Deutsche Wirtschaft: Hoffnung trotz Rückschlag zum Jahresende: Grundlinien der Wirtschaftsentwicklung im Winter 2020

DIW Wochenbericht 50 / 2020, S. 940-954

Claus Michelsen, Paul Berenberg-Gossler, Marius Clemens, Max Hanisch, Simon Junker, Laura Pagenhardt

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Die deutsche Wirtschaft wird von der Corona-Pandemie erneut ausgebremst: Nachdem sich die Produktion im Sommer unerwartet stark erholt und weite Teile der Einbußen aus dem Frühjahr wettgemacht wurden, folgt nun ein Rückschlag: Die zweite Infektionswelle hat das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben wieder stark eingeschränkt. Im Schlussquartal dieses Jahres wird die deutsche Wirtschaft daher voraussichtlich erneut schrumpfen. Wenn man – wie für diese Prognose angenommen – das Infektionsgeschehen im Laufe des Winters in den Griff bekommt, besteht jedoch Hoffnung auf eine baldige Erholung. In diesem Fall erreicht die deutsche Wirtschaft gegen Ende des Jahres 2021 wieder ihr Vorkrisenniveau. Das Risiko, dass es anders kommt, ist jedoch beträchtlich: Wenn die Infektionswelle länger anhält als angenommen, dürfte die Erholung im Frühjahr ausbleiben. In der Folge würden möglicherweise viele Unternehmen und sogar Banken in erhebliche Schieflage geraten. Dies könnte eine noch tiefere Wirtschaftskrise nach sich ziehen. Hoffnung machen allerdings die Erfolge in der Entwicklung und Auslieferung von Impfstoffen.

Die Corona-Pandemie nimmt weiterhin maßgeblichen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Das erneute Aufflammen der Infektionsdynamik seit dem Herbst setzt der gerade erst eingesetzten kräftigen Erholung in Deutschland ein vorläufiges Ende. Haushalte und Unternehmen agieren wieder vorsichtiger, reduzieren soziale Kontakte und verzichten beispielsweise auf Freizeitaktivitäten – dadurch erleiden einige Branchen empfindliche Umsatzeinbußen. Wie auch in vielen anderen Ländern verstärkt die Regierung dies durch staatliche Einschränkungen.

In der vorliegenden Prognose wird unterstellt, dass durch all diese Maßnahmen das Infektionsgeschehen rasch eingedämmt wird, ab Mitte Januar die Einschränkungen nach und nach entschärft werden und die Aussicht auf einen Impfstoff die Zuversicht der Wirtschaftsakteure stärkt.

Unter diesen günstigen Voraussetzungen dürfte die deutsche Wirtschaft im Schlussquartal zwar erneut schrumpfen, ab dem ersten Quartal des Jahres 2021 aber auf den Erholungspfad zurückkehren. Wie im Sommer dürfte der Wegfall der Lockdown-Maßnahmen bis zur Jahresmitte mit einem kräftigen Aufholwachstum einhergehen. Einem Minus bei der Wirtschaftsleistung von 5,1 Prozent in diesem Jahr folgt ein entsprechend kräftiger Zuwachs von 5,3 Prozent im kommenden Jahr (Abbildung 1). Mit einem Plus von von gut zweieinhalb Prozent im Jahr 2022 sind die gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten dann wieder normal ausgelastet (Abbildung 2). Gelingt die zügige Eindämmung der zweiten Infektionswelle nicht und ziehen sich die Einschränkungen weit in den Frühling des kommenden Jahres, könnte die Wirtschaftsleistung in Deutschland im Jahr 2021 um anderthalb Prozentpunkte geringer ausfallen als im optimistischeren Szenario.

Ein ungünstigeres Infektionsgeschehen ist durchaus denkbar. Die Maßnahmen gegen die Pandemie müssten dann länger aufrechterhalten werden und würden eine Erholung in den betroffenen Branchen in weitere Ferne rücken. Mit länger andauernden Umsatzeinbußen stiege zudem das Risiko von Insolvenzen. Diese sind aufgrund der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und der staatlichen Hilfsmaßnahmen bisher zwar ausgeblieben. Die Eigenkapitalausstattung vieler Unternehmen dürfte sich aber bereits seit dem Frühjahr deutlich verschlechtert haben und auch der Rückschlag im vierten Quartal wird Spuren hinterlassen. Eine Insolvenzwelle würde Kapital brachlegen, das erst nach und nach anderweitig verwendet werden kann. Zudem verlören Arbeitskräfte in den betroffenen Unternehmen ihren Arbeitsplatz – auch wenn viele davon bereits heute in Kurzarbeit sind, würde dies das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen merklich belasten und über die wegfallenden Arbeitseinkommen Folgewirkungen in der Nachfrage von Waren und Dienstleistungen nach sich ziehen. Auch wird hier davon ausgegangen, dass die mutmaßlich hohe Zahl von Quarantänefällen wirtschaftlich nicht ins Gewicht fällt. Im Oktober und November zusammen wurden in Deutschland mit 780000 Neuinfektionen jedoch bereits acht Mal so viele Menschen positiv auf das Corona-Virus getestet wie im Durchschnitt der vorangegangenen Quartale. Diese verbringen bis zu zwei Wochen in Quarantäne, verbunden mit einem Arbeitsausfall bei all jenen, die nicht im Home-Office arbeiten können. Hinzu kommen direkte Kontaktpersonen, die ebenfalls von Quarantäneregelungen betroffen sind. All dies fließt nicht in die hier vorgestellte Prognose ein.

Indes dürfte die zweite Welle die wirtschaftliche Entwicklung hierzulande insgesamt weniger belasten als im Frühjahr (Tabelle 1). Zum einen sind die Einschränkungen geringer als damals. So bleiben etwa Schulen und Kitas sowie der Handel geöffnet. Nicht zuletzt die Schließung dieser Bereiche hatte im März und April spürbar gebremst. Am stärksten vom neuerlichen Lockdown betroffen sind konsumorientierte Dienstleistungsbereiche wie das Gastgewerbe oder die Kultur- und Veranstaltungsszene. Die Industrie hingegen dürfte weniger stark in Mitleidenschaft gezogen werden als im ersten Halbjahr – nicht zuletzt, weil die Unternehmen mittlerweile wohl besser auf potentielle Lieferengpässe vorbereitet sind. Massiv eingebrochen war im Frühjahr zudem die Kfz-Industrie; anders als damals dürften aber im Schlussquartal die inländischen Umsätze nicht wegfallen, denn derzeit belebt die vorübergehende Mehrwertsteuersenkung die Nachfrage sichtbar. Zum anderen sinkt die Auslandsnachfrage zwar deutlich, aber bei Weitem nicht so drastisch wie im Frühjahr. Der sinkenden Wirtschaftsleistung im Schlussquartal dürften die Unternehmen wie im Frühjahr vor allem mit Kurzarbeit begegnen. Diese dürften im November und Dezember zusammengenommen mehrere hunderttausend Personen zusätzlich in Anspruch nehmen. Die Beschäftigung – hier trifft es vor allem die MinijobberInnen – gibt hingegen in weitaus geringerem Maße nach.

Tabelle 1: Quartalsdaten zur Entwicklung der Verwendungs- und Entstehungskomponenten des realen Bruttoinlandsprodukts

Veränderung gegenüber dem Vorquartal in Prozent; saison- und kalenderbereinigt

2020 2021 2022
I II III IV I II III IV I II III IV
Privater Verbrauch −2,3 −11,1 10,8 −0,7 2,0 2,6 1,9 1,4 0,7 0,4 0,4 0,4
Öffentliche Konsumausgaben 0,8 2,2 0,8 0,5 0,4 0,3 0,3 0,3 0,4 0,4 0,3 0,3
Bruttoanlageinvestitionen −0,4 −6,6 3,6 0,0 1,7 1,6 1,3 1,1 1,0 0,8 0,5 0,5
Ausrüstungen 5,1 −4,3 −2,0 0,9 1,2 1,0 1,0 0,9 0,7 0,6 0,3 0,3
Bauten −7,0 −15,1 16,0 −2,0 3,0 3,0 2,0 1,5 1,5 1,0 0,7 0,7
Sonstige Investitionen −4,1 0,6 1,9 0,8 0,9 0,8 0,8 0,8 0,9 0,8 0,8 0,8
Lagerveränderung1 0,0 −0,1 −2,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0
Inländische Verwendung −1,2 −7,2 4,7 −0,2 1,6 1,9 1,4 1,1 0,7 0,5 0,4 0,4
Außenbeitrag1 −0,8 −2,9 3,9 −0,2 0,3 0,4 −0,3 −0,3 −0,2 0,0 0,0 0,0
Export −3,3 −20,5 18,1 −2,6 3,1 3,0 1,7 1,5 1,0 0,7 0,6 0,3
Import −1,9 −15,9 9,1 −2,4 2,7 3,4 3,5 2,6 1,6 0,8 0,6 0,4
Bruttoinlandsprodukt −1,9 −9,8 8,5 −0,5 1,8 2,2 1,0 0,7 0,5 0,5 0,4 0,4
Bruttowertschöpfung −1,5 −10,4 8,0 −0,5 1,8 2,2 1,0 0,7 0,5 0,5 0,4 0,4
Verarbeitendes Gewerbe −3,8 −18,3 14,0 1,6 2,4 3,0 1,5 0,9 0,8 0,8 0,7 0,7
Baugewerbe 4,8 −3,1 −4,7 1,8 1,2 1,0 1,0 0,9 0,7 0,6 0,3 0,3
Handel, Gastgewerbe, Verkehr −1,2 −14,2 13,8 −4,8 2,4 4,5 1,5 0,9 0,7 0,5 0,4 0,4
Unternehmensdienstleister −1,9 −12,0 6,1 −1,5 2,8 2,6 1,0 0,7 0,4 0,3 0,3 0,3
Öff. Dienstleistungen, Erziehung, Gesundheit −0,9 −8,2 9,5 2,6 1,1 1,0 0,5 0,4 0,3 0,3 0,3 0,3

1 Wachstumsbeitrag in Prozentpunkten.

Quellen: Statistisches Bundesamt; DIW Wintergrundlinien 2020. Prognose ab dem vierten Quartal 2020.

Ab dem Jahreswechsel dürfte sich die Weltkonjunktur mit den vielerorts allmählichen Lockerungen der Beschränkungen und der Hoffnung auf ein Ende der Pandemie aufhellen und die deutschen Exporte anschieben. Dennoch werden diese wohl erst im späten Prognoseverlauf wieder ihr Vorkrisenniveau erreichen (Abbildung 3). Die auf Investitionen ausgerichtete deutsche Exportwirtschaft wird gedämpft, weil sich die Unternehmensinvestitionen – hierzulande wie auch weltweit – angesichts des tiefsitzenden Corona-Schocks nur allmählich erholen. Der private Konsum dagegen wird nach der Zwangspause vom vierten Quartal kräftig zulegen, auch weil dank der entschlossenen WirtschaftspolitikinfoVgl. zu den Auswirkungen des Konjunkturprogramms und seiner Einzelkomponenten Marius Clemens, Simon Junker und Claus Michelsen (2020): Konjunkturelle Effekte der finanzpolitischen Maßnahmen des Konjunkturprogramms. DIW Politikberatung kompakt Nr. 156, III (online verfügbar; abgerufen am 8. Dezember 2020. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). die verfügbaren Einkommen stabilisiert werden konnten.

Der Erholungspfad zeichnet sich auch auf dem Arbeitsmarkt ab: Die Kurzarbeit wird ab dem Jahreswechsel merklich abgebaut und auch die Erwerbstätigenzahlen werden nach dem Rücksetzer vom Schlussquartal dank eines Aufbaus im Bereich der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung wieder steigen. Die Corona-Krise hat dagegen die Abwärtstrends bei den MinijobberInneninfoVgl. Markus M. Grabka, Carsten Braband und Konstantin Göbler (2020): Beschäftigte in Minijobs sind VerliererInnen der coronabedingten Rezession. DIW Wochenbericht Nr. 45, 841–847 (online verfügbar). und vor allem bei den SelbstständigeninfoVgl. Alexander Kritikos, Daniel Graeber und Johannes Seebauer (2020): Corona-Pandemie wird zur Krise für Selbständige. DIW aktuell Nr. 47 (online verfügbar). verstärkt – hier dürfte die Beschäftigung dauerhaft niedriger sein. Die Arbeitslosigkeit verharrt im jahresdurchschnittlichen Vergleich im kommenden Jahr zwar noch in etwa auf dem diesjährigen Wert von 5,9 Prozent, sinkt dann aber im Jahr 2022 auf 5,3 Prozent (Tabelle 2). Die Löhne legen unter dem Eindruck der Krise vorerst nur verhalten zu, in der Summe ziehen sie aber wieder an.

Tabelle 2: Eckdaten zur Wirtschaftsentwicklung in Deutschland

2017 2018 2019 2020 2021 2022
Reales Bruttoinlandsprodukt1 (Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent) 2,6 1,3 0,6 −5,1 5,3 2,6
Erwerbstätige im Inland (1000 Personen) 44262 44868 45269 44813 44737 45052
Erwerbslose, ILO 1621 1468 1373 1838 1818 1666
Arbeitslose, BA 2533 2340 2267 2703 2679 2424
Erwerbslosenquote, ILO2 3,8 3,4 3,2 4,4 4,3 4,0
Arbeitslosenquote, BA2 5,7 5,2 5,0 5,9 5,9 5,3
Verbraucherpreise3 1,5 1,8 1,4 0,5 1,6 1,6
Lohnstückkosten4 1,1 2,8 3,2 3,7 −2,6 1,6
Finanzierungssaldo des Staates5
in Milliarden Euro 44 62 52 −186 −146 −78
in Prozent des BIP 1,4 1,8 1,5 −5,6 −4,1 −2,1
Leistungsbilanzsaldo in Prozent des BIP 7,8 7,4 7,1 7,0 7,5 6,8

1 In Preisen des Vorjahres.

2 Bezogen auf die inländischen Erwerbspersonen insgesamt (ILO) bzw. zivilen Erwerbspersonen (BA).

3 Verbraucherpreisindex.

4 Im Inland entstandene Arbeitnehmerentgelte je Arbeitnehmerstunde bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt in Preisen des Vorjahres je Erwerbstätigenstunde.

5 In der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (ESVG).

Quellen: Angaben nationaler und internationaler Institutionen; DIW Wintergrundlinien 2020. Prognose ab 2020.

Das Staatsdefizit dürfte nicht zuletzt wegen der Hilfs- und Konjunkturmaßnahmen in diesem Jahr auf einen Rekordwert von 186 Milliarden Euro hochschnellen. Da viele Maßnahmen auch in den kommenden Jahren mit nennenswerten Ausgaben verbunden sind, vor allem bei den Subventionen, bleibt das Defizit in den öffentlichen Kassen auch im kommenden Jahr mit 146 Milliarden Euro und im Jahr 2022 mit 78 Milliarden Euro beträchtlich. Die Staatsschuldenquote dürfte dieses und nächstes Jahr auf etwa 69 beziehungsweise 71 Prozent steigen, im Jahr 2022 aber wieder sinken.

Arbeitsmarkt: Kurzarbeit verhindert Schlimmeres

Im zweiten Quartal dieses Jahres waren 44,7 Millionen Menschen in Deutschland erwerbstätig, 627000 weniger als noch ein Quartal zuvor. Die Zahl der KurzarbeiterInnen hat sich von einer knappen Million im ersten Quartal auf 5,4 Millionen im zweiten mehr als verfünffacht. Da in Kurzarbeit Beschäftigte einen Teil ihrer Arbeitszeit weiterarbeiten, fällt weniger Arbeitsvolumen weg als im Fall von Kündigungen. Dennoch hätten die Unternehmen rechnerisch zwei Millionen Entlassungen vornehmen müssen, um den Arbeitseinsatz genauso zu reduzieren wie durch Kurzarbeit; dies entspräche einem Beschäftigungsrückgang von 4,9 Prozent.

Damit haben die Unternehmen den größten Teil des zweistelligen Wertschöpfungseinbruchs über die Inanspruchnahme von Kurzarbeit aufgefangen. Weniger Spielraum bestand offenbar bei der Anpassung der regulären Arbeitszeit: Nachdem die Arbeitgeber diese bereits im Auftaktquartal deutlich zurückgefahren hatten, reduzierten sie die Arbeitszeit im zweiten Quartal nur noch leicht. Hierbei kann auch eine Rolle gespielt haben, dass Gleitzeitkonten nicht mehr so prall gefüllt waren wie noch wenige Jahren zuvor und kaum noch Überstunden anfielen, die hätten abgebaut werden können – die deutsche Wirtschaft befand sich schon vor Ausbruch der Pandemie in einem milden Abschwung. Gut ein Drittel des Einbruchs mussten die Unternehmen in Form von Produktivitätseinbußen hinnehmen, was an der Eigenkapitaldecke zehrt.

Dies spiegelte sich in der Aufholphase im dritten Quartal wider, als die Wertschöpfung um acht Prozent ausgeweitet wurde. Der erforderliche Arbeitseinsatz speiste sich vor allem aus der Rücknahme von Kurzarbeit – die Zahl der KurzarbeiterInnen halbierte sich. Hinzu kam eine Ausweitung der regulären Arbeitszeit. Auch die Beschäftigung stieg seit Juli – dies allerdings so verhalten, dass im dritten Quartal noch durchschnittlich 50000 Menschen weniger erwerbstätig waren als im zweiten Vierteljahr.

Der Rückgang der Wertschöpfung im Schlussquartal wird sich ebenso vor allem in mehr Kurzarbeit widerspiegeln. Folgen die Unternehmen dem Muster des zweiten Quartals, dürfte der Anstieg rechnerisch der Entlassung von 100000 Personen entsprechen. Die Zahl der KurzarbeiterInnen hängt aber wiederum vom Grad der Inanspruchnahme ab. Im Frühjahr haben von Kurzarbeit Betroffene durchschnittlich 43 Prozent ihrer regulären Arbeitszeit ausgesetzt, im dritten Quartal waren es mit 35 Prozent deutlich weniger. Dass der Grad der Kurzarbeit einen historischen Rekord verzeichnete, lag auch daran, dass die Kurzarbeit während des Lockdowns in der Breite der Wirtschaft genutzt wurde und vor allem in Branchen wie dem Einzelhandel und dem Gastgewerbe, in denen der Arbeitsausfall besonders hoch war. Da diese Branchen auch im erneuten Lockdown betroffen sind, wird der Kurzarbeitsgrad wohl erneut steigen – ausgegangen wird hier von 38 Prozent. Damit dürfte die Zahl der KurzarbeiterInnen im Durchschnitt des vierten Quartals bei 2,7 Millionen liegen. Dass diese Zahl nicht höher ausfällt, liegt allerdings am niedrigen Niveau im Herbst – kräftige Anstiege im November und Dezember kehren den bis dato angelegten Abbau um (Abbildung 4). Die Zahl der Erwerbstätigen dürfte im Schlussquartal etwas sinken, um rund 40000 Personen; der jüngste Aufwärtstrend wird durch spürbare Rücksetzer zum Jahresende unterbrochen.infoDie Zahl der Erwerbstätigen war bis Oktober wieder allmählich gestiegen; ohne weitere Änderung ergäbe sich ein Quartalszuwachs um 40000 Personen. In den verbleibenden beiden Monaten dürfte die Zahl aber deutlich sinken. Dies gilt auch für den November, wenngleich die Arbeitslosigkeit bis dahin noch gesunken war. Auch im ersten Lockdown im März ging eine um über 100000 Personen geringere Erwerbstätigenzahl mit einer noch vergleichsweise günstigen Entwicklung der Arbeitslosenzahlen einher – diese stiegen erst verzögert spürbar. Dabei schlägt auch zu Buche, dass die Selbstständigkeit weiter sinkt.

Ab dem Auftaktquartal 2021 wird der einsetzende Aufholprozess auch den Arbeitsmarkt beflügeln: Die Zahl der KurzarbeiterInnen wird rasch zurückgehen und der Beschäftigungsaufbau Fahrt aufnehmen. Die Perspektive auf ein baldiges Ende der Pandemie dürfte zu dynamischeren Einstellungen führen als im Sommer 2020, zumal sich die Zahl der KurzarbeiterInnen dann wohl auf einem spürbar niedrigeren Niveau befindet. Im Durchschnitt des Jahres wird die Zahl der Erwerbstätigen wohl dennoch um 75000 niedriger liegen als in diesem Jahr; im Jahr 2022 ist mit einem Plus von gut 300000 Personen zu rechnen. Unter dem Strich erreicht die Zahl der Erwerbstätigen wohl auch zum Ende des Prognosezeitraums nicht das Vorkrisenniveau. Dabei dürfte sich die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung günstig entwickeln (Abbildung 5) und Ende 2022 rund eine Viertelmillion über dem Vorkrisenniveau liegen. Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse werden dagegen wohl nur verhalten aufgebaut und das Vorkrisenniveau nicht mehr erreichen. Deutlich unter dem Wert vom Jahresbeginn 2020 dürfte die Zahl der Selbstständigen liegen; der ohnehin rückläufige Trend wird durch die Corona-Krise verstärkt.

Nach einem zwischenzeitlichen Anstieg zum Jahresende dürfte die Arbeitslosigkeit ab dem Jahreswechsel sinken. Spiegelbildlich zur Erwerbstätigkeit wird die Zahl der Arbeitslosen jedoch auch noch nicht wieder auf das Ausgangsniveau sinken. Vom hohen Niveau zum Jahresende 2020 erholt sich die Arbeitslosigkeit nur langsam, so dass auch im Durchschnitt des kommenden Jahres in etwa so viele Arbeitslose zu verzeichnen sein dürften wie im Durchschnitt dieses Jahres. Die Zahl der Arbeitslosen wird dieses Jahr fast eine halbe Million höher liegen als im vergangenen Jahr, bei 2,7 Millionen – dies entspricht einer Quote von 5,9 Prozent. Bis 2022 sinkt die Arbeitslosenzahl auf etwa 2,4 Millionen (5,3 Prozent).

Die Löhne dürften in diesem Umfeld zunächst nur verhalten steigen. Je ArbeitnehmerIn gerechnet sinken die Effektivverdienste in diesem Jahr sogar, um 0,9 Prozent. Dies liegt vor allem an dem massiven Einsatz von Kurzarbeit; durch das Kurzarbeitergeld wird indes ein guter Teil des geringeren Lohneinkommens kompensiert. Im kommenden Jahr ziehen die Löhne dann im Zuge der sich aufhellenden Konjunktur wieder an. Der Zuwachs von knapp drei Prozent spiegelt allerdings auch den deutlichen Rückgang der Kurzarbeit wider. Im Jahr 2022 dürften die Löhne um gut drei Prozent zulegen.

Inflation: Trotz anstehender Mehrwertsteueranhebung moderat

Die Inflation liegt seit – und maßgeblich wegen – der Senkung der Mehrwertsteuersätze seit Juli im negativen Bereich, im November betrug sie -0,3 Prozent. Zusammen mit den ölpreisbedingten Einbrüchen bei den Energiepreisen in der ersten Jahreshälfte fällt die Inflation in diesem Jahr mit 0,5 Prozent niedrig aus.

Bereits ab Januar 2021, wenn die Mehrwertsteuer wieder angehoben wird, ist die Teuerungsrate aber wieder klar positiv und klettert im Frühjahr über ein Prozent. Hinzu kommen preissteigernde Effekte aus dem Klimapaket – nach Berechnungen der BundesbankinfoVgl. Deutsche Bundesbank (2020): Monatsbericht Juni (online verfügbar). erhöhen diese die Preise um 0,3 Prozent (und um 0,2 Prozent ab 2022). Ab Juli fallen die Vorjahresraten mit über zwei Prozent hoch aus (Abbildung 6), weil die Preise mit den mehrwertsteuerbedingt gesenkten Preisen der zweiten Jahreshälfte 2020 verglichen werden. Dieser Effekt fällt ab 2022 weg, die Raten liegen dann bei gut anderthalb Prozent. In den kommenden beiden Jahren liegt die Inflation im Durchschnitt bei 1,6 Prozent.

Ohne den Einfluss der Energiepreise liegt die Teuerung, also die Kernrate, nach 1,5 Prozent im vergangenen Jahr bei Raten von 1,1 Prozent in diesem, 2,1 Prozent im kommenden und 1,7 Prozent im darauffolgenden Jahr. Klammert man zudem die Effekte des Klimapakets und der temporären Mehrwertsteuersenkung (etwa −0,4 Prozentpunkte in diesem und +0,4 Prozentpunkte im kommenden Jahr) aus, zeigt sich, dass die Kernrate ohne diese Sondereffekte bei anderthalb Prozent verharrt. Dabei dürfte die Unterauslastung der Wirtschaft dem – ohnehin verhaltenen – Aufwärtstrend der vergangenen Jahre entgegenwirken.

Privater Verbrauch: Enorme Schwankungen

Der private Konsum ist derzeit außerordentlichen Schwankungen unterworfen. Durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie fielen zunächst der Einbruch und dann auch der Erholungsschub im Sommerhalbjahr zweistellig aus. Durch den neuerlichen Anstieg der Infektionszahlen wird der Verbrauch im Winterhalbjahr spürbar eingeschränkt werden und dann ab dem Jahreswechsel wieder kräftig zulegen. Es gibt aber auch deutliche Verschiebungen im Konsumverhalten.

Seit Beginn der Pandemie agieren die Menschen vorsichtiger – sie schränken soziale Kontakte ein und verbringen stattdessen mehr Zeit in den eigenen vier Wänden. Der Lockdown im März und April hat dies verstärkt, waren infolgedessen doch viele Tätigkeiten nahezu vollständig unterbunden, etwa in den Bereichen Sport und Unterhaltung. Zum Teil wurden wegfallende Leistungen, etwa des Gaststättengewerbes, in das häusliche Umfeld verlagert. So stiegen etwa die Ausgaben für Nahrungsmittel deutlich über ihr Vorkrisenniveau, während die Umsätze in Bereichen mit sozialen Kontakten wie in der Gastronomie und im Beherbergungsgewerbe einbrachen (Abbildung 7).

Zudem entfalten auch staatliche Impulse vorübergehend deutliche Wirkung auf die Verbrauchsausgaben. So regt die von der Bundesregierung im Juni beschlossene temporäre Mehrwertsteuersenkung von Juli bis Dezember den Konsum an. Zunächst wird damit die allgemeine Kaufkraft merklich angekurbelt. Zudem werden insbesondere kostspielige Anschaffungen in Erwartung ab dem Jahreswechsel steigender Preise vorgezogen, was sich beispielsweise an den seit Juli deutlich gestiegenen Kfz-Umsätzen zeigt. Dies deckt sich mit den Erfahrungen aus dem Jahr 2006: In den Monaten vor der Anhebung der Mehrwertsteuer zum Jahresbeginn 2007 schlugen ebenfalls besonders in diesem Segment Ausgaben zu Buche, die dann aber in den folgenden Monaten fehlten. Analog vollzieht sich die Entwicklung voraussichtlich auch zum Jahreswechsel 2020/21. Den deswegen ausbleibenden Käufen in den ersten Monaten 2021 stehen aber Mehrausgaben an anderer Stelle gegenüber, denn durch den teilweisen Abbau des Solidaritätszuschlags stehen den Menschen zusätzliche Mittel zur Verfügung.

Der neuerliche Lockdown in den beiden letzten Monaten dieses Jahres wird den Aufholprozess des Konsums im vierten Quartal unterbrechen; ab dem kommenden Jahr dürfte sich dieser aber fortsetzen. Die Löhne steigen in der Summe nämlich wieder: Nach einem gut einprozentigen Rückgang verbleibt netto im kommenden Jahr ein Plus von dreieinhalb Prozent und im Jahr 2022 von gut vier Prozent. Mit der Rückführung der Kurzarbeit entfallen mit dem Kurzarbeitergeld zwar Sozialleistungen, die – vor allem im kommenden Jahr – kaum zulegen. In der Summe ziehen die Masseneinkommen aber wieder an. Da mit der Erholung der Wirtschaft auch die Einkommen aus selbstständiger Arbeit und Vermögen wieder zulegen, steigen in den kommenden beiden Jahren die verfügbaren Einkommen mit rund dreieinhalb Prozent spürbar.

Hinzu kommt, dass wieder ein größerer Teil für den Konsum verwendet wird beziehungsweise werden kann – die Sparquote dürfte von 16,4 deutlich auf 12,6 Prozent im kommenden Jahr sinken und im darauffolgenden Jahr das Niveau vom Vorkrisenjahr erreichen. Die dadurch freiwerdenden Mittel kurbeln den Konsum um zusätzliche viereinhalb beziehungsweise knapp zwei Prozentpunkte an. Bei wieder anziehender, wenngleich weiter moderater Teuerung bleibt unter dem Strich ein deutlicher Anstieg des realen privaten Verbrauchs um sieben Prozent im kommenden und vier Prozent im darauffolgenden Jahr, nach einem Rückgang um fünfeinhalb Prozent in diesem Jahr. Das Vorkrisenniveau übersteigt der Konsum voraussichtlich im zweiten Quartal des kommenden Jahres und damit vergleichsweise rasch.

Ausrüstungsinvestitionen: Rückstau löst sich, Unsicherheit bleibt

Nachdem die Anschaffungen von Maschinen, Geräten und Fahrzeugen im ersten Halbjahr einen empfindlichen Einbruch – gegenüber dem zweiten Halbjahr 2019 gaben diese um 15 Prozent nach – erlebten, folgte im dritten Quartal eine ebenso bemerkenswerte Erholung: Mit 16 Prozent zogen die Ausrüstungsinvestitionen so kräftig wie noch nie seit der Wiedervereinigung an. Insbesondere die stark gebeutelte Automobilindustrie konnte ihre Umsätze erheblich steigern: Sie verzeichnete ein Plus von über 70 Prozent im Vergleich zum Vorquartal und hat offenbar auch davon profitieren können, dass aufgeschobene gewerbliche Anschaffungen von Fahrzeugen, Investitionen in die Fahrzeugflotte von Leasinggebern und von Automobilvermietern im Sommer nachgeholt wurden. Auch in anderen Branchen füllten sich die Auftragsbücher zuletzt wieder.

Die zweite Pandemiewelle und der zweite Lockdown dürften die Investitionsgüterhersteller im aktuellen Quartal nicht so sehr treffen wie im Frühjahr, da Produktions- sowie Verkaufsstätten absehbar geöffnet bleiben, Lieferketten bislang ungestört funktionieren und sich Absatzmärkte zuletzt stabilisierten. Dennoch ist im Schlussquartal dieses Jahres nicht mit einer Fortsetzung der Erholung zu rechnen, die im Sommer besonders durch Nachholeffekte geprägt gewesen sein dürfte. Nun, da der Investitionsstau aufgelöst ist, dürften Unternehmen angesichts der erheblich geringeren Kapazitätsauslastung, weiterhin großen Unsicherheit hinsichtlich des Verlaufs der Pandemie und deren gesamtwirtschaftlichen Folgen wieder zurückhaltender agieren. Auch die deutlich geschrumpften Eigenkapitalpolster der Unternehmen werden die Investitionsbereitschaft wohl erheblich einschränken. Der ifo-Konjunkturtest zeigt im November bereits einen leichten Rückgang bei der Bewertung der Produktionstätigkeit und der Auftragslage. Auch das Geschäftsklima ging mit dem Beschluss der neuerlichen Einschränkungen des Geschäftsbetriebs etwas zurück. Ein starker Einbruch der Investitionen wie im Frühjahr zeichnet sich derweil aber nicht ab; sie dürften im vierten Quartal um zwei Prozent sinken. Im Jahresdurchschnitt dürften die Investitionen um 12,5 Prozent nachgegeben haben.

Die Erholung der Investitionstätigkeit wird durch diesen neuerlichen Rückschlag wohl nur zeitweise unterbrochen. Mit Abklingen der Pandemie und den Erfolgen in der Impfstoffentwicklung dürfte im Frühjahr auch die Investitionsneigung steigen. Darüber hinaus hoffen die Unternehmen mit dem Wechsel im Weißen Haus in den USA auf eine Entspannung der transatlantischen Beziehungen, was die Investitionsbereitschaft ebenfalls global stärken dürfte. Die Maschinen- und Anlagenbauer sowie die Hersteller von Kraftfahrzeugen zeigen sich daher vorsichtig optimistisch ob der Entwicklungen im kommenden Jahr. Eine bremsende Wirkung ist derweil vom drohenden harten Brexit zu erwarten. Insgesamt ist im Jahr 2021 mit einer positiven Dynamik zu rechnen, sodass die Ausrüstungsinvestitionen zum Jahresbeginn 2022 das Vorkrisenniveau wieder erreicht haben dürften.

Bauinvestitionen: Boom beendet – Flaute aber nur vorübergehend

Die Bauinvestitionen waren im Sommerhalbjahr in allen Bausparten rückläufig. Die Verunsicherung der Haushalte und Unternehmen und die daraus folgende Zurückhaltung bei den Neuaufträgen sorgten dafür, dass auch das dritte Quartal – insbesondere im Vergleich zur starken gesamtwirtschaftlichen Erholung – schwache Bauinvestitionen nach sich zog. Dies zeigen auch die Produktions- und Umsatzzahlen, die sich nach einem stetigen Aufwärtstrend und dem starken Jahresauftakt zuletzt nur schwach entwickelten. Dank des hohen Auftragsbestands blieb die Produktion im Bauhauptgewerbe zwar weitgehend stabil. Die kräftige Dynamik bei den Bauinvestitionen wurde durch die Corona-Pandemie aber ebenfalls erheblich gebremst.

Trotz der Rückgänge im zweiten und dritten Quartal bleibt der Wohnungsbau die zentrale Stütze der Bauinvestitionen (Tabelle 3). Nach einem Tief im Sommer, das vor allem aus einer schwachen Wertschöpfung im Ausbaugewerbe resultierte, waren Produktion und Kapazitätsauslastung mit beginnendem Herbst deutlich aufwärtsgerichtet. Auch die anstehende Anhebung der Mehrwertsteuer zum Jahreswechsel dürfte dazu führen, dass viele Bauende versuchen werden, Bauwerke oder zumindest Bauabschnitte noch dieses Jahr fertigzustellen. Maßgeblich für die Berechnung der Bruttopreise ist nicht der Zeitpunkt der Beauftragung, sondern der Zeitpunkt der Fertigstellung eines Bauwerks.

Tabelle 3: Reale Bauinvestitionen

Konstante Preise, Veränderung in Prozent

2019 2018 2019 2020 2021 2022
Anteile in Prozent Veränderungen gegenüber dem Vorjahr
Wohnungsbau 60,8 3,0 4,0 2,9 2,1 2,9
Nichtwohnungsbau 39,2 1,9 3,5 0,8 0,4 2,3
Gewerblicher Bau 26,8 1,1 2,4 −1,0 −1,8 2,1
Öffentlicher Bau 12,3 3,9 6,0 4,7 5,0 2,9
Bauinvestitionen 100,0 2,6 3,8 2,1 1,5 2,7
Ausrüstungen 4,4 0,5 −12,5 8,9 5,4

Quellen: Statistisches Bundesamt; DIW Wintergrundlinien 2020.

Allgemein bleibt die Nachfrage nach Wohnraum hoch. Starke Auftragseingänge und ein Überhang bei den Genehmigungen versprechen auch für das kommende Jahr weiterhin volle Auftragsbücher. Dazu dürften nicht zuletzt die Maßnahmen der Bundesregierung beitragen, die mit dem Baukindergeld den Eigenheimbau und mit Sonderabschreibungen den Geschosswohnungsbau anregt. Auch die Einkommenstransfers wie das Kurzarbeitergeld wirken stabilisierend. Darüber hinaus revidierten viele Banken die im Sommer kurzzeitig verschärften Kreditstandards und machten somit die ohnehin sehr günstigen Finanzierungbedingungen wieder attraktiver.infoVgl. Europäische Zentralbank (2020): The euro area bank lending survey – Third quarter of 2020 (online verfügbar). Das Geschäftsklima und die Geschäftserwartungen der Unternehmen im Wohnungsbau stiegen jüngst wieder.

Der Wirtschaftsbau bleibt derweil das Sorgenkind der Bauwirtschaft. Umsatzeinbrüche und Unsicherheit bei Industrie- und Dienstleistungsunternehmen führten in den Sommermonaten zu einer deutlichen Investitionszurückhaltung. Aktuell ist kaum eine Verbesserung der Lage zu erwarten. Zwar erholten sich die Auftragseingänge zum Ende des Sommers leicht, mit dem Einsetzen der zweiten Infektionswelle und dem folgenden Anstieg der Unsicherheit dürften Unternehmen ihre ohnehin deutlich geschmälerten Gewinne aber kaum in den Ausbau von Produktionskapazitäten oder andere längerfristige Bauprojekte investieren. Daher ist auch zu Beginn des kommenden Jahres eine geringe Dynamik angelegt, sodass sich der hohe Auftragsbestand, der die Bauunternehmen in diesem Jahr über Wasser hielt, sukzessive abbauen dürfte. Eine deutliche Steigerung der Investitionsbereitschaft ist erst dann zu erwarten, wenn die Risiken der Pandemie begrenzt, die Weltwirtschaft stabilisiert und somit die Rentabilität größerer Bauprojekte besser vorhersehbar ist.

Obwohl einige Großprojekte für einen vorübergehenden Auftrieb im öffentlichen Bau sorgten, kamen die im Konjunkturprogramm und anderweitig beschlossenen Maßnahmen und der angekündigte Investitionshochlauf bis jetzt erst wenig in der Bauwirtschaft an. Besonders die Kommunen waren in Anbetracht der schwachen ökonomischen Lage und rückläufigen Steuereinnahmen zuletzt zögerlich bei ihren Bauvorhaben. Investive Zuweisungen und die Entlastung der Kommunen durch Bund und Länder sowie vorgezogene Investitionsinitiativen dürften jedoch in den kommenden Monaten Planungsprozesse anstoßen und Projektaufträge nach sich ziehen, die sowohl im Tief- (Schienennetz und Breitbandausbau) als auch im Hochbau (Ganztagsschulen und Kitas) zu positiven Impulsen führen dürften. Somit ist hier ab dem kommenden Jahr mit kräftigen Zuwächsen zu rechnen, welche die Flaute im Wirtschaftsbau zumindest teilweise auffangen und die Bauwirtschaft stabilisieren dürften.

Die Mehrwertsteuersenkung, kombiniert mit der rückläufigen Nachfrage und geringen Kapazitätsauslastung, hat im dritten Quartal in allen Sparten für deutliche Preisrückgänge gesorgt. Die Dynamik dürfte sich im weiteren Verlauf wieder umkehren und besonders mit der Aufhebung der Mehrwertsteuersenkung im ersten Quartal 2021 eine Gegenbewegung erleben. Der Preisauftrieb dürfte jedoch vor allem im Wirtschaftsbau, parallel zur Nachfragentwicklung und zusätzlich bedingt durch die konstant niedrigen Öl- und Energiepreise, gedämpft bleiben.

Außenhandel: Zähe Erholung beim Export

Erwartungsgemäß konnte sich der deutsche Außenhandel im dritten Quartal kräftig erholen. Für das Exportplus von rund 18 Prozent zeichneten sich insbesondere die Ausfuhren von Investitionsgütern, vor allem Kraftwagen und -teile, verantwortlich. Allerdings lag der Gesamtwert aller deutschen Exporte im dritten Quartal noch immer mehr als drei Prozent unter dem Vorkrisenniveau vom Schlussquartal 2019, das Aufholpotenzial ist entsprechend hoch. Und auch in der relativen Bedeutung der Abnehmerländer hinterlässt die Pandemie ihre Spuren: China hat Frankreich als zweitgrößtes Exportziel abgelöst, die USA liegen noch auf dem ersten Platz. Diese Entwicklung ist einerseits auch der relativ schnellen Erholung Chinas nach dem Einbruch im Frühjahr geschuldet, während Europa die Wirtschaftsleistung im Herbst erneut drosseln muss. Anderseits beschleunigt die Corona-Pandemie damit lediglich einen Trend, der sich schon lange abzeichnet, nämlich den der steigenden Bedeutung Chinas für den deutschen Außenhandel.infoVgl. dazu in dieser Wochenberichtsausgabe auch den Abschnitt zu China im Bericht von Claus Michelsen et al. (2020): Weltwirtschaft: Erholung ausgebremst. DIW Wochenbericht Nr. 50, 931. Ob sich die alten Kräfteverhältnisse im Zuge einer Erholung der europäischen Wirtschaft im Jahr 2021 wiederherstellen, darf daher zumindest bezweifelt werden.

Trotz der jüngsten Erholung bei den Exporten dürften diese im vierten Quartal sinken. Die massiven Einschränkungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens in vielen Ländern dürften insbesondere im November spürbar belasten – wenngleich wohl in deutlich geringerem Maß als im Frühjahr. Denn anders als zu Beginn des Jahres können sich einige wichtige Abnehmerländer, darunter neben China auch die USA und Japan, besser behaupten. Solange aber der Euroraum und das Vereinigte Königreich ihre Ökonomien zur Eindämmung des Infektionsgeschehens einschränken müssen, werden die deutschen Ausfuhren davon gebremst. Allerdings zeigen die Erfahrungen aus dem Frühjahr auch, dass die Erholung im Zuge einer Lockerung dieser Maßnahmen schnell und kräftig ausfallen kann. Daher ist für die ersten beiden Quartale des kommenden Jahres mit deutlichen Zuwächsen zu rechnen, die dann im weiteren Verlauf des Prognosezeitraums abflachen.

Die Konsumbelebung im Zuge der schrittweisen Lockerung über die Sommermonate hat auch auf der Importseite für einen deutlichen Nachholeffekt gesorgt. Die Zuwachsraten fielen etwas kleiner aus als bei den Exporten, allerdings waren die Rückgänge im Frühjahr ebenfalls weniger stark. Vor allem die Nachfrage nach Dienstleistungen erlebte spürbaren Aufwind. Im Zuge der neuerlichen Einschränkungen dürften es abermals vor allem die Dienstleistungen sein, die im vierten Quartal empfindlich zurückgehen. Gleichzeitig dürften die Nachfrage und Verfügbarkeit von Waren angesichts offener Grenzen und der weitestgehend ungehinderten Tätigkeit des verarbeitenden Gewerbes zwar auch – aber weniger stark – sinken. Im weiteren Verlauf steigen die Importe, getrieben durch die Erholung beim Konsum, aber auch bei den Exporten, zunächst sehr kräftig. Hinzu kommt wohl im Sommerhalbjahr eine Belebung der Reisetätigkeit, die Dienstleistungsimporte erholen sich daher nach und nach.

Die Terms of Trade haben sich im dritten Quartal vor allem aufgrund der wiederansteigenden Ölpreise verschlechtert. Während die Exportpreise das dritte Quartal in Folge leicht nachgaben, stiegen die Importpreise deutlich. Dieser Trend dürfte sich auch im laufenden Quartal fortsetzen: Angesichts aktuell wieder anziehender Ölpreise werden die Importpreise kräftig anziehen und sich die Terms of Trade entsprechend verschlechtern. Dies schlägt sich 2021 auch im jahresdurchschnittlichen Vergleich nieder, im darauffolgenden Jahr dürften die Terms of Trade dann aber unverändert bleiben.

Öffentliche Finanzen: Rekorddefizit wird langsam zurückgeführt

Der gesamtstaatliche Finanzierungssaldo dürfte angesichts der finanzpolitischen Hilfs- und Konjunkturmaßnahmen deutlich ins Minus rutschen. Sinkende Steuereinnahmen und geringere Sozialbeiträge sowie steigende Sozialleistungen und Transfers dürften bei der hier prognostizierten konjunkturellen Entwicklung im Jahr 2020 zu einem gesamtstaatlichen Haushaltsdefizit in Höhe von 186 Milliarden Euro führen.

Die Lohnsteuereinnahmen sinken dieses Jahr in Folge des Kurzarbeitergeldes und des geringen Beschäftigungsaufbaus um knapp vier Prozent. Die Entwicklung der Unternehmenssteuern, das sind im Wesentlichen Körperschaft-, Gewerbe- und die veranlagte Einkommensteuer, ist insbesondere durch den Einbruch im ersten Halbjahr um mehr als 24 Prozent geprägt. Vor dem Hintergrund des zweiten Lockdowns, der die Unternehmensgewinne jedoch nicht mehr in dem Maße treffen dürfte wie im Frühjahr, werden die unternehmerischen Steuern wohl über das Gesamtjahr um 23 Prozent im Vorjahresvergleich sinken. Die Umsatzsteuereinnahmen werden wohl um fast zehn Prozent sinken, was zu einem großen Teil auf die Reduktion der Mehrwertsteuersätze zurückzuführen ist. In Summe werden die Steuereinnahmen wohl um gut achteinhalb Prozent im Vorjahresvergleich sinken. Im nächsten und übernächsten Jahr werden die Steuern bei dem unterstellten konjunkturellen Verlauf für ein Einnahmeplus von knapp acht Prozent beziehungsweise sechs Prozent im Jahr 2022 in den öffentlichen Kassen sorgen. Ein kräftigerer Anstieg wird allerdings auch durch die erwarteten Mindereinnahmen in Höhe von rund 9,2 (2021) beziehungsweise 10,6 (2022) Milliarden Euro infolge des teilweisen Abbaus des Solidaritätszuschlags verhindert (Tabelle 4).

Tabelle 4: Finanzpolitische Maßnahmen1

Belastungen (−) und Entlastungen (+) des gesamtstaatlichen Haushalts in Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr

2020 2021 2022
Einnahmen der Gebietskörperschaften2
Teilabschaffung Soli −9,2 −1,4
Alterseinkünftegesetz −1,3 −1,3 −1,4
Mehreinnahmen durch steigende Rentenbesteuerung 0,4 0,4 0,4
Erhöhung Grund-, Kinderfreibetrag, Verschiebung Tarifeckwerte/Familienentlastungsgesetz −4,5 −0,8 −0,2
Zweites Familienentlastungsgesetz −3,8 −4,4
Erhöhung der Behinderten-Pauschbeträge und Anpassung weiterer steuerlicher Regelungen −0,2 −0,9
Sonstige steuerliche Maßnahmen3 −4,9 −0,1 0,2
Steuerliche Förderung von F&E-Ausgaben −0,1 −1,2 −0,1
Steuerliche Förderung Mietwohnungsneubau −0,1 0
Paritätische Finanzierung des Zusatzbeitrags zur gesetzlichen Krankenversicherung 0,3 0 0
CO2-Bepreisung in Verkehr und Wärme (Beschluss des Klimakabinetts) 7,7 1,3
Zusätzliche Maßnahmen (Beschluss des Klimakabinetts) −0,4 −0,2 −0,2
Einnahmen der Sozialversicherungen
Anstieg des durchschnittlichen Zusatzbeitrags in der gesetzlichen Krankenversicherung 2,3 0,0
Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung um 0,1 Prozentpunkt zum 1. Januar 2020 −1,2 0 0
Ausweitung der Gleitzone (Midijobs) zum 1. Juli 2019 −0,2 0 0
Einführung eines Freibetrags in der gesetzlichen Krankenversicherung für Betriebsrentner zum 1. Januar 2020 −1,2 0 0
Ausgaben der Gebietskörperschaften
Kindergelderhöhung um 10 bzw. 15 Euro zum 1. Juli 2019 und 1. Januar 2021 −1,0 −2,8 0
Bundesteilhabegesetz für Menschen mit Behinderung −0,3 0 0
Einsparungen bei ALG II durch das Familienentlastungsgesetz bzw. Kindergeldanhebung 0,1 0,2 0
Gute KiTa-Gesetz −0,5 −1 −0,5
Beihilfen aufgrund von Ernteausfällen von Bund und Ländern 0,2 0 0
„Bauernmilliarde“ −0,3 −0,1 0,1
Arbeit-von-morgen-Gesetz 0 −0,1 −0,1
Pflegebonus −0,5 0,5 0
Senkung EEG-Umlage −5,4 0
Weitere sozialpolitische Maßnahmen4 −2 −0,5 0
Verteidigung −1 0 0
Mehrausgaben für Entwicklungshilfe −0,2 0,7 0
Mehrpersonal innere Sicherheit −0,3 −0,3 0
Aufstockung des BAFöG, Aufstiegsfortbildung in der beruflichen Bildung −0,4 −0,2 0
Investive Ausgaben GroKo 20185 −5,6 –5,9 −2,1
Sonstige investive Ausgaben −1,0 0,5 0,5
Ausgaben der Sozialversicherungen
Gesetz für fairen Kassenwettbewerb in der GKV −0,3 0 0
Qualifizierungschancengesetz (ALV) −0,4 0 0
Arbeit-von-morgen-Gesetz −0,2 −0,2
Anpassung der Renten Ost −0,5 −0,4 −0,4
Erhöhung der Zurechnungszeit der Erwerbsminderungsrente −0,1 −0,1 −0,1
Grundrente −1,4 0
Gesundheits- und pflegepolitische Maßnahmen6 −1 −1,3 0
Finanzpolitische Maßnahmen −28,2 −24,3 −9,5
Finanzpolitische Corona-Maßnahmen −122,9 64,3 41,0
Insgesamt −151,1 40,3 31,5
In Relation zum Bruttoinlandsprodukt in Prozent −4,6 1,1 0,9

1 Ohne makroökonomische Rückwirkungen.

2 Die Wirkungen der Steuerrechtsänderungen beziehen sich auf das Kassenjahr.

3 u.a. Steuerliche Absetzbarkeit Erhöhung des PV-Beitrags, Bürokratieentlastungsgesetz.

4 u.a. Bundesteilhabegesetz für Menschen mit Behinderung, Baukindergeld (inkl. Bayrische Eigenheimzulage und Baukindergeld Plus), Erhöhung des Wohngelds (einschließlich Klimapaket), Starke-Familien-Gesetz, Teilhabechancengesetz, Angehörigenentlastungsgesetz.

5 u. a. Fonds zur Förderung der künstlichen Intelligenz, Bayirsches Programm zur Förderung der Automobilindustrie, Erhöhter „Umweltbonus“ für Elektroautos, Sofortprogramm „Saubere Luft“, Digitalpakt Schule, Ausbau Bahnstrecke.

6 Konzertierte Aktion Pflege, Pflegepersonalstärkungsgesetz, Terminservice- und Versorgungsgesetz und Krankenhausstrukturgesetz.

Quellen: Bundesregierung, Bundesministerium der Finanzen; DIW Wintergrundlinien 2020.

Die Sozialbeiträge steigen wohl leicht um 1,4 Prozent. Zwar würden die schwache Lohn- und Beschäftigungsentwicklung sowie Beitragssenkungen in der Arbeitslosenversicherung und die Einführung eines Freibetrags bei der gesetzlichen Krankenversicherung die Sozialbeiträge tendenziell senken. Dem entgegen wirken die stark gestiegenen Kurzarbeitergeldzahlungen, mit denen steigende Beitragszahlungen einhergehen. Im nächsten und übernächsten Jahr dürften die Sozialbeiträge dann wieder stärker steigen, zum einen wegen der Anhebung des Zusatzbeitrags bei der gesetzlichen Krankenversicherung, zum anderen wegen der wieder anziehenden Lohndynamik.

Alles in allem sinken die gesamtstaatlichen Einnahmen in diesem Jahr um gut vier Prozent. Im nächsten und übernächsten Jahr dürften die Einnahmen dann wieder deutlich um nahezu fünf Prozent steigen.

Die Dynamik der Ausgabenkomponenten ist insbesondere durch die Soforthilfe- und Gesundheitsmaßnahmen während des ersten und zweiten Lockdowns sowie den Ausgaben im Rahmen des im Juni beschlossenen Konjunkturprogramms getriebeninfoVgl. Clemens, Junker und Michelsen (2020), a.a.O. (Tabelle 5).

Tabelle 5: Finanzpolitische Maßnahmen im Zuge der Corona-Krise

Belastungen (−) und Entlastungen (+) des gesamtstaatlichen Haushalts in Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr

2020 2021 2022
Finanzpolitische Maßnahmen
Bund
Staatliche Beschaffung von Schutzprodukten −3,5 3,5
Krankenhausfinanzierungsgesetz −11,5 11,5
Impfstoffforschung, Nationales Forschungsnetzwerk Corona −0,3 −0,3
Solidaritätsfonds: Zuschuss an Soloselbstständige und Kleinstbetriebe −15,0 15,0
Entschädigung für Verdienstausfall bei Kita- und Schulschließung −3,2 3,2
Konjunkturprogramm (ohne Überbrückungshilfen) −44,0 −4,0 31,0
Überbrückungshilfen (I+II+III) −2,0 −8,0 10,0
November- und Dezemberhilfen –20,0 7,0 13,0
Länder
Globale Mehrausgaben (u.a. Zuschüsse, Gesundheitsausgaben) −10,0 10,0
Corona-Pflegebonus −0,4 0,4
Sozialversicherungen
Ausweitung Kurzarbeitergeld (inkl. SozialschutzPaket) −14,5 11,0 3,5
Verlängerung Anspruchsdauer Arbeitslosengeld −1,0 0,6 0,4

Quellen: Finanzministerien der Länder; Bundesfinanzministerium; Bundesgesundheitsministerium; DIW Wintergrundlinien 2020.

Die ohnehin schon hohe Grunddynamik bei den Vorleistungskäufen wird durch zusätzliche Ausgaben für Beatmungsgeräte, Schutzkleidungen und weitere medizinische Ausstattungen aus dem Soforthilfeprogramm verstärkt, so dass die Vorleistungen in diesem Jahr insgesamt sehr dynamisch um 13 Prozent wachsen.infoDiese werden dann wohl haushalterisch vom Bund unentgeltlich in Form von Vermögenstransfers an private Kliniken und Krankenhäuser weitergegeben und entsprechend auf der Einnahmeseite gegengebucht. Im nächsten Jahr dürfte die medizinische Ausstattung wieder verstärkt von den Kliniken direkt gekauft und über die sozialen Sachleitungen abgerechnet werden, sodass daraus ein leichter Rückgang resultiert. Allerdings kommen in den nächsten Jahren bis 2024 schätzungsweise rund zwei Milliarden jährlich aus dem Konjunkturprogramm hinzu, unter anderem für weitere Ausgaben im Gesundheitsbereich, aber auch Vorleistungskäufe bei den investiven Ausgaben. Dementsprechend dürfte auch im nächsten und übernächsten Jahr mit weiteren Zuwächsen bei den Vorleistungen zu rechnen sein.

Bei den sozialen Sachleistungen sind in diesem Jahr deutlich geringere Zuwachsraten zu erwarten, weil beispielsweise nicht notwendige Operationen verschoben und Rehabilitationsmaßnahmen und andere gesundheitliche Dienstleistungen ganz ausgesetzt werden. Anders als im Frühjahr 2020, als die Krankenhäuser Kapazitäten für Covid-19-PatientInnen freigehalten haben, die nicht genutzt wurden, dürfte dieser Effekt im Winter nicht zu erwarten sein. Die Krankenhauskapazitäten sind vielerorts nämlich voll ausgelastet. Insgesamt ergibt sich dadurch für die sozialen Sachleistungen über das Jahr gerechnet ein Anstieg von gut zwei Prozent. Der dennoch aufgestaute Nachholbedarf dürfte sich insbesondere im kommenden Jahr zeigen und in kräftigeren Zuwachsraten von rund sieben im nächsten beziehungsweise knapp vier Prozent im übernächsten Jahr resultieren.

Die Lohn- und Beschäftigungsentwicklung im öffentlichen Dienst ist in diesem Jahr aufgrund der bestehenden Tarifabschlüsse sowie dem Beschäftigungsaufbau mit 4,4 Prozent noch recht kräftig gewesen. Allerdings werden die Lohnsteigerungen bei den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes im nächsten Jahr auch wegen der knapperen Kassenlage mit etwas über zwei Prozent verhaltener ausfallen.

Die monetären Sozialleistungen werden im Jahr 2020 dynamisch, um neun Prozent, zulegen, nicht nur wegen der höheren Auszahlungen für Kurzarbeitergeld und der verlängerten Bezugsdauer von Arbeitslosengeld, sondern auch wegen des im Konjunkturprogramm beschlossenen Kinderbonus, der im zweiten Halbjahr 2020 ausgezahlt wird. Im nächsten Jahr sorgen zwar die Erhöhung des Kindergeldes um 15 Euro zum 1. Januar sowie die Einführung der Grundrente für eine Erhöhung der Auszahlungen. Allerdings werden die besseren Aussichten auf dem Arbeitsmarkt im nächsten Jahr zu deutlich geringeren Transferzahlungen führen. Auch die Rentenanpassungen werden im Zuge der fehlenden Lohndynamik wohl deutlich geringer ausfallen, so dass die monetären Sozialleistungen in den kommenden beiden Jahren kaum merklich zunehmen.

Der größte Anstieg zeigt sich bei den Subventionen: Hier fließen nicht nur die zusätzlichen Ausgaben des im vergangenen Jahr beschlossenen Klimaschutzpakets ein, sondern auch die im Frühjahr beschlossenen Zuschüsse an Soloselbstständige und Kleinstunternehmen in Höhe von rund 20 Milliarden Euro von Bund und Ländern (Solidaritätsfonds) sowie die im Winter 2020 beschlossenen November- beziehungsweise Dezemberhilfen in Höhe von zusammen etwa 33 Milliarden Euro, von denen bis jetzt knapp zwei Milliarden Euro beantragt und die zu einem Teil erst im nächsten Jahr ausgezahlt werden können. Auch die Überbrückungshilfen, die mittlerweile bis Mitte 2021 verlängert wurden (Überbrückungshilfen III), würden hier prinzipiell eingehen. Allerdings sind nach aktuellem Stand erst rund zwei Milliarden seit ihrer Einführung im Sommer beantragt. Auch weil betroffene Unternehmen im zweiten Lockdown wohl die weniger restriktiven und höheren November- beziehungsweise Dezemberhilfen beantragen, wird ein Teil der Überbrückungshilfen aller Voraussicht nach erst im Jahr 2021 abgerufen. Nichtsdestotrotz verdreifachen sich die Subventionen. Im nächsten Jahr dürfte die Dynamik bei den Subventionen im Wesentlichen davon abhängen, in welchem Maße die „Überbrückungshilfen III“ abgerufen werden und damit von der pandemischen Situation. Obwohl die Zugangskriterien für diese Überbrückungshilfen gelockert wurden, dürfte ein vollständiger Abruf der Mittel bis Mitte 2021 wohl nur bei einer weiterhin nicht kontrollierbaren Infektionslage wahrscheinlich sein. Es wird deshalb im Einklang mit dem unterstellten Pandemieszenario angenommen, dass im Jahr 2021 rund zehn Milliarden Euro abfließen werden. Darüber hinaus setzt der Bund im kommenden Jahr mit rund elf Milliarden Euro die EEG-Umlage für Unternehmen aus. Alles in allem fallen dann etwa 30 Prozent der Subventionen weg. Im Jahr 2022 dürften die Subventionen infolge eines erneuten Auslaufens der Maßnahmen in erneut dieser Größenordnung sinken.

Auch die Entwicklung der Vermögenstransfers ist coronabedingt in diesem Jahr mit rund 21 Prozent dynamisch, größtenteils wegen der im Zukunftspaket des Konjunkturprogramms beschlossenen Investitionszuschüsse. Im nächsten Jahr steigen sie deshalb um weitere acht Milliarden Euro, ehe sie dann im Jahr 2022 technisch bedingt wohl wieder zurückgehen.

Die Entwicklung bei den staatlichen Bruttoinvestitionen dürfte, mit leichten Abschlägen in diesem Jahr, der recht dynamischen Entwicklung der vergangenen Jahre folgen. Ursachen für die recht stabile Entwicklung der öffentlichen Investitionen könnten einerseits im Vorziehen von Ausrüstungsinvestitionen sowie im Ausgleich coronabedingter Defizite bei den Gemeinden im Rahmen des Konjunkturprogramms begründet liegen, die dadurch ihre Investitionsaktivitäten weiterhin aufrechterhalten konnten. In den nächsten Jahren dürfte die öffentliche Investitionstätigkeit auch durch die Maßnahmen des Zukunftspakets weiterhin recht hoch sein. So sind Bruttoinvestitionen in Höhe von rund elf Milliarden Euro, beispielsweise für den Ausbau von Ganztagesschulen und Kitas und der digitalen Infrastruktur, geplant. Hinzu kommen Maßnahmen zur Schaffung finanzieller Spielräume für Gemeinden, beispielsweise ein jährlicher Zuschuss in Höhe von einer halben Milliarde Euro zur Förderung strukturschwacher ostdeutscher Regionen. Es wird deshalb angenommen, dass die Investitionstätigkeit der Gemeinden weiterhin dynamisch bleibt, auch weil der Bedarf insbesondere in den Bereichen Bildung, Erziehung, Klimaschutz und Digitalisierung weiterhin hoch ist.infoSiehe Heike Belitz et al. (2020): Mit Investitionen und Innovationen aus der Corona-Krise, DIW Wochenbericht Nr. 24, 442–451 (online verfügbar); Sebastian Dullien et al. (2020): Weiter Denken: ein nachhaltiges Investitionsprogramm als tragende Säule einer gesamtwirtschaftlichen Stabilisierungspolitik. DIW Politikberatung kompakt Nr. 151 (online verfügbar). In Summe dürften die gesamtstaatlichen Investitionen im nächsten Jahr damit um rund acht Prozent steigen. Im Jahr 2022 dürfte die Dynamik dann auch durch die vorgezogenen Investitionen abflachen.

Insgesamt dürften die Ausgaben im Jahr 2020 damit um elf Prozent zunehmen und zu einem gesamtstaatlichen Defizit von rund 186 Milliarden Euro führen. Auch im nächsten und übernächsten Jahr wird wohl noch mit einem deutlichen Minus in Höhe von gut 146 beziehungsweise 78 Milliarden Euro zu rechnen sein. Bereinigt man den Finanzierungssaldo um Konjunktur- und EinmaleffekteinfoDurch die Nicht-Klassifizierung als Einmaleffekt der vorübergehenden Corona-Maßnahmen lässt sich anhand des strukturellen Finanzierungssaldos nicht die langfristige Ausrichtung der Finanzpolitik ablesen., so liegt der strukturelle Finanzierungssaldo dieses Jahr bei rund 96 Milliarden Euro. Im nächsten und übernächsten Jahr dürfte er dann bei rund 115 und 81 Milliarden Euro liegen. Der Bruttoschuldenstand des Gesamtstaates in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt wird unter Berücksichtigung des hohen Defizits und der damit verbundenen Neuverschuldung sowie der zusätzlichen Kredite und Beteiligungen von angenommen rund 90 Milliarden Euro in diesem Jahr auf gut 69 Prozent steigen (Tabelle 6). Da das nominale Bruttoinlandsprodukt im nächsten Jahr wieder stark wächst, dürfte die Bruttoschuldenstandsquote trotz hoher Neuverschuldung nur in verhältnismäßig geringem Maße auf knapp 71 Prozent steigen. Im übernächsten Jahr wird sie dann wohl zurückgehen.

Tabelle 6: Ausgewählte finanzpolitische Indikatoren1

In Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt in Prozent

Staatseinnahmen Staatsausgaben Finanzierungssaldo Nachrichtlich: Zinssteuerquote2 Staatsschuldenquote nach Maastricht
insgesamt darunter: insgesamt darunter:
Steuern Sozialbeiträge Zinsausgaben Bruttoinvestitionen
2011 44,4 22,3 16,4 45,2 2,5 2,3 −0,9 11,2 80
2012 44,9 22,9 16,6 44,9 2,3 2,2 0,0 10,1 81
2013 45,0 23,0 16,6 44,9 1,8 2,2 0,0 8,0 79
2014 44,9 22,8 16,5 44,3 1,6 2,1 0,6 7,1 76
2015 45,1 23,1 16,6 44,1 1,4 2,1 1,0 6,0 72
2016 45,5 23,4 16,7 44,4 1,2 2,2 1,2 5,1 69
2017 45,6 23,5 16,9 44,2 1,0 2,2 1,4 4,4 65
2018 46,3 23,9 17,1 44,5 0,9 2,3 1,8 3,9 62
2019 46,7 24,0 17,3 45,2 0,8 2,5 1,5 3,3 60
2020 46,5 22,8 18,3 52,1 0,7 2,8 −5,6 3,2 69
2021 45,8 23,0 17,5 49,9 0,6 2,8 −4,1 2,5 71
2022 45,9 23,4 17,4 48,0 0,5 2,8 −2,1 2,2 69
2022/2019 46,2 23,3 17,6 48,8 0,7 2,7 −2,6 2,8 67

1 In der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen.

2 Zinsausgaben des Staates in Relation zum Steueraufkommen.

Quellen: Statistisches Bundesamt, DIW Wintergrundlinien 2020.

Allerdings existieren viele Risiken: Eine vollständige Inanspruchnahme der Überbrückungshilfen III, die Aufnahme von zusätzlichen Krediten und weiteren Beteiligungen an Unternehmen im Rahmen des Wirtschaftsstabilisierungsfonds sowie steigende Insolvenzzahlen und die damit verbundenen Bürgschaftsverpflichtungen des Bundes können – vollständig eingerechnet – die Bruttoschuldenstandsquote um rund fünf Prozentpunkte erhöhen. Im Gegenzug kann es aber bei einer schnellen wirtschaftlichen Erholung auch schon zu ersten Kreditrückzahlungen kommen. Insgesamt dürfte man – Stand jetzt – von einer deutlich geringeren Bruttoschuldenstandsquote als noch infolge der Finanzkrise 2008/09 ausgehen.

Laura Pagenhardt

Doktorandin in der Abteilung Makroökonomie



JEL-Classification: E32;E66;F01
Keywords: Business cycle forecast, economic outlook
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-50-3

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/229633

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