Zwischen Optimismus und Unsicherheit – deutsche Wirtschaft am Wendepunkt: Editorial

DIW Wochenbericht 24 / 2025, S. 347-348

Marcel Fratzscher

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Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland könnte einen wichtigen Wendepunkt erreicht haben – erste Lichtblicke sind deutlich erkennbar. Insbesondere der Kurswechsel der Bundesregierung mit der Ankündigung eines großen Investitionspakets von 500 Milliarden Euro über zwölf Jahre sowie einer Reform der Schuldenbremse im Hinblick auf Verteidigungsausgaben könnte der entscheidende Impuls für den lang erwarteten wirtschaftlichen Aufschwung sein. Die Risiken bleiben zwar beträchtlich – geopolitische Spannungen, Eskalation im Handelskonflikt mit den USA und China, Sorgen um die Finanzstabilität in den USA. Unsere Sommer-Konjunkturprognose zeigt, dass der Ausblick der deutschen Wirtschaft für 2026 hoffungsvoll und zuversichtlich ist.

Gegenwärtig ist die Lage der deutschen Wirtschaft weiter durchwachsen. Zwar haben sich viele Sektoren des Verarbeitenden Gewerbes in den vergangenen Monaten stabilisiert und zeigen erste Hoffnungsschimmer, dass die Talsohle erreicht ist und sich Nachfrage und Investitionen in den kommenden Quartalen graduell erholen. Auf der anderen Seite haben sich die Aussichten in einigen Dienstleistungssektoren unerwartet deutlich eingetrübt. Es bleibt abzuwarten, ob dies primär eine Reaktion auf die industrielle Schwäche der vergangenen Jahre widerspiegelt oder andere Ursachen hat.

Auch der private Konsum war und ist weiterhin eine Achillesferse: Viele Menschen erhöhen trotz steigender Reallöhne und zunehmender Kaufkraft ihre Ausgaben kaum und sparen immer noch einen hohen Anteil.

Die größte Schwäche bleibt das fehlende Vertrauen und die schlechte Stimmung – sowohl bei vielen Unternehmen als auch bei Konsumentinnen und Konsumenten. Die Laune hat sich in den vergangenen Monaten aber etwas gebessert. Die Hoffnung besteht, dass die neue Bundesregierung durch verlässliches und glaubwürdiges Handeln zu einer Verbesserung der Stimmung in Wirtschaft und Gesellschaft beiträgt. Die Verantwortung dafür liegt aber nicht allein bei der Politik, auch Unternehmen und Zivilgesellschaft müssen dazu beitragen.

Nach einem leichten Wachstum von 0,3 Prozent in diesem Jahr erwarten wir für 2026 eine starke Erholung mit einem Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent. Dieser Optimismus in unserer Prognose beruht auf vier zentralen Argumenten:

Erstens: Das Investitionspaket der Bundesregierung von 500 Milliarden Euro über zwölf Jahre könnte bereits 2026 einen wichtigen Impuls setzen. Unsere Prognose unterscheidet sich von anderen vor allem durch die Annahme der sogenannten Multiplikatoren. Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen, auch von Kolleginnen und Kollegen des DIW Berlin, zeigen, dass der Multiplikator für öffentliche Investitionen im langfristigen Durchschnitt bei ungefähr zwei liegen könnte – jeder Euro an staatlichen Investitionen könnte also einen zusätzlichen Euro an Investitionen beziehungsweise Konsum auslösen. Diese Annahme beruht auf Erfahrungen aus der Vergangenheit, die immer wieder den beträchtlichen positiven wirtschaftlichen Effekt öffentlicher Investitionen unterstrichen haben. Für andere Verwendungszwecke der öffentlichen Mehrausgaben wie Konsum und Subventionen sind gerade in Zeiten der Unterauslastung Multiplikatoren von eins oder wenig mehr wahrscheinlich.

Ob das enorme Finanzpaket eine starke wirtschaftliche Erholung auslöst, hängt von zentralen Voraussetzungen ab: Zum einen muss das Geld tatsächlich für zusätzliche Investitionen und nicht für Konsumausgaben verwendet werden. Zum anderen müssen vereinfachte Verfahren und Bürokratieabbau öffentlichen Institutionen – insbesondere den Kommunen – ermöglichen, schnell und effektiv die zusätzlichen Gelder für sinnvolle Investitionsprojekte einzusetzen. Auch muss der Privatsektor, insbesondere die Bauwirtschaft, zusätzliche Kapazitäten aufbauen, damit die öffentlichen Investitionen nicht primär zu Preissteigerungen, sondern zu zusätzlicher Aktivität und privaten Investitionen führen. Es liegt nun an Bund, Ländern und Kommunen, diese Chance zu nutzen.

Zweitens: Ab 2026 dürften sich die Finanzierungsbedingungen weiter verbessern – durch Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank (EZB) sowie durch verfügbare Kapazitäten in der Privatwirtschaft, da die deutsche Wirtschaft nach Jahren der Stagnation noch immer deutlich unter ihrem Potenzial produziert.

Drittens: Die deutlichen Lohnerhöhungen der vergangenen Monate lassen eine ordentliche Erholung der privaten Konsumnachfrage erwarten. Besonders wenn sich die Bundesregierung auf eine Anhebung des Mindestlohns auf 14 oder 15 Euro einigen sollte, dürfte die Konsumnachfrage und damit das Wachstum in den kommenden Jahren zunehmen. Denn ein höherer Mindestlohn wirkt stärker auf die Konsumnachfrage als Lohnerhöhungen bei Spitzenverdienern, da Menschen in unteren Einkommensgruppen nahezu jeden zusätzlichen Euro ausgeben. Gleichzeitig zeigen die Erfahrungen der vergangenen zehn Jahre, dass ein höherer Mindestlohn weder die Arbeitslosigkeit noch die Inflation signifikant erhöht.

Viertens: Die Stimmung bei Unternehmen und Konsumentinnen und Konsumenten verbessert sich zunehmend. Die von der Bundesregierung geplanten steuerlichen Erleichterungen bei Abschreibungen sowie die versprochenen Entlastungen bei Bürokratie und Regulierung könnten das Vertrauen stärken und zusätzliche Investitionen anstoßen.

Auch wenn mit einer deutlichen Expansion im kommenden Jahr zu rechnen ist, müssen wir uns der weiterhin erheblichen Risiken bewusst sein. Eine Eskalation im Handelskonflikt mit den USA zeichnet sich zunehmend ab. Dies könnte die ohnehin geschwächten deutschen Exportunternehmen empfindlich treffen und kurzfristig 2025 zu einem erneuten Schrumpfen der deutschen Wirtschaft führen.

Ein zweites Risiko ist die Unsicherheit über die Finanzstabilität und mögliche Turbulenzen auf den Finanzmärkten – ausgelöst durch Steuer- und Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump. Seine Steuererleichterungen könnten die Staatsverschuldung in den USA gefährlich erhöhen und Turbulenzen an den globalen Kapitalmärkten auslösen. Schlechtere Finanzierungsbedingungen könnten private Investitionen empfindlich schwächen, weshalb es so wichtig ist, dass die EZB diese Risiken im Blick behält und flexibel reagiert.

Ein drittes Risiko ist eine erneute politische Blockade in Deutschland und Europa. Die neue Bundesregierung hat viele richtige Signale gesendet, muss nun aber dringend die Haushalte für 2025 und 2026 verabschieden und dabei nicht nur eine klare Zukunftsvision präsentieren, sondern auch interne Konflikte – vor allem bei Steuern und Sozialausgaben – lösen. Der Koalitionsvertrag ist in vielen Punkten vage; die neue Regierung muss sich nun zusammenraufen und einen konsistenten, überzeugenden politischen Zukunftskurs definieren.

Die Unsicherheit über die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands und Europas bleibt hoch. Unsere Sommerprognose 2025 sieht jedoch einen möglichen Wendepunkt. Die entscheidenden Faktoren für die Zukunft Deutschlands liegen nicht im Ausland, sondern im eigenen Land – in der Frage, ob Politik, Wirtschaft und Gesellschaft eine neue Stimmung des Vertrauens und der Zuversicht schaffen können. Gelingt es der Bundesregierung, ihr Investitionspaket überzeugend umzusetzen, könnte Deutschland 2026 und 2027 eine beachtliche wirtschaftliche Erholung erfahren – auch wenn viele strukturelle und langfristige Herausforderungen weiterhin bestehen bleiben.

Themen: Konjunktur

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