Pressemitteilung vom 19. April 2016
Ein internationales Konsortium von 178 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen hat anonymisierte genetische Daten von 298.420 Menschen untersucht und Gene entdeckt, die mit Lebenszufriedenheit und Glücklichsein in Verbindung stehen. Die Studie, die jetzt in der führenden Fachzeitschrift „Nature Genetics“ veröffentlicht wurde, zeigt auch vielfältige genetische Verbindungen zwischen psychischem Wohlbefinden, Depression und neurotischem Verhalten. In die Studie flossen unter anderem Daten aus der Berliner Altersstudie II (BASE-II) ein. Das sind Daten zu Lebenszufriedenheit und Glück, die mit Instrumenten der Längsschnittstudie Sozio-oekonomisches Panel (SOEP; vertreten durch Prof. Gert G. Wagner) im DIW Berlin erhoben wurden. Die SOEP-Daten wurden mit genetischen Variablen kombiniert, die unter Federführung der Lübecker Interdisziplinären Plattform für Genomanalytik (LIGA; Prof. Lars Bertram) der Universität zu Lübeck erhoben und ausgewertet wurden.
„Psychologisches Wohlbefinden wird größtenteils durch die Umwelt, aber auch durch genetische Faktoren beeinflusst. Welche genetischen Faktoren dabei eine Rolle spielen, war bis jetzt nahezu unbekannt“, erklärt Gert G. Wagner (DIW Berlin und Max-Planck-Institut für Bildungsforschung), einer der Berliner Ko-Autoren. In ihrer Studie haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun drei genetische Varianten identifiziert, die mit subjektivem Wohlbefinden im Zusammenhang stehen. Sie fanden auch elf genetische Varianten für Neurotizismus und zwei für Depressionen. Die genetischen Varianten für Depressionen konnten von den Forschern in einer unabhängigen Stichprobe von 370.000 zusätzlichen Studienteilnehmern repliziert werden. Die Studie zeigt auf, dass die genetischen Varianten für Neurotizismus und Depression auch mit Wohlbefinden im Zusammenhang stehen und umgekehrt. “Obwohl die genauen biochemischen Mechanismen, die diesen Befunden zugrunde liegen, noch weitestgehend ungeklärt sind, scheinen die identifizierten Genorte die Regulation der Genexpression des Gehirns zu beeinflussen. Hierauf können nun zukünftige funktionell-genetische Experimente aufbauen", sagt Lars Bertram (Universität zu Lübeck und Imperial College London).
Trotz der ausgeprägten statistischen Signifikanz der Befunde seien die identifizierten Gene nur für einen Bruchteil der Erblichkeit von psychologischem Wohlbefinden verantwortlich und erklären weniger als ein Prozent der Unterschiede im Wohlbefinden in der Bevölkerung, betonen die Autorinnen und Autoren. Sie gehen jedoch davon aus, dass künftig durch noch größere Studien, für die Stichproben von Menschen in der Größenordnung von mehreren Millionen analysiert werden, weitere genetische Varianten für psychologisches Wohlbefinden gefunden werden. „Es ist jedoch absehbar, dass am Ende wahrscheinlich nicht mehr als zwanzig Prozent der Unterschiede im Wohlbefinden in der Bevölkerung anhand von genetischen Daten statistisch erklärt werden können“, sagt Dr. Philipp Köllinger (Universitäten Amsterdam und Rotterdam und Research Fellow des DIW Berlin), einer der Studienleiter und Hauptautoren. Dennoch könnten die Ergebnisse helfen, biologische Einflussfaktoren auf die seelische Gesundheit besser zu verstehen.
Die Veröffentlichung entstand im Rahmen des “Social Science Genetic Association Consortiums (SSGAC)“ (http://www.ssgac.org/). Mehr als 90 Forschungszentren aus Europa, Nord-Amerika und Australien haben bislang Daten für Analysen des SSGAC-Konsortiums bereitgestellt, darunter BASE-II, die Dortmunder Gesundheitsstudie sowie die Augsburger KORA-Studie.
BASE-II ist ein Kooperationsprojekt verschiedener Institutionen, für das 2.200 Erwachsene aus Berlin regelmäßig befragt und untersucht werden. An BASE-II beteiligt ist u.a. die Längsschnittstudie Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) am DIW Berlin (Ansprechpartner: Gert G. Wagner). Die Genanalysen bei BASE-II werden von der Lübecker Interdisziplinären Plattform für Genomanalytik (Leiter: Lars Bertram) der Universität zu Lübeck durchgeführt. Zu BASE-II gehören außerdem die Humboldt Universität zu Berlin, die Charité Universitätsmedizin Berlin, das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung sowie die Universität Tübingen. BASE-II wurde bislang vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
Themen: Gesundheit , Wohlbefinden