DIW Wochenbericht 41 / 2020, S. 795
Stefan Bach, Erich Wittenberg
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Herr Bach, seit langem wird in Deutschland eine Reform des Ehegattensplittings diskutiert. Was sind die wesentlichen Kritikpunkte? Das Ehegattensplitting bedeutet große Steuervorteile für Alleinverdiener-Ehepaare. In Deutschland sind jedoch viele verheiratete Frauen Zweitverdienende, vor allem die mit Kindern. Sie haben durch das Ehegattensplitting relativ hohe Steuersätze. Für diese Frauen lohnt sich die Aufnahme einer Arbeit oder die Ausweitung einer Arbeit weniger als wenn sie individuell besteuert würden.
Als Reformen werden oft das Realsplitting oder ein übertragbarer Grundfreibetrag vorgeschlagen. Was würde sich dadurch verbessern? Realsplitting bedeutet, dass nicht mehr das gemeinsame Einkommen zur Hälfte auf beide Ehepartner aufgeteilt und dann versteuert wird, sondern der oder höherverdienende PartnerIn nur einen Abzugsbetrag vom Einkommen absetzen darf, den dann der oder die andere PartnerIn versteuern muss. Der Vorteil besteht darin, dass die hohen Steuerbelastungen für die Zweitverdienenden verringert werden. Ferner erzielt diese Reform ein durchaus beträchtliches Mehraufkommen für den Fiskus schätzungsweise etwa zehn Milliarden Euro.
Gilt das auch für den übertragbaren Grundfreibetrag? Der übertragbare Grundfreibetrag ist noch etwas restriktiver, weil er abgeschmolzen wird, wenn der oder die GeringverdienerIn, in der Regel die Ehefrau, eigenes Geld verdient. Das hat aber den Nachteil, dass dann die effektive Steuerbelastung auf den Mehrverdienst deutlich ansteigt, weil der oder die besserverdienende PartnerIn dann weniger abziehen kann.
Neue Reformvorschläge bringen Zusatzfreibeträge oder Steuerabzüge für Ehepaare ins Spiel. Welche Vor- oder Nachteile hätte das? Der Vorteil ist, dass die Steuerbelastungen von den geringer verdienenden PartnerInnen reduziert werden. Der Nachteil ist, dass auch Ehepaare, die ungefähr gleich viel verdienen, davon profitieren. Das führt dann zu unerwünschten Verteilungswirkungen auch bei den BesserverdienerInnen und zu sehr großen Steuerausfällen. Unter Umständen ist diese Steuerreform sogar mit einem Minderaufkommen verbunden.
Was wäre in Bezug auf das Steueraufkommen die beste Lösung? Das Steueraufkommen sollte nicht so stark im Vordergrund stehen, denn es geht ja vor allem um die Erwerbsbeteiligung von Frauen mit Kindern. Natürlich hängt das Steueraufkommen davon ab, wie stark die Ehepaare über Realsplitting oder Zusatzfreibeträge entlastet werden. Ein höheres Steueraufkommen entsteht, wenn man diese zusätzlichen Vergünstigungen relativ niedrig hält. Dieses zusätzliche Steueraufkommen könnte man dazu verwenden, dass man Familien über höheres Kindergeld, Kinderfreibeträge oder auch eine bessere Kinderbetreuungsinfrastruktur breit entlastet. Das hilft gerade Familien mit kleineren Kindern viel mehr als die paar Euro, die sie beim Ehegattensplitting sparen.
Die Diskussion um das Ehegattensplitting ist seit langem festgefahren. Inwieweit wäre ein Kompromiss denkbar, um zu einer Reform zu gelangen? Man kann das Ehegattensplitting in Deutschland nicht komplett abschaffen – wegen der Verteilungswirkungen, aber auch wegen rechtlicher Vorbehalte. Wir schlagen daher einen relativ leicht umzusetzenden und transparenten Kompromiss vor. Er bedeutet, dass man im Rahmen eines sogenannten Realsplittings nur den Grundfreibetrag von höher verdienende PartnerInnen auf geringer verdienende PartnerInnen übertragen darf. Dadurch ist auch bei Alleinverdiener-Ehepaaren das Existenzminimum des gesamten Ehepaares steuerfrei gestellt, also auch des oder der nicht verdienenden EhepartnerIn.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Steuern, Familie, Arbeit und Beschäftigung
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-41-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/226754