Medienbeitrag vom 30. Januar 2025
Bürokratie kostet Deutschland Milliarden und bremst Unternehmen aus. Was, wenn die Lösung in einer radikalen Verwaltungswende liegt? Wie eine effizientere Verwaltung den Standort retten kann
Der Standort Deutschland kränkelt. Vor allem übermäßige Regulierung und Bürokratie sind schuld, lautet die Diagnose. Helfen sollten vier Bürokratieentlastungsgesetze, um den Standort Deutschland wieder attraktiver zu machen und die Rahmenbedingungen für Investitionen zu verbessern. Doch diese hilflosen Versuche waren nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein – die Lösung könnte ganz woanders liegen: Investitionen in die Qualität der Verwaltung.
Mittlerweile sind die traurigen Anekdoten rund um die überbordende, zeitraubende und vieles lähmende Bürokratie im unternehmerischen Alltag in Deutschland zahllos. Dauer für die Genehmigung einer Windkraftanlage: sechs Jahre, 45 gefüllte Ordner. Zulassung einer Gleisbaumaschine: zwei Jahre. Dauer des Prüf- und Genehmigungsverfahrens für die Zuwanderung von dringend benötigten Fachkräften aus Nicht-EU-Ländern: bis zu zwei Jahre. Vorgeschriebene Temperatur in der Betriebstoilette: 21 Grad, bei geöffnetem Fenster nicht unter 20 Grad. Bei staatlich geförderten Filmproduktionen muss nachweislich zu 90 Prozent recyceltes Toilettenpapier verwendet werden. Die Anekdoten ließen sich beliebig fortsetzen.
Dieser Gastbeitrag von Alexander S. Kritikos erschien am 29. Januar 2025 in Capital.
An den langwierigen Antrags- und Genehmigungsverfahren haben die vier Gesetze zur Bürokratieentlastung nichts geändert. Gleichzeitig wurden viele neue Gesetze und Verordnungen auf den Weg gebracht, deren zusätzliche Belastungen die Entlastungen durch dieses Gesetz bei weitem übersteigen. Der steigende Aufwand für unverhältnismäßige Berichtspflichten, für die Einhaltung unverständlicher Vorschriften und für langwierige Antragsprozesse verschlingt Zeit – aktuelle Studien haben errechnet, dass durchschnittlich unglaubliche 22 Prozent der Arbeitszeit in jedem Unternehmen für Bürokratietätigkeiten verwendet werden. Das treibt die sachfremden Produktionskosten in den Unternehmen unnötig in die Höhe, nach jüngsten Berechnungen des Ifo-Instituts kostet Bürokratie 146 Mrd. Euro an Wirtschaftsleistung.
Die Folgen: erste Unternehmen schließen – nicht, weil die Nachfrage sinkt, sondern weil sich die Produktion in Deutschland wegen der steigenden Bürokratielasten nicht mehr lohnt. Andere verlagern ihren Standort – trotz deutlich höherer Lohnkosten teils sogar in die Schweiz – und tätigen Neuinvestitionen eben nicht mehr in Deutschland.
Deutschlands Standortproblem lässt sich nicht mit Subventionen lösen, auch nicht mit Subventionen für Investitionen. Subventionen zementieren eher das Standortproblem, anstatt es zu lösen. Was in der politischen Diskussion vernachlässigt wird, ist die Tatsache, dass die Belastung der Unternehmen durch Regulierung und Bürokratie nicht von einer, sondern von zwei Komponenten abhängt.
Erstens: wie viele Regulierungen werden vom Gesetzgeber auf den Weg gebracht. Zweitens: welche Qualität hat die öffentliche Verwaltung. Der erste Weg zur Lösung des Problems führt folglich über eine Reduzierung der Regulierungsdichte. In den letzten 20 Jahren, in denen die Politik dies versucht hat, ist jedoch genau das Gegenteil eingetreten: Die Zahl der Regulierungen hat stetig zugenommen. Das wird sich wohl auch in Zukunft nicht ändern.
So wird die zweite Komponente, die Qualität der öffentlichen Verwaltung, zum zentralen Element aktiver Gestaltung von Wirtschaftspolitik – im Guten wie im Schlechten. Arbeitet eine öffentliche Verwaltung mit hoher Qualität, gibt es schlanke Antragsverfahren und verständliche Formulare und Vorschriften sowie nachvollziehbare und zumutbare Nachweis-, Berichts- und Dokumentationspflichten. Bei hoher Verwaltungsqualität werden Verwaltungsentscheidungen und Genehmigungsverfahren zügig – nicht nach Jahren, sondern nach Wochen – effizient und transparent getroffen, wofür geeignete Verwaltungsprozesse entwickelt wurden. Bei der Umsetzung werden Unternehmen von Vorschriften aktiv entlastet und so unterstützt, dass diese selbst weniger leisten müssen. Dann bietet Verwaltung den wichtigsten Vorteil von Regulierung: Verlässlichkeit, Verbindlichkeit und Rechtssicherheit für die Unternehmen.
Dass eine hohe Qualität der öffentlichen Verwaltung möglich ist und erfolgreiche Wirtschaftspolitik darstellen kann, machen uns die nordischen Länder vor. Diese Länder haben trotz ihrer bekanntlich hohen Regulierungsdichte genau deshalb kein Standortproblem. Damit eng verbunden ist dort auch eine Haltungsfrage: In den nordischen Ländern sieht sich die Verwaltung als hochwertiger Dienstleister und Partner der Unternehmen, nicht als ferne Behörde mit Eigenleben.
Um diese Qualität der öffentlichen Verwaltung steht es in vielen Teilen Deutschlands nicht gut. Da lohnt es, die Definition von Bürokratismus als Merkmal weniger guter Verwaltung von Hans-Ulrich Derlien zu bemühen: „eine pathologische Einstellung oder Verhaltensweise der in einer Bürokratie Tätigen (…), bei der Schriftlichkeit und Regelbeachtung zu Lasten Dritter zwanghaft übertrieben werden.“ Dem werden viele betroffene Unternehmen uneingeschränkt zustimmen.
Möchte die nächste Bundesregierung den Standort Deutschland signifikant verbessern, führt kein Weg daran vorbei, die konstante Verbesserung der Verwaltungsqualität im Bund sowie auf regionaler und kommunaler Ebene zum festen Bestandteil aktiver Wirtschaftspolitik zu machen. Anstatt also private Investitionen in Deutschland zu subventionieren, wie das nun viele Parteien vorhaben, wäre es für den Standort Deutschland nachhaltiger, die Rahmenbedingungen für Investitionen direkt zu verbessern – also die Verwaltungsqualität so zu erhöhen, dass sich Investitionen auch ohne Subventionen wieder lohnen.
Radikaler Bürokratieabbau bedeutet also, eine gut funktionierende Verwaltung aufzubauen, unterstützt durch weitestgehend digitalisierte Prozesse und künstliche Intelligenz. Konkrete Ziele sind die Halbierung der für Bürokratietätigkeiten verwendete Arbeitszeit in jedem Unternehmen und der Bürokratiekosten in den nächsten fünf Jahren. Das erfordert Investitionen, die Bund, Länder und Kommunen aufbringen müssen. Wie das geht, lässt sich von manch nordischem Land lernen. Es wird eine Investition sein, die sich lohnt.
Themen: Industrie , Unternehmen