Medienbeitrag vom 19. Oktober 2021
Die Riester-Rente erreicht ihre wichtigste Zielgruppe nicht. Wenn sie wesentlicher Bestandteil der Altersvorsorge in Deutschland bleiben soll, ist eine umfassende Reform nötig. Ein Gastbeitrag von Johannes Geyer, Markus M. Grabka und Peter Haan vom DIW Berlin.
Laut Angaben des sozio-oekonomischen Panels (SOEP) besitzen im Jahr 2020 rund 12,9 Millionen Personen einen Riester-Rentenvertrag (siehe Tabelle). Dies entspricht einem Anteil von 25,3 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (17 bis einschließlich 65 Jahre). Im Vergleich zu den Informationen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), die 16,4 Millionen Verträgen angeben, wird in den SOEP-Daten eine etwas geringere Zahl von Verträgen berichtet.
Dies kann einerseits darauf zurückgeführt werden, dass in den Angaben des BMAS die Zahl der Verträge gezählt wird, eine Person aber mehrere solcher Verträge halten kann. Zum anderen dürften Befragte, die einen Riester-Vertrag nicht mehr aktiv besparen, eher vergessen, diesen bei einer entsprechenden Frage anzugeben. Zudem könnte es sein, dass Personen, die die Kriterien für eine staatliche Förderung zum Zeitpunkt der Befragung nicht erfüllen, ihren Vertrag nicht angeben.
Frauen haben mit 28 Prozent häufiger einen Riester-Vertrag abgeschlossen als Männer (rund 23 Prozent). Dies ist mit der Förderstruktur des Instruments zu erklären, da die Kinderzulagen den Abschluss eines Vertrages attraktiver machen und häufiger von Frauen genutzt werden. Entsprechend steigt auch der Anteil der Riester-SparerInnen mit der Zahl der Kinder. Junge Erwachsene bis 25 Jahren weisen eine geringe Quote auf, da sie sich häufig noch in Ausbildung befinden.
Die höchste Quote mit rund einem Drittel wird für die Altersgruppen der 36 bis 55-Jährigen erreicht. In der ältesten Altersgruppe (56 bis 65 Jahre) sinkt der Anteil der Riester-SparerInnen wieder auf gut 21 Prozent ab. Da ledige Personen häufig eher jünger sind, ist ihre Quote mit rund 19 Prozent ebenfalls unterdurchschnittlich. Aber auch Geschiedene und Verwitwete weisen eine unterdurchschnittliche Abschlussquote auf. Nach Region gibt es kaum Unterschiede. Anders verhält es sich mit dem Migrationshintergrund: Personen mit direktem Migrationshintergrund nutzen mit rund 15 Prozent deutlich seltener Riester-Verträge als die autochthone Bevölkerung (28 Prozent).
Dieser Gastbeitrag von Johannes Geyer, Markus Grabka und Peter Haan ist am 19.10.2021 in "Das Investment" erschienen.
Im Hinblick auf das Bildungsniveau zeigt sich, dass vor allem Personen mit einem Fachhochschulabschluss Riester-Renten abschließen – etwa 36 Prozent. Je höher die berufliche Position, desto häufiger wird ein Riester-Vertrag gehalten. So haben beispielsweise 42 Prozent der Angestellten mit umfassenden Führungsaufgaben einen Riester-Vertrag – aber nur 11 Prozent der ungelernten ArbeiterInnen. Unter Arbeitslosen liegt die Verbreitung bei nur 10 Prozent. Zudem sinkt unter ihnen die Quote der Riester-SparerInnen mit der Länge der Arbeitslosigkeit.
Das deutet darauf hin, dass die Höhe des Einkommens die Verbreitung wesentlich erklärt. Dies spiegelt sich auch mit Blick auf die Höhe des laufenden Bruttoerwerbseinkommens aus einer Haupttätigkeit wider. Unterteilt nach Dezileninfo ist erkennbar, dass GeringverdienerInnen unterdurchschnittlich häufig Riester-SparerInnen sind. Ab dem fünften Dezil liegt die Quote der Riester-SparerInnen bei etwa einem Drittel. Zudem finden sich auch Unterschiede nach der Wohnsituation: EigentümerInnen einer selbstgenutzten Immobilie besitzen mit knapp 31 Prozent deutlich häufiger einen Riester-Vertrag als MieterInnen (20 Prozent).
Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, wie sich der Anteil der Riester-SparerInnen nach der Einkommensposition über die Zeit entwickelt hat. Hierzu wird das bedarfsgewichtete Haushaltsnettoeinkommen anstatt des Bruttoerwerbseinkommens herangezogen, da ersteres die finanzielle Lage eines Haushalts besser beschreibt. Zudem ist zu beachten, dass auch Personen ohne einen aktuellen Lohn mittels Riester-Rente für das Alter vorsorgen können. Betrachtet werden die Jahre ab 2004, dem ersten Jahr, in dem Informationen zu Riester-Verträgen im SOEP erhoben werden.
Es werden Quintile des Haushaltsnettoeinkommens ausgewiesen. Diese erhält man, wenn man die Bevölkerung nach der Höhe des Einkommens sortiert und in fünf Gruppen gleicher Größe einteilt. Das erste Quintil beschreibt die Einkommenssituation der einkommensschwächsten 20 Prozent der Bevölkerung.
Nach der Einführung der Riester-Rente zum 1. Januar 2002 entwickelte sich für alle Einkommensgruppen eine spürbare Dynamik. Zwischen 2004 und 2010 hat sich der Anteil der Riester-SparerInnen insgesamt von knapp acht auf 25 Prozent mehr als verdreifacht. Seitdem stagniert der Anteil der Riester-SparerInnen jedoch auf diesem Niveau (Abbildung 1). Jedoch gab es schon von Beginn an große Unterschiede zwischen den Einkommensgruppen. Denn je niedriger die Einkommensposition ist, desto geringer ist der Anteil der Riester-SparerInnen. Dieses Muster hat sich über die Zeit deutlich verstärkt. 2020 betrug die entsprechende Quote nur noch etwa 13 Prozent im untersten Quintil im Vergleich zu knapp 32 Prozent im obersten Quintil.
Die vorliegenden Befunde zeigen zum einen, dass die Verbreitung der Riester-Rente mit gerade einmal einem Viertel an der erwerbsfähigen Bevölkerung weit hinter den ursprünglichen Erwartungen zurückgeblieben ist und damit die sich aufgetanen Lücken in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht annähernd schließen kann. Zum anderen zeigt sich das sozialpolitische Problem, dass gerade niedrige Einkommensgruppen die staatlich geförderte Altersvorsorge kaum wahrnehmen, obwohl bei dieser Bevölkerungsgruppe ein dringender Handlungsbedarf besteht, um künftiger Altersarmut zu begegnen.
Seit Einführung der Riester-Rente im Jahr 2002 sind knapp 20 Jahre vergangen, in denen mit dieser Sparform für das Alter vorgesorgt werden konnte. Daher lohnt sich auch ein Blick auf diejenigen Personen, die bereits eine Riester-Rente beziehen. Noch ist der Bestand an Riester-Renten relativ klein. Im Jahr 2020 bezogen nach Angaben des SOEP hochgerechnet rund 300.000 Personen eine Rente aus einem Riester-Vertrag. Deren durchschnittliche monatliche Bruttorente aus dem Riestervertrag belief sich auf 83 Euro (Abbildung 2).
Der Wert des Median fällt mit 60 Euro pro Monat geringer aus. Auch bei der Gruppe der RentenbezieherInnen sind Unterschiede zwischen den Einkommensgruppen erkennbar, da im ersten Einkommensquintil nur eine Rente in Höhe von etwas mehr als 50 Euro, im obersten Quintil dagegen mehr als 100 Euro aus einer Riester-Rente bezogen werden.
Dies spiegelt sich auch beim Bildungsniveau, da RentenbezieherInnen ohne beruflichen Bildungsabschluss nur knapp 40 Euro Riester-Rente erhalten gegenüber rund 80 Euro bei denen mit einem formalen Bildungsabschluss. Männer erhalten mit rund 100 Euro annähernd doppelt so hohe Riester-Renten wie Frauen mit einem Wert von 55 Euro. Unterschieden nach Region zeigt sich, dass in Ostdeutschland die Bruttorente aus einem Riester-Vertrag mit rund 90 Euro leicht höher liegt als in Westdeutschland mit rund 80 Euro. Bezüglich der Wohnform finden sich keine relevanten Unterschiede.
Von Interesse ist auch, wie hoch der Anteil der Riester-Rente an allen eigenen Alterseinkommen ist. Diese Quote liegt gemessen am Mittelwert gerade einmal bei rund 5 Prozent – gemessen am Median sogar nur bei 4 Prozent. Das bedeutet, dass die Riester-Rente bei den heutigen RentnerInnen bisher nur eine untergeordnete Rolle spielt und damit die Lücken des rückläufigen Versorgungsniveaus in der gesetzlichen Rentenversicherung kaum schließen kann.
Für kommende RentnerInnen wird die Bedeutung der Riester-Rente zwar steigen, da längere Ansparphasen als bei den heutigen Riester-RentnerInnen vorliegen werden, jedoch zeigen die Analysen zu den abgeschlossenen Verträgen (Tabelle und Abbildung 1), dass das nicht für alle RentnerInnen gelten wird. Insbesondere werden RentnerInnen, die über längere Zeit arbeitslos waren, nur niedrige Bildungsabschlüsse erzielt haben, alleinstehend waren oder geringe Einkommen erzielt haben, kaum Ansprüche an die Riester-Rente haben. Diese Gruppen haben in der Regel auch geringere Ansprüche an die gesetzliche Rentenversicherung und sind im besonderen Maße von Altersarmut bedroht.
Zwanzig Jahre nach dem Start in das Mehrsäulensystem der Alterssicherung muss festgestellt werden, dass die Ziele der Riester-Rente nicht erreicht wurden – und wertvolle Zeit für eine Reform verstrichen ist. Die Riester-Rente war ursprünglich als wesentlicher Baustein des Alterssicherungssystems in Deutschland konzipiert. Die hohen Erwartungen an die private Vorsorge wurden jedoch nicht erfüllt. Die Verbreitung liegt laut SOEP nur bei etwa 25 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung. Ohne die staatliche Förderung von immerhin 4 Milliarden Euro pro Jahr wäre die Verbreitung wohl noch deutlich geringer. Im Vergleich zu anderen privaten Vorsorgeprodukten ist die Anzahl der Riester-Verträge sicherlich hoch, aber das sollte nicht das Erfolgskriterium sein. Berücksichtigt man die Funktion der Riester-Rente, nämlich die gesetzliche Rentenversicherung so zu ergänzen, dass eine Lebensstandardsicherung möglich bleibt, müsste die Verbreitung eher bei 90 Prozent liegen, denn so hoch liegt der Anteil mit Menschen, die eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen.
Wie zu erwarten stellen sich auch bekannte selektive Muster auf dem Versicherungsmarkt ein. Menschen mit höherem Einkommen und höherer Bildung finden einen einfacheren Zugang zu diesem Markt und schließen häufiger Vorsorgeverträge ab, was auch der steuerlichen Absetzbarkeit geschuldet ist, die bei höheren Einkommen attraktiver ist. Umgekehrt ist es bei Menschen mit langen Phasen der Arbeitslosigkeit, geringer Bildung und geringem Einkommen. Diese profitieren zwar besonders von der staatlichen Förderung, dennoch haben sie deutlich seltener Riester-Verträge abgeschlossen und somit wird auch nur ein kleiner Teil aus diesem Personenkreis Auszahlungen in der Rentenphase bekommen.
Diese Gruppen haben in der Regel auch geringere Ansprüche an die gesetzliche Rentenversicherung als auch an die betriebliche Altersversorgung und sind damit im besonderen Maße von Altersarmut bedroht. Das ist ein zentrales Problem für die Sozialpolitik, das in den kommenden Jahren noch größer werden wird. Die Riester-Rente muss also auch vor dem Hintergrund, dass erste Anbieter sich aus dem Neukundengeschäft zurückziehen, grundlegend reformiert werden, wenn sie ein wesentlicher Baustein des Alterssicherungssystems in Deutschland sein soll. Eine Möglichkeit wäre es, die private Altersvorsoge über einen verpflichtenden staatlichen Vorsorgefonds zu organisieren in Anlehnung an das schwedische Modell eines standardisierten Altersvorsorgeprodukts mit geringen Bürokratiekosten. Dazu liegen bereits zahlreiche Vorschläge der verschiedenen Parteien auf dem Tisch.
Bei den Vorschlägen zu einem verpflichtenden kapitalgedeckten Vorsorgesystem sind jedoch wichtige sozialpolitische und auch organisatorische Fragen zu klären. Insbesondere muss garantiert werden, dass die obligatorischen Beiträge auch geleistet werden können, wenn Menschen nur geringe Einkommen haben oder arbeitslos sind. Hier könnte der Staat eingreifen und die Beiträge übernehmen oder subventionieren, ähnlich wie die Arbeitslosenversicherung auch die Sozialversicherungsbeiträge von Arbeitslosen zahlt oder die Riester-Förderung Haushalte mit geringen Einkommen unterstützt.
Alternativ werden auch Opt-out-Regeln (also die Möglichkeit, sich bei einer verpflichtenden Versicherung auf eigenen Wunsch von der Versicherungspflicht befreien lassen zu können) diskutiert, jedoch besteht hier die Gefahr, dass sich vor allem Menschen, die später auf die private Rente angewiesen sind, rausoptieren und somit in der Rentenphase keine Ansprüche haben. Sollte die Frage der Beiträge von Menschen mit geringen Einkommen geklärt werden können, könnte ein solcher staatlicher Vorsorgefonds einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Alterssicherungssystems in Deutschland leisten.
Themen: Rente und Vorsorge