DIW Wochenbericht 6 / 2025, S. 84
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Die von der Union initiierte Gesetzgebung zur Migration stellt unsere Demokratie vor die größte Zerreißprobe der letzten Jahrzehnte. Zwar hat der Bundestag das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz mehrheitlich abgelehnt. Im Falle eines Wahlsieges dürften CDU/CSU die Pläne aber erneut aus der Schublade holen. Und die harten Debatten haben bereits gezeigt, dass die Fronten verhärtet sind und die demokratischen Parteien sich in der Migrationsfrage weitgehend unversöhnlich gegenüberstehen. Dabei besteht bezüglich der Ziele eigentlich großer Konsens: Deutschland will die Steuerung der Zuwanderung verbessern, um Versorgung und Integration gewährleisten zu können. Vor allem die Integration in den Arbeitsmarkt ist wichtig, zumal viele deutsche Unternehmen händeringend nach Arbeitskräften suchen und hervorragende Arbeit leisten, um junge Geflüchtete zu qualifizieren und ihnen eine Perspektive zu bieten. Und auch die Sicherheit steht für alle, unabhängig von der politischen Orientierung, im Mittelpunkt. Aschaffenburg ist eine Tragödie, und das einstimmige Ziel aller ist es, dass solche Gewalttaten verhindert werden.
Aber würden die Pläne der Union das Erreichen dieser Ziele ermöglichen oder erleichtern? Einige Elemente, insbesondere die Stärkung von Justiz und Polizei und die bessere Umsetzung des Rechts, sind richtig und unumstritten. Grenzschließungen, Abschiebehaft und Stigmatisierung einer ganzen Gruppe von Geflüchteten dagegen werden sich als kontraproduktiv erweisen, sollten das Gesetz und weitere Maßnahmen nach der Wahl durch den Bundestag kommen. Die Initiativen der Union werden die Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft nicht erleichtern, sondern weiter erschweren. Hochqualifizierte Fachkräfte, die wir dringend brauchen, werden Deutschland fernbleiben. Dies nützt niemanden und schadet allen: den Geflüchteten selbst, der Wirtschaft und dem Staat. Grenzschließungen und Stigmatisierung werden auch nicht die Sicherheit verbessern, sondern eher verschlechtern. Denn Kriminalität hängt nicht von Hautfarbe, Religion oder Herkunft ab, sondern hat mit Traumata und sozioökonomischen Faktoren zu tun. Ein Abbau der Hürden für eine bessere Integration, gesundheitliche Hilfe und bei Straftaten die volle Härte des Gesetzes sind die richtigen Antworten, die die Sicherheit verbessern und Kriminalität reduzieren. Dies betrifft Deutsche genauso wie Ausländer*innen.
Die Konsequenz der Unionspläne wäre daher eine Verschlechterung der Integration von ausländischen Menschen, eine noch größere Arbeitskräftelücke und ein Kostenanstieg für den Staat. Sie würden also genau das Gegenteil von dem erreichen, was die Union und andere Anhänger der Pläne fordern. Mehr noch, sie dürften sich als großes Eigentor der demokratischen Befürworter*innen erweisen. Denn die Enttäuschung der Bürger*innen ist vorprogrammiert. Wieder einmal verspricht die Politik etwas, was sie unmöglich erfüllen kann.
Zur Diskussion stand und steht mit den Unionsplänen aber nicht nur die Frage der Zuwanderung, sondern viele Unterstützer*innen scheinen ein ganz anderes Ziel zu verfolgen: Was heißt es, deutsch zu sein, was ist unsere Identität? Und wollen wir weiterhin eine offene Gesellschaft sein? Die Initiative von Friedrich Merz dürfte kein Unfall gewesen sein, sondern ein weiteres Element einer klaren Strategie, die die offene Gesellschaft infrage stellt. Dazu gehört beispielsweise seine Forderung von vor einigen Wochen, die Reformen des Staatsbürgerschaftsrechts zurückzudrehen und Menschen mit Migrationsgeschichte die Staatsbürgerschaft im Falle von Straftaten aberkennen zu können. Die Einteilung von Deutschen in zwei Klassen ist offensichtlich weder mit dem Grundgesetz und den Menschenrechten noch mit einer offenen Gesellschaft vereinbar.
Friedrich Merz und seine Unterstützer*innen in der Union betreiben ein Spiel mit dem Feuer. Vielleicht gelingt es ihnen, einige zusätzliche Stimmen bei der Bundestagswahl im Februar zu ergattern. Langfristig erweisen sie der Demokratie und der eigenen Partei einen Bärendienst. Der Fall der Brandmauer dürfte unumkehrbar sein und ein Sieg der AfD bei der Bundestagswahl 2029 damit wahrscheinlicher. Verlierer sind unsere Demokratie, die Menschenrechte und unsere offene Gesellschaft.
Dieser Kommentar ist in einer ähnlichen Version am 31. Januar 2025 im Rahmen von „Fratzschers Verteilungsfragen“ bei ZEIT Online erschienen.
Themen: Migration