DIW Wochenbericht 34 / 2025, S. 511-518
Jascha Dräger, Markus Klein, Edward Sosu
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„Die Ergebnisse dürften sehr ähnlich auch für Deutschland gelten. Es gibt jedoch einen wichtigen Unterschied: Hierzulande werden die Kinder früh auf unterschiedliche Schulformen aufgeteilt. Dementsprechend könnten Fehlzeiten am Ende der Grundschulzeit besonders schädlich sein, weil sie womöglich dazu führen, dass Kinder nicht auf ein Gymnasium kommen.“ Jascha Dräger
In den meisten deutschen Bundesländern ist aufgrund fehlender Daten unklar, ob und ab wann Fehltage in der Schule ein ernstzunehmendes Problem mit Blick auf die Leistungen von Schüler*innen sind. In England hingegen sind genauere Analysen möglich – Fehltage von Schüler*innen werden dort als ein großes Problem betrachtet. Diese Studie vergleicht erstens die Entwicklung der Fehltage in England und Berlin und untersucht zweitens den Einfluss von Fehltagen auf die schulischen Leistungen in England. Wie auch in England sind die Fehltage im Schuljahr 2021/22 in Berlin deutlich gestiegen und liegen seither auf dem höheren Niveau. Die Analysen aus England zeigen, dass jeder versäumte Schultag – unabhängig vom Schuljahr oder davon, ob er entschuldigt war oder nicht – mit schlechteren Abschlussnoten einhergeht. Um das Ausmaß des Problems besser einschätzen zu können, sollten auch hierzulande Fehltage systematisch erfasst, veröffentlicht und analysiert werden. Zudem ist es wichtig, dass Schulen Konzepte zur Verringerung von Fehltagen umsetzen und systematischer verpasste Inhalte nachholen. Dafür müssen Schulen entsprechend ausgestattet werden, finanziell wie personell.
In den USA und Großbritannien sind die Fehltage von Schüler*innen während der Corona-Pandemie deutlich gestiegen und danach nicht wieder auf das frühere Niveau gesunken. Die hohen Fehlzeiten werden als ernstes Problem und ein zentraler Grund für die schlechter werdenden Leistungen von Schüler*innen betrachtet.House of Commons (2023): Persistent absence and support for disadvantages pupils. Education Committee (online verfügbar; abgerufen am 15. Juli 2025. Dies gilt auch für alle anderen Onlinequellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt); The White House (2023): Chronic Absenteeism and Disrupted Learning Require an All-Hands-on-Deck Approach (online verfügbar). Eine hohe Zahl an Fehltagen erschwert es zudem, pandemiebedingte Lernrückstände aufzuholen.Thomas Dee (2024): Higher chronic absenteeism threatens academic recovery from the COVID-19 pandemic. Proceedings of the National Academy of Sciences, 121(3), e2312249121 (online verfügbar).
Forschungsergebnisse, insbesondere aus den USA und Großbritannien, zeigen, dass Fehltage kurzfristig negative Auswirkungen auf die schulischen Leistungen haben.Esteban Aucejo und Teresa Romano (2016): Assessing the effect of school days and absences on test score performance. Economics of Education Review, 55, 70–87 (online verfügbar); Michael Gottfried (2010): Evaluating the Relationship Between Student Attendance and Achievement in Urban Elementary and Middle Schools: An Instrumental Variables Approach. American Educational Research Journal, 47(2), 434–465 (online verfügbar). Diese Nachteile werden im weiteren Verlauf der Schulzeit nicht kompensiert, sondern wirken sich langfristig auf Bildungswege, Erwerbsbiografien und Einkommen aus.Sarah Cattan et al. (2022): The Long-term Effects of Student Absence: Evidence from Sweden. The Economic Journal (online verfügbar); Jascha Dräger, Markus Klein und Edward Sosu (2024): The long-term consequences of early school absences for educational attainment and labour market outcomes. British Educational Research Journal (online verfügbar).
Dabei ist es wichtig zu betonen, dass nicht nur unentschuldigte Fehltage – zum Beispiel das bewusste „Schwänzen“ des Unterrichts – negative Auswirkungen auf die schulischen Leistungen haben. Auch entschuldigte Fehltage wirken sich leistungsmindernd aus.Einige bisherige Studien haben herausgefunden, dass unentschuldigte Fehltage einen stärkeren negativen Effekt auf die Schulleistung haben als entschuldigte Fehltage, während andere Studien ähnliche Auswirkungen finden, vgl. Seth Gershenson, Alison Jacknowitz und Andrew Brannegan (2017): Are Student Absences Worth the Worry in U.S. Primary Schools? Education Finance and Policy, 12(2), 137–165 (online verfügbar); Markus Klein, Edward Sosu und Shadrach Dare (2022): School Absenteeism and Academic Achievement: Does the Reason for Absence Matter? AERA Open, 8, 233285842110711 (online verfügbar). Solche Fehlzeiten kommen häufig durch Krankheit und Arztbesuche zustande, aber auch durch besondere familiäre Umstände. Die Ursachen für unentschuldigte Fehltage können grob in Schulschwänzen zugunsten von angenehmeren Aktivitäten, angstbedingtes Fernbleiben des Unterrichts und auch elternbedingtes FernbleibenBeispiele für elternbasiertes Fernbleiben sind, dass Eltern Unterrichtsinhalte ablehnen, Schulferien eigenhändig verlängert werden oder Schüler*innen kleinere Geschwister betreuen müssen. unterteilt werden.Heinrich Ricking et al. (2025): Jeder Schultag zählt. Praxishandbuch für die Schule zur Prävention und Intervention bei Absentismus. Joachim Herz Stiftung (online verfügbar).
Im Gegensatz zu England werden Fehltage von Schüler*innen und deren Auswirkungen in Deutschland bislang kaum thematisiert. Wenn sie doch ein Thema sind, dann liegt der Fokus meist ausschließlich auf unentschuldigten Fehltagen, obwohl diese insbesondere in den unteren Klassenstufen nur einen geringen Anteil aller Fehltage ausmachen.Des Weiteren sollte beachtet werden, dass entschuldigte Fehlzeiten nicht mit unfreiwilligen Fehlzeiten und unentschuldigte Fehlzeiten nicht mit freiwilligen Fehlzeiten gleichgesetzt werden können. Beispielsweise, wenn Kinder durch ihre Eltern vom Schulbesuch abgehalten werden, um jüngere Geschwisterkinder zu betreuen oder wenn Fehlzeiten fingiert durch Krankheit entschuldigt werden, vgl. Anton Birioukov (2016): Beyond the excused/unexcused absence binary: Classifying absenteeism through a voluntary/involuntary absence framework. Educational Review, 68(3), 340–357 (online verfügbar).
Ein wesentlicher Grund für die vergleichsweise geringe Beachtung ist der Mangel an aussagekräftigen Daten: Anders als in England werden in Deutschland kaum umfassende Informationen zu Fehltagen erhoben. Lediglich in Berlin erscheinen regelmäßig Statistiken zu entschuldigten und unentschuldigten Fehltagen; in Thüringen werden unentschuldigte Fehltage dokumentiert.Susanne Kreitz-Sandberg et al. (2024): Recording and Reporting School Attendance and Absence: International Comparative Views on Attendance Statistics in Sweden, Germany, England, and Japan. Orbis Scholae, 16(3), 187–212 (online verfügbar).
In dieser Studie werden zunächst die Fehltage von Schüler*innen in Berlin und England vergleichend analysiert. Im zweiten Schritt wird auf Basis verknüpfter administrativer Schuldaten und Umfragedaten aus England untersucht, wie sich entschuldigte und unentschuldigte Fehltage auf die Leistungen in den Abschlussprüfungen auswirken, die in England von allen Schüler*innen in der elften Klasse abgelegt werden (Kasten 1).Die zugrundeliegenden Analysen für diesen Teil wurden zuerst veröffentlicht in Jascha Dräger, Markus Klein und Edward Sosu (2025): Does the effect of pupil absences on achievement depend on their timing? American Educational Research Journal (online verfügbar). Die hier berichteten Ergebnisse für England zeigen sich auch für Wales und für Schulleistungen in Mathe und Englisch. Die Kombination beider Analysen erlaubt es, Rückschlüsse darüber zu ziehen, ob Fehltage in der Schule auch in Deutschland ein ernstzunehmendes bildungspolitisches Problem sind.
In England ist der Besuch einer allgemeinbildenden Schule für elf Jahre verpflichtend. Die Klassenstufen sind in vier sogenannte Key Stages aufgeteilt: Key stage 1 (erste und zweite Klasse; ab fünf Jahren), Key stage 2 (dritte bis sechste Klasse), Key stage 3 (siebte bis neunte Klasse) und Key stage 4 (zehnte und elfte Klasse). Die Grundschule umfasst die Key stages 1 und 2 (erste bis sechste Klasse), danach wechseln Schüler*innen auf eine Sekundarschule (siebte bis elfte Klasse). Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in England keine verschiedenen Schulformen in der Sekundarstufe. Stattdessen werden alle Schüler*innen gemeinsam an weiterführenden Schulen unterrichtet, wobei die Leistungsdifferenzierung über Kurse auf unterschiedlichen Niveaus erfolgt. Eine Ausnahme davon sind die selektiven Grammar Schools, die von etwa fünf Prozent der Schüler*innen besucht werden. Zusätzlich besuchen etwa sechs Prozent der Schüler*innen Privatschulen mit teilweise sehr hohen Schulgebühren. Nach der elften Klasse können Schüler*innen entweder zwei weitere Jahre auf eine allgemeinbildende Schule gehen oder eine berufliche Bildung beginnen.
In England haben Schüler*innen der Sekundarstufe (siebte bis elfte Klasse) von 2011 bis 2019 im Durchschnitt etwa 5,5 bis sechs Prozent des Unterrichts verpasst (Abbildung 1, linker Teil).Department for Education (2025): Pupil absences in schools in England (online verfügbar). Davon entfielen 3,7 bis 4,5 Prozentpunkte auf entschuldigte Fehltage, während 1,3 bis 1,8 Prozentpunkte unentschuldigt waren. Anders ausgedrückt: Etwa ein Viertel aller Fehltage in diesem Zeitraum waren unentschuldigt. Ab dem Schuljahr 2021/22 stiegen die Fehltage sprunghaft auf etwa neun Prozent an. Während die entschuldigten Fehltage 2021/22 ihren Höchststand erreichten und danach leicht zurückgingen, nahmen die unentschuldigten Fehltage bis zum Schuljahr 2023/24 auf etwa 3,5 Prozent der Unterrichtszeit zu. Somit machen unentschuldigte Fehltage in England inzwischen mehr als ein Drittel aller Fehltage aus. Ein ähnlicher Trend zeigt sich auch an den Grundschulen (erste bis sechste Klasse), allerdings auf einem insgesamt niedrigeren Niveau (3,9 Prozent entschuldigte und 1,6 Prozent unentschuldigte Fehltage im Schuljahr 2023/24; ohne Abbildung). Der Großteil der entschuldigten Fehltage ist auf Krankheit und Arztbesuche zurückzuführen.
In Berlin haben sich die Fehltage über die Zeit ähnlich entwickelt (Abbildung 1, rechter Teil). Von 2011 bis 2020 verpassten Schüler*innen in Berlin durchschnittlich etwa 6,5 bis sieben Prozent des Unterrichts.Die Autoren danken den Mitarbeiter*innen der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie für die Bereitstellung der Zeitreihen der Fehlzeiten. Die Fehlzeiten des gerade zu Ende gegangenen Schuljahres wurden auch veröffentlicht in Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (2025): Blickpunkt Schule. Bericht 2024/2025 (online verfügbar). Daten zu den Fehlzeiten in den vorherigen Schuljahren sind in früheren Versionen des Berichts erschienen. Alle Daten zu Berlin beziehen sich jeweils auf das erste Schulhalbjahr. Davon entfielen etwa fünf Prozentpunkte auf entschuldigte und etwa 1,3 Prozentpunkte auf unentschuldigte Fehltage. Unentschuldigte Fehltage machten damit etwa ein Fünftel aller Fehltage aus. Im ersten Halbjahr der Schuljahre 2021/22 und 2022/23 lagen die Fehltage mit 8,3 beziehungsweise 9,5 Prozent deutlich höher. Dieser Anstieg ist vor allem auf vermehrte entschuldigte Fehltage zurückzuführen, während in England wie beschrieben auch die unentschuldigten Fehltage stark gestiegen sind. In den Schuljahren 2023/24 und 2024/25 ist die Zahl der Fehltage in Berlin insgesamt wieder etwas zurückgegangen. Die unentschuldigten Fehltage erreichten mit fast zwei Prozent jedoch einen Höchststand.
Dabei zeigen sich in Berlin deutliche Unterschiede zwischen den Schulformen. Im ersten Halbjahr des kürzlich zu Ende gegangenen Schuljahres 2024/25 lag der Anteil der Fehltage an Gymnasien bei 6,3 Prozent, davon waren 0,5 Prozentpunkte unentschuldigt (ohne Abbildung). An integrativen Gesamtschulen betrug der Anteil der Fehltage hingegen 10,8 Prozent (davon 2,9 Prozentpunkte unentschuldigt). Bei Schüler*innen der fünften und sechsten Klassen lag der Fehltageanteil im selben Zeitraum deutlich niedriger bei 6,5 Prozent, wovon nur 0,5 Prozentpunkte auf unentschuldigte Fehltage entfielen.
Auch in Thüringen ist seit dem Schuljahr 2021/22 ein Anstieg der unentschuldigten Fehltage zu beobachten (ohne Abbildung). Der Anteil der Schüler*innen an allgemeinbildenden Schulen mit mindestens einem unentschuldigten Fehltag pro Schuljahr hat sich von 3,5 Prozent im Schuljahr 2014/15 auf sieben Prozent im Schuljahr 2023/24 verdoppelt. An beruflichen Schulen stieg dieser Anteil im gleichen Zeitraum von 12,6 auf 15,1 Prozent.Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (2024): Auswertungen zu Schülern mit unentschuldigten Fehltagen an Schulen in Thüringen. Zeitreihen für die letzten zehn Schuljahre (2014/15 bis 2023/24). Statistikstelle (online verfügbar).
Um zu analysieren, wie sich in England Fehltage in verschiedenen Klassenstufen auf die Schulleistungen auswirken, wird im Folgenden der Zusammenhang zwischen Fehltagen in der ersten bis elften Klasse und Leistungen in den Abschlussprüfungen untersucht. Dafür werden elf separate Regressionsanalysen durchgeführt – jeweils eine für die Fehltage in jeder einzelnen Klassenstufe. In den Modellen werden bekannte Risikofaktoren für Fehltage, etwa die Einstellung zur Schule und die Gesundheit der Schüler*innen, als Kontrollvariablen berücksichtigt (Kasten 2).
Diese Studie basiert auf zwei verknüpften Datenquellen. Zum einen werden Daten der Millennium Cohort Study (MCS) verwendet.Heather Joshi und Emla Fitzsimons (2016): The Millennium Cohort Study: The making of a multi-purpose resource for social science and policy. Longitudinal and Life Course Studies, 7(4) (online verfügbar). Das MCS ist eine Längsschnittstudie mit einer repräsentativen Stichprobe von Kindern, die im Jahr 2000 und 2001 im Vereinigten Königreich geboren wurden. Die teilnehmenden Kinder beziehungsweise ihre Eltern wurden im Alter von einem Jahr, drei, fünf, sieben, elf, 14, 17 und 21 Jahren befragt. Diese Kinder wurden im Schuljahr 2006/07 eingeschult und haben im Schuljahr 2016/17 die elfte Klasse besucht. Zum anderen werden die administrativen Schuldaten der National Pupil Database (NPD) verwendet. Das NPD enthält umfassende Informationen zu Fehltagen und Schulleistungen aller Schüler*innen an staatlichen Schulen in England.Matthew Jey, Louise Grath-Lone und Ruth Gilbert (2019): Data Resource: The National Pupil Database (NPD). International Journal of Population Data Science, 4(1) (online verfügbar). Alle Familien, die im Alter von sieben Jahren an der MCS-Befragung teilnahmen und in England lebten, wurden um Zustimmung zur Verknüpfung mit den NPD-Daten gebeten. Für insgesamt 8139 Schüler*innen liegen verknüpfte Daten vor.
Die Schulleistungen werden über die Abschlussprüfung (General Certificate of Secondary Education) am Ende der elften Klasse erfasst (dem letzten Jahr der allgemeinen Schulpflicht in England). Als Leistungsmaß wird der sogenannte „Attainment 8“-Wert verwendet. Dieser bildet die durchschnittliche Note in den besten acht Fächern ab, wobei Englisch und Mathematik doppelt gewichtet werden.
Der Anteil der entschuldigten Fehltage ist definiert als die Anzahl der entschuldigten Fehltage geteilt durch die Anzahl der möglichen Schultage. Unentschuldigte Fehltage werden analog berechnet. Die Fehltage werden dabei separat für jede Klassenstufe erhoben.
Zur Schätzung des Effekts von Fehltagen auf die Schulleistungen werden zahlreiche Risikofaktoren statistisch konstant gehalten, die sowohl mit den Fehltagen als auch mit den Schulleistungen in Zusammenhang stehen können.Jeanne Gubbels, Claudia van der Put und Mark Assink (2019): Risk Factors for School Absenteeism and Dropout: A Meta-Analytic Review. Journal of Youth and Adolescence, 48(9), 1637–1667 (online verfügbar). Berücksichtigt werden unter anderem die Bildung, soziale Klasse und das Einkommen der Eltern, wie wohlhabend die Nachbarschaft ist, die Wohnsituation (Hausbesitz), das Geschlecht, Alter, die ethnische Zugehörigkeit des Kindes, Familienstruktur, Anzahl der Kinder im Haushalt, Region, Umzüge seit der letzten Befragung, das Geburtsgewicht, Geburtskomplikationen, das Gesundheitsverhalten der Mutter während der Schwangerschaft (Rauchen, Alkoholkonsum), die subjektive Gesundheit des Kindes, chronische Erkrankungen des Kindes, das psychische Wohlbefinden der Eltern (zum Beispiel Depression), die elterlichen Einstellungen zur Schule, Bildungsaspirationen, das elterliche Engagement in der Schule, die psychische Gesundheit des Kindes, Schulwechsel, kognitive Kompetenzen, die Fehltage in vorherigen Schuljahren sowie die Leistungen in den standardisierten Tests in der zweiten und sechsten Klasse.
Zur Analyse des Zusammenhangs von Fehltagen in den ersten bis elften Klassen und den Schulleistungen in der elften Klasse werden elf separate lineare Regressionsanalysen durchgeführt – jeweils eine für jede Klassenstufe. Dabei werden in jeder Analyse nur solche Risikofaktoren berücksichtigt, die zeitlich vor den betrachteten Fehltagen liegen. Zum Beispiel werden für die Analyse des Effekts von Fehltagen in der ersten Klasse ausschließlich Merkmale berücksichtigt, die in der MCS-Befragung im Alter von fünf Jahren oder früher erfasst wurden. Bei der Analyse der Auswirkungen von Fehltagen in der zehnten und elften Klasse fließen entsprechend alle bis zum Alter von 14 Jahren erhobenen Informationen ein. Bei der Analyse der Auswirkungen von entschuldigten und unentschuldigten Fehltagen werden beide Kategorien gleichzeitig in die jeweilige Regression aufgenommen, um ihre unabhängigen Effekte auf die Schulleistungen isoliert betrachten zu können.
Die Ergebnisse zeigen, dass Fehltage in allen Jahrgangsstufen mit geringeren Leistungen in den Abschlussprüfungen zusammenhängen, selbst wenn wichtige Risikofaktoren für Fehltage herausgerechnet werden. Ein Anstieg der Fehltage um zehn Prozentpunkte geht mit 0,08 bis 0,19 StandardabweichungenIn Standardabweichungen gemessene Stärken eines Zusammenhangs quantifizieren die Größe eines statistischen Effekts unabhängig von der Skalierung der Daten. schlechteren Leistungen in den Abschlussprüfungen einher (Abbildung 2). Im Durchschnitt sind es 0,14 Standardabweichungen. Anders ausgedrückt bedeutet ein solcher Leistungsrückgang, dass ein*e Schüler*in in einer Rangliste von 100 Schüler*innen vom 50. auf den 56. Platz zurückfällt. In jedem untersuchten Jahrgang ist der Zusammenhang zwischen Fehltagen und Schulleistungen statistisch signifikant.
Fehltage in bestimmten Schuljahren gehen jedoch mit einem stärkeren Rückgang der Schulleistungen einher als Fehltage in anderen Schuljahren. Besonders ausgeprägt ist der Zusammenhang zwischen Fehltagen und Schulleistungen in den sechsten (in England die letzte Klassenstufe der Grundschule) bis zehnten Klassenstufe. Dort gehen zehn Prozentpunkte mehr Fehltage mit 0,15 bis 0,19 Standardabweichungen geringeren Schulleistungen einher. Etwas schwächere negative Zusammenhänge zeigen sich für Fehltage in der vierten und fünften Klasse, wo zehn Prozentpunkte mehr Fehltage mit einer Verringerung der Leistungen um etwa 0,08 Standardabweichungen zusammenfallen. Der Zusammenhang zwischen Schulleistungen und Fehltagen in der sechsten bis zehnten Klasse ist also in etwa doppelt so stark wie in der vierten und fünften Klasse.
Der Zusammenhang zwischen unentschuldigten Fehltagen und den Schulleistungen ist im Durchschnitt über alle Klassen hinweg ähnlich stark wie jener zwischen entschuldigten Fehltagen und den Schulleistungen (Abbildung 3). Nur in den ersten Schuljahren ist er bei unentschuldigten Fehltagen etwas stärker. Allerdings ist der Unterschied zwischen entschuldigten und unentschuldigten Fehltagen auch in diesem Zeitraum statistisch nicht signifikant. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass unentschuldigte Fehltage in den ersten Schuljahren selten vorkommen. Dementsprechend groß sind auch die Konfidenzintervalle und damit die Unsicherheit der geschätzten Effekte.
Es könnte angenommen werden, dass Fehltage weniger schädlich sind, wenn Eltern über einen hohen Bildungsabschluss verfügen, da sie verpasste Lerninhalte eher mit ihren Kindern nachholen können.Markus Klein und Edward Sosu (2024): School Attendance and Academic Achievement: Understanding Variation across Family Socioeconomic Status. Sociology of Education, 97(1), 58–75 (online verfügbar). Diese Hypothese lässt sich jedoch nicht bestätigen. Der Zusammenhang zwischen Fehltagen und Schulleistungen ist für Schüler*innen, deren Eltern einen Hochschulabschluss haben, ähnlich stark wie für Schüler*innen mit Eltern ohne Hochschulabschluss (Abbildung 4). Auch zwischen Jungen und Mädchen sowie zwischen Kindern aus einkommensstarken und einkommensschwachen Haushalten zeigen sich keine relevanten Unterschiede (ohne Abbildung).
Ebenso wie in England sind auch in Berlin die Fehltage von Schüler*innen mit der Corona-Pandemie deutlich gestiegen und liegen seitdem auf dem höheren Niveau.Erklärungsansätze dafür sind langfristige gesundheitliche Folgen von Covid-19-Erkrankungen, dass Eltern ihre Kinder bereits bei leichteren Erkrankungen zuhause behalten als vor der Pandemie, dass die Corona-Pandemie die Routine des regelmäßigen Schulbesuchs unterbrochen hat, oder der Anstieg von mentalen Gesundheitsproblemen bei Kindern und Jugendlichen, vgl. Brontë McDonald, Kathryn Lester und Daniel Michelson (2023): ‘She didn't know how to go back’: School attendance problems in the context of the COVID-19 pandemic. A multiple stakeholder qualitative study with parents and professionals. British Journal of Educational Psychology, 93(1), 386–401 (online verfügbar); Stephen Gibbons, Sandra McNally und Piero Montebruno (2024): Absence and attainment: Evidence from pandemic policy. Centre for Economic Performance (online verfügbar). Trotz der Unterschiede zwischen den Bildungssystemen in England und Deutschland erscheint es plausibel, dass sich die Befunde zum Zusammenhang von Fehltagen und Schulleistungen zumindest teilweise auf Deutschland übertragen lassen. Die Definitionen von entschuldigten und unentschuldigten Fehltagen sind in beiden Ländern vergleichbar. Es ist daher zu erwarten, dass auch in Deutschland jegliche Fehltage – unabhängig von der Klassenstufe und davon, ob sie entschuldigt oder unentschuldigt sind – mit schlechteren schulischen Leistungen einhergehen.
Weniger plausibel ist, dass sich das in England beobachtete Muster besonders schädlicher Fehltage in der sechsten bis zehnten Klasse eins zu eins auf Deutschland übertragen lässt. In Deutschland könnte aufgrund der Aufteilung auf unterschiedliche Schulformen die Grundschulzeit eine kritischere Phase darstellen als in England. Da die besuchte Schulform den weiteren Lernfortschritt beeinflusst und Wechsel zwischen Schulformen weiterhin die Ausnahme sind, könnten frühe Fehltage langfristig schwerer auszugleichen sein. Dennoch ist auch in Deutschland davon auszugehen, dass Fehltage in der Übergangsphase zur Sekundarstufe – analog zu England – mit zunehmender Komplexität des Inhalts und höherer Leistungsanforderung besonders folgenreich sind.
Um den möglichen negativen Auswirkungen von Fehltagen wirksam begegnen zu können, ist ein erster Schritt die systematische Erhebung, Veröffentlichung und Analyse entsprechender Daten. Derzeit erfassen lediglich zwei Bundesländer regelmäßig Fehltage auf Schulebene (Berlin und Thüringen). Eine Verknüpfung individueller Fehltage mit weiteren Bildungsdaten, insbesondere mit Kompetenzen und Schulleistungen, ist nicht möglich. Zwar enthalten einige wenige Längsschnittstudien, etwa das Nationale Bildungspanel (NEPS), selbstberichtete Angaben zu Fehltagen. Jedoch zeigen internationale Studien, dass solche Selbstangaben häufig deutlich von den von Schulen dokumentierten Fehltagen abweichen.Gil Keppens, Bram Spruyt und Jonas Dockx (2019): Measuring school absenteeism: Administrative attendance data collected by schools differ from self-reports in systematic ways. Frontiers in Psychology, 10 (online verfügbar).
Grundsätzlich gibt es zwei Ansätze, um die negativen Auswirkungen von Fehltagen zu verringern: Erstens könnten die Fehltage reduziert werden. Zur Reduktion unentschuldigter Fehltage wurden im Rahmen des Projekts „Jeder Schultag zählt“ verschiedene Maßnahmen erprobt – etwa Fehlzeitenmanagement, die Verbesserung des Schulklimas, eine engere Zusammenarbeit mit Eltern und der Einbezug außerschulischer Dienste.Aufgrund der pandemiebedingten Schulschließungen konnten die Maßnahmen jedoch nicht vollständig umgesetzt und die Wirksamkeit zur Verringerung von Fehltagen nicht evaluiert werden, vgl. Ricking et al. (2025), a.a.O. Internationale Studien zeigen, dass Maßnahmen, die die Bindung zwischen Schüler*innen, Lehrkräften und Schule stärken, wirksamer sind als rein disziplinarische Maßnahmen oder Anreizsysteme.Gil Keppens und Bram Spruyt (2020): The impact of interventions to prevent truancy: A review of the research literature. Studies in Educational Evaluation, 65, 100840 (online verfügbar). Zusätzlich gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die auch entschuldigte Fehltage reduzieren können: Informationsschreiben zu Fehltagen im bisherigen Schuljahr, ein Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, um eine gute Erreichbarkeit von Schulen für alle Schüler*innen zu gewährleisen, und Gesundheitsuntersuchungen in der Schule.Todd Rogers und Avi Feller (2018): Reducing student absences at scale by targeting parents’ misbeliefs. Nature Human Behaviour, 2(5), 335–342 (online verfügbar); Marc Stein und Jeffrey Grigg (2019): Missing bus, missing school: Establishing the relationship between public transit use and student absenteeism. American Educational Research Journal, 56(5), 1834–1860 (online verfügbar); Phyllis Jordan (2023): Attendance Playbook. Smart Strategies for Reducing Student Absenteeism Post-Pandemic. Future Ed & Attendance Works (online verfügbar). Bei bestimmten Erkrankungen könnte zudem Online-Unterricht helfen, insbesondere in Schulen, die während der Pandemie bereits hybride Formate etabliert haben.
Zweitens könnten die negativen Auswirkungen von Fehlzeiten verringert werden. Inhalte von verpasstem Unterricht könnten systematischer durch schulisch organisierte Förderangebote oder individuelle Lernpläne nachgeholt werden.
Die meisten dieser Maßnahmen müssten von den Schulen selbst umgesetzt werden. Dafür ist es jedoch erforderlich, dass sie finanziell und personell auch entsprechend ausgestattet werden.
Themen: Ungleichheit, Bildung
JEL-Classification: I21;I24;I28;J24
Keywords: academic achievement, school absence, school attendance, truancy
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2025-34-1