Die Zukunft als Zumutung: Kommentar

DIW Wochenbericht 10 / 2025, S. 148

Marcel Fratzscher

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Der wohl künftige Bundeskanzler Friedrich Merz sprach im Bundestagswahlkampf von Zumutungen, die auf uns als Gesellschaft zukommen. Dies ist eine erfrischende Ehrlichkeit, denn Deutschland wird aus seiner mentalen, wirtschaftlichen und politischen Depression nur durch mutige Reformen und Veränderungen herausfinden. Wie könnte diese Transformation aussehen?

Die neue Bundesregierung sollte ein Programm für massive Investitionen in Infrastruktur, Innovation und Fachkräfte auflegen, Bürokratie abbauen und Unternehmen steuerliche Anreize setzen, um die Transformation hin zu neuen Technologien, Digitalisierung und Effizienz zu beschleunigen. Sie sollte Abstand von einer aktivistischen Industriepolitik nehmen, bei der die Politik einzelne Unternehmen und Branchen zulasten anderer bevorzugt. Nur so kann eine große Deindustrialisierung verhindert werden. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, dass viele, vor allem Industrieunternehmen, stark schrumpfen und Arbeitsplätze abbauen müssen. Manche Unternehmen werden ganz verschwinden. Deutschland hat aber heute nicht die Wahl zwischen einer kleinen Deindustrialisierung und der Beibehaltung des Status quo, sondern zwischen einer geringen und kurzen oder einer starken und langanhaltenden Deindustrialisierung. Dies erfordert auch eine konsequente Umsetzung der Maßnahmen in Bezug auf Klima und Umwelt.

Viele Beschäftigte werden betroffen sein und gute Arbeitsplätze in der Industrie verloren gehen. Die gute Nachricht ist, dass es heute viele offene Stellen in Deutschland gibt. Was für die betroffenen Beschäftigten hart und eine Zumutung ist, ist aus gesamtwirtschaftlicher Sicht unausweichlich. Auch der Staat und seine Bediensteten müssen sich auf deutliche Zumutungen einstellen. Die Zahl der Staatsbediensteten kann nicht immer weiter steigen. Gleichzeitig benötigen wir deutlich mehr Beschäftigte in Pflege und Gesundheit sowie in Bildung und Qualifizierung.

Die größten Zumutungen wird die junge Generation tragen. Sie muss für die Fehler der Babyboomer-Generation geradestehen und diese korrigieren. Da die Babyboomer nicht nur Infrastruktur und Daseinsvorsorge auf Verschleiß gefahren, sondern auch Sicherheit und Verteidigung völlig vernachlässigt haben, wird die junge Generation einen erheblichen Teil ihrer Arbeit für öffentliche Investitionen in Infrastruktur, Innovation und Daseinsvorsorge, aber auch für den Aufbau der Verteidigungsfähigkeit unseres Landes aufwenden müssen. Zudem wird sie eine zunehmend von Krisen und Naturkatastrophen geprägte Welt erben. Aus dieser Verantwortung heraus müssten eigentlich die Babyboomer den größten Verzicht üben. Doch im Wahlkampf haben alle Parteien ihnen genau das Gegenteil versprochen. Die neue Bundesregierung sollte diese Umverteilung umkehren. Dies erfordert beispielsweise eine Reform der gesetzlichen Rente mit einem deutlich höheren Renteneintrittsalter.

Auch die Hochvermögenden sollten sich auf große Zumutungen einstellen. Die geringe Besteuerung von Vermögen ist ökonomisch schädlich, weil es Anreize für Arbeit reduziert und die Wettbewerbsfähigkeit verringert. Die neue Bundesregierung sollte die Verpflichtung aus dem Grundgesetz ernst nehmen und die starken Schultern mehr zum Gemeinwohl beitragen lassen als die schwachen.

Die Konsument*innen werden sich ebenfalls auf Zumutungen einstellen müssen. Klimaschutz und wirtschaftliche Transformation bedeuten, dass manche Dinge deutlich teurer werden und sich Menschen bei Mobilität, Ernährung oder Energieverbrauch anpassen müssen. Die neue Bundesregierung sollte beispielsweise durch ein sozial zielgerichtetes Klimageld dafür sorgen, dass möglichst wenige soziale Härten entstehen.

Wirtschaft und Gesellschaft befinden sich gegenwärtig auf dem falschen Pfad. Die Frage ist nicht, ob wir uns diese Zumutungen antun wollen oder nicht. Die Welt um uns herum wird uns diese Zumutungen abverlangen. Wenn wir nicht das Heft des Handelns übernehmen, werden es die globalen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Zwänge für uns tun.

Der Beitrag ist am 28. Februar 2025 bei Zeit Online erschienen.

Themen: Verteilung, Familie

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