Die AfD ist in überalterten Kreisen mit wirtschaftlichen und strukturellen Problemen stark: Interview

DIW Wochenbericht 30 / 2024, S. 489

Alexander Kriwoluzky, Erich Wittenberg

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Herr Kriwoluzky, Sie und Ihre Kollegen*innen haben den Wahlerfolg der populistischen Parteien Deutschlands bei der Europawahl analysiert. Dazu haben Sie die regionalen Lebensverhältnisse in den Kreisen und kreisfreien Städten Deutschlands in den Blick genommen. Welche regionalen Faktoren wurden für die Analyse betrachtet? Wir haben uns vier regionale Faktoren angesehen: erstens die aktuelle Wirtschaftslage, zum Beispiel die Höhe des durchschnittlichen Einkommens und zweitens die strukturelle Wirtschaftslage; dazu gehört zum Beispiel der Anteil der Beschäftigten im Produzierenden Gewerbe. Des Weiteren haben wir soziodemografische Daten erfasst, wie den Anteil der über 60-Jährigen in der Bevölkerung oder die Abiturquote. Der vierte Faktor ist die Migration. Das heißt, wir haben untersucht, wie hoch in den Kreisen etwa der Anteil der Menschen ohne deutschen Pass ist.

Welche dieser regionalen Faktoren stehen mit dem Erfolg der AfD in Zusammenhang? Erstaunlicherweise stehen fast alle Faktoren, die wir uns anschauen, in einem hohen signifikanten Zusammenhang mit dem Wahlerfolg der AfD. Es sind die derzeitige wirtschaftliche Situation, außerdem die strukturelle wirtschaftliche Lage, die Demografie und der Anteil der Ausländer*innen in den Kreisen, die mit dem Wahlerfolg der AfD zusammenhängen.

Gilt das auch für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)? Mit dem Wahlerfolg des BSW stehen ähnliche Faktoren im Zusammenhang wie bei der AfD. Dazu gehören vor allem das verfügbare Einkommen der Haushalte und die Demografie. Das heißt, in Kreisen, in denen die Bevölkerung älter ist, ist das Bündnis Sahra Wagenknecht stärker. Das gilt auch für die Zuwanderung, denn es gibt einen positiven Zusammenhang zwischen dem Anteil der Ausländer*innen in den Kreisen und dem Erfolg des BSW.

Inwieweit unterscheiden sich Ihre Ergebnisse zwischen west- und ostdeutschen Kreisen? Die Faktoren, die in Gesamtdeutschland in einem hohen Zusammenhang mit dem Wahlerfolg der AfD stehen, hängen auch in Westdeutschland mit dem Wahlerfolg der AfD zusammen. Das gilt aber nicht für Ostdeutschland. Dort stehen nur die demografischen Faktoren in einem hohen Zusammenhang mit dem Wahlerfolg der AfD. Das heißt, die AfD schneidet in den ostdeutschen Kreisen besser ab, in denen das Bildungsniveau niedriger und die Bevölkerung älter ist. Beim BSW sieht das Ergebnis sehr ähnlich aus.

Im Vergleich zu 2019 konnte die AfD bei der Europawahl 2024 große Stimmenzuwächse verzeichnen und das BSW konnte aus dem Stand ein sehr gutes Ergebnis erzielen. Haben sich die regionalen Faktoren seit 2019 verschlechtert? Das würde ich so nicht sagen. Ich würde eher sagen, dass sich viel zu wenig zum Guten verändert hat. Weil sich die Situation in vielen Kreisen eben noch nicht verbessert hat, sind wahrscheinlich viele Bürger*innen, die sich das vor zehn Jahren noch nicht vorstellen konnten, zu der Entscheidung gekommen: Ja, ich bin jetzt bereit, einer populistischen Partei meine Stimme zu geben, weil sich sonst wohl nichts ändern wird.

Welche politischen Lehren lassen sich aus den Ergebnissen Ihrer Studie ziehen? Die erste Lehre ist, dass sich die populistischen Parteien auch in Deutschland etablieren. Zweitens hängt ihr Erfolg mit mehreren Faktoren zusammen. Widmet man sich also nur einem Faktor, ändert das nichts am Wahlerfolg dieser Parteien. Stattdessen muss man gesamtheitlich ein Konzept entwickeln, wie man die mittelfristige Situation in diesen Kreisen verbessert. Dazu gehören selbstverständlich öffentliche Investitionen in die Infrastruktur dieser Kreise, vor allem in Ostdeutschland.

Das Gespräch führte Erich Wittenberg.

O-Ton von Alexander Kriwoluzky
Die AfD ist in überalterten Kreisen mit wirtschaftlichen und strukturellen Problemen stark - Interview mit Alexander Kriwoluzky

Alexander Kriwoluzky

Abteilungsleiter in der Abteilung Makroökonomie

Themen: Europa

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