DIW Wochenbericht 41 / 2024, S. 627-633
Konstantin A. Kholodilin, Pio Baake
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„Wohnen entwickelt sich mehr und mehr zur sozialen Frage. Die ärmsten Haushalte zahlen einen deutlich höheren Anteil ihres Einkommens für Miete als Besserverdienende – und die Schere geht immer weiter auseinander.“ Konstantin A. Kholodilin
In Deutschland – wie auch international – ist die Mietbelastung seit Beginn der 1990er Jahre gestiegen. Anfang der 2000er Jahre wurde dieser Trend gebrochen und die Belastung blieb annähernd konstant. Zudem haben sich die Unterschiede in der Belastung zwischen den verschiedenen Einkommensgruppen in den letzten Jahren vergrößert. Im Jahr 2021 zahlten die einkommensschwächsten 20 Prozent der Miethaushalte im Durchschnitt circa 36 Prozent ihres Einkommens für Miete, einkommensstarke Haushalte rund 22 Prozent. Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zeigen, dass Einpersonenhaushalte und Alleinerziehende in Deutschland überdurchschnittlich belastet sind. Politische Maßnahmen sollten die stark belasteten Gruppen besonders berücksichtigen. In Frage kommt etwa die gezielte Unterstützung benachteiligter Haushalte durch höheres Wohngeld. Aufgrund der räumlichen Unterschiede wäre es auch empfehlenswert, den lokalen Entscheidungsträger*innen mehr Handlungsspielraum für geeignete Maßnahmen zu eröffnen.
Die aktuell angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt hat zu weitreichenden Diskussionen und Forderungen nach regulierenden Eingriffen geführt. Tatsächlich sind die Angebotsmieten vor allem in Großstädten gestiegen: Während sie von 2010 bis 2022 im Durchschnitt um rund 55 Prozent geklettert sind, betrug der Anstieg in Städten mit mehr als 500 000 Einwohner*innen circa 70 Prozent, in Landkreisen sowie mittleren und kleinen kreisfreien Städten rund 46 Prozent.Siehe Deutschlandatlas (online verfügbar, abgerufen am 16. August 2024. Dies gilt für alle Onlinequellen in diesem Bericht, sofern nicht anders vermerkt). Mittlere und kleine kreisfreie Städte haben Einwohnerzahlen bis 100 000 und unter 20 000. Weniger stark sind die Mieten für bestehende Mietverhältnisse gestiegen. Gegenüber 2010 haben sich die Nettokaltmieten um rund 19 Prozent erhöht.Statistisches Bundesamt (online verfügbar).
Der vorliegende Bericht untersucht diese Entwicklungen mit Blick auf verschiedene sozioökonomische Charakteristika der Haushalte wie Einkommen, Haushaltsgröße und Wohnort.Der Bericht basiert auf Felix Aubele et al. (2023): Wohnkosten, Lebenszufriedenheit, Sicherheitsempfinden und Narrative: Eine Betrachtung der langfristigen Verteilungswirkungen von Wohnungsmarktzyklen. DIW Politikberatung kompakt 199 (online verfügbar). Abschlussbericht des gleichnamigen Projektes, gefördert durch das Bundesministerium der Justiz und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Für eine bessere Einordnung der Lage werden die Jahre 1990 bis 2021 betrachtet. Grundlage sind Haushaltsbefragungen, die im Rahmen des Sozio-oekonomischen Panels am DIW Berlin durchgeführt werden.Das SOEP ist eine seit 1984 durchgeführte repräsentative Befragung von Haushalten und Individuen in Deutschland. Mehr Informationen zur Befragung finden sich in Jan Goebel et al. (2019): The German Socio-Economic Panel (SOEP). Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 239 (2), 345–360 (online verfügbar). Untersucht werden Miethaushalte und Bruttokaltmieten.
Um die Auswirkungen gestiegener Mieten auf die betroffenen Haushalte zu beurteilen, müssen neben den Mieten die Haushaltsnettoeinkommen betrachtet werden. Beide Größen haben sich in den vergangenen 30 Jahren sehr unterschiedlich entwickelt (Abbildung 1). Zu Beginn der 1990er Jahre stiegen sie stark an, wobei die Mieten höhere Zuwachsraten als die Einkommen zeigten. Danach folgte eine zehnjährige Periode mit einer relativen Stagnation beider Größen. Zwischen 2013 und 2016 gingen die Mieten wieder stärker hoch, seit 2017 allerdings wächst das Einkommen schneller. Diese Tendenz wurde im Jahr 2020 unterbrochen, als infolge der Coronakrise die Einkommen deutlich gefallen sind. Allerdings haben die Einkommen im Jahr 2021 wieder zugenommen, aber nicht ausreichend, um den Rückgang zu kompensieren. Die Mieten setzten ihren Anstieg trotz der Krise fort.
Im Ergebnis dieser Entwicklungen ist die Mietbelastung, gemessen als Verhältnis zwischen der monatlichen Bruttokaltmiete und dem monatlichen Nettohaushaltseinkommen, seit etwa 2005 annähernd konstant geblieben, wenn nicht leicht gefallen (Abbildung 2). Zu Beginn der 1990er Jahre war die Veränderung in Ostdeutschland dramatisch, was mit der Liberalisierung der seit 1936 eingefrorenen Mieten verbunden war. Zwischen 1990 und 2001 sprang die Mietbelastung dort von lediglich vier auf rund 25 Prozent. Danach hat sich die Mietbelastung in Ost- und Westdeutschland annähernd parallel entwickelt, wobei sie in Ostdeutschland durchgängig geringer war. In welchem Umfang die Mietpreisbremse, die 2015 für Neu- und Wiedervermietungen in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt eingeführt und 2019 verschärft wurde, die leicht rückläufige Entwicklung seit 2015 beeinflusst hat, kann auf Grundlage der hier verwendeten Daten nicht beantwortet werden.Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) §§ 556 d bis 556 g. Ausnahmen bestehen unter anderem für Neubauwohnungen und für Wohnungen, die erstmals nach einer umfassenden Modernisierung vermietet werden. Für eine entsprechende Analyse des Berliner Mietendeckels siehe Anja M. Hahn, Konstantin A. Kholodilin und Sofie R. Waltl (2021): Die unmittelbaren Auswirkungen des Berliner Mietendeckels: Wohnungen günstiger, aber schwieriger zu finden. DIW Wochenbericht Nr. 8, 117–124 (online verfügbar).
Unterscheidet man die Haushalte nach der Höhe ihrer Einkommen, zeigt sich bei der Mietbelastung der verschiedenen Einkommensgruppen ein ähnlicher Verlauf der Mietbelastung (Abbildung 3). Dazu wurden die Haushalte in fünf gleich große Gruppen, geordnet nach dem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen, eingeteilt. Am stabilsten war die Mietbelastung für Mieter *innen in der zweitniedrigsten und mittleren Einkommensgruppe: Zwischen 1990 und 2021 ist die Belastung für diese Gruppen um rund sieben beziehungsweise neun Prozentpunkte gestiegen. In der untersten Einkommensgruppe kam es zu den größten Schwankungen, mit dem stärksten Anstieg bis 2008.Die Wohnkostenbelastung bei Haushalten mit Bezug von Grundsicherungsleistungen ist mit Unsicherheit behaftet, da neben dem Regelsatz auch angemessener Wohnraum bezahlt wird. Die Auszahlung kann dabei direkt an die Grundsicherungshaushalte oder direkt an den Vermieter erfolgen (Sozialgesetzbuch (SGB) , Zweites Buch (II) § 22 Abs. 7). Je nach Ausgestaltung werden die gewährten Wohnkosten als Einkommen gezählt oder nicht. Insgesamt wuchs die Mietbelastung in dieser Gruppe von rund 24 Prozent im Jahr 1990 auf knapp 36 Prozent im Jahr 2021. Die einkommensschwächsten Haushalte gaben im Jahr 2021 im Durchschnitt 14 Prozentpunkte mehr von ihrem Einkommen für Miete aus als die einkommensstärksten.
Ähnliche Unterschiede ergeben sich, wenn Haushalte nicht nach ihren Einkommen, sondern nach der Zahl ihrer Mitglieder und Kinder unterschieden werden. Für Einpersonenhaushalte liegt die Mietbelastung deutlich über dem Durchschnitt (Abbildung 4). Im Jahr 2021 betrug die Mietbelastung für diese Haushalte rund 30 Prozent. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Mietbelastung für alle Haushalte betrug rund 27 Prozent. Spürbar niedriger ist die Belastung für Haushalte mit zwei Erwachsenen, also Paaren ohne Kinder, und Familien mit Kindern. Diese Haushalte gaben im Jahr 2021 rund 21 beziehungsweise 23 Prozent ihrer Einkommen für die Miete aus.
Ein zusätzlicher Indikator für die Verteilung der Mietbelastung ist der Anteil der Miethaushalte mit einer Mietbelastung von mehr als 40 Prozent (Überbelastung) an der Gesamtzahl der Miethaushalte.Eurostat (2023): Quote der Überbelastung durch Wohnkosten (online verfügbar). Der Vergleich mit dem Anteil der Haushalte, die in Sozialwohnungen leben, zeigt, dass die staatliche Unterstützung gerade in diesem Bereich abgenommen hat (Abbildung 5). Im Gegensatz zu der Sozialmieterquote steigt die Überbelastungsquote über die Zeit und liegt seit 2002 über der Sozialmieterquote. Im Jahr 2021 war sie annähernd doppelt so hoch. Gründe hierfür liegen nicht nur in steigenden Mieten, sondern vor allem auch im Rückgang der Sozialwohnungen. Während es Ende der 1980er Jahre noch rund vier Millionen Sozialwohnungen gab, belief sich ihre Zahl Ende 2022 auf rund eine Million.Deutscher Bundestag (2023): Deutschland hat noch etwa 1,09 Millionen Sozialwohnungen. Kurzmeldungen (online verfügbar).
Mit Blick auf die regionale Verteilung der Mietbelastung ergibt sich das folgende Bild: In Ostdeutschland sind die Belastungen tendenziell geringer als in Westdeutschland, in den Metropolen sind sie besonders hoch. (Abbildung 6).Statistisches Bundesamt: Wohnen in Deutschland – Zusatzprogramm Wohnen des Mikrozensus 2022 (online verfügbar); Datenbank Numbeo (online verfügbar).
Beim Vergleich von statistischen Regionen und Regierungsbezirken beträgt der maximale Unterschied rund neun Prozentpunkte (Regierungsbezirk Köln 30,7 Prozent und statistische Region Chemnitz 21,6 Prozent). Unter den Großstädten stechen München und Berlin mit Mietbelastungsquoten für Dreizimmerwohnungen im Stadtzentrum von jeweils rund 37 und 36,7 Prozent heraus. Für kleinere Wohnungen und Wohnungen außerhalb des Stadtzentrums fallen die Belastungen geringer aus. In Berlin etwa beträgt die Belastung für eine Dreizimmerwohnung außerhalb des Stadtzentrums nur rund 26 Prozent.
Zu Beginn der 1990er Jahren war die Mietbelastung sowohl in West- als auch in Ostdeutschland deutlich niedriger als heute. Sie wuchs in den 1990er Jahren in den ostdeutschen Bundesländern besonders stark, da die Mieten dort unmittelbar nach der Wiedervereinigung noch sehr niedrig waren. Seit etwa 2005 stagniert die Mietbelastung weitgehend und ist seit 2015 sogar leicht rückläufig. Steigende Einkommen und die Wirkung der Mietpreisbremse sind mögliche Erklärungen für diesen Rückgang. Auch verringerte Umzugsquoten aufgrund stark steigender Angebotsmieten können hier einen Einfluss haben.Da Bestandsmieten langsamer als Angebotsmieten steigen, führen sinkende Umzugsquoten zu langsamer wachsenden Mietbelastungsquoten. Statista (2024): Umzugsquote in den deutschen Bundesländern in den Jahren von 2013 bis 2017 (online verfügbar).
Niedrige Einkommensgruppen werden durch die Miete deutlich stärker belastet als hohe Einkommensgruppen. Die einkommensschwächsten 20 Prozent in Deutschland zahlten im Jahr 2021 im Durchschnitt rund 36 Prozent ihres Einkommens für Miete, die einkommensstärksten nur rund 22 Prozent. Auch Einpersonenhaushalte weisen in Deutschland überdurchschnittliche Mietbelastungen auf.
Stark belastete Gruppen – vor allem solche mit einer Mietbelastungsquote von mehr als 40 Prozent – sollten bei politischen oder regulativen Eingriffen besonders berücksichtigt werden. Die Stärkung des sozialen Wohnungsbaus und Erhöhungen des Wohngeldes können zielgerecht wirken. Ersteres kann allerdings nur nur mittel- bis langfristig eine Verbesserung bringen. Erhöhungen des Wohngelds können hingegen die betroffenen Haushalte schnell entlasten.
Die Einschränkung bestehender Ausnahmen bei der Mietpreisbremse, etwa bei der Vermietung möblierter Wohnungen oder bei Vermietungen auf Zeit, oder zusätzliche Mietpreiskontrollen können weitere Mietsteigerungen eventuell begrenzen, eine gezielte Unterstützung besonders belasteter Haushalte stellen sie allerdings nicht dar. Zudem können diese Instrumente auch zu einer Reihe von Nebeneffekten führen.Konstantin A. Kholodilin (2024): Rent control effects through the lens of empirical research: An almost complete review of the literature. Journal of Housing Economics 63, 1–19 (online verfügbar). Hier sollten alle relevanten Auswirkungen möglicher Maßnahmen abgeschätzt werden. Aufgrund der räumlichen Disparitäten in der allgemeinen Entwicklung der Wohnungsmärkte und der Miet- und Wohnkostenbelastung wäre es empfehlenswert, lokalen Entscheidungsträger*innen mehr Handlungsspielraum für geeignete Maßnahmen zu eröffnen.
Themen: Verteilung, Ungleichheit, Immobilien und Wohnen, Familie
JEL-Classification: C43;O18;R38
Keywords: housing affordability, rental burden, SOEP, microeconomic data
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2024-41-1