Wir brauchen eine generationengerechte Schuldenbremse: Kommentar

DIW Wochenbericht 11 / 2025, S. 180

Marcel Fratzscher

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Union und SPD wollen für die neue Bundesregierung ein großes Sondervermögen für Infrastruktur auflegen und Ausnahmen von der Schuldenbremse für Verteidigung schaffen. Der Staat braucht mehr Geld und muss dringend die notwendigen Investitionen tätigen. Die geplanten Sondervermögen werden sich kurzfristig positiv auf die Wirtschaft auswirken, trotzdem sind sie nicht die beste Lösung. Tatsächlich wären sie eine schlechtere Alternative zu einer Reform der Schuldenbremse. In diesem Fall sollen sie strukturelle und dauerhafte Mehrausgaben des Staates für Infrastruktur und für Verteidigung ermöglichen. Doch Deutschland wird in den kommenden Jahrzehnten kontinuierlich mehr Geld für beides benötigen. Wir brauchen nicht weniger, um Klima und Umwelt zu schützen und noch viel größere Katastrophen in der Zukunft zu verhindern. Und wir müssen massiv in Bildung, Innovation und Infrastruktur investieren, um unseren wirtschaftlichen Wohlstand, gute Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.

Die Parteien haben im Bundeswahlkampf genau das Gegenteil versprochen: Sie wollten Steuersenkungen für Spitzenverdienende und höhere Ausgaben für die Sozialsysteme – von beidem wird vor allem die Babyboomergeneration profitieren. Zusammen mit der geltenden Schuldenbremse bedeutet dies: Der Staat hat nicht mehr, sondern weniger Geld für Investitionen in Verteidigung, Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit.

Dabei ist die explizite Staatsverschuldung – also das Verhältnis der Schulden aus Staatsanleihen und Krediten zur Wirtschaftsleistung – von knapp 60 Prozent das deutlich geringere Problem. Das eigentliche Problem sind die impliziten Schulden in Form von Zusagen der Sozialsysteme, vor allem an die Babyboomer. In den Bereichen Rente, Gesundheit und Pflege hat die deutsche Politik so gigantische Versprechungen gemacht, dass die Staatsausgaben und die Beiträge der Erwerbstätigen in den nächsten Jahren explodieren werden. Im Vergleich zu den expliziten Schulden in Höhe von 60 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung können die impliziten Schulden, je nach Annahme und Art der Berechnung, bereits heute bei über 300 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung liegen.

Letztlich bedeutet diese Politik eine gigantische Umverteilung von Jung zu Alt. Leidtragende sind die jungen und zukünftigen Generationen, die mit ihrer Arbeit und ihrem Vermögen für diese Versprechen geradestehen müssen. Um diese Fehlentwicklung zu korrigieren, brauchen wir eine generationengerechte Schuldenbremse mit vier Elementen.

Das erste Element ist die Verpflichtung, dass der Staat nicht länger von seiner Substanz leben darf, sondern kontinuierlich so viel investieren muss, dass der Wert der Infrastruktur, der Daseinsvorsorge und der Umwelt wächst und nicht weiter schrumpft. Das erfordert Transparenz durch die Messung dieser Vermögen und Werte. Ein zweites Element ist daher, dass Investitionen anders behandelt werden müssen als konsumtive Ausgaben des Staates. Vor allem Verwaltung und Bürokratie müssen in einer kleiner werdenden Gesellschaft abgebaut werden.

Das dritte Element erfordert den Abbau der impliziten Verpflichtungen der Sozialsysteme. Dies muss nicht bedeuten, dass die Leistungen für Rente, Gesundheit und Pflege gekürzt werden, sondern dass die Finanzierung der Sozialsysteme nicht primär über eine Umverteilung von Jung zu Alt, sondern von Reich zu Arm erfolgt. Mit anderen Worten: Die starken Schultern in unserer Gesellschaft müssen sich deutlich stärker als bisher am Gemeinwohl beteiligen – so wie es auch im Grundgesetz verankert ist. Diese Pflicht zur Verteilungsgerechtigkeit ist das vierte Element einer generationengerechten Schuldenbremse.

Unsere Demokratie ist dysfunktional geworden, weil sich die Gruppe der Babyboomer auf Kosten der jungen und zukünftigen Generationen bedient und ihnen zukunftsfeindliche Lasten aufbürdet. Eine kurzfristige Lösung mit Sondervermögen wird keine langfristige Abhilfe schaffen. Die neue Bundesregierung sollte mit hoher Priorität die Schuldenbremse reformieren, der zentrale Aspekt muss dabei aber die Generationengerechtigkeit sein.

Der Beitrag ist in einer längeren Version am 7. März 2025 bei Zeit Online erschienen.

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