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Warum essen wir so viel Fleisch?

DIW Roundup 137, 12 S.

Jana Friedrichsen, Manja Gärtner

2020

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Es gibt verschiedene Gründe dafür, den Konsum von Fleisch und anderen tierischen Produkten zu reduzieren. In diesem Beitrag stellen wir wichtige Fakten zum Fleischkonsum vor und diskutieren dann mögliche Wege und Herausforderungen in Bezug auf eine effektive Verhaltensänderung hin zu einer nachhaltigeren, weniger tierbasierten Ernährung.

Im Jahr 2018 erreichte die weltweite Fleischproduktion mit 327 Millionen Tonnen einen neuen Höchststand - ein Anstieg um 1% gegenüber 2017, der hauptsächlich auf Produktivitätsverbesserungen zurückzuführen ist (OECD, 2019). Die jährliche weltweite Fleischproduktion wird bis 2030 voraussichtlich auf 376 Millionen Tonnen steigen (WHO, 2003), getrieben durch die weiterhin steigende Nachfrage nach Fleisch und Tierprodukten. Der durchschnittliche Fleischkonsum ist seit 1961 von 23,1 Kilogramm pro Person und Jahr auf 41,3 Kilogramm pro Kopf und Jahr im Jahr 2015 gestiegen; Prognosen lassen einen weiteren Anstieg auf mehr als 45 Kilogramm bis 2030 erwarten (FAO, 2003; Sans und Combris, 2015). Der aktuelle Fleischkonsum in Deutschland ist hoch: Im Jahr 2018 verzehrten die Deutschen durchschnittlich 60 Kilogramm Fleisch pro Kopf als Nahrungsmittel; weitere 28 Kilogramm pro Kopf entfielen auf den nicht-menschlichen Verbrauch, einschließlich Knochen, Fleisch als Futtermittel, Produktionsverluste und industrielle Verwertung (Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, 2020).

In der Regel steigt der Konsum von Fleisch, Milch und Eiern mit zunehmendem Wohlstand der Länder (WHO, 2003). Menschen in reicheren Ländern nehmen nicht nur mehr Kalorien und mehr Proteine pro Tag zu sich als Menschen in ärmeren Ländern, sondern ein größerer Anteil ihrer Proteinzufuhr stammt aus tierischen Produkten, insbesondere Fleisch (Sans und Combris, 2015). Während tierische Proteine in den ärmsten Ländern durchschnittlich weniger als ein Viertel der gesamten Proteinaufnahme ausmachen, beträgt der Anteil in den reichsten Ländern durchschnittlich fast 60 Prozent, wobei der Proteinverbrauch aus Fleisch in den reichsten Ländern fünfmal höher ist als in den ärmsten (Sans und Combris, 2015). Das Wachstum des weltweiten Fleischkonsums in den letzten Jahrzehnten wurde in erster Linie durch die steigende Nachfrage in Entwicklungs- und Schwellenländern vorangetrieben, wo sich Brasilien, China und Korea zu großen Fleischkonsumenten entwickelten (FAO, 2003).

Ein reduzierter Fleischkonsum kommt der Umwelt, der Gesundheit und den Tieren zugute

Die Produktionsmengen, die notwendig sind, um die weltweit steigende Nachfrage nach Fleisch zu befriedigen, tragen lokal und global zu Umweltproblemen bei (siehe z.B. Godfray et al., 2018). Etwa 70% der landwirtschaftlichen Nutzfläche - etwa 30% der globalen Landfläche - werden für die Tierproduktion genutzt (FAO, 2006). Da die Tiere Platz und Futter brauchen, ist die Nutztierhaltung mit Rodungen verbunden. So sind beispielsweise 80% der abgeholzten Flächen im Amazonasbecken mit Weiden bedeckt, die zur Viehzucht genutzt werden (Veiga et al., 2002). Zudem ist die Produktion wasserintensiv und belastet die knappen Süßwasserressourcen. So entfallen 29% der für die landwirtschaftliche Produktion genutzten Süßwasserressourcen auf die Herstellung tierischer Produkte (Mekonnen and Hoekstra, 2012). Die Produktion von Fleisch und anderen tierischen Produkten trägt zudem direkt zum Klimawandel bei. Insgesamt sind schätzungsweise 8-18% der globalen anthropogenen Treibhausgasemissionen auf die Nutztierhaltung zurückzuführen (Herrero et al., 2015; FAO, 2006). Schätzungen zufolge könnte eine globale Umstellung auf eine weitgehend von tierischen Lebensmitteln freie Ernährung potenziell große Vorteile haben, da sich dadurch der Ausstoß von Treibhausgasen verringern, die Bodendegradation reduzieren und die Ernährungssicherheit erhöhen ließen (IPCC, 2019). Die Forschung legt nahe, dass auch Effizienzsteigerungen auf der Produktionsseite ein großes Potenzial zur Minderung der Umweltauswirkungen der Tierproduktion bergen (Steinfeld und Gerber, 2010). Allerdings müssen die prognostizierten Effizienzsteigerungen mit Änderungen der Ernährung gekoppelt werden, wenn die Weltbevölkerung ernährt und gleichzeitig die Umweltauswirkungen des Ernährungssystems begrenzt werden sollen (Davis et al., 2016). Ein verringerter Fleischkonsum würde für mehr Menschen eine pflanzliche Ernährung sichern, indem Ackerland genutzt wird, um Menschen statt Tiere zu ernähren (Stokstad et al., 2010; Mottet et al., 2017). Gleichzeitig würde dies erlauben mehr Menschen mit gleichbleibenden Wasserressourcen zu ernähren (Weindl et al., 2017; Jalava et al., 2014).

In den Entwicklungsländern ist Unterernährung nach wie vor ein Problem, und ein erhöhter Fleischkonsum würde die Ernährung der Bevölkerung durch die Bereitstellung von hochwertigem Protein und essentiellen Mikronährstoffen wie Eisen, Zink und Vitamin A verbessern (WHO, 2003; Schönfeldt und Hall, 2012). Länder mit mittlerem und hohem Einkommen stehen hingegen vor der Herausforderung einer zunehmenden Verbreitung von Adipositas. Weltweit wird bis 2022 Adipositas bei Kindern und Jugendlichen häufiger auftreten als moderate bis schwere Unterernährung (Swinburn et al., 2019). Der übermäßige Konsum von tierischen Produkten trägt zu Übergewicht und anderen Erkrankungen bei, darunter Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs, wobei die individuelle Ernährung nicht nur die gegenwärtige Gesundheit beeinflusst, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, diese nicht-übertragbaren Krankheiten später im Leben zu entwickeln (WHO, 2003). In Deutschland ergab die Nationale Verzehrsstudie II, dass Personen mit fleischloser Ernährung tendenziell einen besseren Gesundheitsstatus aufweisen als Fleischesser, und dass Personen, die mehr Fleisch verzehren, einen schlechteren Gesundheitsstatus haben als Personen, die wenig Fleisch verzehren (Koch et al., 2019). Auch wenn Teile dieser Korrelationen dadurch bedingt sein können, dass weniger Fleischkonsum mit einem allgemein gesundheitsbewussteren Lebensstil einhergeht (Godfray et al., 2018), so sind die durchschnittlichen Gesundheitseffekte auffällig. Eine vegetarische Ernährung ist im Schnitt im Vergleich zur weltweit durchschnittlichen, omnivoren Ernährung mit einem 41% geringeren Risiko für Typ-II-Diabetes, einem 10% geringeren Krebsrisiko und einer 20% geringeren Sterblichkeitsrate aufgrund koronarer Herzerkrankungen verbunden (Tilman and Clark, 2014). Ein weiteres Problem, das in Zusammenhang mit der intensiven Nutztierhaltung gebracht wird, ist die Zunahme von Resistenzen, die die Wirksamkeit von Antibiotika und anderen Medikamenten beim Menschen verringern (Silbergeld and Dailey, 2017). Schätzungen zufolge wäre der gesundheitliche und ökologische Nutzen einer Ernährungsumstellung umso größer, je stärker sie den Anteil tierischer Lebensmittel an der Ernährung reduzieren würde. Der wirtschaftliche Nutzen könnte bis zum Jahr 2050 bis zu 0,4-13% des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen (Springmann et al., 2016).

Neben seinen Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit wirft Fleischkonsum auch die Frage auf, wie mit den Nutztieren umgegangen werden soll. Verschiedene Philosophen vertreten die Ansicht, dass das Leiden von Tieren für unsere Beurteilung des Konsums von Produkten tierischen Ursprungs moralisch relevant ist (Dawkins, 2008; Proctor et al., 20013; Gruen, 2017). Tatsächlich übersteigt der Bestand an Nutztieren den der menschlichen Weltbevölkerung um ein Vielfaches. Schätzungen gehen davon aus, dass weltweit der durchschnittliche Bestand an Hühnern mehr als 22 Milliarden, der von Rindern etwa 1,5 Milliarden und der von Schweinen etwa 1 Milliarde beträgt, womit nur drei der gängigsten Nutztiere genannt sind (FAO, 2017). Allein in Deutschland liegen die Schätzungen für die Anzahl an Hühnern bei 160 Millionen, für Rinder bei 12 Millionen und für Schweine bei mehr als 27 Millionen (FAO, 2017). Nutztiere machen insgesamt schätzungsweise 60% der weltweiten Biomasse aller Säugetiere aus, der Rest sind Menschen und wilde Säugetiere; die Biomasse von domestiziertem Geflügel (hauptsächlich Zuchthühner) ist circa dreimal so groß wie die aller Wildvögel (Bar-On et al., 2018). Da die Tierproduktion oft mit unwürdigen und nicht artgerechten Bedingungen für die Tiere, z.B. zu enge Stall- oder Käfighaltung sowie mit schmerzhaften Verfahren vor und während der Schlachtung, verbunden ist, legen diese Zahlen nahe, dass eine fleischlose Ernährung das Leiden von Nutztieren deutlich reduzieren könnte.

Fleischkonsum ist Teil unserer Kultur und Traditionen

Die große Mehrheit der Menschen konsumiert Fleisch. Während sich schätzungsweise 22% der Weltbevölkerung vegetarisch ernähren, leben 95% dieser VegetarierInnen in Haushalten mit niedrigem Einkommen und sind eher aus Notwendigkeit als aus freiem Willen VegetarierInnen (Leahy, 2010). In Deutschland liegt der Anteil der selbstdefinierten VegetarierInnen bei lediglich 3-6% der Bevölkerung (Mensink et al., 2016; Pfeiler und Egloff, 2018a). Die Zahlen für strenge VeganerInnen sind noch niedriger.

Fleischkonsum hat sich als Teil unserer biologischen und kulturellen Evolution entwickelt (Smil, 2002; Leroy und Praet, 2015). In den meisten Teilen der Welt ist das Essen von Fleisch oder Fisch ein Bestandteil wichtiger Traditionen. So sind beispielsweise Fleisch- und Geflügelgerichte an vielen Feiertagen, darunter Weihnachten, Thanksgiving und Eid Al-Fitr, traditionelle Speisen. Menschen kommen zu diesen Festen zusammen und bekräftigen mit dem gemeinsamen Fleischkonsum eine kollektive Identität und Zugehörigkeit. Der Fleischkonsum ist aber auch ein Mittel, um zwischen Gruppen und Individuen zu unterscheiden. Die Produktion von Fleisch ist ressourcenintensiv, was zu Unterschieden in der Verfügbarkeit und Verteilung über die verschiedenen Wohlstandsniveaus hinweg führt. Dies kann dazu führen, dass der Fleischkonsum auch als ein symbolischer Akt angesehen wird, der die Unterschiede in der Kontrolle über die Ressource Nutztier mit sozialen Hierarchien und Statusunterschieden verbindet. In Schwellenländern wie China ist Fleischkonsum mit Wohlstand verbunden, was zu übermäßigem Konsum führt, um erfahrene Knappheit auszugleichen oder sich von den Armen abzugrenzen, die sich dies nicht leisten können (Garentt und Wilkes, 2014).

In der heutigen westlichen Gesellschaft scheint sich das Bild zu verändern: In Ländern mit hohem Einkommen nimmt der Fleischkonsum mit der Bildung, dem Einkommen und der sozialen Schicht ab (Gossard und York, 2003; Koch et al., 2019). VegetarierInnen haben im Durchschnitt ein höheres Einkommen als Omnivore und sind bei Frauen, unter Jugendlichen und unter besser ausgebildeten Menschen überrepräsentiert (Allès et al 2017; Pfeiler und Egloff, 2018; Koch et al., 2019). Obwohl sich einige dieser Unterschiede aus unterschiedlichen Einkommenssituationen (Budgetbeschränkungen) und aus Unterschieden im kulturellen Repertoires des Essens ergeben können (Johnston et al. 2011), ist eine vegetarische Ernährung auch mit einer größeren wahrgenommenen Tugendhaftigkeit verbunden als eine omnivore Ernährung (Ruba and Heine, 2011). In westlichen Kulturen wird Fleischkonsum außerdem mit Männlichkeit assoziiert (Rozin et al., 2012). Männer, die sich vegetarisch ernähren, werden als weniger männlich eingestuft als Männer, die eine omnivore Kost wählen (Rozin et al., 2012). Diese Assoziation kann durch das ausgeprägte Geschlechtergefälle beim Fleischkonsum bedingt sein, aber auch zu dessen Stabilität beitragen. In Deutschland beispielsweise ernähren sich Männer fast dreimal seltener vegetarisch als Frauen (Mensink et al., 2016; Pfeiler und Egglof, 2018) und verzehren durchschnittlich etwa die doppelte Menge Fleisch pro Tag (Koch et al., 2019).

Neben dem Konsum von Tierprodukten als Teil unserer Traditionen ist die Fleischindustrie in Ländern mit mittlerem und hohem Einkommen in einer Weise institutionalisiert, die einen exzessiven Konsum befördert. Die Produktkette für tierische Produkte ist für die VerbraucherInnen nicht vollständig transparent (Hoogland et al. 2005). Industrielle Tierproduktion und Schlachtung finden außerhalb der Wahrnehmung durch die VerbraucherInnen in abgelegenen, aber gut angebundenen Industriegebieten statt (Friedrichsen und Huck, 2018). Die Produkte sind vom ursprünglichen Tier losgelöst, da identifizierbare Merkmale entfernt werden und sich in einigen Sprachen im Laufe der Zeit mit der Sprache eine Etikettierung entwickelt hat, die Tier und Produkt trennt (z.B. "pork" statt "pig meat", "beef" statt "cow meat" in der englischen Sprache).

Die VerbraucherInnen unterscheiden sich in den wahrgenommenen Vorteilen eines reduzierten Fleischkonsums; die Gesundheit ist ein wichtiger Motivationsfaktor

Wie stehen die VerbraucherInnen zu den Vorteilen eines reduzierten Fleischkonsums? Umfragen aus mehreren Ländern mit hohem Einkommen deuten darauf hin, dass sich die Menschen im Durchschnitt des Nutzens einer Ernährungsumstellung bewusst sind. Aber nicht alle Vorteile motivieren die VerbraucherInnen auch zu einer Verhaltensänderung. Wenn Fleischessende gebeten werden, unterschiedliche Ernährungsweisen zu beurteilen, betrachten sie vegetarische und vegane Ernährungsweisen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Umwelt, die Gesundheit und ihre Ethik positiv (Bryant et al., 2019). Die Vorstellungen darüber, was eine gesunde und nachhaltige Ernährung darstellt, überlappen stark mit den Ideen einer pflanzlichen Ernährung (Loo et al., 2017). Während aber die Gesundheit ein häufig genannter Motivator für die Umstellung auf eine stärker pflanzlich-basierte Ernährung ist (Lea und Worsley, 2003; Mullee et al., 2017), werden Umweltbelange weniger häufig erwähnt (Neff et al. 2018). Eine mögliche Erklärung für letzteres ist, dass die VerbraucherInnen die Klimaauswirkungen der Tierproduktion unterschätzen (Vanhonacker et al. 2013). Die Verringerung des Leidens von Tieren wird selten als ein Motivator für die Verringerung des Fleischkonsums angegeben (Neff et al. 2018), obwohl die VerbraucherInnen diesen Nutzen erkennen (Lea und Worsley, 2003; Graça et al. 2015). In Übereinstimmung mit der Tradition und der Institutionalisierung des Fleischkonsums werden Gewohnheit (Lea und Worsley, 2003; Graça et al. 2015) sowie mangelndes Interesse und Bewusstsein (Mullee et al., 2017) als Gründe dafür genannt, warum VerbraucherInnen nicht weniger Fleisch essen. Darüber hinaus könnten VerbraucherInnen von einer Verhaltensänderung absehen, weil ihr individueller Konsum nur einen marginalen Einfluss auf den Gesamtkonsum und die Produktion von Fleisch und Tierprodukten hat.

Studien deuten darauf hin, dass die Ansichten der VerbraucherInnen über den Fleischkonsum in den verschiedenen VerbraucherInnengruppen, die sich bereits an eine fleischlose Ernährung angepasst haben, denjenigen, die ihren Fleischkonsum reduzieren möchten, und denjenigen, die ihren regelmäßigen Fleischkonsum beibehalten möchten, heterogen sind. VerbraucherInnen, die planen, ihren Fleischkonsum zu reduzieren, betonen häufig die Vorteile einer Fleischreduktion für die Gesundheit, während VerbraucherInnen, die nicht beabsichtigen, ihre Ernährung zu ändern, die ernährungsphysiologischen Vorteile von Fleisch hervorheben (Neff et al., 2018). In ähnlicher Weise stellen VerbraucherInnen, die sich bereits fleischlos ernähren oder ihren Fleischkonsum reduzieren wollen, eher das Wohlergehen und die Gesundheit der Nutztiere als Vorteile einer stärker pflanzlichen Ernährung heraus, während VerbraucherInnen, die nicht bereit sind, ihren Fleischkonsum zu reduzieren, die Auswirkungen ihrer Ernährung auf ihre Gesundheit und das Wohlergehen der Tiere eher leugnen (Fox und Ward, 2008; Graça et al. 2015). Im Allgemeinen erkennen Personen, die bereits weniger Fleisch essen oder planen, ihren Fleischkonsum zu reduzieren, eher die Vorteile einer stärker pflanzenbasierten Ernährung an, während Personen, die es vorziehen würden, ihre gewohnte, fleischbasierte Ernährung beizubehalten, dies weniger wahrscheinlich tun (Lea at al. 2006a). In Deutschland wird der Anteil der Fleischessenden, die nicht motiviert sind, ihre Ernährung umzustellen, auf 75% geschätzt (Cordts et al. 2013).

Das Fleischparadoxon: Menschen essen Tiere, obwohl sie das Leiden der Tiere vermeiden wollen

Das Phänomen, dass viele Menschen Tiere essen, obwohl ihnen das Leid der Tiere nahe geht, wird als "Fleischparadox" bezeichnet. Während die schlechten Lebensbedingungen der Tiere regelmäßig in den Mainstream-Medien erscheinen (z.B. Süddeutsche Zeitung, 2019a, 2019b; RBB, 2019 in deutschen Medien), kaufen und essen die VerbraucherInnen weiterhin Fleisch, obwohl sie erkennen, dass die Bedingungen bei weitem nicht optimal sind (te Velde et al., 2002). Dieser Konflikt zwischen Mitgefühl mit den Tieren und der Lust auf Fleisch bildet den Kern von in der Psychologie und der Wirtschaftswissenschaft verwendeten Modellen des Fleischparadoxes (Bastian und Loughnan, 2017; Hestermann et al. 2019). Basierend auf der Theorie der kognitiven Dissonanz (Festinger, 1957) gehen die Modelle davon aus, dass Menschen Unbehagen empfinden, wenn ihre Einstellungen und ihr Verhalten inkonsistent zueinander sind. Um die wahrgenommene Dissonanz zu verringern, müssen die VerbraucherInnen entweder ihren Fleischkonsum reduzieren oder ihre Überzeugungen über die Auswirkungen ihres Konsums auf das Leiden der Tiere anpassen. In einer Gesellschaft, in der der Fleischkonsum nicht nur ritualisiert und institutionalisiert, sondern auch eine gesellschaftlich akzeptierte Gewohnheit ist, wird den VerbraucherInnen die Möglichkeit gegeben, ihre Dissonanz durch Veränderungen in ihren Überzeugungen statt in ihrem Konsum zu verringern. Prominente Beispiele für solche Veränderungen in den Überzeugungen sind die Verleugnung von Leid und die Verleugnung von Verantwortung. Studien zeigen, dass die Präsentation eines Tieres als Nahrungsmittel (und nicht etwa als Haustier) und die Absicht, ein Tier zu konsumieren, sich negativ darauf auswirken, ob Menschen diesem Tier menschenähnliche Eigenschaften zuschreiben, wie etwa die Fähigkeit zu leiden, und ob sie ihm Verstand und moralische Relevanz zuerkennen (siehe Loughnan et al., 2014, für eine Übersicht; Piazza et al. 2015).

Wahrgenommene Kosten, Bequemlichkeit und Verfügbarkeit hindern die VerbraucherInnen an der Reduzierung ihres Fleischkonsums

Auf die Frage nach den wahrgenommenen Schwierigkeiten bei der Ernährungsumstellung geben Menschen häufig an, dass vegetarische Speisen weniger schmackhaft, weniger erschwinglich und in Bezug auf das Auswärtsessen und Kochen unbequemer sind (Lea und Worsley, 2003; Mullee et al., 2017; Schenk et al., 2018; Bryant et al., 2019). Einige VerbraucherInnen sind auch besorgt über mögliche gesundheitliche Folgen der Umstellung auf eine pflanzenbasierte Ernährung (Pohjolainen et al. 2015). Die vegane Ernährung schneidet in diesen Aspekten schlechter ab als die vegetarische (Bryant et al., 2019). Auch das IPCC wertet technologische, institutionelle und soziokulturelle Barrieren als große Hindernisse für eine weltweite Ernährungsumstellung (IPCC, 2019).

Ein geringerer Fleischkonsum wird in den westlichen Ländern mit einer besseren öffentlichen Gesundheit in Verbindung gebracht, und die VerbraucherInnen erkennen diese Vorteile, vor allem in Bezug auf rotes und fettes Fleisch an. Gleichzeitig halten viele Menschen Fleisch auch für notwendig für eine gesunde und nahrhafte Ernährung (Lea und Worsley, 2001; Graça et al. 2015). Bei der Umstellung auf eine pflanzliche Ernährung besteht das Risiko einer unzureichenden Aufnahme einiger Nährstoffe, darunter Vitamin B12, Vitamin B6, Eisen, Vitamin D, Kalzium, Zink und Jod. Studien deuten jedoch darauf hin, dass diese Risiken durch einen abwechslungsreichen Konsum von Nahrungsmitteln und ggf. Nahrungsergänzungsmitteln ausgeglichen werden können (Dwyer 1991; Mann 2000; Goldfrey et al. 2018). Insgesamt ergeben Überblicksstudien, dass eine pflanzliche Ernährung ernährungsphysiologisch unproblematisch ist (Position der American Dietetic Association und der Diätassistenten Kanadas: Vegetarische Ernährung, 2003; Sabaté, 2003; Willett und Stampfer, 2013; Katz und Meller, 2014; für Deutschland: Koch et al., 2019). Obwohl eine stärker auf Pflanzen basierte Ernährung für die eigene Gesundheit von Vorteil sein kann und die Menschen daran interessiert sind, mehr darüber zu erfahren (Lea et al., 2006b), stellt der Mangel an leicht verfügbaren Informationen über pflanzliche Ernährungsweisen ein großes Hindernis für die Umstellung auf eine solche Ernährung dar.

Die Umstellung auf eine vegetarische oder vegane Ernährung wird auch durch die wahrgenommenen Kosten und die Verfügbarkeit von entsprechenden Speisen eingeschränkt. Die Bereitschaft, weniger Fleisch zu konsumieren, ist höher als die Bereitschaft der VerbraucherInnen, für alternative Ernährungsformen mehr zu bezahlen, und die Bereitschaft, pflanzlichen Fleischersatz oder alternative Proteinquellen (wie Insekten und Hybridfleisch) zu konsumieren, ist gering (Vanhonacker et al., 2013). Gleichzeitig ist die Senkung der Kosten für die Ernährung ein häufig genannter Grund für die Reduzierung des Fleischkonsums (Neff et al., 2018). Dies deutet darauf hin, dass neben der Information über die Zubereitung von fleischlosen Mahlzeiten, die erschwinglich und nahrhaft sind, die Ernährungsumstellung auch mit der Verfügbarkeit und Bequemlichkeit fleischloser Alternativen zusammenhängt, wie z.B. fleischlosen Optionen in Restaurants und vegetarisch/veganen Produkten in Geschäften. Im Hinblick auf den technologischen Wandel steht die Entwicklung und Verfügbarkeit von Fleischersatz und sogar von künstlichem Fleisch zur Diskussion. Diese haben das Potenzial, die wahrgenommenen Einschränkungen für einen reduzierten Fleischkonsum, einschließlich des Geschmacks, anzugehen. Studien zur Verbrauchereinstellung legen nahe, dass Fleischessende Fleischersatzprodukte vor allem deshalb meiden, weil sie mit ihnen nicht vertraut sind und weil sie erwarten, dass diese schlechter schmecken (Hoeck et al., 2011).

Welche Maßnahmen könnten die Nachfrage nach Fleisch reduzieren?

Die Nachfrage nach Fleisch und anderen Lebensmitteln tierischen Ursprungs kann durch die gezielte Beseitigung von Barrieren und die Förderung von Faktoren, die eine Ernährungsumstellung erleichtern, verringert werden. Ein möglicher Ansatz besteht darin, die VerbraucherInnen über die Folgen des Verzehrs von Fleisch und anderen Tierprodukten und über die Vorteile einer Umstellung auf eine stärker pflanzlich basierte Ernährung zu informieren. Vorträge über die Auswirkungen des Fleischkonsums auf den Klimawandel und die Gesundheit verringerten in einem Feldexperiment den Fleischkonsum in einer Mensa deutlich und langfristig (Jalil et al., 2019). Ferner erhöhen Informationen über die negativen Auswirkungen des Fleischkonsums auf das Wohlergehen der Tiere, auf die Gesundheit und auf das Klima die Absichten der Einzelnen, ihren Fleischkonsum in Zukunft zu verringern (Cordts et al., 2014). Forschung zum Fleischparadox legt jedoch nahe, dass VerbraucherInnen unangenehme Informationen über die negativen Auswirkungen ihres Fleischkonsums vermeiden oder missachten können, um ein Unbehagen in Bezug auf ihr eigenes Verhalten zu vermeiden (Rothgerber, 2020; Gaspar et al., 2016).

Überblicksstudien zufolge könnten Verhaltensinterventionen wirksamer sein als Informations- und Bildungsinterventionen, obwohl letztere weniger gut untersucht sind (Bianchi et al., 2018a). Man kann sich vorstellen, dass Ernährungsentscheidungen dadurch beeinflusst sind, welche psychischen und physischen Fähigkeiten vorliegen, ein bestimmtes Verhalten auszuführen, durch die Möglichkeit dies zu tun – gemeint sind hier soziale Aspekte wie Normen, aber auch physische Aspekte wie die Produkt- oder Speisenverfügbarkeit - und durch die individuelle Motivation für ein bestimmtes Verhalten, wobei hier sowohl bewusste Überlegungen als auch Gewohnheiten einfließen (Graca et al., 2019). Entsprechend der Vielzahl von Einflussfaktoren gibt es eine Reihe von Forschungsarbeiten, die sich mit Interventionen befassen, die auf verschiedene Barrieren oder Möglichkeiten der Ernährungsumstellung abzielen. Überblicksstudien zu früheren Untersuchungen legen nahe, dass das individuelle Kaufverhalten durch Interventionen in Lebensmittelgeschäften beeinflusst werden kann, die die Preise verändern, alternative Produkte zum Kauf vorschlagen oder die Verfügbarkeit von Produkten variieren (Hartmann-Boyce et al., 2018). Der Einzelne kann aber auch durch die Förderung der Selbstkontrolle des Fleischkonsums, durch individuelle Lebensstilberatung und durch Veränderungen der Essgewohnheiten und des Lebensmittelrepertoires, einschließlich der Ausgabe kleinerer Fleischportionen oder Fleischalternativen, in seinen Versuchen unterstützt werden, seinen Fleischkonsum zu reduzieren (Bianchi et al., 2018a; Bianchi et al., 2018b; Taufik et al., 2019; Reinders et al., 2020).

Die Besteuerung von Tierprodukten könnte Verhaltensänderungen erleichtern

Die Produktion und der Konsum von Fleisch haben schwerwiegende Auswirkungen und sind mit ethischen Problemen verbunden. Daher argumentieren einige, dass ein staatlicher Eingriff in den Markt für tierische Produkte erforderlich ist, um Änderungen in der Ernährungsweise der VerbraucherInnen zu erleichtern und zu ergänzen (Spiller, 2019). Die Besteuerung von Fleisch und Tierprodukten oder eine Tierschutzabgabe sind Beispiele für staatliche Eingriffe. Eine Steuer auf tierische Lebensmittel würde den Preis von Fleisch erhöhen. Da Verbraucherbefragungen darauf hindeuten, dass Ernährungsentscheidungen empfindlich auf Kostenargumente reagieren, hätte eine solche Steuer einen direkten negativen Effekt auf den Fleischkonsum. Darüber hinaus legen theoretische Analysen des Fleischparadoxes nahe, dass ein geringerer Fleischkonsum auch die Sorge um das Wohlergehen der Tiere verstärken würde (indem er die Einschätzungen der VerbraucherInnen in Bezug auf das Leider der Nutztiere korrigieren würde), was einen zusätzlichen indirekten, negativen Effekt auf den Fleischkonsum hätte.

Die Gesamtauswirkung einer solchen Steuer würde allerdings von vielen Faktoren abhängen, einschließlich der Höhe der Steuer, davon ob sie ad valorem oder auf dem Gewicht des Produkts basiert, sowie von der Nachfrageelastizität. Darüber hinaus wird der Gesamteffekt von den Substitutionsmustern zu Produkten mit niedrigeren Steuern und von den Marktstrukturen abhängen. Tatsächlich deuten Studien aus mehreren europäischen Ländern darauf hin, dass CO2-Steuern auf tierische Produkte zur Verringerung der gesamten CO2-Emissionen beitragen können, dass aber positive Effekte nicht sicher sind (Säll and Gren, 2015; Bonnet et al., 2018; Dogbe und Gil, 2018; Forero-Cantor et al., 2020). Als Alternative zur Fleischbesteuerung wird auch eine Tierschutzabgabe diskutiert. Die Einnahmen aus einer solchen Abgabe könnten dazu verwendet werden, die Landwirte bei Investitionen in Maßnahmen zu unterstützen, die die Lebensbedingungen der Tiere und den Tierschutz verbessern (siehe FÖS, 2020 für eine ausführliche Diskussion). Im Allgemeinen wird eine Preiserhöhung für tierische Produkte heterogene Auswirkungen auf den Verbrauch haben, je nach Einkommen, Information, Beteiligung, Zeitdruck, Kochkünsten und Geschmack der VerbraucherInnen.

Quellen

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