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Was an den Argumenten der Crash-Propheten dran ist

Medienbeitrag vom 27. Dezember 2019

Dieser Beitrag ist am 27. Dezember 2019 als Gastbeitrag auf SPIEGEL ONLINE erschienen.

Spätestens im Jahr 2023 werden wir einen riesigen Finanzcrash erleben. So sagen es geschäftstüchtige Demagogen derzeit voraus. Schaut man sich ihre Argumente genauer an, merkt man schnell, wie sehr sie danebenliegen.

Krisenliteratur

In den Bestsellerlisten herrschte dieses Jahr wirtschaftliche Endzeitstimmung. In einer ganzen Reihe von Büchern sagen Crash-Propheten wie Max Otte oder Marc Friedrich und Matthias Weik eine verheerende Finanzkrise für die kommenden Jahre vorher. Die Bücher wurden zu Bestsellern.

Schlechte Nachrichten und Panikmache verkaufen sich gut. Schon nach der globalen Finanzkrise ab 2008 behaupteten einige, sie hätten diese Krise kommen sehen. Dass sie deren Eintritt meist schon für einen viel früheren Zeitpunkt vorhergesagt hatten, verschweigen sie dabei gern. Ebenso wie die Tatsache, dass die eingetretene Krise häufig ganz anders war, als jene, die diese Autoren prophezeit hatten.

Trotzdem lohnt es, sich mit den Argumenten der Krisendemagogen auseinanderzusetzen. Einige der Probleme beschreiben sie durchaus richtig, ziehen daraus aber die falschen Schlüsse.

Die Überschuldung von Regierungen und Unternehmen ist tatsächlich ein großes Problem für die heutige Weltwirtschaft, was auch den Bankensektor verwundbar macht.
Kenneth Rogoff, früher Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds (IWF), war einer der ersten, der diesen Schuldenüberhang identifiziert und beschrieben hat. Unter der hohen Schuldenlast verlieren Regierungen und Unternehmen zunehmend die Fähigkeit, wichtige Investitionen anzustoßen. Dies führt in Extremfällen sogar dazu, dass Staaten ihre Schulden überhaupt nicht mehr bedienen können, wie es in jüngerer Vergangenheit in Griechenland oder Argentinien zu beobachten war.

Das zweite Problem, das die Crash Demagogen meinen identifiziert zu haben, ist eine durch die Zentralbanken verursachte Geldschwemme. Die niedrigen Leitzinsen und die massenhaften Ankäufe von Staatsanleihen blähten demnach die Geldmenge auf und führten zu einer drohenden Inflation und zu Vermögenspreisblasen. Wenn diese Blasen platzten, komme es zum Crash.

Dieses Argument ist fehlerhaft. Das Problem heute ist nicht etwa eine zu hohe Inflation, sondern eine zu geringe. Das zusätzliche von den Zentralbanken freigegebene Geld bleibt im Finanzsystem und fließt eben nicht in Form von Krediten an Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger.
Statt Inflation droht deshalb eher eine Deflation, also fallende Preise und Löhne. Zugleich müssen Unternehmen fürchten, nicht mehr an Kredite zu kommen. Diese Risiken sind für das Wirtschaftssystem jedenfalls ungleich größer als das beschriebene Inflationsszenario. Wenn die Mehrzahl der Wirtschaftsakteure nicht auf Kredite zugreifen kann, ist das Wachstum stark eingeschränkt - womit auch viele Arbeitsplätze in Gefahr sind.

Kein Land auf der Welt spart so viel wie Deutschland

Die zweite Fehlinterpretation der Crash-Propheten ist die angebliche Liquiditätsschwemme durch zu viel billiges Geld. Stattdessen gibt es eine weltweite Sparschwemme. Der frühere US-Notenbankchef Ben Bernanke hat dieses Phänomen einst unter dem Begriff "Saving Glut" zusammengefasst: Die Ursache für die niedrigen Zinsen liegt demnach nicht in erster Linie in der Geldpolitik der Zentralbanken, sondern in den viel zu hohen Ersparnissen von Bevölkerung und Unternehmen.

Hier schließt sich der Kreis zwischen Überschuldung und Sparschwemme: Per Definition ist die Gesamtverschuldung weltweit immer auch identisch mit den Gesamtersparnissen. Die hohen Schuldenberge der einen können überhaupt erst dadurch zustande kommen, dass andernorts zu viel gespart wird.

Und gerade Deutschland trägt besonders stark dazu bei, dass diese globalen Ungleichgewichte weiter zunehmen: Kein Land auf der Welt spart so viel wie die Bundesrepublik. Die deutsche Nettoersparnis beträgt jedes Jahr 240 Milliarden Euro (mehr als sieben Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung). Durch diese hohe Nachfrage nach Anlagemöglichkeiten sinken die Zinsen - und so bietet sich für andere Wirtschaftsakteure die Möglichkeit, sich zu verschulden.
Niemand darf sich daher in Deutschland moralisch überlegen fühlen und behaupten, alle sollten so viel sparen wie wir. Denn per Definition können wir Deutschen nur dann sparen, wenn andere in der Welt bereit sind, sich zum gleichen Betrag zu verschulden.

Das dritte Element, das bei vielen Crash-Propheten im Mittelpunkt steht, sind die sogenannten Zombie-Banken und Zombie-Unternehmen, die nur durch die Niedrigzinsen der Zentralbanken künstlich am Leben erhalten würden.
In Europa gibt es durchaus nach wie vor viele schwache Banken, deren Bilanzen viele faule Kredite und wenig sicheres Eigenkapital aufweisen. Die Ursache hierfür ist jedoch nicht die Geldpolitik der Zentralbanken, sondern die Kombination aus den übermäßigen Schulden der einen und dem exzessiven Sparen der anderen.
Wenn Unternehmen keine Kredite nachfragen und investieren, wenn private Haushalte lieber sparen als Geld auszugeben und wenn Regierungen ihre Staatsausgaben nicht erhöhen, dann entsteht ein Teufelskreis, in dem die gesamtwirtschaftlichen Investitionen immer weiter schrumpfen, und somit Produktivität, Einkommen und Beschäftigung sinken. Der frühere US-Finanzminister Larry Summers nennt diese Dynamik säkulare Stagnation.

Viele Menschen haben zu wenig vom Boom gespürt

Als Gesamtbild ergibt sich somit eine völlig andere Analyse der wirtschaftlichen Probleme heute, als von den Demagogen vertreten. Interessant ist, dass vor allem wir Deutschen immer wieder auf solche Panikmache hereinfallen. Dies ist besonders überraschend, da Deutschland in den vergangenen zehn Jahren einen Wirtschaftsboom erlebt hat.

Zwei Gründe könnten diese Anfälligkeit erklären. Zum einen haben viele Menschen in Deutschland recht wenig vom wirtschaftlichen Boom gespürt und machen sich angesichts der Digitalisierung und Globalisierung zu Recht Sorgen um ihre Arbeitsplätze und Zukunftschancen. Zum anderen leistet die Politik zu wenig Aufklärungsarbeit, um den Menschen ihre Ängste zu nehmen. Eine klar formulierte Vision mit eindeutigen Zielen könnte Ängste abbauen und den Menschen wieder mehr Hoffnung für die Zukunft machen.

Die ungleich größere Sorge ist die politische Paralyse, bei der die Politik die wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichte unserer Zeit verkennt: von Überschuldung und Investitionsschwäche bis hin zu Klimaschutz und sozialen Schieflagen. Die Politik hat alle Chancen und Möglichkeiten die Herausforderung zu adressieren und erfolgreich zu bewältigen. Dafür braucht sie aber mehr Mut und eine eindeutige Idee, wohin sie eigentlich will.

Ein Finanzcrash wäre weder die Lösung der heutigen Probleme noch ist er deren logische Konsequenz. Wir sollten uns daher nicht von falschen Propheten verführen lassen.

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