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Für eine neue Mietsteuer

Medienbeitrag vom 1. Juli 2019

Dieser Text von Claus Michelsen und Stefan Bach ist am 1. Juli 2019 als Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung erschienen.

Wer kennt heute noch die Hauszinssteuer? Vom Jahr 1924 an wurde sie auf Mieterträge erhoben, um die Immobilienbesitzer zu belasten, deren Schulden durch die Hyperinflation 1923 verschwunden waren. Quasi im Gegenzug mussten sie die gesparten Zinsen als Steuer an den Staat zahlen. Die Hauszinssteuer erzielte damals ein Aufkommen von bis zu zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts - das wären heute rund 70 Milliarden Euro im Jahr, mehr als das Doppelte von Grundsteuer, Grunderwerbsteuer und Erbschaftsteuer zusammengenommen.

Bei Steuerexperten und Wirtschaftshistorikern ist diese Episode nahezu vergessen. Intellektuelle Architekten und Stadtplaner bekommen dagegen leuchtende Augen, wenn man sie darauf anspricht. Denn die hohen Steuereinnahmen wurden überwiegend für den Wohnungs- und Städtebau eingesetzt, um die schlechte Wohnungssituation der einfachen Leute in den Städten zu verbessern. Wohnungsbaugenossenschaften und gemeinnützige Wohnungsunternehmen investierten kräftig. Und die Architektur war häufig innovativ und richtungsweisend: Die klassischen Siedlungen des "Neuen Bauens" entstanden mit diesen Mitteln, in Berlin etwa die Hufeisensiedlung, die Weiße Stadt oder die Wohnstadt Carl Legien.

Wäre das nicht auch ein Modell für heute? Die Wohnungsmärkte sind ungemütlich geworden, die soziale Kälte kriecht durch die Städte. In den vergangenen zehn Jahren sind die Mieten und noch mehr die Kaufpreise für Immobilien kräftig gestiegen. Damit einher gingen satte Vermögensgewinne für die Immobilienbesitzer, ohne dass die etwas dafür tun mussten. In Berlin haben sich die Preise für Eigentumswohnungen und Mietshäuser seit 2010 mehr als verdoppelt, in begehrten Innenstadtlagen teilweise verdreifacht. Die Angebotsmieten für Wohnungen haben seitdem um 60 Prozent zugelegt und auch im Bestand steigen die Mieten. Wohnungen ab 4000 Euro je Quadratmeter oder Neuvertragsmieten von deutlich über zehn Euro nettokalt können sich nur noch Besserverdienende und Reiche leisten. Geringverdienende und untere Mittelschichten werden aus der Innenstadt vertrieben, die soziale Segregation in den Quartieren steigt.

Die Sonderabgabe könnte Nettokaltmieten zum Beispiel mit fünf Prozent belasten

Die Politik und vor allem der rot-rot-grüne Senat in Berlin bekommen das Problem nicht in den Griff. Die kaputtgesparte und derangierte Berliner Verwaltung ist kaum in der Lage, das Alltagsgeschäft zu bewältigen. Die Baukapazitäten sind knapp. Naturschutz und Bürgerinitiativen torpedieren häufig größere Projekte und die Schaffung von Bauland. Der Neubau kommt nicht hinterher. Wenn sich aber die Nachfrage erhöht und das Angebot zurückbleibt, steigen die Preise. Mieten kann man deckeln. Aber das senkt auf Dauer die Qualität im Bestand, fördert die Umwandlung in Wohneigentum und verstärkt damit die soziale Segregation weiter. Mehr noch: Preise werden als Knappheitsindikator vollständig außer Kraft gesetzt und verlieren ihre Lenkungswirkung - kurzfristig kann dies zwar eine Entlastung bringen, eine dauerhafte Deckelung würde jedoch ohnehin schon überlaufene Städte wie Berlin im Vergleich zu ländlichen Gegenden noch attraktiver machen.

Vor allem die Enteignungsinitiative ist da hilflose Symbolpolitik. Es wäre geradezu absurd, heute Wohnungsbestände zum Doppelten oder Dreifachen des Preises zurückzukaufen, zu denen man sie vor 15 Jahren unter Wert verhökert hat. Besser kann man Spekulation nicht belohnen. Zwar muss man nicht zum Marktwert entschädigen, doch dann wird man sich über die angemessene Höhe ewig und drei Tage streiten. Und neue Wohnungen, die dringend gebraucht würden, sind so noch lange nicht gebaut.

Apropos Enteignung: Wir werden doch alle ständig enteignet - durch die Steuern. Und zwar ohne Entschädigung, denn als Gegenleistung gibt es die staatlichen Leistungen, gratis für alle. "Ein guter Finanzminister ist der beste Sozialisierungsminister", sagte Reichsfinanzminister Matthias Erzberger vor genau 100 Jahren in der Weimarer Nationalversammlung, als er nach dem Ersten Weltkrieg mit einer Reform das Steuersystem gerechter gestalten wollte. Auch heute gibt es beim Thema Steuergerechtigkeit noch Luft nach oben.

Bei der Besteuerung von Erwerbseinkommen ist Deutschland international Spitze. Die gehobenen Mittelschichten und Besserverdienenden zahlen auf ihre hart verdienten Einkommen schnell 30 Prozent Einkommensteuer und Soli, plus Sozialabgaben, plus indirekte Steuern auf den Verbrauch. Beim Vermögen sind wir dagegen ein Niedrigsteuerland. Immobilienbesitzer zahlen nur Einkommensteuer. Und die Superreichen vermeiden mitunter auch die, indem sie ihre Überschüsse klein rechnen und in Steueroasen lenken. Wertsteigerungen sind für Privatanleger zumeist komplett steuerfrei, wenn sie die Immobilie länger als zehn Jahre halten. Die Erbschaftsteuer ist unbedeutend und die Grundsteuer niedrig.

Statt einzelne Investoren selektiv zu enteignen, könnte man die Wertsteigerungen und die gestiegenen Immobilieneinkommen breit und moderat an der Quelle belasten - mit einer "Hauszins"- oder Mietsteuer, die alle Nettokaltmieten mit zum Beispiel fünf Prozent belastet, gegebenenfalls abgestuft nach der Höhe der Quadratmetermiete oder Baualter. Das wären in Berlin im Durchschnitt etwa 30 Cent je Quadratmeter und Monat. Ausgestaltet als Sonderabgabe, deren Aufkommen zweckgebunden für die Förderung der Wohnungswirtschaft verwendet wird, könnte das sogar ein Bundesland wie Berlin einführen.

Wenn man dann mit diesen Einnahmen Neubaumieten oder Angebotsmieten von zum Beispiel zehn auf sieben Euro je Quadratmeter und Monat heruntersubventionieren möchte, bräuchte man zehn Wohnungen, die man belastet, um eine zu fördern. Bei rund zwei Millionen Wohnungen in Berlin ließen sich damit 200 000 Wohnungen fördern - immerhin.

Dass so etwas geht, zeigt eine andere Anekdote aus der Steuergeschichte. In Tsingtau und Kiautschou, Kolonie und Marinestützpunkt Deutschlands in China von 1898 bis 1914, schöpfte die deutsche Verwaltung konsequent die kräftigen Bodenwertsteigerungen ab und finanzierte mit einer hohen Bodenwertsteuer die Infrastruktur. Das Modell wurde berühmt und war noch präsent, als man in den 70er-Jahren erfolglos versuchte, Bodenwertsteigerungen durch die öffentliche Infrastruktur mit einer Bodenwertzuwachssteuer oder einem "Planungswertausgleich" zu belasten. Damals kalauerte die Bundeszentrale für Politische Bildung - aus heutiger Sicht natürlich nicht ganz politisch korrekt: "Glundstückslefolm ist ein altel Zopf".

Stefan Bach
Stefan Bach

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Staat

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