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Der faule Kompromiss beim Lieferkettengesetz: Kommentar

DIW Wochenbericht 8 / 2021, S. 128

Marcel Fratzscher

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Die große Koalition hat ihren Streit über das Lieferkettengesetz mit einem faulen Kompromiss beigelegt. Das Gesetz ist ein zahnloser Tiger und verlangt wenig mehr als ein Lippenbekenntnis der deutschen Unternehmen zu angemessenen Standards bei Menschenrechten und Umweltschutz. Dies ist nicht nur ein moralisches Versagen, sondern könnte langfristig der deutschen Wirtschaft und ihrem wichtigsten Markenkern, der Reputation ihrer Produkte „Made in Germany“, schaden.

Bereits vor einigen Jahren haben Politik und Wirtschaft einen Kompromiss zu Lieferketten beschlossen, der eine freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen zur Wahrung von Menschenrechten und Umweltschutz bei ihren Aktivitäten beinhaltete. Eine Befragung ergab, dass nur eines von fünf Unternehmen diese Verpflichtung erfüllt.

Anstatt ein Scheitern einzugestehen, haben Unternehmensverbände weiter versucht, ein effektives Lieferkettengesetz zu verhindern. Einige ihrer Argumente sind gerechtfertigt, andere dagegen falsch. Falsch ist, dass ein verpflichtendes Lieferkettengesetz zu teuer für Unternehmen wäre, sodass sie an Wettbewerbsfähigkeit in globalen Märkten verlieren würden. Aus ethischer Perspektive ist es nicht vertretbar, denn es impliziert, dass die Verletzung von Menschenrechten und Umweltstandards zu rechtfertigen ist, wenn sie wirtschaftliche Interessen schützen.

Dies ist aber auch aus ökonomischer Perspektive nicht zu verteidigen. Trotz des Aufstiegs Chinas und asiatischer Niedriglohnländer haben die meisten deutschen Unternehmen ihren Marktanteil in den Weltmärkten in den vergangenen zwei Jahrzehnten behaupten oder gar ausbauen können. Grund dafür sind nicht billige Produkte und niedrige Kosten, sondern die Reputation „Made in Germany, die für hohe Qualität, Zuverlässigkeit und Nachhaltigkeit steht. Ein Lieferkettengesetz ist wie ein Zertifikat, das deutsche Unternehmen von Wettbewerbern unterscheidet und ein wichtiger Vorteil im globalen Wettbewerb sein kann.

Das Argument der Unternehmensverbände, ein Lieferkettengesetz würde Unternehmen zwingen, sich aus bestimmten Ländern zurückzuziehen, ist perfide. Es kann weder ein valides ethisches noch ein zulässiges wirtschaftliches Argument sein, ein Land und seine Bevölkerung seien besser dran, wenn deutsche Unternehmen dort Menschenrechtsverletzungen tolerieren oder durch ihre Aktivität sogar erst ermöglichen.

Die Unternehmensverbände haben jedoch auch zwei valide Argumente. Für kleine Unternehmen ist eine Überprüfung der eigenen Lieferketten in der Tat kaum zu leisten. Selbst wenn der Wille dafür da ist, können viele dies logistisch nicht schaffen. Aber hierbei kann die Politik helfen, beispielsweise indem sie in den betroffenen Ländern über die Auslandshandelskammern (AHK) Zertifizierungsprozesse anbietet, die diese Arbeit übernehmen.

Zudem haben die Kritiker recht, dass ein Lieferkettengesetz nicht nur auf deutscher, sondern auf europäischer Ebene umgesetzt werden sollte. Gleichzeitig kann eine fehlende europäische oder globale Dimension aber nie eine Rechtfertigung für ein Fehlverhalten oder ein Tolerieren von Menschenrechtsverletzungen durch deutsche Unternehmen sein.

Die Entscheidung, dass Unternehmen bei Verstößen keiner zivilrechtlichen Haftung unterliegen, bedeutet, dass das Gesetz ein zahnloser Tiger sein wird. Auch Androhungen eines temporären Ausschlusses von öffentlichen Ausschreibungen dürften für viele kein ausreichender Anreiz sein, Lieferketten gründlicher zu prüfen oder zu verändern.

Der Kompromiss zum Lieferkettengesetz ist eine verpasste Chance. Er befördert einen Merkantilismus, bei dem die Außenwirtschaftspolitik primär den engen und kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen dient, und bei der sich Deutschland der internationalen Verantwortung verweigert und gewillt ist, seine Werte preiszugeben. Die Tragik ist, dass ein entschlosseneres Lieferkettengesetz auch langfristigen wirtschaftlichen Interessen gedient hätte. Denn die größte Stärke der deutschen Wirtschaft sind nicht billige Produkte, sondern hohe Qualität und Standards.

Dieser Beitrag erschien am 17.02.2021 in der „Welt“.

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