Schluss mit den Preisexzessen

Blog Marcel Fratzscher vom 2. Juni 2025

Gestiegene Wohnkosten belasten vor allem arme Menschen. Die neue Regierung muss jetzt Leerstände bekämpfen und Immobiliengewinne fair besteuern. Dafür braucht sie Mut. 

Das Wohnen ist eine der drängendsten sozialen Fragen. Viele Menschen haben in den vergangenen Jahren nicht nur unter der hohen Inflation gelitten, sondern auch unter stark gestiegenen Wohnkosten und fehlendem angemessenem Wohnraum. Das vertieft die wirtschaftliche und soziale Kluft und verschärft den Fachkräftemangel. Die neue Bundesregierung sollte sich das Thema Wohnen als eine zentrale Priorität setzen und klügere Lösungen wählen als bisher.

Wohnen ist aus drei Gründen zu einer der zentralen sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen für Deutschland geworden. Der erste Grund sind die stark gestiegenen Wohnkosten. Eine Studie des DIW Berlin zeigt, dass sich der Anteil der durchschnittlichen Mietkosten an den verfügbaren Einkommen der Haushalte stark vergrößert hat: von 17 Prozent Anfang der 1990er-Jahre auf heute 25 Prozent. Darin sind Nebenkosten wie für das Heizen noch nicht enthalten. Sie sind in den vergangenen Jahren für viele besonders stark gestiegen.

Noch gravierender ist, dass bei der Entwicklung der Wohnkosten die Ungleichheit zugenommen hat. Die Schere zwischen Arm und Reich ist dadurch deutlich größer geworden. Für die ärmsten Haushalte sind die Mietkosten am stärksten gestiegen: von knapp 20 Prozent des verfügbaren Einkommens vor 30 Jahren auf heute 36 Prozent. Und auch der Anteil der Haushalte mit einer sogenannten Überlastung, die also mehr als 40 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für die Miete ausgeben, ist gestiegen. Er beträgt heute knapp 15 Prozent aller Haushalte.

Diese Kolumne von Marcel Fratzscher erschien am 30. Mai 2025 auf ZEIT ONLINE in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Selbst die Einführung des Mindestlohns 2015 und signifikante Erhöhungen bei den Löhnen, auch im Niedriglohnbereich, haben es nicht geschafft, den Anteil der Mietkosten am Einkommen für die meisten Menschen zu reduzieren. Mit anderen Worten: Die Eigentümer*innen von Immobilien und Wohnungen haben es geschafft, einen erheblichen Anteil der höheren Wirtschaftsleistung und des Wohlstands der Mieter*innen für sich selbst zu vereinnahmen. 

Auch bei anderen Faktoren besteht eine beträchtliche Ungleichheit bei den Mietkosten. So zahlen vor allem Alleinerziehende und ihre Kinder wie auch Singles deutlich mehr ihres monatlichen Einkommens für die Miete als Familien. In Ostdeutschland liegen die Mieten deutlich niedriger als im Westen, in den Städten deutlich höher als auf dem Land. Diese Unterschiede spielen eine Rolle, wenn manche klagen, Einkommen und Löhne in ländlichen Regionen seien zu gering im Vergleich zu den Städten. Unterm Strich zählt für den Wohlstand der Menschen, was und wie viel sie sich von ihrem Einkommen leisten können. 

Der Mangel an Wohnraum schwächt den sozialen Zusammenhalt

Das zweite zentrale Problem ist der Mangel an Wohnungen, vor allem passenden Wohnungen. Insbesondere in den großen Städten gibt es nicht ausreichend Wohnraum für junge Menschen und junge Familien, die nicht selten jahrelang nach einer geeigneten Unterkunft suchen. Der Mangel an Wohnraum reduziert die Mobilität, da Menschen ihre alte Wohnung nicht verlassen, wenn sie keine neue finden können. Ältere Menschen wohnen nach dem Auszug der Kinder oder dem Tod des Partners deutlich länger in zu großen Wohnungen, da sie häufig keine preislich angemessene Alternative finden.

Umgekehrt bedeutet der Mangel vor allem für junge Menschen, die Familien gründen, eine erzwungene Mobilität, da größere Wohnungen im eigenen Kiez nicht verfügbar sind, sodass sie in günstigere Viertel ziehen müssen. Dies verschärft die Gentrifizierung und schwächt den sozialen Zusammenhalt und die Teilhabe. 

Von 18 auf 6 Prozent Sozialwohnungen

Der massive Abbau von Sozialwohnungen in den vergangenen 30 Jahren verschärft diese Entwicklung. Waren Anfang der 1990er-Jahre noch 18 Prozent der Wohnungen Sozialwohnungen, so sind es heute lediglich knapp sechs Prozent.

Dass Wohnraum fehlt, reduziert nicht nur die Mobilität innerhalb Deutschlands. Es ist auch eine der wichtigsten Hürden für den Zuzug von Fachkräften aus dem Ausland. Eine Studie von InterNations zu hoch qualifizierten Fachkräften aus dem Ausland zeigt, dass Deutschland beim Zugang zu Wohnungen international schlecht abschneidet. Viele hoch qualifizierte Fachkräfte kommen unter anderem deswegen nicht nach Deutschland oder verlassen das Land schnell wieder. Beide Faktoren – die geringere Mobilität innerhalb Deutschlands und der reduzierte Zuzug von Fachkräften – verschärfen den Fachkräftemangel für Unternehmen. Auch über diesen Mechanismus entsteht somit ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden für Deutschland.

Geringverdiener können kaum vorsorgen

Das dritte zentrale Problem beim Wohnen ist die Zunahme der Ungleichheit bei Vorsorge und Vermögen. Kaum ein Industrieland hat eine so geringe Eigentumsquote wie Deutschland – weniger als die Hälfte der Haushalte besitzt ein Eigenheim. In Städten mit hohen Wohnkosten ist dieser Anteil noch deutlich geringer. In Berlin beträgt die Eigentumsquote lediglich knapp 15 Prozent, 85 Prozent der Menschen wohnen zur Miete.

Hohe oder steigende Wohnkosten bedeuten, dass vor allem Geringverdiener noch schlechter privat vorsorgen können. Sie müssen ihr gesamtes monatliches Einkommen für den Lebensunterhalt aufwenden. Auch deshalb haben 40 Prozent der deutschen Haushalte so gut wie keinerlei private Ersparnisse. Fast kein Industrieland hat einen so großen Anteil an Menschen ohne nennenswerte private Vorsorge.

Für viele Menschen bedeutet dies, dass die Wohnkostenbelastung im Alter steigt, wenn das Arbeitseinkommen wegfällt und sie sich auf die Rente verlassen müssen. Sie müssen dann oft unweigerlich den eigenen Lebensstandard einschränken und können sich viele Dinge des täglichen Lebens nicht mehr im gleichen Maß leisten.

Auf der anderen Seite stehen die Eigentümer*innen, vor allem solche mit mehreren Immobilien, aus denen sie Mieteinkünfte beziehen. Sie haben per Definition mit ihren Wohnungen nicht nur ohnehin relativ große Vermögen, sondern ihre Vermögen wachsen mit den zunehmenden Preisen noch stärker. Auch für den Sozialstaat werden diese Entwicklungen mehr und mehr zum Problem, da der Staat immer mehr für die Wohnkosten von Menschen, die Sozialleistungen beziehen, aufbringen muss.

Die Politik muss Preisexzesse verhindern

Dies ist vielleicht die schwierigste Herausforderung. Es erfordert politischen Mut, Widerstände zu überwinden. Es braucht klare Maßnahmen, um Bauvorhaben zu erleichtern und vorhandene Flächen effizienter zu nutzen. Baugenehmigungsverfahren müssen erheblich beschleunigt werden. Die Ankündigungen der neuen Bauministerin Verena Hubertz dazu gehen in die richtige Richtung. Langfristig wird auch Verdichtung eine entscheidende Rolle spielen. Ein weiterer Hebel könnte sein, genossenschaftliches Wohnen zu fördern.

Das Problem lässt sich nachhaltig und dauerhaft jedoch nur entschärfen, wenn das Wohnungsangebot ausgeweitet wird, vor allem in den Städten. Dies ist vielleicht die schwierigste Herausforderung, da sie es erfordert, Besitzstände zu beschneiden, beispielsweise von Anwohnern, die keine Bauprojekte oder engere Besiedlung in ihrer Nachbarschaft wünschen.

Die Grunderwerbsteuer abzuschaffen, führt nicht zum Ziel

Die Verantwortung für die Wohnungsbaupolitik liegt primär bei den Städten und Ländern. Sie müssen die genannten Maßnahmen umsetzen. Der Bund kann durch kluge Regulierung und punktuelle Förderung eine wichtige Rolle spielen. 

Genauso wichtig ist jedoch, die Umverteilung von Arm zu Reich zu beenden. Dies erfordert in erster Linie, Immobilien und Immobiliengewinne fair zu besteuern. Sie werden in Deutschland nicht oder allenfalls – im internationalen Vergleich – ungewöhnlich gering besteuert. Das kann über die Grundsteuer geändert werden, vor allem aber müssen die Wertgewinne von Immobilien deutlich stärker besteuert und bestehende Ausnahmen abgeschafft werden.

Die Grunderwerbsteuer abzuschaffen, wie es manche Parteien im Bundestagswahlkampf fordern, führt dagegen nicht zum Ziel, zumal es vor allem Besserverdienende in den Städten sind, die es sich überhaupt leisten können, ein Eigenheim zu kaufen. Und eine solche Politik würde vor allem zulasten der Städte und Länder gehen, die diese Einnahmen dringend brauchen, um die Daseinsfürsorge zu stärken.

Das Angebot an Wohnungen muss schnell und deutlich wachsen. Dafür muss die Politik es wagen, die Regulierung drastisch zu ändern und Immobilienbesitz sowie vor allem Wertgewinne stärker zu besteuern. Forderungen, innerhalb der Sozialleistungen bei den Kosten fürs Wohnen zu kürzen, sind dagegen kontraproduktiv. Sie werden die soziale Polarisierung lediglich weiter verschärfen.

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