DIW Wochenbericht 37 / 2021, S. 640
Stefan Bach, Sebastian Eichfelder
get_appDownload (PDF 84 KB)
get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF 3.86 MB)
Die steigende Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen befeuert im Wahlkampf die Debatten zur Verteilung der Steuerbelastungen. Wie die OECD regelmäßig zeigt, ist Deutschland im internationalen Vergleich „Weltmeister“ bei der Belastung von Arbeitseinkommen mit Steuern und Abgaben, aber bei der Besteuerung von Vermögen eher ein Niedrigsteuerland. Vermögenszuwächse und Spekulationsgewinne sind hierzulande steuerlich stark privilegiert oder werden gar nicht besteuert.
Wie die Ungleichheit bekämpft werden soll, ist umstritten. Während Union und FDP vor allem auf Bildungspolitik und Wirtschaftswachstum setzen und in ihren Wahlprogrammen insbesondere Unternehmen und vermögende PrivatinvestorInnen weiter steuerlich entlasten wollen, fordern SPD, Grüne und Linke höhere Spitzensteuersätze bei der Einkommensteuer und die Wiedereinführung einer Vermögensteuer.
Sträflich vernachlässigt werden in der Debatte Steuerreformoptionen, bei denen sich Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit miteinander verbinden lassen. Dies betrifft insbesondere die zahlreichen Privilegien bei der Immobilienbesteuerung. Von diesen Privilegien profitieren fast ausschließlich vermögende Bevölkerungsschichten. Zugleich kommt es durch diese Steuerprivilegien zu Fehlanreizen und Verzerrungen des Immobilienmarktes. Anders als international üblich werden Spekulationsgewinne aus Immobilen in Deutschland nur dann besteuert, wenn die Immobilien nach weniger als zehn Jahren veräußert werden. Bei selbstgenutzten Immobilien verkürzt sich diese Frist effektiv auf drei Jahre. Dies hat besonders fragwürdige Wirkungen bei vermieteten Immobilien, die in Deutschland fast ausschließlich von den reichsten zehn Prozent der Bevölkerung gehalten werden.
Während die InvestorInnen ihre Anschaffungs- und Erhaltungskosten über Abschreibungen und Werbungskosten steuerlich geltend machen können, sind spätere Veräußerungsgewinne regelmäßig steuerfrei. Dies führt in Verbindung mit den derzeit niedrigen Fremdkapitalzinsen und den Wertsteigerungen bei Immobilien zu hohen und weitgehend steuerfreien Renditen. Dies liegt vor allem an den Abschreibungen (immerhin 2,0 bis 2,5 Prozent der auf den Gebäudeanteil entfallenden Investition pro Jahr) und am steuerfreien Veräußerungsgewinn. Und bei hohen Immobilienpreisen – etwa einem Verhältnis von Kaufpreis zur Nettokaltmiete über 30, wie heute in Ballungsräumen durchaus üblich – kann sich sogar eine negative Steuerbelastung ergeben, weil die steuerlichen Abschreibungen die Nettokaltmieten überschreiten. Die durchaus rentable Investition generiert dann steuerliche Verluste. Die spätere Wertsteigerung ist ja steuerfrei.
Bei den richtig Reichen geht noch deutlich mehr, wenn Immobilien in eine GmbH eingelegt werden, und noch mehr, wenn die Objekt-GmbH wiederum von einer Holding-GmbH gehalten wird. Dann fallen auch bei einer Veräußerung der Objekt-GmbH unabhängig von der Haltedauer nur 1,5 Prozent Steuerbelastung auf den Veräußerungsgewinn an. Dies hat zusätzlich den Charme, dass man bei einer Veräußerung von weniger als 90 Prozent der Anteile auch die komplette Grunderwerbsteuer sparen kann. Die Grundsteuer liegt in Deutschland nur bei einem Bruchteil der Belastungen vieler westlicher Länder. Und bei der Erbschaftsteuer können weiterhin Immobilienbestände von mindestens 300 Wohneinheiten als Betriebsvermögen steuerfrei übertragen werden.
Das deutsche Steuerrecht privilegiert also Investitionen in Immobilien massiv. Hochvermögende investieren entsprechend in Immobilienbesitz, was die Vermögenskonzentration verschärft und die Ressourcenallokation verzerrt. Unter den steuerlichen Spekulationsfristen leidet die Liquidität des Immobilienmarkts, da Spekulationsobjekte vom Markt ferngehalten werden. Durch Beseitigung dieser Steuerprivilegien würden jährlich bis zu 27 Milliarden Euro Mehreinnahmen entstehen. Damit könnten Steuern und Sozialbeiträge der Mittelschichten gesenkt oder Zukunftsinvestitionen finanziert werden. Dies würde die Gerechtigkeit und Effizienz des Steuersystems deutlich verbessern.
Koautor: Sebastian Eichfelder, Professor für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.
Der Beitrag ist in einer längeren Fassung am 13.9.2021 in der Süddeutschen Zeitung erschienen.
Themen: Verteilung, Ungleichheit, Steuern, Märkte, Immobilien und Wohnen
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-37-4
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/245810