und diejenigen, die die Gesundheitskosten verursachen, stärker an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben (wie der Gesundheitsversorgung und -aufklärung) beteiligen.
In der Forschung wird kaum mehr bestritten, dass sich hoher Zuckerkonsum negativ auf die Gesundheit auswirkt. Zu den gesundheitlichen Folgen zählen Adipositas, Typ 2 Diabetes, Herzkreislauferkrankungen und Karies.Hunt Allcott, Benjamin B. Lockwood und Dmitry Taubinsky (2019): Should We Tax Sugar-Sweetened Beverages? An Overview of Theory and Evidence. Journal of Economic Perspectives, 33 (3), 202–227. Im Fall von hohem Zuckerkonsum gibt es zwei Gründe, weshalb die Einführung einer Steuer ökonomisch gefordert sein kann: Externalitäten und Internalitäten.
Externalitäten sind eine Form des Marktversagens, bei welcher der Konsum einer jeden Person externe Kosten für andere bedeutet. Bei hohem Zuckerkonsum sind dies die Gesundheitskosten, die durch hohen Zuckerkonsum verursacht und zum Teil von anderen Individuen getragen werden. Darunter fallen die Behandlungskosten für damit einhergehende Krankheiten, die zum Großteil von der Krankenversicherung übernommen und auf alle Beitragzahlenden umgelegt werden. Darüber hinaus zählen dazu volkswirtschaftliche Kosten wie Produktivitätseinbußen durch Fehltage oder Arbeitsunfähigkeit. Eine Studie schätzt für die USA, dass die langfristigen Gesundheitskosten für einen Liter Limonade circa 35 US-Cents betragen.Y. Claire Wang et al. (2012): A Penny-Per-Ounce Tax On Sugar-Sweetened Beverages Would Cut Health And Cost Burdens Of Diabetes. Health Affairs, 31 (1), 199–207. Schätzungen dieser Art sind aber naturgemäß ungenau und basieren auf starken Annahmen.Siehe für eine kritische Diskussion Allcott, Lockwood und Taubinsky (2019), a.a.O.
Internalitäten bezeichnen hingegen die Kosten, die vom Individuum selbst getragen, aber während der Konsumentscheidung nicht vollständig berücksichtigt werden. Beispielsweise möchten viele Konsument*innen weniger Zucker und Fett zu sich nehmen, da sie um die negativen Gesundheitseffekte wissen. Es fehlt ihnen jedoch womöglich an Selbstkontrolle (self-control), um ihre Pläne in die Tat umzusetzen. In der ökonomischen Theorie wird für gewöhnlich angenommen, dass zukünftiger Nutzen (und zukünftige Kosten) weniger stark gewichtet wird als gegenwärtiger Nutzen (Abdiskontierung). Es kann also eine rationale Entscheidung sein, viel Zucker zu konsumieren, wenn einem die negativen Gesundheitsfolgen, die erst in der Zukunft anfallen, nicht so wichtig sind. Bei Menschen mit niedriger Selbstkontrolle erfolgt diese Abdiskontierung aber zeitinkonsistent, das heißt, sie legen überproportional viel Wert auf gegenwärtigen Nutzen (present bias).Ted O’Donoghue und Matthew Rabin (2006): Optimal sin taxes. Journal of Public Economics, 90 (10–11), 1825–1849. Das Vorliegen von zeitinkonsistentem Verhalten äußert sich darin, dass die Entscheidungen oft im Nachhinein bereut werden und dass Individuen nach Möglichkeiten der Selbstverpflichtung (commitment devices) suchen. Beide Charakteristika sind bei Ernährungsverhalten gegeben, wie die hohen Umsätze der Diätindustrie sowie die Nachfrage nach Mitteln der Selbstverpflichtung wie operativen Magenverkleinerungen nahelegen. Eine weitere Internalität kann darüber hinaus darin bestehen, dass Konsument*innen die zukünftigen Kosten unterschätzen und daher zu viel konsumieren.
In der öffentlichen Debatte, aber auch unter Ökonom*innen, gibt es Dissens darüber, welche Art von Externalitäten und Internalitäten korrigiert werden sollten. Bei Internalitäten stellt sich grundsätzlich die Frage, ob sie überhaupt staatliches Eingreifen rechtfertigen. Da letzteres unterstellt, dass der Gesetzgeber vorgibt zu wissen, wie Personen sich in Wirklichkeit verhalten wollen, wird dies häufig als paternalistischer Eingriff in die Entscheidungsautonomie kritisiert. Ein klassisches Resultat der theoretischen Literatur ist, dass die optimale Steuer sich zusammensetzt aus den zu korrigierenden Internalitäten und Externalitäten.Hunt Allcott, Benjamin B. Lockwood und Dmitry Taubinsky (2019): Regressive Sin Taxes, with an Application to the Optimal Soda Tax. Quarterly Journal of Economics 134 (3), 1557–1626.
Zudem wird oft argumentiert, dass eine Steuer auch im Interesse der Konsument*innen selbst sei und sie langfristig davon profitieren könnten. Dahinter steckt die Annahme, dass viele Individuen sich während des Konsums nicht (vollends) über die Gesundheitsfolgen im Klaren sind oder diese Folgen vernachlässigen, zum Beispiel, weil sie eine geringe Selbstkontrolle haben. Solche Konsument*innen würden von der Steuer profitieren, wenn sie ihren Konsum und dadurch ihre individuellen langfristigen Gesundheitskosten reduzieren.
Was mit Selbstkontrolle gemeint ist, veranschaulicht ein Beispiel: Martina möchte ihren Zuckerkonsum reduzieren, da sie weiß, dass zu viel Zucker zu Übergewicht führt und sich langfristig negativ auf ihre Gesundheit auswirken kann. Wenn sie jedoch beim Mittagessen überlegt, was sie trinken möchte, geraten diese langfristigen Kosten aus dem Blickfeld. Stattdessen denkt sie vorrangig an den Genuss, den ihr ein großes Glas Cola genau jetzt bereiten würde – deshalb entscheidet sie sich „ausnahmsweise“ dafür. Am Abend bereut sie diese Entscheidung und erinnert sich an ihren Plan, weniger Zucker zu sich zu nehmen. Doch am nächsten Tag ist sie in der gleichen Situation und trifft erneut die Entscheidung für das Glas Cola. Aufgrund dieses Verhaltensmusters hat Martina eine niedrige Selbstkontrolle.
Im Gegensatz dazu hat Claudia eine hohe Selbstkontrolle. Sie lebt überwiegend gesund und weiß, dass sie sich ein Glas Cola in der Woche leisten kann, ohne ihre Gesundheit zu gefährden. Da sie eine hohe Selbstkontrolle hat, hält sie sich an ihren Plan und trinkt nicht mehr als dieses eine Glas pro Woche.
Wenn der Gesetzgeber sich nun entscheidet, eine Steuer auf zuckerhaltige Getränke einzuführen, müssen sowohl Martina als auch Claudia mehr für die Cola bezahlen, sie sind also erst einmal schlechter gestellt. Wenn der infolge der Steuer gestiegene Cola-Preis nun aber dazu führt, dass Martina sehr viel weniger Cola trinkt, kommt sie ihrem Plan nach, weniger Zucker zu konsumieren. Sie und ihre Gesundheit können dann langfristig profitieren. Wenn Martinas Cola-Konsum ausreichend stark zurückgeht, kann dies die höheren Kosten für Konsument*innen wie Claudia aus gesamtgesellschaftlicher Sicht überwiegen.
Dass die Steuer Konsument*innen mit niedriger Selbstkontrolle besserstellt, setzt jedoch voraus, dass diese auf die höheren Preise mit einer Konsumreduktion reagieren. Mangels Daten und geeigneter Steuervariationen konnte dieser Frage bisher empirisch aber kaum nachgegangen werden. Dieser Wochenbericht untersucht nun am Beispiel der dänischen Steuer auf zuckerhaltige Getränke, ob Konsument*innen mit niedriger Selbstkontrolle tatsächlich wie gewünscht auf Preisanreize reagieren und die Steuer ihnen hilft, ihre Pläne zu erreichen.Die vollständige Studie, die diesem Wochenbericht zugrunde liegt, wurde veröffentlicht als Renke Schmacker und Sinne Smed (2023): Sin Taxes and Self Control. American Economic Journal: Economic Policy, 15 (3), 1–34. Als Datengrundlage dient ein sogenannter Homescan-Datensatz von GfK Consumertracking Scandinavia, für den die Konsument*innen über Jahre hinweg sämtliche Einkäufe erfassen (Kasten 2).
Als Datengrundlage dient ein sogenannter Homescan-Datensatz von GfK Consumertracking Scandinavia. In diesem Datensatz scannen Konsument*innen die Produkte, die sie gekauft haben, und erhalten dafür Bonuspunkte. Der Datensatz erlaubt es, die gleichen Konsument*innen über mehrere Jahre zu verfolgen und Änderungen in ihrem Konsumverhalten zu analysieren. Da Teilnehmende sich selbst bei diesem Panel anmelden, kann Selbstselektion die Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse einschränken.
Eine Besonderheit dieses Datensatzes ist, dass er Informationen über die Selbstkontrolle der Konsument*innen enthält. Die Konsument*innen haben einen psychologischen Fragebogen beantwortet, in dem ihre Zustimmung zu 36 Aussagen erfragt wurde.June P. Tangney, Roy F. Baumeister und Angie Luzio Boone (2004): High self-control predicts good adjustment, less pathology, better grades, and interpersonal success. Journal of Personality, 72 (2), 271–322. Die Zustimmung zu den Aussagen misst die selbst eingeschätzte Selbstkontrolle in verschiedenen Lebensbereichen, zum Beispiel „Ich bin gut darin, Versuchungen zu widerstehen“ oder „Ich habe Schwierigkeiten, mit schlechten Gewohnheiten zu brechen“.
Der finale Datensatz besteht aus circa 1300 Konsument*innen, die über den gesamten Untersuchungszeitraum Einkäufe dokumentiert haben und den Fragebogen zur Selbstkontrolle beantwortet haben. Die Einkäufe werden auf der Monatsebene aggregiert.
Betrachtet wird die Erhöhung der dänischen Steuer auf zuckerhaltige Getränke im Jahr 2012 sowie die Abschaffung der Steuer im Jahr 2014. Dänemark hatte bereits seit den 1930er Jahren eine Steuer auf zuckerhaltige Getränke. Die Steuer war eine volumetrische Steuer, die auf alle Getränke mit mehr als 0,5 Gramm Zucker pro 100 Milliliter anfiel (ausgenommen Fruchtsäfte und Milchgetränke). Im Jahr 2012 wurde diese Steuer stark erhöht.Die Steuererhöhung war Teil einer größeren Steuerreform mit dem Ziel, die Einkommensteuer zu reduzieren und im Gegenzug Steuern auf Güter mit negativen Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt zu erhöhen. Als Teil der gleichen Steuerreform wurde unter anderem eine Steuer auf gesättigte Fettsäuren eingeführt und eine generelle Zuckersteuer vorbereitet (aber nicht umgesetzt). Nach einem Regierungswechsel wurde kurze Zeit später jedoch die Steuer auf zuckerhaltige Getränke abgeschafft. Die Steuer wurde im Juli 2013 um die Hälfte gekürzt und zum Januar 2014 auf Null gesenkt.
Im Januar 2012 wurde die Steuer auf zuckerhaltige Getränke von 1,08 Dänischen Kronen (DKK) (0,14 Euro) auf 1,58 DKK (0,21 Euro) pro Liter erhöht. Die Steuererhöhung hat dazu geführt, dass die Preise im Durchschnitt um circa 1,01 DKK (0,13 Euro) pro Liter erhöht wurden (Abbildung 1). Die Steuererhöhung hat also zu einer überproportionalen Preiserhöhung geführt.Die Studie, denen die Zahlen und Abbildungen zu den Preisveränderungen zu Grunde liegen, wurde veröffentlicht als Renke Schmacker und Sinne Smed (2020): Do prices and purchases respond similarly to soft drink tax increases and cuts? Economics and Human Biology, 37, 100864. Relativ sind die Preise, welche die Konsument*innen für zuckerhaltige Getränke zahlen mussten, um rund elf Prozent gestiegen.
Die Abschaffung der Steuer, also die Senkung von 1,58 DKK auf zunächst 0,82 DKK und später auf Null, wurde ebenfalls an die Konsument*innen weitergegeben. Die Steuersenkung führte zu einer Preissenkung von 1,88 DKK, was einer relativen Preisänderung für zuckerhaltige Getränke von circa 23 Prozent entspricht.
Nach der Steuererhöhung kauften die Konsument*innen im Durchschnitt monatlich 13 Prozent weniger zuckergesüßte Getränke (Abbildung 2).Die absolute Mengenangabe ist, wie in diesen Datensätzen üblich, unterschätzt, da Konsument*innen nicht jeden Kauf angeben. Die Analyse konzentriert sich daher auf die relativen Veränderungen und nimmt an, dass die Wahrscheinlichkeit, einen Kauf anzugeben, nicht mit der Steuervariation korreliert ist. Nach Abschaffung der Steuer stieg die gekaufte Menge jedoch wieder – und zwar um knapp 25 Prozent.
Zeitgleich mit der Steuervariation bei zuckergesüßten Getränken war bei nicht besteuerten zuckerhaltigen Getränken (beispielsweise Fruchtsäften) keine Preisveränderung zu beobachten. Dennoch konnte nicht festgestellt werden, dass die Konsument*innen nach der Steuererhöhung vermehrt zu solchen nicht besteuerten zuckerhaltigen Getränken gegriffen hätten. Stattdessen suggerieren die Daten, dass sie zuckerhaltige Getränke zumindest teilweise durch Mineralwasser ersetzten.Außer-Haus-Konsum ist in den Daten nicht enthalten und kann daher nicht analysiert werden.
Eine Einschränkung der Analyse ist, dass keine Kontrollgruppe zur Verfügung steht, die es erlauben würde, den kausalen Effekt der Steuer zu schätzen. Insgesamt scheint die Steuer aber durchaus die erwarteten Ergebnisse zu bestätigen: Wenn die Preise sinken, wird mehr konsumiert; wenn die Preise steigen, wird weniger konsumiert.
Der Datensatz von GfK Scandinavia erlaubt es zusätzlich zu untersuchen, wie sich die Steuerveränderung auf die Konsument*innen in Abhängigkeit der Selbstkontrolle ausgewirkt hat – neben den Käufen enthalten die Daten nämlich auch Informationen über die Selbstkontrolle der Konsument*innen. Die Stichprobe wird dafür in zwei Hälften eingeteilt: Personen mit hoher Selbstkontrolle und Personen mit niedriger Selbstkontrolle. Verbraucher*innen mit niedriger Selbstkontrolle antworten deutlich häufiger als solche mit hoher Selbstkontrolle, dass sie ihr Gewicht reduzieren wollen und dass sie weniger Zucker zu sich nehmen sollten. Aber leistet die Steuer einen Beitrag dazu, dass sie diese Ziele erreichen?
Vor der Steuerveränderung haben Konsument*innen mit niedriger Selbstkontrolle deutlich mehr zuckerhaltige Getränke gekauft als Konsument*innen mit hoher Selbstkontrolle, sie weisen aber keine signifikant verschiedenen Trends über die Zeit auf (Abbildung 3).Wie in Fußnote 9 beschrieben, konzentriert sich die Analyse auf relative Veränderungen, da die absoluten Mengenangaben in dieser Art von Datensätzen unterschätzt wird. Während die Kaufmenge von letzteren im Jahr nach der Steuererhöhung 2012 deutlich (um 19 Prozent) zurückging, reduzierten Konsument*innen mit niedriger Selbstkontrolle ihre Kaufmenge nur unwesentlich (um vier Prozent). Konsument*innen mit hoher Selbstkontrolle reagierten also signifikant stärker auf die Steuererhöhung.
Mit der Abschaffung der Steuer ist die Kaufmenge beider Benutzergruppen dann deutlich gestiegen, um 26 beziehungsweise 23 Prozent. In der Zusammenschau ist somit eine deutliche Asymmetrie zu beobachten: Wenn die Preise steigen, reagieren Konsument*innen mit niedriger Selbstkontrolle kaum; wenn die Preise fallen, erhöhen sie ihren Konsum aber ungefähr genauso stark wie solche mit hoher Selbstkontrolle.Die Analyse kann eine Reihe von alternativen Erklärungen für diese Ergebnisse ausschließen: Für Produkte, die nicht von der Steuer betroffen sind, wird keine Veränderung in der Kaufmenge zwischen den Benutzergruppen beobachtet. Generelle Veränderungen im Konsum- oder Dokumentationsverhalten erklären die Unterschiede also nicht. Die Ergebnisse sind zudem robust gegenüber der Berücksichtigung von Faktoren, die mit der Selbstkontrolle korreliert sind (zum Beispiel Bildung und Einkommen).
Eine mögliche Erklärung für eine solche Asymmetrie besteht in der Unterscheidung von automatisiertem Verhalten (zum Beispiel einer Gewohnheit folgen) und bewusstem Verhalten (mit einer Gewohnheit brechen), wie sie aus der psychologischen Forschung zu Selbstkontrolle bekannt ist.Denise T. D. de Ridder et al. (2012): Taking Stock of Self-Control: A Meta-Analysis of How Trait Self-Control Relates to a Wide Range of Behavior. Personality and Social Psychology Review, 16 (1), 76–99. Es scheint plausibel, dass Selbstkontrolle besonders wichtig ist, wenn es darum geht, mit einer Gewohnheit zu brechen – also etwa aufzuhören, regelmäßig zuckergesüßte Getränke zu trinken. Konsument*innen mit niedriger Selbstkontrolle schaffen dies trotz der höheren Preise für zuckerhaltige Getränke nicht in dem Umfang wie Konsument*innen mit hoher Selbstkontrolle. Deshalb reagieren erstere im Durchschnitt deutlich weniger auf die steigenden Preise als letztere. Wenn gesunkene Preise es aber möglich machen, dem automatisierten Verhalten stärker nachzukommen (also in diesem Fall eine größere Menge zuckergesüßter Getränke zu kaufen), ist der Unterschied in der Selbstkontrolle nicht relevant, daher ist hier kein Unterschied zu beobachten.
Dieser Wochenbericht zeigt anhand der dänischen Steuer auf zuckerhaltige Getränke, dass höhere Preise infolge einer Steuererhöhung Konsument*innen mit niedriger Selbstkontrolle nicht zwingend helfen, sich gesünder zu ernähren. Trotz der höheren Preise reduzierten sie ihren Konsum im Vergleich zu Konsument*innen mit hoher Selbstkontrolle kaum.
Es ist wichtig anzumerken, dass eine Steuer auf ungesunde Nahrungsmittel trotzdem sinnvoll sein kann: nämlich dann, wenn der Gesetzgeber den Umstand abmildern möchte, dass die Kosten individuellen Konsumverhaltens – etwa in Form von Arztbesuchen und Arbeitsunfähigkeit – in der Regel auf alle Versicherten oder sogar die Allgemeinheit umgelegt werden. Nach der Steuereinführung tragen Konsument*innen durch die gezahlten Steuern zur Finanzierung der gesamten Gesundheitskosten bei. Auch wenn der Konsum nicht zurückgeht, hat die Steuer diesen Effekt.
Um Konsument*innen mit niedriger Selbstkontrolle dabei zu helfen, sich gesünder zu ernähren, sollte bei den Herstellern von ungesunden Lebensmitteln angesetzt werden. Ein gutes Beispiel dafür stellt die Steuer auf zuckerhaltige Getränke im Vereinigten Königreich dar. Das Vereinigte Königreich hat 2018 eine stufenweise Steuer auf zuckergesüßte Getränke eingeführt, die Getränke entsprechend ihres Zuckergehalts besteuert.Getränke mit über acht Gramm Zucker je 100 Milliliter werden mit 24 Pence pro Liter besteuert, solche mit fünf bis acht Gramm Zucker mit 18 Pence pro Liter und solche mit weniger als fünf Gramm Zucker werden gar nicht besteuert. Dies gab den Herstellern einen Anreiz, den Zuckergehalt in ihren Getränken zu reduzieren, damit diese unter einen niedrigeren Steuersatz fallen. Die überwiegende Mehrheit der von der Steuer betroffenen Hersteller hat darauf reagiert und den Zuckergehalt ihrer Produkte gesenkt. Eine Analyse zeigt, dass eine geänderte Rezeptur (Reformulierung) der Produkte für 80 Prozent der erzielten Kalorienreduktion verantwortlich war.Alex Dickson, Markus Gehrsitz mit Jonathan Kemp (2023): Does a Spoonful of Sugar Levy Help the Calories Go Down? An Analysis of the UK Soft Drinks Industry Levy. The Review of Economics and Statistics, 1–29. Viele Hersteller senkten den Zuckergehalt sogar unter die Grenze, ab der die Steuer erhoben wurde, so dass diese Produkte auch nicht teurer wurden. Von dieser Steuer würden somit auch Konsument*innen mit niedriger Selbstkontrolle profitieren, selbst wenn sie ihren Konsum nicht reduzierten. Dieser Anreiz war bei der volumetrischen Steuer in Dänemark nicht gegeben.
Als Fazit bleibt festzuhalten, dass die Besteuerung von zuckerhaltigen Getränken allein die Probleme, die mit Übergewicht und Adipositas verbunden sind, nicht beheben wird. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass viele Konsument*innen nicht im gewünschten Maße darauf reagieren. Eine Steuerausgestaltung wie im Vereinigten Königreich kann den Herstellern aber durchaus zusätzliche Anreize bieten, ihre Produkte gesünder zu machen. Dies könnte die Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie der Bundesregierung sinnvoll ergänzen.Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2024), a.a.O. Da zuckerhaltige Getränke nur einen Teil des Zuckerkonsums ausmachen, sollte auch überlegt werden, diese Politik auf weitere Nahrungsmittel auszuweiten. Darüber hinaus bleiben Gesundheitsbildung und Nahrungsmittelkennzeichnung wichtige Aufgabenfelder, da ein Zusammenspiel mehrerer Maßnahmen wichtig ist.
Themen: Steuern, Gesundheit
JEL-Classification: D12;I18;H20
Keywords: self-control, soft drink tax, internality
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2024-23-1