Blog Marcel Fratzscher vom 20. September 2024
Merz falle vor allem durch Kritik an der Regierung auf, bleibt bei eigenen Plänen aber im Ungefähren, meint der DIW-Chef.
Kaum einer kritisiert die Ampelkoalition so scharf wie Friedrich Merz. Vieles deutet aber darauf hin, dass er eine Kehrtwende bei einigen seiner wirtschaftspolitischen Positionen vollziehen müsste, wenn er die Transformation erfolgreich gestalten, eine Deindustrialisierung verhindern und die Wettbewerbsfähigkeit verbessern will.
Dieser Gastbeitrag erschien am 20. September 2024 im Handelsblatt.
Im Sommer 2023 forderte die CDU ein Fünf-Punkte- Programm und Anfang 2024 ein Sofortprogramm, die vor allem eine Abschaffung der Erbschaftsteuer und Steuererleichterung für Unternehmen beinhalteten. Ein großer wirtschaftspolitischer Widerspruch für Merz besteht in seinem Ausschließen sowohl einer Veränderung der Schuldenbremse als auch von Steuererhöhungen. Er kritisiert den Bundeshaushalt 2025 und fordert weitere Einsparungen, vor allem bei den Sozialausgaben. Wissenschaft und Wirtschaft fordern ein großes Investitionsprogramm, um eine Deindustrialisierung zu vermeiden. Ein Kanzler Merz wird die öffentlichen Investitionen jedoch weiter kürzen oder seine eigenen Worte schlucken müssen und eine Kehrtwende bei Steuern und Schuldenbremse vollziehen müssen.
Merz lehnt eine Stärkung Europas bei der Wirtschaftspolitik vehement ab. So attackierte er kürzlich die Vorschläge von Ex-EZB-Chef Mario Draghi für eine gemeinsame Industriepolitik und mehr europäische Investitionen. Deutschland soll von Europa profitieren, mehr gemeinsame Verantwortung lehnt er jedoch ab – auch dies ist ein Widerspruch, den er auflösen muss.
Bei der Arbeitsmarktpolitik will Merz zusätzliche Beschäftigte durch die Steuerbefreiung von Überstunden und eine Reform des Bürgergelds schaffen. Wissenschaftliche Studien legen nahe, dass keine dieser beiden Maßnahmen mehr Menschen in Arbeit bringen wird. Das große Potenzial bei der Erwerbstätigkeit von Frauen und Geflüchteten dagegen sieht er kritisch. Viele Maßnahmen zur schnelleren Integration von Ausländern –wie eine klare Bleibeperspektive – lehnt er genauso ab wie Reformen von Minijobs, Ehegattensplitting und Mitversicherung.
In der Industriepolitik besteht die Hoffnung, dass ein Kanzler Merz einiges besser machen wird als die Ampel. Außer bei den Landwirten hat er sich bisher nicht durch Forderungen nach mehr Subventionen für die Wirtschaft hervorgetan, und er betont stets die Bedeutung von fairem Wettbewerb.
Bei der Handelspolitik will er der deutschen Industrie gefallen. So fordert er ein hartes Durchgreifen gegenüber China, gleichzeitig lehnt er Ausgleichszölle gegenüber chinesischen E-Autos ab, so wie dies auch die deutschen Automobilhersteller tun.
Vieles deutet darauf hin, dass Merz Unternehmen, Vermögende und Spitzenverdiener steuerlich entlasten will. Dies ist wirtschaftlich nicht unklug, gerade in Zeiten der Transformation, in denen Unternehmen investieren müssen. Und er wird – entgegen seiner harten Rhetorik –von Kürzungen der Sozialsysteme absehen –zumal der größte Posten der Zuschuss zur gesetzlichen Rente ist, also für die Gruppe, in der Friedrich Merz bei Weitem die meisten Wähler hat.
Die wichtigste Kehrtwende wird Friedrich Merz jedoch in seinem Politikstil vollziehen müssen. Wirtschaft ist zu einem großen Teil Psychologie, und erfolgreiche Wirtschaftspolitik hängt auch vom Vertrauen von Unternehmen und Bürgern ab. Mit seiner stetigen Fundamentalkritik und den Superlativen über die vermeintliche Idiotie der Bundesregierung leistet er einen Beitrag zur mentalen Depression und zur schlechten wirtschaftlichen Lage in Deutschland.
Themen: Konjunktur