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Deutschlands Schwäche wird entlarvt

Blog Marcel Fratzscher vom 7. Februar 2020

Deutschland hat einmal mehr einen Weltrekord hingelegt: 260 Milliarden Euro Exportüberschuss. Dieser Rekord ist brandgefährlich, denn er verschärft die Ungleichgewichte.

Deutschland ist zwar nicht mehr Exportweltmeister – China exportiert mittlerweile deutlich mehr Waren und Güter. Aber Deutschland ist Weltmeister bei den Exportüberschüssen: Wir exportieren also mehr als wir importieren. 7,6 Prozent betrug der Leistungsbilanzüberschuss im vergangenen Jahr. Das entspricht beeindruckenden 260 Milliarden Euro. Viele reagieren mit Stolz auf diese Zahl. Dabei sind Exportüberschüsse kein Zeichen von Stärke, sondern von Schwäche und Verwundbarkeit.

Dieser Beitrag ist am 7. Februar 2020 in der ZEIT ONLINE–Kolumne Fratzschers Verteilungsfragen erschienen. Hier finden Sie alle Beiträge von Marcel Fratzscher.

Man kann diesen milliardenschweren Weltrekord auch anders interpretieren, nämlich als Sparschwemme: Wir Deutschen produzieren jedes Jahr 260 Milliarden Euro mehr an Gütern und Dienstleistungen als wir investieren oder konsumieren. Um präzise zu bleiben: Die Exportüberschüsse sind die sogenannten Leistungsbilanzüberschüsse, die auch Einkommen auf Auslandsinvestitionen und Transfers beinhalten.

Deutschland häuft in jedem Jahr so hohe Leistungsbilanzüberschüsse an, dass deutsche Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger Nettoforderungen gegenüber dem Ausland von fast 65 Prozent einer jährlichen Wirtschaftsleistung aufgebaut haben. Das entspricht mehr als 2.100 Milliarden Euro. Dies sind kaum vorstellbare Summen für Normalbürger. Bricht man sie auf jeden Einwohner herunter, so ergibt dies eine Nettoersparnis gegenüber dem Ausland von 25.000 Euro pro Einwohner. 

Sparen ist doch gut, mag der ein oder die andere denken. Dies ist jedoch nicht richtig: Sparen ist per se weder gut noch schlecht. Es hängt ganz davon ab, was wir mit dem Ersparten anfangen und was dies für die Zukunft bedeutet. Denn wir verleihen dieses Geld an ausländische Staaten, Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger in der Hoffnung, es in der Zukunft mit Zinsen zurückzubekommen. Diese Hoffnung hat sich in den vergangenen 30 Jahren häufig nicht erfüllt und deutsche Banken und Investoren haben auf US-Schuldverschreibungen oder spanische Immobilien häufig hohe Verluste eingefahren. Sie waren zuzeiten der Schuldenkrise sogar so groß, dass eine Reihe deutscher Banken – von der IKB bis hin zu verschiedenen Landesbanken – in die Zahlungsunfähigkeit getrieben wurden und durch den Staat gerettet werden mussten. Dies hat den deutschen Steuerzahler hohe Milliardenbeträge gekostet.

Die Überschüsse schaden Deutschland

Die Überschüsse sind aus drei Gründen schlecht für Deutschland. Erstens sind sie für Deutschland schädlich. Denn die 260 Milliarden Euro, die ins Ausland verliehen werden, werden eben hierzulande nicht in Straßen, Brücken, Forschung und Entwicklung oder Klimaschutz in Deutschland investiert. Selbst Gewerkschaften und Arbeitgeber monieren, es fehlten Jahr für Jahr 45 Milliarden Euro an öffentlichen Investitionen. Der Staat lebt schon seit Längerem von seiner Substanz und investiert so wenig, dass noch nicht einmal der Wertverlust der Infrastruktur durch Ersatzinvestitionen kompensiert wird.

Hinzu kommen schwache private Investitionen, die häufig ausbleiben oder stattdessen lieber im Ausland getätigt werden, da die Rahmenbedingungen für Unternehmen hierzulande unzureichend sind – von einer schlechten digitalen und Verkehrsinfrastruktur über fehlende Fachkräfte bis hin zu einer ausufernden und ineffizienten Bürokratie. Weniger Investitionen bedeuten, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland an Attraktivität einbüßt. Gute Jobs gehen verloren und letztlich geraten der Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit unter Druck. Sparen ist also dann falsch und schädlich, wenn es Jobs und Wohlstand langfristig gefährdet.

Der Ärger über niedrige Zinsen ist zynisch

Zweitens tragen die riesigen Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands zu globalen Ungleichgewichten bei und erhöhen somit das Risiko von Finanzkrisen, die auch Deutschland schaden. Was einige sich nicht eingestehen wollen: Wir können nur dann sparen, wenn andere sich zum gleichen Betrag verschulden und uns diese Ersparnisse abnehmen. Und die deutsche Sparschwemme trägt zu niedrigen Zinsen bei, denn wenn wir so viel sparen wollen, dann müssen die Zinsen so lange fallen, bis andere diese Ersparnisse haben und sich zu niedrigen Zinsen verschulden wollen. Es ist also höchst zynisch, wenn wir über die niedrigen Zinsen schimpfen und die Verschuldung anderer Europäer monieren. Denn unsere Sparwut ist ein Hauptgrund für beides.

Die dritte Schwäche, die der deutsche Leistungsbilanzüberschuss offenbart, ist, dass sie US-Präsident Donald Trump in seiner Absicht bestärken könnten, mit seinem angedrohten Handelskonflikt mit Deutschland ernst zu machen. Auch wenn man es sich nicht gern eingestehen mag, aber: Trump hat mit seinem Vorwurf gegenüber Deutschland, protektionistisch zu sein, nicht unrecht. Schwache Investitionen und hohe bürokratische Hürden machen es für ausländische Unternehmen schwieriger, in Deutschland zu investieren oder ihre Produkte zu verkaufen. Und sie verstoßen gegen europäische Regeln, deren Einhaltung wir gerne bei unseren Nachbarn anmahnen.

Die riesigen Leistungsbilanzüberschüsse sind kein Grund für Stolz, sondern sollten uns eher mit Scham erfüllen. Sie schaden in erster Linie Deutschland und sind brandgefährlich. Sie verschärfen wirtschaftliche und finanzielle Ungleichgewichte und können Deutschland in den Mittelpunkt des nächsten Handelskonflikts rücken.

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